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Morgen- Ausgabe

Nr. 11 A 6 50. Jahrg.

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Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

SONNABEND

7. Januar 1933

B

In Groß Berlin   10 Bf. Auswärts...... 15 Pf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Hitlers Unehrlichkeit am Pranger

Hitler   ist sich selbst untreu geworden

Die Verhandlungen Hitlers   mit Papen   schlagen allem ins Gesicht was die Nationalsozialisten in ihrer verlogenen Propaganda gegen die feinen Leute und gegen den Herrenklub gesagt haben. In den Reihen der wirklich gläubigen Nationalsozia­listen hat es niemand für möglich ge= halten, daß Hitler   mit Papen zu vertraulicher Unterredung sich an einen Tisch setzen würde. So ist es denn möglich, daß noch nach dem Be­kanntwerden dieser Unterredung ein Doku­ment erscheint, das den unüberbrückbaren Gegen­jazz zwischen Worten und Taten bei Hitler   auf­zeigt.

Am Freitagabend, zwei Tage nach der Unter­redung zwischen Hitler   und Papen in Köln  , ist der ,, Reichswart" des Nationalsozialisten Graf Reventlom mit dem Datum vom 7. Januar erschienen. Groß über die erste Seite hinweg steht die Ueberschrift ,, Hitler   und Papen?" In dem. Ar­tikel, den diese Ueberschrift deckt, wird auseinander= gesetzt, warum die Gerüchte, daß Hitler jemals mit Bapen verhandeln fönnte. böswillige Erfindungen sein müssen! Der Artikel beginnt:

,, Das muß man sagen: die Gerüchte- und Klatsch­industrie hat Hochkonjunktur! Da herricht keine Arbeitslosigkeit, sicher auch keine Erwerbslosigkeit. Anfang der Woche wurde über eine Zusammenkunft zwischen Adolf Hitler   und Herrn von Papen be­richtet, richtiger: gerüchtet, und von merk­würdig vielen geglaubt. Obgleich führende natio­nalsozialistische Tagesblätter sich gleich scharf gegen diese Ausstreuung gewandt haben, so möchten wir doch noch einen Augenblid dabei verweilen."

Nun wird auseinandergesezt, warum das Miß­trauen gegen das Kabinett Papen   und seine Freunde in den Reihen der Nationalsozialisten berechtigt gewesen sei. Dann heißt es weiter:

Heute dürfte es wohl wenige geben, die nicht gerade im damaligen Kabinett Papen   und seinen Kreisen die von Natur gehässigsten Feinde des Nationalfozialismus er­blicken und wissen, daß dieser Haß fachlich unver­jöhnlich und unabänderlich begrün­detist... Mit diesen bewußt rückständigen Ber­tretern eines volksfeindlichen Staates

könnte die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei   nur unter der Voraus­sehung zusammengehen, daß sie sich selbst untreu würde, vielmehr be­reits untreu geworden sei;

denn jene andere Seite wird ihrem Dünkel, ihrem Macht- und Geldegoismus nie und unter keinen Umständen untreu... Handelte es sich auch um nichts als um dieses, so würde es eine Beleidi­gung der nationalsozialistischen Bewegung und in erster Linie ihres Führers Adolf Hitler  sein, diesem Berhandlungen mit Papen oder auch nur die Absicht dazu zuzu­frauen."

Als diese Zeilen gedruckt wurden, hatte die Unter­redung zwischen Hitler   und Papen in Köln   be­reits stattgefunden. Es war eingetreten, was Reventlow als unmöglich, als eine Beleidi­gung Hitlers  , als eine Selbstaufgabe der NSDAP  bezeichnet hat. Hitler   hat sich selbst beleidigt, Hitler   ist sich selbst untreu geworden!

Was wird der Graf Reventlom nun zu sagen wissen? Kleiner Graf, was nun?

Arm in Arm

oder: Der Osaf in der Tinte

Der Herrenreiter aus Westfalen   und der revo­lutionäre Osaf aus Braunau   machen der staunen­den Mitmelt die Freude, als brüderliche Unter­zeichner eines staatsrechtlichen Dokumentes von er­heblicher Wichtigkeit vor die Deffentlichkeit zu treten. Es befaßt sich mit ihrem geheim geplanten

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sagt Reventlow

und gründlich verratenen Rendezvous im Hause des Bank- und Börsenfürsten Baron v. Schroeder in Köln  , Mitinhaber der arischen Firmen Stein und Levy, Salomon und Oppenheim und hat fol­genden Wortlaut:

Gegenüber unrichtigen Kombinationen, die in der Presse über das Zusammentreffen Adolf Hitlers   mit dem früheren Reichskanzler v. Papen   vielfach verbreitet werde. stellen die Unterzeichneten fest, daß die Besprechung fich ausschließlich mit den Fragen der Mög lichkeit einer großen nationalen po= litischen Einheitsfront befaßt hat und daß insbesondere die beiderseitigen Auf­fassungen über das zur Zeit amtierende Reichsfabinett im Rahmen dieser allgemeinen Aussprache überhaupt nicht berührt worden find. gez.: Adolf Hitler  . gez.: v. Papen  .

In der Presse war nämlich ein Streit darüber entstanden, ob die freundschaftliche Zusammen­funft der beiden unversöhnlichen Feinde zu dem Zwecke arrangiert war, dem gegenwärtigen Kanz­ler ein Bein zu stellen oder ob sie im Gegenteil ihm eine solide Regierungsunterlage verschaffen wollten. Die Frage ist noch nicht geflärt, vor allem, weil die beiden Beteiligten selbst darüber noch nicht ganz einig zu sein scheinen müssen sich doch die Hintermänner der edlen Fechter so­gar darum streiten, wer das harmlose Plauder­stündchen gewollt und arrangiert hat.

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Wer dabei recht hat. braucht nicht unsere Sorge zu sein, darüber mag sich Herr von Schleicher seinen Kopf zerbrechen. Uns interessiert vielmehr die Intimität der beiden Herren selbst. Wie flang es denn noch vor wenigen Monaten aus dem nationalsozialistischen Blätterwald? Da sprach der ,, Angriff" über die fleine vollsfremde reaktio­näre Adelsclique" und die größenwahnsinnigen Reaktionäre" und redete Herrn von Papen an:

, Wir sollten den Dred wegjegen, Sie treten dann, geschniegelt und gebügelt, als vornehme

Kavaliere, etwas breitstelzig und ange= dooft, in die gute deutsche Stube."

Erst breitstelzig und angedooft, größenwahn­sinnig und reaktionär jezt ,, Brüderlein fein, mollen mir nicht hübsch friedlich sein", wahrlich ein Bild von politischer Sauberkeit, wie es wohl dem deutschen   Publikum noch zu feiner Zeit ge­boten worden ist. Wie muß dem Führer" der Hintern mit Grundeis gehen, wenn er fich

zu dieser erbärmlichen Rolle hergibt und sie dann noch Arm in Arm durch Unterschrift bescheinigt. Wahrlich, Hitler   hat Ursache, zur treudeutschen Barusschlacht nach Lippe- Detmold zu fahren: Hie Hermann der Cherusker   hie Adolf   der Sla­wonier, der statt mit Mausefallen mit Ge= finnungsfestigkeit handelt.

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Der Agent der Großindustrie Ueber die Urheber des Techtelmechtels zwischen Hitler   und Papen   plaudert der Jungdeutsche" folgendes aus der Schule:

Bezeichnend ist, daß schon in der Weihnachts­woche ein Vertreter des Kreises um Otto Wolff, ein Justizrat, nach Berchtesgaden   zu Adolf Hitler   reiste.

Der Beranlasser der Unterredung Hitler Papen ist also die rheinisch- westfälische Industrie= Gruppe um den Stahlverein. Das Ziel ist, eine Regierung Bapen- Hitler zu errichten, nachdem man den jezigen Kanzler von Schleicher und sein Kabinett geftürzt hat. Die Barole dafür wird wieder die sein, daß Neuwahlen im Inter effe der Wirtschaft permieden werden müssen, und die Gefahr der Neuwahlen ist ja brennend ge= morden.

