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Berger lachte hart und exaltiert...G5e- rade, sagte er...Gerade ums Geld warst du ja so tapfer. Für vierhundert Kronen hast du dein Leben aufs Spiel gesetzt— wenn du's überhaupt getan hast." „Wer spricht von Geld? Du weißt genau, was ich meine." „Ich gebe dir gern recht. Niemand ist tapfer um Geld. Schön— aber die andern, die der Berechnung nach den Vorteil von der Tat hätten ernten sollen. Die Menschen, für die er sich geopfert hat, um derentwillen er in den Tod ging? chatten nicht die— als das Allergeringste und Kümmerlichste was sie tun konnten— dafür sorgen müssen, daß die chinterbliebenen wenigstens keine Not litten? Quisthus' Frau verlor ihren Mann, das Kind seinen Vater. Genügte das nicht? Was hat es für einen Sinn, sie obendrein noch bar dafür bezahlen zu lassen?" Lüdersen schüttelte unmutig den Kopf. „Du übertreibst, wie gewöhnlich. Sie haben doch ihre Pension. Das weißt du so gut wie ich." „Richtig— ein Drittel des Gehalts. Vor ein paar Monaten sprach ich die Frau, der Junge verdient sein Geld als Laufbursche, sie muß ihn bei ihrer alten Mutter unter- bringen, und selbst muß sie, um leben zu können, eine Stelle als chaushälterin an- nehmen. So behandelt man den toten chelden, aber den lebenden macht man zum Postdirektor- Und warum? Weil er mit heiler Haut davonkam.— Gesetzt den Fall, du wärst verletzt worden und als Folge davon arbeitsunfähig, wie hätten sie dir das gelohnt? Mit einer Pension, von der du knapp hättest leben können. Genau wie nach dem Kriege: die verkrüppelten chelden mußten selbst die Kriegskosten bezahlen. Wir rufen mit klopfendem und bewegtem cherzen„Bravo ", wir halten ergreifende Ge- denkfeiern für die Toten, aber deren Ver- pflichtung gegen ihre Ueberlebenden über- nehmen wir nicht." Lüdersen hatte sich an die Wand gelehnt und sah ihn an.„Du bist ja mächtig red- selig", sagte er. „Ja, du hast gut spotten. