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Abend- Ausgabe

Nr. 28 B 14 50. Jahrg.

Rebattion und Berlag, Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Ferniprecher 7 Amt Donhoff 292 bis 297 Telegrammabrefies Sozialbemotrat Berlin

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

DIENSTAG

17. Januar 1933

8

In Groß Berlin 10 Pf. Auswärts..... 10 Bf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe Morgenausgabe

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Berirrte Jugend Die Agrarier- Deutschlands Unglück

Räuberromantik statt Sozialismus

Wie bereits furz gemeldet, sind sechs jugendliche Kommunisten verhaftet worden, die durch einen Raubüberfall am Silvester­abend in der Filiale einer Butterfirma 700 Mark erbeutet haben, nicht, um das Geld für sich zu verwenden, sondern um es ihrer Jugendgruppe zuzuführen. Es trifft tatsächlich zu, daß die Festgenommenen fast die gesamte erbeutete Summe dazu ver wendet haben, um eine Schreibmaschine, Büromaterialien und die rückständige Miete für ihr Gruppenbüro zu bezahlen. Für sich felber haben sie nur 2 Mart pro Person von der Beute erhalten.

Es ist danach klar, daß die Täter mit ge­meinen Verbrechern aus Eigennutz nicht auf eine Stufe gestellt werden dürfen. Trotzdem bleibt ihre Tat beklagens- und verurteilens mert, und es muß die Frage aufgeworfen werden, wie es möglich ist, daß junge Men­schen, die der Jugendgruppe einer Partei angehören, sich zu einer solchen Handlung verleiten lassen konnten, die nur im Motiv der politischen Welt, in der Methode und Ausführung aber einer asozialen Unter­welt angehört.

Die Ursache hierfür liegt in jener Ver­wirrung der Begriffe, die manche Teile der Jugend geistig bis hinter die Anfänge der Arbeiterbewegung zurückgeworfen hat. Am Anfang der Arbeiterbewegung steht die Ertenntnis, daß die individuelle Auflehnung gegen die bestehende Eigentumsordnung mit Sozialismus nichts zu tun hat und diesen nur zu schädigen geeignet ist. Man kann als Sozialist ein weitreichendes Verständnis be­figen für den Rechtsbrecher, der seine Tat aus bitterer Not begeht, aber man wird des­halb jeden Ansatz zu einer politisch moti­vierten Organisierung von Eigentums­delikten nur um so schärfer ablehnen. Man macht nicht soziale Revolution, indem man wie Karl Moor in den Böhmerwald zieht und eine Räuberbande gründet!

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Wer es in der jezigen Zeit mit der Arbeiterklasse ehrlich meint, der darf sich nicht damit begnügen, die wirtschaftliche Not als Entschuldigungsgrund für jede politische Un­flugheit heranzuziehen. Er hat vielmehr gleichzeitig die Pflicht, vor unbedachten und sinnlosen Verzweiflungsaften eindring lich zu warnen. Er wird aussprechen müssen, daß die Plünderung einer Laden­taffe zu Parteizwecken genau so sinnlos und schädlich ist wie der organisierte Raub von Würsten und anderen Lebensmitteln. So erflärlich solche Erscheinungen in einer gro­Ben Notzeit wie der jezigen sind der So­zialist hat auszusprechen, daß an der Notlage der Millionen hierdurch nichts ge= ändert wird, und daß der organisierte Kampf des Proletariats gegen die Not durch solche Taten nicht gefördert, sondern schwer geschädigt wird.

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In der Sozialdemokratie würden die jugendlichen Täter dies erfahren und die Handlung unterlassen haben, die sie jetzt in verhängnisvolle Berührung mit dem Straf­gericht bringt. Ihr zweifellos vorhandener Idealismus wäre in der sozialdemokratischen Jugendbewegung zum Nutzen der Arbeiter­flasse angespannt worden. Unter scheinradi­falem Einfluß wurden sie die Opfer falscher Erziehung, sie haben ihrer Sache nichts ge­nüßt und für eine Sinnlosigfelt die Freiheit ihrer Jugend nuglos aufgeopfert.

Ben zelos wird w'eder grizhisher Regierungs­chef. Es gelang ihm. ein neues Kabinett zu bilden. Es wird über 126 Stimmen gegen 95 Volkspartei­ler( Royalisten) und 20 Antipenizeliften verfügen.

Hilferding geißelt die autoritäre Wirtschaftspolitik

Haushaltsausschus in der Vorwoche in der großen finanzpolitischen Aussprache davon gesprochen, es sei Offenheit wendig und dazu die parlamenta. über die Lage der Reichsfinanzen not.

Der Reichsfinanzminister hatte im

rische Kontrolle.

