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Abend- Ausgabe

Nr. 22 B 11 50. Jahrg.

Redaktion und Berlagi Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher 7 Amt Donhoff 292 bis 297 Telegrammabresse: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

FREITAG

13. Januar 1933

Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts...... 10 Bf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe Morgenausgabe

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Mit Harter Hand?

Aber nicht gegen ,, Aufbauwillige" Herr Hugenberg hat der Frau des von Nationalsozialisten ermordeten deutschnatio­nalen Gutspächters Steinicke in Random in seinem Beileidsbrief geschrieben, er hoffe, daß der Verwilderung in Deutschland bald ,, mit harter Hand" gesteuert werde.

Steinicke ist von vier SA. - Leuten hinge­mordet worden, die schon an einem Spreng­stoffattentat auf den Stettiner ,, Volksboten" beteiligt waren.

Zugleich mit Hugenbergs Brief wurde das Urteil gegen den Nazimann Stuben­rauch in Frankfurt am Main bekannt, der feine Braut in den Main gestoßen und die Strafe von zwölf Jahren Zuchthaus und acht Jahren Ehrverlust im Gerichtssaal mit einem Heil Hitler " entgegennahm.

Ein Einzelfall? Noch schreiben die Mörder des SA. - Mannes Hentsch in Dresden ver­gnügte Briefe aus Verona und sind von der Nazipartei nicht abgeschüttelt, obwohl sie den eigenen Kameraden gefesselt, erschossen, in Säcke verpackt in die Maltertalsperre ge­worfen. Gleichzeitig wird in Berlin der SA. - Führer und Schlächter Baumgart verhaftet, der mit Heil Hitler" in der Sil­vesternacht eine vollkommen unschuldige Frau Künstler mit dem Rufe Heil Hitler " nieder­schoß. Gleichzeitig wird in Berlin der SA.­Mann Osthof verhaftet, der in Lichtenrade den Kommunisten Erich Hermann erstach.

In der Rösliner Straße wird aus einem Auto in eine Schar friedlicher Demonstranten hineingeschossen. In der Thomasstraße wird ein 15jähriger Reichsbannerjunge mit Messer­stichen zerfleischt.

Man stelle sich vor, Anhänger einer marristischen Partei hätten diese Kette von Morden und Totschlägen innerhalb weniger Tage verübt, welches Geheul durch die ganze bürgerliche Presse gehen würde, wie man die ,, Verantwortung der Führer" für diese Ver­rohung feststellen und das energische Ein­schreiten der Staatsgewalt gegen die ,, per­tierte" Partei fordern würde!

Bei den Nationalsozialisten, deren Führer unzählige Male direkt zu Gewaltakten auf­gerufen, die bald ,, Köpfe rollen" lassen, bald ,, Galgen errichten", bald die Nacht der blutigen Messer" ankündigen, bei ihnen wird das nicht so schwer genommen.

Der Führer dieser Partei kann trotz alle­dem jeden Tag mit einem Reichskanzler über seine Regierunsbeteiligung verhandeln.

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Die SA .- Horden haben nicht nur fom­munistische Versammlungen in den Unions­sälen und im Friedrichshain gesprengt oder zu sprengen gesucht sie taten das gleiche mit den Deutschnationalen in der Neuen Welt" in Berlin , im Konzerthaus in Breslau , in Düsseldorf und Hamburg . Aber Herr Hugenberg weiß da nichts von, harter Hand", er steht zu Verhandlungen mit Hitler jederzeit zur Verfügung.

Was ist es, das diese Schichten trotz alledem eng zusammenkittet? Was ist es, das alles verzeihen und verschleiern läßt, so himmelschreiend das Gebaren auch sein mag? Es ist das Bewußtsein, sich eine Prä­torianergarde gegen die klassenbewußte Ar­beiterschaft geschaffen zu haben.

Es sind die modernen Pinkertons, die man sich herangezogen, die Schutzwehren der Kapitalisten, die eben ohne Revolver, Messer, mündliche und tätliche Roheiten nicht aus­tommen Das muß man in Rauf nehmen- um die Arbeiterbewegung zu unterwühlen Wann werden die anständigen Elemente im braunen Heerlager die schmähliche Rolle er­tennen, in die das Kapital sie preẞt?

Das Milliarden- Defizit

Der Reichsfinanzminister muß Rechenschaft ablegen

Der Haushaltsausschuß des Reichs­tags beschäftigte sich heute zuerst mit der Er­ledigung einiger Rechnungsprüfungs­berichte, die vom Abg. Heinig( S03.) für den Rechnungsprüfungs- Unterausschuß vorgelegt wurden. Er machte darauf aufmerksam, daß deren Erledigung durch die zweimalige Auflösung des Reichstags im Jahre

Im weiteren Verlauf seiner Bemerkungen gab der Reichsfinanzminister den Nationalsozia­listen sehr gründlichen Etatunterricht. Deren Redner hatte das Etatsdefizit des Rei­ches mit den kurzfristigen Schulden des Reiches zusammengezählt, während in Wirklichkeit

1932 verzögert worden ſei, jetzt müſſe diese Arbeit Zwischen zwei ,, Fronten"

nachgeholt werden. Die Berichte wurden ein­stimmig genehmigt.

