Morgen- Ausgabe
Nr. 13 A 7 50. Jahrg.
Rebattion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher 7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammadresse: Sozialdemokrat Berlin
Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
SONNTAG
8. Januar 1933
Jn Groß Berlin 15 Pf. Auswärts....... 20 f. Bezucsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils
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Als Mörder der Frau Martha Künstler aus der Ackerstraße ist der SA. Sturmführer Baumgart ermittelt worden. Baumgart ist geständig.
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Damit ist eine besonders verruchte Mordtat aufgeklärt worden! In der Silvesternacht begrüßten sich vor dem Hause Aderstraße 106 etwa zehn Ber= sonen mit dem Rufe Profit Neujahr!" Im gleichen Augenblic fuhr ein Radfahrer mit unbeleuchtetem Fahrzeug vorüber. Kaum war er an der kleinen Gruppe vorbei, als er sich plötzlich umdrehte,
die rechte Hand, in der er eine Pistole hielt, erhob und mit dem Rufe ,, Heil Sitler!" auf die Gruppe schoß. Die 37jährige Frau Künstler wurde von der Kugel in die Herzgegend getroffen. Sie starb unmittelbar nach dem Attentat.
Die Nachforschungen der Politischen Polizei bewegten sich auf Grund genauer Zeugenaussagen bald nach einer bestimmten Richtung. Die Beamten stießen schließlich auf den Schlächter= gesellen Baumgart, der Sturmführer der SA. ist. Zunächst war es nicht möglich, Baumgart zu fassen. Als er sich gestern in der Wohnung seiner Freundin in der Usedomer Straße aufhielt, wurde er festgenommen.
Baumgart hat ein Geständnis abgelegt. Die Tat versucht er mit der Behauptung abzuschwächen, daß er betrunken gemesen sei. Der Täter wird am Montag dem Bernehmungsrichter vorgeführt, der Haftbefehl gegen Baumgart erlassen mird.
Dieser Bursche, der aus reiner Mordlust geschossen hat, ist von Liegnig nach Berlin getommen. Er gehörte früher der schlesischen SA. an,
das heißt, er ist in der Schule der Heines- Banditen gewesen, aus der auch die Mörder von Potempa hervorgegangen sind!
Diese Banden, deren krimineller Charakter immer stärker hervortritt, sind eine öffentliche Gefahr!
Königsberg , in Stettin und Holstein mit ihren Bambenüberfällen und Mordtaten im Sommer unter dem Jubel der Nazipresse verrichteten, das murde Don den vier Stettiner SA. - Leuten jetzt ganz einfach auch auf den deutschnationalen Gutspächter, Stahlhelmer und Kriegervereinsvorsitzenden Steinide verübt: planmäßiger Ueberfall mit Kraftwagen und mit Waffen, die aus dem Depot der SA. stammen!
Hugenbergs Presse meiß sofort aus allen Landesteilen in großer Aufmachung zu berichten, wenn bei provozierten Zusammenstößen Nationalsozialisten von Kommunisten oder gar von Reichsbannerleuten verlegt wurden. Jetzt ist ein treuer Hugenberg - Mann von braunen Gefährten der Harzburger Front ausgeraubt, niedergeschlagen und schmählich er mordet worden. Wir warten auf die nationale Entrüstung über die Tat von Angehörigen der
,, nationalen Opposition", die Hugenbergs Presse in Berlin und im Lande großpäppeln half.
Als unter Führung von Mar Hölz in den Hungerjahren der Inflation ein Teil der Kommunisten in dem offenen Bandenkrieg" eine revolutionäre Tat zu vollbringen glaubten, da konnte sich die bürgerlich- kapitalistische Presse nicht genug tun im Wutgeschrei über den ,, Räuberhauptmann". Jetzt liegt ein weit schlimmerer Tat= best and por: Gefolgsleute Adolf Hitlers , ermuntert durch dessen Gratulations- und Solidaritätstelegramme an die Mörder von Potempa, eröffnen nicht nur den Bandentrieg mit Bomben und SA. Waffen gegen Margisten, sie sind vielmehr schon zu gemeinen Raubmördern herabgesunken, wie der Raubmord an dem deutschnationalen Stahlhelmer zeigt! Vom politischen Landsknechtstum zum ge= meinen Verbrechen ist nur ein Schritt.
