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die Sozialdemokratie gegen sie den allerschärfsten Kampf führte. Auf ihrer Seite war alle Moral denn das öffentliche indirekte Privilegienwahlrecht war eine niemals zu rechtfertigende brutale Vergewaltigung. Auf ihrer Seite war alle Logik denn eine schlimmere Häufung innerer Widersprüche als jenes Klassensystem ließ sich nicht denken. Aber auf der Seite der anderen war die Macht, war der Egoismus einer herrschenden Klaffe, der preußischen Junkerklasse.
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Allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht zu allen Vertretungsförpern gehörte neben der Freiheit der Presse, des Vereins- und Versammlungswesens zu den selbstverständlichen Forderungen der Sozialdemokratie von Anbeginn. Die Demokratie war ihr die selbstverständliche Vorstufe zur Erkämpfung des Sozialismus. Aber kein Weg war sichtbar, der aus der Tyrannei ins Freie führte. Unangreifbar stand die Macht des Klassenstaates mit Polizei und Militär. Und die wachsenden Wählerzahlen der Sozialdemokratie bei den Reichstags= wahlen waren eher geeignet, die Abneigung der besitzenden Klassen gegen eine Wahlreform in Preußen zu steigern, als abzu= schwächen. Je höher die rote Flut stieg, desto ängstlicher verschanzten sich Kraut und Schlotbarone hinter den Wällen der Privilegienherrschaft.
Unzählige Saalversammlungen waren abgehalten, unzählige Zeitungsartikel gegen die Dreiklassenschmach waren geschrieben worden, als sich die Berliner Sozialdemokratie im Einverständnis mit dem Parteivorstand dazu entschloß, auf die Straße zu gehen. Dieser Entschluß war keineswegs so leicht zu fassen, wie heutzutage mancher Junge denken mag. Straßendemonstrationen waren im alten Preußen streng verboten, sie galten als Anfang der ,, sozialen Revolution". Man mußte mit der Möglichkeit rechnen, daß die herrschenden Mächte den Anlaß benutzten, um gegenüber der Sozialdemokratie zu den schärfsten Unterdrückungsmaßregeln zu greifen. Und noch steckte die Erinnerung an das Sozialisten gesez vielen in den Gliedern!
2m 12. Januar 1908, einem Sonntag, veranstaltete die Sozialdemokratische Partei Berlins am Vormittag zahlreiche Bersammlungen, deren Teilnehmer sich jedoch nach Schluß nicht zerstreuten, sondern gemeinsame ..Spaziergänge" in das Stadtinnere unternahmen. Es wurden feine Fahnen mitgetragen, es wurde nur hier und da gerufen und gesungen. Zusammenstöße mit der Polizei wurden nach Möglichkeit ver mieden, trotzdem wurde der Polizeifäbel oft geschwungen und es floß Blut. Am Tage danach sprach Wilhelm II. den Schuzleuten feine Anerkennung aus. Das arbeitende Deutschland aber und alle freiheitlich Gesinnten der Welt jahen mit Stolz und neuer Hoffnung auf die Arbeiterdemonstranten des roten Berlin !
Das war vor 25 Jahren. Aber zehn Jahre mach hielt trotz alledem die preußische Dreiflaffenbastion, und erst in den Stürmen des Weltkriegs brach sie zusammen. Als Preußen dritter Klasse 30gen im August 1914 die meisten ins Feld und wäre es nach den Junfern gegangen, so wären sie, wenn sie nicht draußen blieben, als Preußen dritter Klaffe auch wieder zurückgekommen.
Die Sozialdemokratie denkt mit Stolz an ihre Freiheitstämpfe vor 25 Jahren und fpäter. Sie hat dem deutschen Bolt im Reich, in den Ländern bis zum fleinsten Dorf hinab das gleiche Recht errungen. Das Volk wird schließlich auch lernen, sein Recht zu feinem Nugen zu brauchen, und seine Lehrmeisterin dabei wird die Sozialdemofratie sein!
Reichswirtschaftsrat fordert
Der Reichskanzler empfing am Mittwoch die Borsigenden des Reichswirtschaftsrates Ceipart und von Siemens, die dem Kanzler den Wunsch des Reichsmittschaftsrates vortrugen, bei den gesetzgeberischen Maßnahmen der Regierung in Zukunft in vermehrtem Umfang wieder eingeschaltet zu werden.