In diesem Sinne eröffnete heute Abg. Hilferding ( Soz.) im Haushaltsaus schuß die Aussprache über die wirtschaft­Er liche Lage. Offenheit vor allem! stellte offen fest, welche Kräfte heute die angeblich autoritäre Regierung in ihren sandlungen in Wirklichkeit bestimmen.

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Hilferding wandte sich zuerst gegen den be= denklichen 3wedoptimismus der Res gierung. Die schwere internationale Krise se! bei weitem noch nicht zu Ende, die Krise der öffentlichen Finanzen und der Eisenbahnen, aber auch die Krise auf dem Grundstücksmarkt sei in der ganzen Welt, im besonderen in cen Ber­einigten Staaten, noch in voller Auswirkung. Ebenso sei tie Lage auf dem Rohstoffmartt noch fehr schwierig.

Die Agrartrise in der ganzen Welt und im besonderen in Deutschland sei in verschiedener Sine ficht von besonderer Art Einmal falle sie mit einer industriellen Krise zusammen und zum an deren seien in der Landwirtschaft noch nicht jene Selbsterholungstendenzen sichtbar, die in der In­dustrie beobachtet werden könnten.

Seine besondere Ursache habe das

aber in der falschen Agrarpolitik.

Man habe das Anbaugebiet ständig ausgedehnt und die Stügung der Preise auf dem Wege der Zölle usw. hate tas noch gefördert. Das gleiche gelte für die starke Zunahme des Biehbestandes. Dennoch sinken dauernd die landwirtschaftlichen Preise! Wenn man mit den Regierungsmethoden den Getreidemarkt für den Augenblick erleichtern wolle, müsse man 1 Million Tonnen aus dem Markt nehmen. Troß der hohen Kosten für solche

Maßnahmen würde das nichts nüßen, das zeige auch die Entwicklung der Viehpreise.

Die landwirtschaftliche Ueberproduk. tion sei geradezu organisiert worden. Trotz der dadurch verursachten Senkung der Preise sinke der Fleischverbrauch. Pro Kopf der Bevölkerung sei er im vierten Vierteljahr 1932 gegenüber 1931 von 14,4 auf 10,5 Kilogramm gesunken. Die Kauffraft der städtischen Bevölkerung reiche eben troh Sperrung der Grenzen nicht mehr aus. Anstatt bernünftig zu helfen, werde die Land­wirtschaft gegen die städtischen Arbeiter verhett.

Man brauche nur den vorjährigen Fleischverbrauch in seiner damaligen Höhe mit Regierungshilfe wieder herzustellen, so würden 3 Millionen Schweine gebraucht wer= den, deren Aufzucht 1,5 millionen Tonnen Getreide beanspruchen. Diese Schmeine würden also den Getreidemarkt gesund fressen. Im übrigen müsse der Brotpreis gesenkt werden. Herr von Papen habe die Brotpreisfontrolle prattisch beseitigt, ebenso löse jeßt das Ernährungs­minifterium die objektiven Marktforschungsinstitute auf und gliedere sie dem deutschen Landwirtschafts rat, also den Interessenten, an.

Die dummen Maßnahmen zur Mar­garineberteuerung wirkten aufreizend,

ohne jemand zu nüßen.

Es sei unmöglich, einen Teil der städtischen Be­völkerung zugunsten der Bauern hungern zu lassen. Außerdem dürfe man nicht übersehen, daß der Landwirtschaft schon erhebliche Hilfe zuteil geworden sei. Ihre 3ins last sei nach den eigenen Angaben des Ernährungsministeriums um etwa 1 milliarde zurüdgegangen. Der durchschnittliche Zins der Landwirtschaft ent­spreche heute etwa dem der Vorkriegszeit. Die Zinslast beanspruche vom Verkaufserlös der Land­wirtschaft trotz der gesunkenen Preise nur etwa

Nazipöbel in der Universität

Wüste Szenen und Schlägereien

Der Nationalsozialistische Studentenbund veran staltete heute vormittag um 11 Uhr auf dem Hegel­platz vor der Berliner Universität eine Protestkundgebung gegen den Reichskommissar Kähler wegen Schließung der Technischen Hoch schule in Breslau und gegen die Berufung des jüdischen Professors Cohn an die Breslauer Uni­versität.

Die Kundgebung war von fanm 100 National­sozialisten besucht, die aber onschließend in die Universität eindrangen und dort im Bestibül, un­gehindert vom Rektor und Pedell, zunächst eine halbe Stunde sich mit Heß und Kampfliedern Mut anfangen. Nach einigen Sprechchören: Holt die Juden aus den hörsälen, Deutschland erwache, schlagt die Juden tot, wir fordern, daß kein Jude eine deutsche Hochschule besuchen darf",

30gen sie, wiederum ungehindert, durch die Gänge und fielen dort über einige jüdische oder jüdisch aussehende Studenten her. Die Unruhen dauern noch an; die Polizei steht in Bereitschaft vor der Universität, hat aber bislang noch nicht eingegriffen.