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Die Aufforderungen der sozialistischen und eines Teiles der radikalen Presse an die Regierung, ihre Passivität in dem chinesisch- japanischem Konflikt aufzugeben und gegen die japanische Methode schärffiens Stellung zu nehmen, scheinen ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben.
Die Liberté" teilt mit, daß Ministerpräsident Paul Boncour den zur Zeit in Paris weilenden französischen Botschafter in Tokio beauftragt hat, der japanischen Regierung mitzuteilen, daß sie nach Ansicht Frankreichs einen großen Teil der Verantwortung für die Ereig nisse in Schanhaitwan trage. Außerdem solle der Botschafter die Aufmerksamkeit Tokios auf die Gefahren lenken, die sich für Japan ergeben würden, wenn Japan die Absicht haben sollte, seine Sicherheit" in der Provinz Jehol durch
Der Weg zum Banditismus eine neue Offensive zu erhöhen.
In der gestrigen Abendausgabe hat der ,, Vorwärts" als einziges Berliner Blatt die sensationelle Aufhellung des Raubmordes an den deutschnationalen Gutspächter Stei nicke in Streithagen( Kreis Randow) berichtet. Als Bandenräuber und Mörder sind vier SA. - Leute ver= haftet, die auch an dem Bombenattentat auf den Stettiner ,, Volksboten" beteiligt gewesen waren.
Die Aufdeckung des Bandenmordes beleuchtet aufs neue die völlige Verwahrlosung der braunen Garde, die durch die überragende Weisheit des gewesenen Fünfmonatekanzlers Papen auf das deutsche Volk wieder losgelassen worden ist. Es gab und gibt immer noch harmlose Gemüter, die die betreßten Braunjaden als ,, aufbauwillige Kräfte" im nationalen Sinne begrüßen und nicht sehen wollen, daß ihre Organisation ein Sammelbeden aller ver= brecherischen Elemente darstellt.
Mit der blutrünftigen Haßrede und Morddrohungen der Führer, mit dem Köpferollen" und dem Hängenlaffen" fing es an, mit den blutigen Straßen und Lokalschlachten wird es fortgesett und mit dem bandenmäßigen Raub und mord endet es bis auf weiteres!
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Die ,, Liberté", die wahrscheinlich wie die meisten französischen Rechtszeitungen von der japanischen Regierung best ochen ist, fritifiert diese Instruktion Paul Boncours und behauptet, daß der Botschafter über die Haltung Frankreichs gegenüber Japan beunruhigt gewesen sei und einige Beamte des Quai d'Orsay erklärt hätten, daß eine solche Politik nicht mit den Interessen Frankreichs im Fernen Osten vereinbar sei.
Japanische Bombenwürfe
Tofio, 7. Januar.
Wie der japanische Sondergesandte in Tschangtschun, Muto, mitteilte, haben japanische Bombenflugzeuge am Sonnabend 10 Meilen von Schanhaitwan entfernt die chinesischen Stel lungen mit Bomben ,, belegt". Das Borgehen der Japaner sei damit zu erklären, daß trotz
Japaner selbst drohen, ihre Operationen zu er weitern, falls die Bewegungen der chinesischen Truppen nicht aufhörten. Ein britisches Re= giment in Schanghai hält sich in Bereitschaft, nach Tschinmangtau abzugehen, um dort die britischen Interessen zu schützen.
Die Nanking - Regierung erhält täglich unzählige Telegramme von militärischen Befehlshabern aus ganz China , die um Befehl bitten, gegen die Japaner nach Nordchina zu marschieren.
Ein sehr einflußreicher chinesischer Führer hat einem Vertreter der Agentur Reuter erklärt, die Chinesen sind einmütig entschlossen, die Provinz Jehol zu verteidigen. Es ist unmöglich ge= worden, den Zorn des Volkes über das Vorgehen der Japaner weiter zu bändigen.