Seit an Stelle der ordentlichen Gesetzgebung durch das Parlament der Weg der Notverordmungen beschritten wurde, haben die Ressort minister nur noch selten ihre Vorlagen dem Reichswirtschaftsrat zur Begutachtung zugehen laffen. Manche Berordnung würde mahrscheinlich eine andere Fassung erhalten und auch Härten verloren haben, wenn die im Reichswirtschaftsrat vertretenen Sachverständigen der Wirtschaft( Arbeitnehmer und Arbeitgeber) und der Konjumenten vorher ihr Gutachten hätten abgeben
fönnen.
Der Reichskanzler stimmte den Darlegungen der beiden Vorsigenden im allgemeinen zu und stellte in Aussicht, daß der Wunsch des Reichswirtschaftsrats erfüllt werden wird.
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Revolte in der fränkischen SA.
Blutiger Kampf um das Nürnberger Hitler- Haus- SA. - Führer Stegmann abgesetzt
Eigener Bericht des„ Vorwärts"
Nürnberg , 11. Januar. In Franken ist der Zersehungsprozeß der A. und der Hitler. Partei derart tief, daß der Gruppenführer der SA.- Franken, Reichstagsabge ordneter Willi Stegmann, durch den aus dem Urlaub zurückgekehrten Röhm seines Postens enthoben und die Gruppe Franken der SA. aufgelöst werden mußte. Mit Stegmann sind eine Reihe Unterführer entlassen worden. Die Gruppe Franken soll mit neuen Führern neu formiert werden.
Kampf mit Brachialgewalt um das Hitler- Haus
Nürnberg, 11. Januar. Zwischen mehreren Mitgliedern der NSDAP . und SA. - Leuten fam es heute Nacht im HitlerHaus zu blutigen Zusammenstößen.
Die Polizei wurde zu Hilfe gerufen und mußte die Ruhe wieder herstellen. Es handelt sich um einen Handstreich der Anhänger von Stegmann auf das Nürnberger Hitler- Haus.
Der Reichstagsabgeordnete und S.- Führer Stegmann hat seinerzeit gemeinsam mit eines im Reichstag den gemeinen Ueberfall auf den sozialdemokratischen Journalisten Klo verübt, er wurde dafür zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Es ist eine Ironie des Schicksals, daß der madere SA.- Führer. der vor Gericht die befannten Röhmischen Briefe als Fälschungen be zeichnete, jetzt von Röhm hinausgeschmissen wird! In der NSDAP. in Franken herrschen im übrigen liebliche Zustände. Dort treibt der Gauleiter Streicher sein Wesen, der eben jetzt in einem Blatte der Naziopposition mit dem Titel ,, Nazispiegel" enthüllt wird. Seine ehemaligen Freunde werfen ihm jede erdenkliche Gemeinheit Dor, angefangen vom Ehebruch über Betrug bis zum Meineid.
Ueber einen schweren Familientrach im Hause Hohenzollern , vor allem zwischen dem Ertaiser und seinem Nazisöhnchen August Wil helm , mird seit gestern an verschiedenen Stellen und in verschiedenen Formen berichtet. Allerdings auch dementiert, aber die Ableugnungen betreffen anscheinend nur unrichtige Einzelheiten, mährend der Kern des Konfliktes offenbar nicht dementiert werden kann.
So teilt ein württembergisches Blatt, der ,, Reutlinger Generalanzeiger", mit, daß der Herr von Doorn einen
Hausbefehl an fämiliche Familienmitglieder erlaffen habe, fich jeder Betätigung bei den Nationalsozialisten fünftig zu enthalten.
Der Grund dazu sei die Enttäuschung, die bei den Hohenzollern darüber herrsche, daß die Nazis, anstatt die monarchistischen Restaurationspläne zu unterſtügen, sich ausschließlich für eine diktatorische Machtergreifung durch Hitler einfezen.
Die Behauptung des füddeutschen Blattes, daß sich der Prinz Aumi bereits zu einem längeren Urlaub nach Italien oder nach den Baleareninseln begeben hätte, trifft bisher offenbar nicht zu, da er noch vor wenigen Tagen in dem Ber liner nationalsozialistischen Trauerzug Goebbels marschiert ist. Es bleibt dagegen abzumarten, ob die weitere Mitteilung des Reutlinger Generalanzeigers" zutrifft, daß mit der Rückkehr des Naziprinzen in den preußischen Landtag taum mehr zu rechnen ist.