Die Provokationen und Ueberfälle auf einzelne Studenten murden von einer fleinen orde SA.. und SG. Leuten verübt. Andere nationalsozialistische Studenten wandten sich, ange­

widert von diesem Pogrom, ab und verteidigten scgar mit eigener Hand die von ihren SA.- Kame­raden angegriffenen Studenten.

Ene Gruppe von 50 Nationalsoziali­sten drang später in den Erfrischungs­

rund 8 Prozent. Das sei auch nicht wesente lich anders als in der Borfriegszeit..

Dennoch werde die Handelspolitik unter dem Druck der Landwirtschaft in einer Richtung betrieben, die nicht nur für den industriellen Arbeiter, sondern auch für die Landwirtschaft selbst ins Unglück führe.

Sehr deutlich müsse ausgesprochen werden, da s es unerträglich sei, wenn der Reichs­präsident mit dem Candbund Poli tif mache und dann die Minister zu sich rufe, damit zugunsten der Landwirtschaft in den Voll­streckungsschuh erneut eingegriffen werde. Dec Reich präsident habe teine Politik zu machen, das fei nicht seine Aufgabe. Wir brauchen wieder dringend die parlamentarische Berant. wortlichkeit der Regierung, damit fie nicht mehr unflaren autoritären Einflüssen aus­geliefert bleibe!

Der Großgrundbesig leistet bewußt flaffenmäßige Sabotage gegen die Sied­Iung. Die Verlängerung des Bollstreckungs schutzes zugunsten der östlichen Landwirtschaft und die Ausstreckung des Vollstreckungsschutzes auf das ganze Reich seien eine schwere Schädigung des ge= famten deutschen Kredits, also eine Störung der eigenen Konjunkturförderung der Regierung. Ebenso habe das Eingreifen Hugenbergs in die Stillhalteverhandlungen als eine Schädigung des deutschen Kredits gewirkt.

Hilferding verlangte zum Schluß seiner Ausfüh rungen, die unter größter Aufmerksamkeit vom Haushaltsausschuß angehört wurden, von der Ro gierung eine ehrliche Ziffer der Arbeits­losigkeit.

Nach einer langen, inhaltslofon Rede des Ab­geordneten Dr. Neubauer( omm.) sprach Abgeordneter Wiffel( S03.) ausführlich zu den Sozialpolitischen Fragen. Er spricht bei Abschluß des Blattes noch. Wir kommen auf seine Aus­führungen in der Morgenausgabe zurück.

raum der Universität ein mit dem Ruf ,, Achtung, Achtung! in zwei Minuten haben hier alle Juden zu ve: fchwinden!" Sie fielen dann über mehrere Studenten her, es gab eine Schlägerei mit Stuhlbeinen, einzelne Studenten wurden verlegt, darunter auch ein Reichsbanner­student. Ebenfalls wurde ein Serviermädchen verletzt. Durch das Eingreifen der Reichsbanner­studenten gelang es dann, drei National. sozialisten verhaften zu lassen; sie wurden auf das Revier in der Albrechtstraße gebracht.

Vor dem Austritt Japans ?

Neue Wendung in Genf

Paris , 17. Januar.

Die Montagsigung des 19er- Ausschusses in Genf wird von der Pariser Morgenpreffe als ein glüd­liches Wiederaufleben der energifchen Hal­tung des Völkerbundes(?) gegenüber Japan be= zeichnet. Die halbamtliche Agentur Havas unter­streicht das entschlossene Eingre'jen des englischen Außenministers Sir John Simon, der erklärt habe, daß der Ausschuß nur aus reiner Höflichkeit die vom japanischen Bertreter erbetene Frist ge= währe. Der französische Bertreter Massiglt habe diese Erklärung Smo1s unterstüßt und zu verstehen gegeben, daß der 19er Ausschuß wie der Bölkerbund überhaupt den Geist der Verständis gung bis zum. äußersten geirieben hatten, daß es

aber an der Zeit sei, mit einer Methode Schluß zu machen, aus der der Völkerbund nur geschwächt hervorgehen könne, wenn sie sich noch mehr in die Länge ziehe.

Der Genfer Berichterstatter des Matin" rechnet mit einem

Austritt Japans ans dem Bölkerbunde, wenn der Ausschuß am Mittwoch einen Ent­schließungsantrag vorlege, in dem den Vorbe­halten Japans feinerlei Rechnung ge tragen sei. Die Begründung dieses Austritts sei bereits in Tofio ausgearbeitet und lasse sich in zwei Punkte zusammenfassen:

1. Japan habe feinerlei lebenswichtiges Inters