Carabinieri schießen Blutvergießen in Italien
Salerno , 7. Januar. ( Agenzia Stefani.) Infolge von Streitfragen lokalen Charakters find 300 Personen aus der Gemeinde Monte fan Giacomo nach Demonstrationen vor dem Rathaus in den benachbarten Ort Sassano gezogen. Dort griffen sie eine Karabinieriwache an, sie be= warfen sie mit Steinen und feuerten auch auf fie. Ein Unteroffizier wurde verwundet. Ein Karabiniere trug schwere Verlegungen davon. Die Karabinieri sahen sich genötigt, gegen die Demonstranten mit Schüssen vorzugehen: drei Tote und vier Vermundete blieben auf dem Platz. Die Ordnung ist vollkommen wieder
der japanischen Barnungen am Tichanghjueliang hergestellt und die Berantwortlichen sind in Haft
von den Chinesen weitere starke Streitkräfte in der Umgebung von Schanhaitwan und in der Provinz Dschehol zusammengezogen würden.
Drohender Kampf um Jehol
London , 7. Januar. ( Reuter.) Unterrichtete ausländische Militärs meinen, daß die Feindseligkeiten in Nordchina bald größeren Umfang annehmen könnten. Die japanischen Kräfte in Schanha kwan werden auf mindestens 6000 Mann geschätzt. Die Chinesen schicken mit großer Eile Verstärkun gen nach Tschinmangtau; fie sind entschlossen, den Japanern Widerstand zu leisten, während die
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genommen worden.
Unfriedlich nur gegen die Sozialdemokratie
Ausländer, die in den letzten Tagen Berlin besuchten, waren über das' Straßen= bild, das sich ihnen bot, nicht wenig erstaunt. Sie hatten in ihren Zeitungen gelesen, daß in Deutschland die Militärdiktatur herrsche und was erblickten sie? Von Norden und Süden, von Osten und Westen der Stadt zogen nach dem Zentrum Züge von Demonstranten, denen rote Fahnen mit Hammer und Sichel voranwehten. Was war geschehen? War eine bolfchemistische Revolution ausgebrochen? Aber nein! Die Züge bewegten sich in voller Ruhe und Ordnung unter dem Schutz der Polizei des Herrn Melcher nach dem Lustgarten, wo ein Reichstagsabgeordneter eine Rede hielt. Sodann marschierte man wieder mit derselben musterhaften Disziplin, mit der man getommen war, von den treusorgenden Armen der Polizei umfangen, nach Hause. Kein Zwischenfall von wesentlicher Bedeu= tung ereignete sich.
Unfere guten Ausländer waren nicht wenig überrascht. Sie hatten alles mögliche erwartet, nur das nicht. In Paris wäre unter ähnlichen Umständen die Demonstra tion verboten worden, man hätte alle in Betracht kommenden Straßen und Pläge mit Polizei und Militär besetzt, die geringste Anfammlung wäre zerstreut, jeder Widerstand im Reim unterdrückt worden. In Berlin aber konnte die Partei, der eben erst der Kanzlergeneral die schärffte Fehde angesagt hatte, unter polizeilichem Beistand auf den Straßen demonstrieren.
Offenbar verfährt man, wenigstens in diesem einen Punkt, troj Artikel 48, trog Kanzlergeneral und Marschallpräsident, trotz drohender faschistischer und regierender feudalen Reaktion in Berlin demokra tischer als in Paris !
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3weierlei zeigt sich an diesem Fall. Erstens, daß die Dinge meist nicht so einfach sind, wie sie von der Ferne aussehen, sondern viel komplizierter. Zweitens aber zeigt er, und das scheint uns das Wesentliche, daß demokratische Bräuche, wo sie sich einmal festgewurzelt haben, doch nicht so leicht zu entwurzeln sind. Spätere Geschichtsschreiber werden vielleicht ausführliche Betrachtungen darüber anstellen, wie überhaupt das vielbeschriene demokratische System in Zeiten schwerster Krise seine Zählebigkeit bewiesen hat.
Die Regierung Schleicher ist nicht im Gegensatz zur Regierung von Papen entstanden, sondern als ihre Fortsetzung. Das macht auch die Fortsetzung des oppositionellen Kampfes, den die Sozialdemokratie gegen dieses Regime führt, zur Selbstverständlichteit. Unsere oppositionelle Stellung hindert uns aber nicht, zu sehen, daß der Weg von Papen zu Schleicher, aus dem Gesichtswinkel der Reaktion betrachtet, einen Rückzug darstellt. Herr v. Papen war darauf ausgegangen, das ganze System von Weimar mit einem fräftigen Ruck aus den Angeln zu heben. Herr v. Schleicher hat von ähnlichen Anstrengungen Abstand genommen-be