Ein Bild zum Ergößen, Hitler fuhhandelt mit den Großindustriellen, mit dem raffenden Kapital, mit den Bank und Börsenfürsten, und seine Heloten betteln in den Straßen der Großstädte den von diesen Herren ruinierten Kleinbürger

um eine milde Gabe an. Es lebe die tapital­national- sozialistisch- kapitalistische Arbeiter und feine Herrenpartei! Heil ihr und Heil Hitler!

Freie Bahn den Militärs!

Marr- Jahr 1933

Von Georg Decker  

Das Jahr 1932 sollte nach der national­sozialistischen Prophezeiungen ,, das Jahr der Entscheidung" werden. Das Jahr 1933 aber, in dem der Todestag von Karl Marg zum 50. Male wiederkehrt, sollte die endgültige Ausrottung des Marrismus besiegeln. Es wird aber nicht den Tod dem Marxismus bringen, sondern ein Mary- Jahr sein, und es fängt schon an im Zeichen des großen Sieges der Margschen Lehre! Diese Lehre erfüllt sich am Schicksal der nationalsozialisti­schen Bewegung mit solcher Genauig feit, als ob der Nationalsozialismus von einem Marristen erfunden wäre, um durch ein solches Experiment den unwiderlegbaren Nachweis für die Richtigkeit des Marrismus zu erbringen.

Freilich sind die historischen Vergleiche nur mit vielen Vorbehalten und in streng gezoge= nen Grenzen zulässig. Karl Marr schilderte aber, indem er zum Beispiel das Schicksal der zweiten französischen   Republik in seinem ,, 18. Brumaire des Louis Bona= parte" verfolgte, nicht nur einen konkreten historischen Vorgang, sondern deckte zugleich die Eigenart der politischen Haltung von ver­schiedenen Gesellschaftsschichten auf, zeigte, wie sich diese Haltung aus der durch den ökonomischen Aufbau bedingten Klaffenlage ergibt, und beleuchtete namentlich in der Art, die in starkem Maße Allgemeingültigkeit be­sizt, die politische Psychologie der städtischen Zwischenschichten"( Mittelstand, Kleinbürger­tum, in gewissem Sinne auch Lumpenprole­tariat) auf der einen und des Bauerntums ( am Beispiel der französischen Parzellen­bauer") auf der anderen Seite. Seit der Zeit, als die Erhebung des Bauerntums der Großen Französischen   Revolution ihre gran diose Stoßkraft gab und als das städtische Kleinbürgertum( zu einem großen Teil noch 1848) die eigentliche demokratische Kraft war, hat sich die politische Funktion dieser Schichten im Verlauf der Geschichte gewaltig verändert. Jedesmal aber, wenn infolge der Einschaltung der Erhebung dieser

Neue japanische   Drohungen/ Kein Grund zum Eingreifen für Völkerbund? Schichten das große historische Ringen der

Tokio  , 6. Jamuar.

Das japanische Kabinett billigte am Freitag einstimmig die Haltung der japanischen Militärbehörden in Schanhaifwan. Das Kabinett nahm den Vorschlag des Außenministers an, wonach die Verhandlungen zur Beilegung des Falles Schanhaitwan nicht vom japanischen  Außenministerium unmittelbar, sondern von den örtlichen japanischen Vertretungen in Tientsin   oder Peking   geführt werden sollen. Sollte die chinesische  Regierung den örtlichen Charakter des Falles Schanhaitwan nicht anerkennen, so dürfte die japanische Regierung den chinesischen   Behörden teine neuen Vorschläge unterbreiten, sondern den japanischen Militärbehörden Handlungsfrei­heit geben.(!)

Das japanische   Kriegsministerium teilt mit, daß trog der von amtlicher japanischer Seite an Tschanghfueliang ergangenen Warnungen das japanische   Oberkommando jetzt neue Meldungen vorliegen habe, wonach Tschanghfueliang im Ein­verständnis mit General Feng weitere chinesische  Truppen zusammenziehen wolle. Angesichts dieser chinesischen   Truppenzufammenziehungen müsse die gesamte militärische Lage in der Provinz Dschehol als sehr ernst angesehen werden. Den in Dschehol ansässigen Japanern ist geraten worden, die Provinz zu verlassen. Das japanische   Ober= fommando erklärt, daß die militärischen Opera­tionen gegen die Provinz Dschehol fortge= führt würden, ohne die Entwicklung in Schanhaitwan abzuwarten.