Inzwischen erfahren wir aus London meitere Einzelheiten über diesen hohenzollern. schen Familienfrach, die von verschiedenen großen Nachrichtenagenturen aus Deutschland gedrahtet worden sind.( Die angelsächsische Welt intereffiert sich nämlich noch immer für das Hohenzollernhaus viel mehr als die deutsche Deffentlichkeit, die die Taten von Wilhelm und seinen Söhnen bei weitem nicht so ernst nimmt wie die englischen und amerikanischen Durchschnittsleser.) Danach soll der Konflikt folgende Vor= geschichte haben:
Bor einiger Zeit hielt Aumi als frischgegossene Rednerkanone der Nationalsozialisten im Berliner Sportpalast eine Rede, in der er seine Verbundenheit mit den Nazikleinbürgern und proleten dadurch zu unterstreichen und glaubhaft zu machen versuchte, daß er auch einige despettierliche Bemertungen über den Geist der Potsdamer Hofgesellschaft einflocht und Adolf Hitler weit, weit höher als die monarchistische Restaurationsidee stellte.
Darüber soll nun vor allem u genberg, der fich mit Recht als der Führer der eigentlichen Monarchistenpartei betrachtete und der sowieso Krach mit Hitler bei jeder Gelegenheit suchte, sehr erbost gewesen sein. Er schrieb einen
Protestbrief an den Erkronprinzen
und ersuchte darin alleruntertänigst um ein Eingreifen vom Hause Doorn , damit die monarchistische Sache nicht weiter durch die Seitensprünge des hatenfreuzlerischen Sohnes Schaden erleide. Der Wortlaut der inkriminierten Sportpalaftrede wurde nach Dorn übermittelt.
Das Familienhaupt berief daraufhin einen eiligen Familienrat ein und wollte zunächst einen Beschluß durchfeßen, wonach allen Familienmitgliedern die Zugehörigkeit zur Hitler- Partei untersagt werde. Da legte sich- immer nach der englischen Verfion der Stahlhelmprinz Dstar vermittelnd ins Zeug und man beschränkte sich auf die Forderung, daß Auwi seine propagandistische Tätigkeit bei den Nazis ein fchränte, ohne förmlich aus der Hitler - Partei auszutreten.
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Doch ist der Konflitt neuerdings mit voller Schärfe wieder ausgebrochen, als Goebbels
bei Hitler beantragte, daß 2umi an Stelle von Helldorf , mit dem er sich verkracht hatte, zum Leiter der Berliner S. ernannt werde. Hitler , der offensichtlich Goebbels in seinem Kampf gegen Gregor Straßer dringender denn je benötigt, war bereit, diesem Wunsch zu entsprechen.( Daher auch die Urlaubs" reife des Grafen Helldorf nach Italien .) Auch Prinz Auwi war durchaus nicht abgeneigt, dem väterlichen Utas zu trogen und diese Beförderung aus den Händen seines neuen Herrn und Gebieters
Stegmann hatte erklären lassen, daß er Streicher von seiner SA. hinauswerfen lassen merde, menn er in einer Bersammlung auftauche. Tatsächlich wurde Streicher von SA. - Leuten aus einer Naziversammlung in Ansbach regelrecht
Osaf auf Reisen
Hitler ist wieder nach Lippe abgefahren. Er läßt mitteilen, daß er lediglich mit Göring über interne Parteidinge gesprochen habe. Anlaß dazu hat er genügend, angefangen vom Straßer- Krach über die Geldwünsche seiner Partei bis zu seinen politischen Schmerzen.
Die Hauptsache aber wird eine Besprechung darüber gewesen sein, wie die NSDAP . einer sofortigen Entscheidung im Reichs= tag ausweichen könne.
Nach der Lippeschen Wahl will Hitler bei Hugenberg vorsprechen.
anzunehmen, als wieder einmal der alarmierte Allerhöchste Kriegsherr a. D. wie das Donnermetter dazwischenfuhr: Er drohte dem renitenten Sohne nicht nur Ausschluß aus dem Familienverband, sondern auch den Verluft seines preußischen Prinzenfifels an: Auwi würde sich fünftig nur noch ,, Graf von Brandenburg " nennen dürfen!
Vor dieser Drohung, die ihn auf den Abelsrang eines ganz gewöhnlichen Grafen Helldorff herabgewürdigt hätte, soll nun, der englischen Darstellung zufolge, der prinzliche Naziproletenfreund doch zurüdgewichen sein. Zähnefnirschend lehnte er das Angebot von Hitler und Goebbels ab, zumal sein alter Herr auch über die Familienmoneten verfügt.
Amtlich wird in Tokio mitgeteilt, daß Außenminifter Uschida den Botschaftern der US2., Englands, Frankreichs und Jtaliens erklärt hat, eine Benderung der japanischen Politik im Fernen Often wie auch eine Aenderung der Haltung Japans in Genf fönne nicht eintreten. Die japa nische Regierung bestehe darauf, daß ihr Standpunkt in der Mandschurei - Frage richtig sei.
Dementsprechend dringen japanische Truppen nach zermürbender Beschießung der chinesischen Abwehrkräfte immer weiter in die chinesische Provinz Je hol vor, die westlich und nördlich der bei Schanhaitwan beginnenden Chinesischen Mauer liegt.
Zugleich wird das Erforderliche getan, um auch in Süd china jene typischen Konflitte hervor. zurufen, mit denen man später Beschießung, Besegung und gegebenenfalls auch Annegion à la Mandschurei begründet. Zu diesem Zweck und unter dem bekannten Vorwand des Schutzes japanischer Interessen" ist ein japanischer Zerstörer
nach Ranton und ein Minenboot nach 2 mon geschickt worden.
Bomben auf Nordchina
Spät abends meldet der Sowjetrundfunt aus der ostsibirischen Stadt Chabaromit, daß etwa 5000 Mann chinesischer Truppen des Generals Lipu durch überaus heftiges Feuer der Japaner gezwungen worden sind, auf sibirisches Gebiet bei dem Orte Turijemo überzutreten. Die russische Grenzwache mußte den verfolgenden japanischen Armeeflugzeugen Leuchtsignale geben, nicht weiter zu fliegen, was auch befolgt wurde.
Weiter meldet der Sowjetrundfunk, daß in der Gegend der nordchinesischen Hauptstadt Peiping ( früher Peking ) japanische Bombenabwürfe ungeheure Zerstörungen anrichten und eine Massenflucht der Bevölkerung verursachen. Abgeworfen werden Rettenbomben, die bis zu 8 Stück durch Ketten verbunden sind und durch ihre gleichzeitige Explosion an derselben Stelle natürlich die vielfache Wirkung erzielen.
Feuerüberfall aus Naziauto- Zwei Schwerverletzte
Gegen 23 Uhr wurde in der Kösliner Straße auf dem Wedding von S- Leuten auf das dorfige KPD. - Berkehrslokal ein hinterhältiger Feuerüberfall verübt. Aus einem Pri vatauto, das in schneller Fahrt durch die Straße fuhr, wurden von S.- Leuten auf die Gastwirtschaft zahlreiche Schüsse Schüffe abgegeben. 3wei Schwerverlette sind die Bilanz dieser neuesten nationalsozialistischen Schandtat.
Die Verwundeten, ein Mann und eine Frau, wurden in das Virchow- Krankenhaus übergeführt, wo die Aerzte Beden, Brust und Arm. schüsse feststellten. Wie es heißt, sollen die Schwerverlegten unpolitisch sein. Das alarmierte Ueberfalltommando fonnte von den Tätern feine Spur mehr entdecken.
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Wie wir weiter erfahren, galten die Schüsse der SA. - Mordbanditen nicht nur dem& PD.. Cokal in der Kösliner Straße, sondern auch einer größeren Gruppe kommunisten, die aus einer Bersammlung in den Pharussälen heimkehrten und gerade in die Kösliner Straße
einbogen. Das Mörderauto war ein kleiner roter Sportwagen. Die Namen der Verletzten find: Frau Johanna Füfer, 48 Jahre, Danziger Straße 43, und Gotthard Bittner, 34 Jahre, Wiesenstraße 47.
Die lebensefährlich verletzte verletzte Frau Füfer hatte ihren Schwager in der Rösliner Straße befucht, und gerade als sie das Haus verlies, war sie in den Kugelregen geraten. Die Frau dürfte ta um mit dem Leben davonkommen. Naziüberfall auch in der Badstraße
Ein anderer blutiger Zwischenfall spielte sich um 22 Uhr in der Badstraße auf dem Ge sundbrunnen ab. Dort überfiel eine Gruppe von etma 20 SA.- Leuten mehrere Fichte. Sportler, die von einem Turnabend heim. fehrten. Zwei jugendliche Sportler wurden durch die Hitler - Banditen niedergeschlagen und erheb lich verletzt. Durch das rechtzeitige Eingreifen der Polizei fonnten die Ueberfallenen vor dem Schlimmsten bewahrt werden. Sechzehn Be= teiligte, darunter 14 SA.- Leute und zwei angeblich Parteilose wurden festgenomment und der Politischen Polizei übergeben.