Dann wurde die Finanzdebatte zu Ende geführt. Abg. Ersing ging dabei ein auf die Kredite, die die Landwirtschaft im allgemeinen und der Deutschnationale von Oldenburg­Januschau im besonderen aus der Osthilfe für seine drei Güter erhalten habe.

Die Landstelle habe sogar von einem Manne, der sein Gut an Herrn von Oldenburg verkauft habe, verlangt, daß er im Intereffe der Entschuldung dieses Herrn auf den größten Teil seiner Forderung verzichte. Die Sprache der Landwirtschaft sei ein Skandal angesichts der Tat­sache, wie viel sie fortlaufend vom Reich bekäme.

Zum Abschluß der Finanzdebatte nahm dann der Reichsfinanzminister von Krosigk das Wort. Er stellte fest, daß das

Defizit für 1932 bei den Ländern 520 Millionen Mark, bei den Gemeinden etwa eine Milliarde beträgt.

Die mittel und kurzfristigen Schulden der Länder und Gemeinden seien demnach in den jüngstvergangenen Monaten nicht gestiegen. Die Fehlbeträge seien nur aus letzten Beständen des Betriebsmittelfonds und aus dem Verkauf im­mobilen Befizes gedeckt worden. Aber auch durch Nichtzahlung von Rechnungen rund 100 Mil­lionen und durch Nichtabführung staatlicher Steuern meit über 100 Millionen seien die Defizite äußerlich gedeckt.

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oder: Regierung Schleicher in Bedrängnis

Etatsdifizit und kurzfristige Schuld ein und dasselbe sind. Solche kleinen Erlebnisse hat der Haushaltsausschuß jezt häufiger.

Herr von Krosigt betonte sehr energisch, daß Zinssenkungen auf staatlichem Wege zwar im Augenblick dem Schuldner helfen, dafür aber den Kreditmarkt in der Richtung beeinflussen, daß

Die SA .- Bluttat in Neukölln

Mit Messern gegen Jugendliche

Der schändliche Naziüberfall auf die beiden Jungbannerkamer aden in Neukölln , bei dem ein Fünfzehnjähriger durch einen Lungenstich lebensgefährlich ver­letzt wurde, ist ein neues Glied in der Serie der SA .- Mordtaten der letzten acht Tage. Es wird höchste Zeit, daß die Polizei sich zu energischen Maßnahmen gegen die braunen Mordbanditen entschließt, wenn man nicht die Arbeiterschaft zur Selbsthilfe zwingen will.

Ahnungslos gingen die beiden Freunde, der 15jährige Kurt Frenzel aus der Rosegger­straße und der gleichaltrige Hermann Balfe aus der Kaiser- Friedrich- Straße, durch den Mittel­weg zur Neuköllner Turnhalle, wo sie an der Turnstunde des Jungbanners teilnehmen wollten. An der Ecke Mittelweg und Thomas­straße stürmten plötzlich von zwei Seiten 15 SA= Leute, die zum größten Teil uniformiert waren, auf die jungen Leute los. Mit Stahlruten, Tot­schlägern und Dolchen drangen die Burschen auf die Jungbannerkameraden ein.

Schon nach wenigen Augenblicken brach Frenzel mit einem Aufschrei zusammen. Einer der Hillergardisten hatte ihm einen Dolch in die Brust gebohrt.

Auch Baite stürzte mit schweren Kopf- und Ge­fichtsverletzungen bewußtlos zu Boden. Passanten, die aus einiger Entfernung den viehischen leber­fall mitangesehen hatten, ohne den Schwerver­letzten zunächst Hilfe bringen zu können, alar­mierten die Polizei. Die Beamten fanden die beiden lleberfallenen in ihrem Blute auf. Frenzel und Balke wurden sofort ins Neuköllner Kranken­haus gebracht. Während sich bei B. die Ver­

legungen glücklicherweise als nicht lebensgefährlich erwiesen, mußten bei Frenzel sofort alle Anstren­gungen gemacht werden, um ihn am Leben zu er­halten.

Der Dolchstich hatte seine Lunge durchbohrt und der überaus starke Blutverlust ließ Allerschlimmstes befürchten.

Wie wir aus dem Neuköllner Krankenhaus er­fahren, hat der Jungbannermann die Nacht sehr schlecht verbracht, erst gegen Morgen trat eine leichte Besserung ein. Nach wie vor besteht für den Unglücklichen Lebensgefahr.

