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Morgen- Ausgabe

Nr. 15 A 8 50. Jahrg.

Rebattton und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Ferniprecher 7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabreffe: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

DIENSTAG

10. Januar 1933

P

Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts......

15 Pf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß bes rebuktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Völkerbund muß handeln!

Sozialdemokratische Interpellation gegen Japan

Die sozialdemokratische Reichstagsfrak. tion hat gestern folgende Interpellation eingebracht:

,, Ist die Reichsregierung bereit, ange­sichts der Vorgänge in Ostasien im Völkerbund den Standpunkt einzunehmen, daß Japan durch seine kriegerischen Aktio­nen gegen China und durch die Schaffung des künstlichen Mandschukuostaats den Völkerbundspakt und den Kellogg - Vakt gebrochen hat?

Ist die Reichsregierung bereit, im Völkerbund, dessen Ansehen schon durch sein bisheriges Verhalten in dieser Sache schweren Schaden erlitten hat, dafür ein­zutreten, daß dieser von der japanischen Regierung die sofortige und be dingungslose Anerkennung und Ausführung des Lytton­Berichtes verlangt, widrigenfalls jämtliche Unterzeichner des Völkerbunds­statuts und des Kellogg - Paftes die Ver pflichtung übernehmen würden, die Siplomatischen und handels. politischen Beziehungen 3 u Japan unverzüglich abe zubrechen?

Ist die Reichsregierung bereit, ihren Vertreter im sogenannten 19er Ausschuß des Völkerbundes dahin zu in­struieren, daß er die sofortige Einberu fung einer außerordentlichen Völker­bundsversammlung verlangt, auf der zu dem Verhalten Japans Stellung genom men wird?"

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Die Ereignisse im Fernen Osten berühren das deutsche Volf scheinbar nicht direkt. In Wahrheit sind alle Länder der Welt ohne Ausnahme an der Entwicklung in Ostasien unmittelbar interessiert, nicht nur wegen ihrer Handelsbeziehungen oder wegen des Schicksals ihrer dort lebenden Staats­angehörigen, sondern auch aus anderen, höheren Gründen. Es kann kein Zweifel mehr daran bestehen, daß man einem neuen Krieg im Weltausmaße mit jedem Tag näherrückt, wenn nicht sehr bald durch eine internationale Aktion dem japanischen Imperialismus Einhalt geboten wird; und außerdem würde die weitere unvermeidliche Folge einer weiteren Passivität der Mächte der Zusammenbruch des Völker­bundes sein, der jede Eristenzberechtigung verliert, wenn er sich nicht dazu aufrafft, Japan zur Einstellung der Feindseligkeiten und zur Achtung der internationalen Ver­träge zu zwingen. Ein Zusammenbruch des Völlerbundes wiederum bedeutet freie Bahn für die Rüstungsapostel und Kriegstreiber in allen Ländern mit der unabwendbaren Konsequenz eines neuen Völkergemegels auch in Europa .

Diese Erwägungen beweisen zur Genüge die Notwendigkeit des Schrittes, zu dem sich die sozialdemokratische Reichs= tagsfraktion entschloffen hat. Seit Jahr und Tag wird in der Arbeiterpresse des In- und Auslandes an der Passivität der Mächte und an dem Versagen des Völkerbundes gegenüber dem Konflikt im Fernen Osten unablässig heftige Kritik geübt, ohne daß die Schwierigkeit des Problems irgendwie verkannt worden wäre Die Schuld namentlich Englands und Amerifas miegt natürlich viel ichmerer als die der Reichs

regierung. Aber auch das deutsche Aus­wärtige Amt trägt seinen Anteil an der Ver­antwortung für das katastrophale Versagen des Bölkerbundes seit dem Beginn der japa­nischen Aktion in der Mandschurei im Sep­tember 1931. Denn die deutsche Diplomatie hat nicht rechtzeitig erkannt, daß gerade sie wegen der geringeren unmittelbaren deutschen Interessen im Fernen Osten und der sich daraus ergebenden größeren inneren un­abhängigkeit berufen gewesen wäre, die Initiative für eine energische und er­folgversprechende internationale Friedens­aktion zu ergreifen Sie hat insbesondere nicht begriffen, daß, von einer höheren Warte ge­sehen, Deutschland als einseitig abgerüstetes, die allgemeine Abrüstung erstrebendes Land das größte Interesse daran hatte, sich einer Entwicklung entgegenzustellen, von der nur jene Nutzen ziehen können, die immer wieder behaupten, der Bölkerbund sei Unsinn, die internationale Friedensorganisation ge­höre in das Reich der Träume und jede Ab­rüstung gefährde die nationale Sicherheit.

Nun ist es unbestreitbar, daß jezt ein Ein­greifen noch viel schwieriger ist als damals, wo es noch möglich gewesen wäre, den Brand im Reime zu ersticken. Aber eben meil die Ge­fahr heute viel größer ist, ist eine Aktion um so dringlicher und müssen auch die Mittel viel drastischer sein, wenn sie über­

haupt noch zum Ziele führen sollen. Die ein­zige Begründung, mit der sich fast ein Jahr lang die dilatorische Taktik des Völkerbundes rechtfertigen ließ, war, daß man den Bericht der eingesetzten und an Ort und Stelle ent­der eingesetzten und an Ort und Stelle ent­sandten Bölkerbundskommission abwarten müsse. Nun liegt der Lytton= Bericht bereits seit mehr als drei Monaten vor. Seine Feststellungen über die Schuld frage sind eindeutig zugunsten Chinas , seine konkreten Lösungsvorschläge sind sorgfältig abgewogen und durchaus an­wendbar. Warum wird noch immer nicht gehandelt?

Einfach deshalb nicht, weil Japan den Bericht, Bericht, der seinen Friedens- und Vertragsbruch dokumentiert und den Mandschuko- Staat als japanische Schwindelgründung entlarvt, lehnt und mit dem Austritt aus dem Völker­bund droht, falls der Bericht vom Völker­bund angenommen wird. Vor dieser Er preffung weichen nun alle Großmächte, preffung weichen nun alle Großmächte, einschließlich Deutschlands , kläglich zurück. Es wird nicht ge handelt, sondern weiter und aussichtslos ver handelt, während die japa­nischen Militaristen ihren widerrechtlichen Besitz erweitern und jetzt den Krieg auf rein chinesisches Gebiet tragen und Peking be drohen.

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demokratische Reichstagsfrat­tion- übrigens zur selben Zeit wie die französischen Sozialisten ihren wohl­erwogenen Vorst unternommen. Der knappe Wortlaut ihrer Interpellation erinnert die Reichsregierung an ihre Pflicht als Völkerbundsstaat und als Kon­trahent des Kellogg Paktes. Wozu die feierliche internationale Verpflichtung, den Friedensbrecher zu ächten, den ange­griffenen Staat zu schüßen, wenn in einem solchen eklatanten Fall die Verträge bloß Fezen Papier bleiben?

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Die japanischen Imperialisten haben bisher geglaubt, sich alles erlauben zu können, weil fie bei den Mächten keinen Widerstand son­dern nur klägliches Zurückweichen fanden. Wahrscheinlich würde sich das Bild sofort ändern, wenn sie auf einen geschlossenen Willen der im Völkerbund vereinigten Mächte stoßen würden. Möglich, daß es dann gar nicht notwendig werden würde, hinter den moralischen Druck den wirtschaftlichen zu setzen, gegen den, wie man weiß, Japan außerordentlich empfindlich ist. Aber auf alle Fälle muß der Wille, die internationale Rechtsordnung zu schützen, sichtbar und fühl­bar werden. Duldung des japanischen Vor­gehens bedeutet Passivität einer Entwicklung gegenüber, die mit einem neuen Weltkrieg zu

In dieser Situation hat die sozial enden droht.

Hitler , der deutsche Faschingskanzler

Er läßt sich von seinem eigenen Pressechef interviewen

Als der Freiherr von Münchhausen im Sumpf stecken blieb, zog er sich an seinem eigenen Schopf wieder heraus. Adolf Hitler bedient sich im gleichen Fall seines eigenen Pressechefs und läßt sich von ihm interviewen. Das Er­gebnis dieses Rettungsverfuchs veröffentlicht der ,, Völkische Beobachter".

Hitler ließ sich also von seinem Pressechef darüber befragen, ob er sich der Verantwortung am Staat entziehen wolle. Darauf antwortete er sich selber mit einigen Säßen aus seinen Reden, wer Verantwortung übernehme, müsse dazu auch die entsprechende Macht erhalten, und fuhr dann fort:

Wenn der Herr Reichspräsident im November glaubte, dank der Ratschläge seiner Umgebung es nicht verantworten zu können, mir die Ver­antwortung zu übertragen, dann sind damit die Männer auch heute die Verantwortlichen für die traurigen Folgen und für all das Elend, die aus dieser Weigerung dem deutschen Volke erwachsen müssen.

Um diese Andeutung zu verstehen, muß man wissen, daß Hitler ein Geheimprogramm zur Rettung des deutschen Volkes besitzt, mit dem er aber nicht herausrückt, solange er nicht Kanzler ist. Und wird er das überhaupt nicht, dann sieht er taltlächelnd zu, wie das deutsche Volk zugrunde geht.