Die Haltung des Völkerbundes Genf  , 6. Januar. Die chinesische   und japanische Regie­rung haben in Noten bem Generalsekretär des

Völkerbundes eine kurze Darstellung der Kämpfe bei Schanhaifman übermittelt. In den Noten

wird jedoch die Schuldfrage zunächst nicht auf geworfen.

Entgegen allgemeinen Erwartungen hat die chinesische   Regierung bisher noch nicht den An­trag gestellt, daß der 19er Ausschuß der außer= ordentlichen Völkerbundsversammlung, in dessen Händen gegenwärtig allein die Behandlung des gesamten japanisch- chinesischen Konflikts liegt, sich mit den letzten Ereignissen befaßt. Ebensomenig hat die chinesische   Regierung bisher den sofortigen Zusammentritt des 19er Ausschusses beantragt. Die japanische Regierung betont in ihrer Note lediglich ihre Absicht, den Konflikt zu lokali= sieren und jede weitere Verschärfung zu ver­meiden, falls nicht von chinesischer Seite neue Provokationen stattfinden.

Angesichts der Haltung der beiden Regierungen liegt für den Völkerbund keinerlei Anlaß vor, zu den legten Ereigniffen Stellung zu nehmen.(?)

,, fundamentalen" Klassen( Großgrundbesiz. tapitalistisches Bürgertum, Proletariat) noch nicht oder nicht mehr dem Gesamtbild der politischen Kämpfe seine monumentalen Züge einprägte, traten seit 1848 in diesem Gesamt­bild die gleichen Züge auf.

,, Berbindungen, deren erste Klausel die Trennung, Kämpfe, deren erstes Gesetz die Ent­scheidungslosigkeit ist, im Namen der Ruhe wüste, inhaltlose Agitation, im Namen der Revolution feierlichstes Predigen der Ruhe, Leidenschaften ohne Wahrheit, Wahrheiten ohne Leidenschaft. Helden ohne Heldentaten, Geschichte ohne Ereig­niffe: Entwicklung, deren einzige Triebkraft der Kalender scheint, durch beständige Wiederholung derselben Spannungen und Abspannungen er müdend; Gegensätze, die sich selbst periodisch nur auf die Höhe zu treiben scheinen, um sich abzu­stumpfen und zusammenzufallen, ohne sich auflösen zu können; prätentiös zur Schau getragene An­strengungen und bürgerliche Schreden vor der Gefahr des Weltunterganges und von den Welt­rettern gleichzeitig die kleinlichsten Intrigen und 6073 Personen amnestiert! Hofkomödien gespielt, die weniger an den Jüng Die Haftentlassungen in Preußen ſten Tag als an die Zeiten der Fronde erinnern." Ist das über Deutschland   von 1932 ge= Amtlich wird mitgeteilt, daß in Preußen auf schrieben? Nein, Karl Marg hat das im Grund der vom Reichstag beschlossenen Amnestie ,, 18. Brumaire" über die französische   Ent­bis einschließlich 4. Januar 6073 Perfonen aus der Haft entlassen worden sind. Davon in Berlin   1013, in den Oberlandesgerichtsbezirken Breslau 727, Düsseldorf   599, Hamm   867, Köln  458, Königsberg   523, Naumburg   522. 3m Bereich der übrigen Strafvollzugsämter wurden 1364 Per­fonen haftentlaffen.

wicklung vom Mai 1849 bis Dezember 1851 geschrieben Damals hatte schließlich vor allem die Haltung des Bauerntums den Aus­schlag zugunsten von Louis Bonaparte   ge­geben. War es bei uns nicht so, daß der Na­ tionalsozialismus   seine scheinbar so gewaltige Stoßtraft erst erhalten hat, nachdem es ihm