Bei der Polizei haben sich inzwischen einige Zeugen gemeldet, so daß mit der Möglichkeit zu rechnen ist, daß auf Grund von Personalbeschrei­bungen einige der Mordbanditen erkannt und fest­genommen werden können. Soweit bisher fest­gestellt worden ist, handelt es sich um einen

planmäßigen Ueberfall der Hitlerbanditen.

Die Täter haben sich an der Straßenecke auf die Lauer gelegt und als gegen 29 Uhr Frenzel und Balfe der Turnhalle zustrebten, wurden sie die Opfer der Mordbestien. Die Empörung der Neu­ köllner Arbeiterschaft über diese Bluttat ist un­geheuer und es ist allerhöchste Zeit, daß energisch durchgegriffen wird. Wie weit die Nachforschungen der Politischen Polizei des Polizeipräsi diums in dieser Sache gediehen sind, war bisher nicht in Erfahrung zu bringen.

Am Krankenlager des auf so furchtbare und viehische Weise mißhandelten jungen Reichs­bannerkameraden konnten die Polizeibeamten

3. B. auf dem Hypothekenmartt feine Gelder mehr zur Verfügung stehen. Selbſt= verständlich müßte auch gegen Osthilfe= Skandale durchgegriffen werden.

Mit den fozialdemokratischen Stimmen wurde schließlich ein Antrag angenommen, der verlangt, daß die Reichsregierung bis zur nächsten Sitzung des Haushaltsausschusses- voraussichtlich am 17. Januar eine Zusammenstellung über die Osthilfemittel vorlegt, aus der ersichtlich wird, wieviel Geld der Groß­und der klein besitz der Landwirtschaft aus Reichsmitteln erhalten hat.

otbitie

Luther ,, warnt"

vor öffentlicher Arbeitsbeschaffung

Breslau , 13. Januar.

Am Donnerstagabend sprach hier vor der Industrie- und Handelskammer Reichsbankpräsi­dent Dr. Luther über Wirtschaftsfragen. Er stellte einleitend fest, daß es jetzt wohl überflüssig wäre, noch weiter über die Währung und ihre Sicherheit zu reden. Diese Sicherheit sei gegeben.

Luther wies dann darauf hin, daß Deutschland seit Mitte 1930 nicht weniger als sieben Milliarden Mark ausländische Schul­den zurückgezahlt habe. Auch in Zukunft werde es versuchen, seinen ausländischen Ver pflichtungen gerecht zu werden und seine Zinsen zahlen, denn das entspreche der kaufmänni= schen Linie der deutschen Politik. Das Ziel Deutschlands bleibe eine spätere Konsoli­dierung seiner kurzfristigen Anleihen. Die Arbeitsbeschaffung werde gerade in dem Augenblid, in dem es auf eine Senfung der Steuern ankomme, zu einer ernsthaften Be= lastung aller öffentlichen Haushalte führen. Man solle sich deshalb darüber im klaren sein, daß durch die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der öffentlichen Hand das Ausmaß einer kommen­den Konjunktur eingeschränkt werde.

heute vormittag nur wenige Minuten mit dem Berlehten sprechen, der durch Sauerstoffapparate künstliche Atmung erhält.

Der junge Frenzel gab dabei von dem Burschen, der ihm die verhängnisvollen fürchterlichen Lungenstiche versette, folgende Beschreibung:

Das Alter schwankt zwischen 18 und 20 Jahren. Der Bursche hat schwarze Haare, die eng anliegend nach hinten gekämmt find. Er trug ein blaues Jackett, darunter das braune Nazihemd und die braunen Nazihosen mit Bärenstiefeln. Das Abzeichen der SA .- Mörderbanden, das Haken­freuz, trug er offen auf dem Jackett. Wie der schwerkranke junge Mensch erzählt, kamen die 15 Nationalsozialisten den beiden Reichsbanner­leuten geschlossen in drei Reihen entgegen. Einer der Banditen spuckte dem Begleiter Frenzels in das Gesicht. Als dieser sich den Speichel aus dem Ge­sicht wischte, stürzte sich die Meute auf Frenzel. Als er bereits mehrere Stiche in die Lunge, die bis zu 6 Zentimeter tief eingedrungen sind, erhalten hatte und zusammengebrochen war, bearbeiteten die sinnlos Verrohten den Jungen noch mit Fuß­fritten in den Leib. Entgegen der sonsti­gen Gepflogenkeit hat die Polizei bisher eine Belohnung für die Ergreifung des Täters noch nicht ausgeseht.

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Gelbstmord!

Inhaber des ,, Kaufhauses Tempel­hof" erschossen

In seinem Privatkontor wurde heute morgen der Inhaber des Kaufhauses Tempelhof", Ed­mund Elend, der etwa im 50. Lebensjahr steht, erfchoffen aufgefunden.

Als Angestellte das Geschäftshaus in der Ber­liner Straße 126 heute früh betraten, mußten fie