Hitler befahl dann seinem Bressechef, ihn weiter zu fragen, ob er Fühlung mit Pa pen ge­sucht habe, um Anschluß an die Schwerindustrie zu gewinnen, und diktierte dazu diese Antwort:

Es ist selbstverständlich, daß ich keine Füh­lung mit Herrn von Papen gesucht habe. Aber ebenso selbstverständlich ist es, daß ich mir von niemandem vorschreiben lasse, mit wem ich sprechen darf und mit wem nicht. Ich bin Po­

litiker und werde, wenn ich es für zweckmäßig ansehe, jede Besprechung führen. Die deut sche Schwerindustrie ist ein Teil der

deutschen Wirtschaft(!) Ich brauche daher(?) ebensowenig an sie An­schluß" zu suchen wie an irgendeiner anderen Wirtschaftsgruppe(!). Ein Politiker hat mit allen bestehenden Faktoren zu rechnen und kann ihre Eristenz nicht wegzaubern. Wenn ich aber jemals die Notwendigkeit empfinde, darüber hinaus mit irgendeiner Wirtschafts­gruppe eine besondere Fühlung zu nehmen, so benötige ich dazu keinen besonderen Für­sprecher.

Das mögen sich nun Reventlow und die anderen frondierenden Pg.s gefälligst hinter die Ohren schreiben! Wozu wäre man denn Diktator einer Arbeiterpartei", wenn man nicht vor der Schwerindustrie auf allen Vieren laufen dürfte? Daß diese Schwerindustrie ,, ein Teil der deutschen Wirtschaft" ist, und daß Hitler daher an sie ebensowenig Anschluß zu suchen braucht, wie an eine andere Wirtschaftsgruppe das ist eine Weisheit, die man nur mit Staunen und Schaudern vernehmen kann. Man erkennt aber an ihr jene Logik wieder, die für sämtliche Reden und Schriften des Oberosaf kennzeichnend ist. Auf die letzte Befehlsfrage, ob Schleichers Arbeitsbeschaffung Aussicht auf Erfolg habe, ant­mortete die männliche Pythia mit folgenden Kern­jäzen:

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Arbeitsbeschaffungsprogramme sind nicht ihrer selbst wegen da. Ich enthalte mich daher(!) jedes Urteils über derartige Probleme, sondern(!) beurteile nur ihre Auswirkung auf die allge= meine deutsche Wirtschaftskrise. Diese Krise aber wird durch Maßnahmen des Kabinetts Schleicher nicht beseitigt.

Dies alles ist nicht etwa, wie Mißtrauische meinen tönnten, eine Erfindung der jüdischen Journaille", sondern offiziellste amtlichste Verlaut­barung der offiziösesten Pressestelle der NSDAP . Dieses Lallen ist beglaubigte Aeußerung eines sich selbst als solchen bezeichnenden Politi­Pers", der behauptet, ein Geheimrezept zur Ret­tung des deutschen Volkes und zur Beseitigung der Krise in der Tasche zu haben.

Amtliche Mitteilung

Ueber die Unterredung, die Herr von Schlei­cher gestern mit Herrn von Papen gehabt hat, ist hier schon berichtet worden. Nachzutragen ist noch, daß darüber folgende amtliche Mitteilung erschienen ist:

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,, Der Reichskanzler empfing heute Herrn von Papen zu einer Rücksprache über seine Begegnung mit Herrn Hitler am 4. Januar und die daran geknüpften irreführenden Presse­kommentare. Die Aussprache ergab die völlige Haltlosigkeit der in der Presse aus dieser Begegnung gefolgerten Behauptungen über Ge­Reichs­gensäglichkeiten zwischen dem tanzler und Herrn von Papen." Zwischen den beiden Herren ist also wenn man diesen Ausdruck noch gebrauchen darf, ohne peinliche Empfindungen zu wecken ,, alles in Butter". Aufatmend vernimmt das deutsche Volk, daß zwischen ihnen ,, feine Gegenfäglichkeiten" be= stehen. Böllig haltlos" war die Behauptung, die Hitlers Völkischer Beobachter" aufgestellt hatte, Herr von Papen hätte Herrn Hitler über den legten Kulissenwechsel in der Wilhelmstraße sein Herz ausgeschüttet. Merkwürdigerweise wollen trotzdem die Gerüchte nicht verstummen, daß eine neue Regierung der Bankfürsten, Krautbarone und Schlotjunker unter Adolf Hitler als dem deut­ schen Faschingskanzler in Borbereitung ist. Einer