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Rückschau aus Bayern   Lippe, o Klippe!

Der Widerstand gegen das Dritte Reich Weißblauer Partikularismus

München  , 6. Januar.

Im Papen  - Jahr, dem tollsten seit Bestehen der deutschen Republik, hat der königliche Freistaat Bayern   nicht schlecht abgeschnitten. In der Ge samtbilanz der deutschen   Innenpolitik ist der baye­ rische   Posten ziemlich weit nach vorne gerückt und hat eine erheblich größere Bedeutung erhalten als in früheren Jahresbilanzen. Schon die ersten Monate der beginnenden Nazi- Inflation brachten ihm eine Mehrung des Ansehens, nachdem Ver­lauf und Ergebnis der Reichspräsidentenwahlen den Beweis geliefert hatten,

daß die große Mehrheit der bayerischen Be­völkerung von einer Hifler- Diftatur nichts wissen will und unter Umständen sogar bereit ift, einem Dritten Reich den Uebergang über den Main   nicht zu geftatten.

In einer flaren Entscheidung hatten die bayeri­schen Wähler am 13. März und am 10. April ihr

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vor die Bayerische Volkspartei   in Händen, in der sich aber immer noch die Kräfte für oder gegen eine positive Entscheidung streiten und die Waage halten. Das im Reich bequeme Mittel einer Bar­lamentsauflösung läßt sich in Bayern   nicht an­wenden, da die bayerische Verfassung nur eine Selbstauflösung der Volksvertretung kennt und die Fraktion der Braunhäusler schon durch bloßes Fernbleiben von der Abstimmung imstande ist, jeden Auflösungsbeschluß zu verhindern. Daß sie im gegebenen Fall davon Gebrauch macht, steht bei dem inneren Krankheitszustand der Nazipartei in sicherer Aussicht. Von dem im April 1932 auch in Bayern   unnatürlich aufgeblähten Hitlerbonzen zu erwarten, daß er bescheiden wird und sich nach dem Willen des Volkes richtet- dazu gehörte ein Aberglaube, der hinter dem Vertrauen in die Gaufeleien eines Medizinmannes nicht zurüc stehen würde!

Land zu einem zuverläſſigen Bollwerk der Demo- Stinkbombe gegen Gevering

fratie gemacht und die drei nachfolgenden Wahlen bekräftigten erst recht die Tatsache, daß die Gegnerschaft zu Faschismus und Diktatur keiner Saisonlaune, sondern politischem Charakter ent­sprungen war. Diese Erkenntnis verschaffte dem Lande in den Flutmonaten der Hitlerei den Ruf einer demokratischen Insel in Deutschland   und zog viele außerbayerische Herzen und so manche Sehn­sucht in ihren Bann.

Als dann der Berliner   Herrenklub die Regie­rung der Barone in den Sattel hob, ertönte wiederum aus bayerischen Landen das unfreund­lichste Echo. Das zweite Tolerierungsgeschenk Bapens ans Hakenkreuz, die Freigabe der Straße für die braune Soldateska, zeitigte jenen schweren Konflikt der Reichsgewalt mit den Ländern, in dem unter Führung Bayerns  die Polizeihoheit zur Aufrechterhaltung des inneren Friedens aufs äußerste verteidigt wurde, bis eine weitere Diktaturverordnung der Barone den Ländern ihre verfassungsmäßige Rechtspflicht für die Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit aus den Händen schlug und die Schleusen zum blutigen Bürgerkrieg öffnete. Trozz dieses Gewaltstreichs von oben, der dem Reichs­oberhaupt die ihn in Bayern   besonders zuge= wachsenen Sympathien fostete, stellte sich Bayern  nicht verdrossen in die Ecke, sondern sette alles daran, um in tatkräftiger Abwehr der neu müten­den brutalen Mordheze und des blutigen Terrors menigstens die gemeinsten und rohesten politischen Verbrechen von seinem Gebiet fernzuhalten.

Ein weiteres Verdienst erwarb sich Bayern  durch seinen Widerstand gegen die dritte und größte Liebesgabe Papens an die Nazis, die unter Semaltandrohung erfolgte bjegung der Derfassungsmäßigen Preußen Re­gierung. Mit seiner Rechtsvermahrung im Reichsrat und der Klage beim Staatsgerichtshof trug es wesentlich dazu bei, daß im öffentlichen Urteil der Sinn und 3wed dieses unerhörten Verfassungsbruchs klar erkannt wurde. Wohl stellte sich im weiteren Geschehen heraus, daß das offizielle Bayern   den Weg der demokratischen Tugend nicht selbstlos beschritten hatte,

fondern daß es die mit der Preußen- Aktion in Angriff genommene Reichsreform dazu benüßen wollte, um die Weimarer   Berfassung auf das Jahr 1871 zurückzuschrau- ben und verlorengegangene zurückzugewinnen.

Hoheitsrechte

Einige schnellfüßige Partikularisten dachten schon daran, dem katholischen Herrenreiter bei seinem Staatsbesuch in München   Ehrenpforten zu errichten, doch hatten sich die gescheiteren Leute soviel gesundes Mißtrauen bewahrt, daß sie die föderalistischen Bekenntnisse des Herrenklub­kanzlers als hohle Phrasen erkannten und hinter ihnen ein großpreußisches Gespenst erblickten. Als dann der Herrenreiter bei der großen Hürde des 6. November in weitem Bogen aus dem Sattel flog, ließ man die bayerische   Schallplatte Zurück zu 1871" nicht mehr täglich spielen und ist jegt vorsichtig genug, fie vorläufig nur noch zum gelegentlichen Hausgebrauch zu verwenden. Die bayerische   Geschäftsregierung Dr. Held, mit dem Beinamen: die Unsterbliche, mill und kann sich nicht exponieren. Seit der Ab­wanderung des Justizministers Gürtner ins deutschnationale Berliner   Aemterparadies ist ihre Basis unerträglich schmal geworden und sie bietet von außen und erst recht von innen gesehen nur noch den Anblick eines bloßen Vollzugsausschusses der Bayerischen Volkspartei  . Ihr Leben fristet sie dem Grunde nach nur vom unversöhnlichen Ge­gensatz zwischen Sozialdemokratie und Nazifaschismus, fie ist zur Untätigkeit und schließlich zu verfassungswidrigem Verhalten gezwungen, sobald die Mehrheit sich in sachlicher Opposition zusammenfindet. Das ist bisher schon in weniger wichtigen innerpolitischen Fragen der Fall gewesen und hat jeweils zu langen Ausein andersetzungen und kleinen Stürmen im Wasser­glas geführt. Es ist unschwer vorauszusehen, daß neue Ereignisse in der Reichspolitik und vor allem die notwendigen Entscheidungen in den mit der Vorlage und Verabschiedung des Haushalts 1933 verbundenen Finanzfragen eine Zeit politischer Spannung in Bayern   bringen, denen das 2½­jährige geschäftsführende Rumpffabinett nicht mehr gewachsen ist.

Den Schlüssel zu der verfaffungsmäßig allein befriedigenden Lösung, Bildung einer parlamen­tarisch verantwortlichen Regierung, hat nach wie

Eine dreiste Anzeige zurückgewiesen

Halle, 6. Januar.

Gegen den Genossen Severing war auf eine An­zeige hin ein Ermittlungsverfahren ein­geleitet worden. Es war ihm zum Vorwurf ge= macht worden, daß er die Erstattung von Ge­richtskosten an den früheren Regierungspräsidenten v. Harnad angeordnet habe, die diesem in einer Privatklagesache des Stahlhelmführers Oberstleut­nants Duefterberg gegen v. Harnad auferlegt

mwaren.

Dieses Ermittlungsverfahren gegen Severing ist nunmehr eingestellt worden. Nach den Er­mittelungen der Staatsanwaltschaft sind in der Beleidigungsklage des Oberstleutnants Duesterberg gegen v. Harnack die Geldstrafe in Höhe von 100 Mart sowie die gesamten Gerichtskosten erster und zweiter Instanz vom Regierungspräsidenten v. Harnad persönlich aus eigenen Mitteln bezahlt worden. Unter diesen Umständen scheibe eine Begünstigung schon aus objektiven Gründen aus. Die Kosten des Verteidigers Harnacks und des Anwalts des Privatklägers Duesterberg seien zwar vom Staat erstattet mor­den. Nach den Feststellungen der Staatsanwalt­schaft handele es sich jedoch dabei um Zahlun= gen im dienstlichen Interesse. Aus diesem Grunde kann nach Auffassung der Staats­anwaltschaft von einer Untreue oder Unterschlagung nicht die Rede sein, zumal Severing die erstatteten Beträge sich nicht zugeeignet habe.

LIPPE  

Die Nazis haben Ihre gesamten Kräfte auf die Wahl im kleinen Lippe   konzentriert.

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,, Und wenn uns ganz Deutschland   verloren geht, Lippe   muß uns bleiben!"

Neuer Kameradenmord?

Ein SA.- Mann seit Wochen spurlos verschwunden Eigener Bericht des ,, Vorwärts" Detmold  , 6. Januar.

Gerade, da die Empörung über den Dresdener  Nazi- Fememord auf den Höhepunkt gestiegen ist, wird hier das Berschwinden eines 18jährigen SA.- Mannes bekannt. Bor sieben Wochen besuchte Herbert krück, der der Detmolder   SA. angehört, seinen Onkel in Bad Lippspringe  . Bon dort fuhr er mit dem Rade weg und seitdem fehlt jede Spur von ihm. Die Eltern hegen schlimmste Befürchtungen. Die Polizei hat alle in Frage kommenden Stellen unterrichtet, den Verschwundenen im Fahndungs­blatt und durch Rundfunk suchen lassen, aber bis­her ohne jeden Erfolg. Der SA.- Mann Krück ist

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,, Auf den einen kommt es nicht an"

Was die Nationalsozialisten über den Fall Hentsch sagen

Eigener Bericht des Vorwärts"

Freiberg  ( Sachsen  ), 6. Januar. Wir wandern von Klingenberg über die stille Beerwalder Mühle, Reichstädt   nach Dippoldis­ walde  . Dann besuchten wir die Stelle in der Malter- Talsperre, in die braune Kameraden" ihren langjährigen Mitfämpfer versenkten, pilger­ten über Paulsdorf, Paulshain und Ruppendorf  wieder nach der Bahnlinie Dresden- Chemnih zurück. Wir sprachen mit Menschen aller Schich­ten. Die Sozialisten in der ganzen Umgebung haben die Initiative in der Aufklärung des ver­abscheuungswürdigen Verbrechens an sich ge­riffen. Auch die Indifferenten verurteilen den Mord aufs schärffte. Die Nationalsozialisten be­jahen die grauenhafte Tat. Nicht ein einziges Mal bezeugt einer von ihnen auch nur das ge­ringfte Mitleid. So kommt es, daß alle anständi­gen Menschen von ihnen abrüden. Bürgerliche Kreise dieses Gebiets find in weitem Maße für die Partei der Fememörder verloren.

,, Man müßte es ebenso machen-!"

Klingenberg  . Morgenrot glüht über den Wald­bergen im Südosten auf. Felder, Wiesen und Waldstücke sind mit rotbraunem Leuchten über­hangen. Grüner Winter liegt über dem Land. Er hatte mit seiner Schnee- und Wasserarmut zur Folge, daß man die Leiche des von der braunen Feme   hingeschlachteten SA.- Mannes Hentsch aus Dresden   in der Talsperre Malter zeitiger fand. als es die Mörder vermuteten.

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Ein einfacher Mann mit einem Handwagen er will Reisig aus dem Walde holen begleitet uns ein Stück Weges. Seine Meinung über die­sen Fememord fonzentriert sich in der drastischen Aeußerung: Mit den Mördern müßte man es ebenso machen!" Holzfuhrleute an der Klingen­taler Talsperre erklären: Weist Hitler und alle Mordheter seines Schlages aus Deutschland   aus und es gibt keine Fememorde mehr!"

,, Das rote Gelumpe!"

In Dippoldiswalde   gehen wir in einige natio­nalsozialistische Berkehrslokale. In Stabt Dress den" sagt ein Nazi: Na, gestern abend waren im Schüzenhaus die roten Lumpen und Bonzen mal alle beieinander. Es soll sehr voll gewesen sein; 1300 Menschen waren da. Aber dieses rote Gelumpe das sind ja gar feine Menschen!"

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Ein Nazi im Café Schwarze":" Der Fall Hentsch ist freilich unangenehm für uns. Der Schent und die anderen haben es zu dämlich an­gefangen. Die dummen Hunde mußten den Hentsch in die Vorsperre schmeißen. Dort wäre er völlig im Schlamm versunken und nie wieder zum Vorschein gekommen!"

Am Fundort...

Den Fundort der in Säde eingehüllten Leiche passiert ein endloser Zug von Menschen. Alle schauen über da: Brückengeländer hinunter auf das zerbrochene Eis der Talsperre. Eine alte Frau wischt sich mit ihrer blauen Schürze über das runzelige Gesicht. Sie hat Tränen für einen fremden Menschen, für eine fremde Mutter. Dann tommt am Stod langsam ein Mann daher... in seinem Antlig, das tief die Spuren eines schwe ren Lebens trägt. zudt Empörung, als er hinab­fieht. Er ist Schwerkriegsbeschädigter. Sein Sohn SA.- Mann. Die Leute fragen den Alten: ,, Warum geht er nicht de raus?" Der Alte antwortet: Mein Sohn will schon, aber er sagt: Vater, mir geht es dann vielleicht gar wie dem Hentsch. Trete ich aus der SA. aus, so heißt's, ich bin ein Spizel und Verräter. Laß mich jetzt noch drinn. Wenn gewählt wird, weiß ich, was ich zu tun habe." Und dann erzählen die Leute, daß auch die Leichenfrau, die den ermordeten Hentsch abmusch und einfargte, zwei Söhne bei der SA. hat. Sie wird sich dabei ihre Gedanken gemacht haben..

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Endlos der Zug: Landwirte... Arbeiter junge Leute... Frauen, Mädchen, SA.- Bräute ein unsichtbarer Magnet zieht alle an. Ein Nazi, der mit dem Kainszeichen seiner Partei vorübergeht und den Mordort keines Blickes mür digt, wird von zwei Frauen mittleren Alters fast tätlich angegriffen. Mörder!" rufen sie gellend, und der Schrei hallt weit in die Berge

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Der entgangene Verdienst

Der Mann, der den Leichnam fand und der Polizei Mitteilung machte, heißt Loze, er stammt aus Paulsdorf. Man hat ihm hier nicht wenig Borwürfe gemacht: Du dummes Luder, du brauchtest die Sache doch nicht der Polizei zu melden. Hättest der SA. Mitteilung machen müssen, dann hättest du mehr verdient. 2000 Mart mindestens!"

spurlos verschwunden. Für das Borliegen einer Gewalttat fehlt bis jetzt noch ein Anhaltspunkt. Im Hinblick auf den Dresdener Kameradenmord werden aber Befürchtungen in dieser Richtung gehegt.

SS. gegen SA.!

Eigener Bericht des, Vorwärts"

Stuttgart  , 6. Januar. Ueber die Prügelei im Stuttgarter Braunen Haus in der Silvesternacht macht die sozialdemokratische Schwäbische Tagwacht" jezt folgende näheren Angaben:

,, In der Silvesternacht gingen vier Stuttgarter  SA.- Leute des westlichen Stadtteils, von einer Silvesterfeier heimkehrend, zum Braunen Haus. Vor der Tür haben sie etwas laut politisiert. Darauf stürzten elf SS.- Leute aus dem Haus und schlugen ohne jede vorherige Klärung der Lage wie wild mit Schulterriemen auf die SA.­Leute ein. Als diese dagegen protestierten und ihre SA Ausweise vorzeigten, gab es erst recht Brügel. Die Tatsache, daß es sich um SA.- Leute handelte, wirkte auf die SS. qnschei nend besonders erbitternd, und sie prügelten mit solchem Nachdruck und solcher tameradschaftlicher Hingabe, daß ein SA.- Mann Helmut Ley ohnmächtig liegen blieb, ein anderer SA.- Mann, Kurt Ley, und ein dritter mit Namen Artur Heuschele famen auch nicht gut weg. Es war dann schließlich einer der vier SA.­Leute, der angesichts der viehischen Roheit der ,, Kameraden" zur Polizeiwache in der Schillerstraße sprang und Hilfe holte. Als von der Polizei eine Anzahl SS.- Leute auf die Wache gebracht wurde, benahmen sich diese Rowdys auch auf der Wache noch besonders unverschämt und frech."

Das Stuttgarter   Naziblatt und die Stuttgarter  Polizei schweigen sich über den Vorfall noch immer aus.

Bügerschaftspräsidium

in Bremen  

Eigener Bericht des ,, Vorwärts" Bremen  

, 6. Januar. Bei der Neuwahl des Präsidiums der Bremer Bürgerschaft  , die alljährlich in der ersten Sigung im Jahre stattfindet, wurde an Stelle des aus der Bürgerschaft und aus der NSDAP  . ausge schiedenen nationalsozialistischen früheren Präfi­denten Dr. Badhaus der Sozialdemokrat Mag Jahn gewählt. Die Kommunisten stimmten in allen Wahlgängen gegen den Sozial­

demokraten.

Das neue russische   Cuftschiff SSSRW II murde bei Nowgorod   von einem Unglück betroffen. Es wurde wegen Motorenschadens abgetrieben, mußte nach zwanzigstündigem Treiben noilanden und fonnte nicht wieder aufsteigen. Es wird aus.. einandergenommen werden.

Kontursabkommen mit Oesterreich  ). Am 30. De­zember ist in Wien   ein Abkommen über die gegenseitige Anerkennung der Konkurse und Vergleichsverfahren zwischen dem Deutschen Reich und Desterreich unterzeichnet worden. Das Abkommen ist das erste dieser Art, das das Dutsche Reich geschlossen hat. Im An­schluß an die Arbeiten der Haager Privatkonferenz ist hiermit ein weiterer Schritt zur Rechts= angleichung zwischen den beiden deutschen  Staaten getan worden.

Uus Argentinien   deportiert hat man die Führer der Radikalen Partei Guemes   und 2 Ipear ( ehemaliger Präsident der Republik  ) und zwar nach der Insel Martin Garcia.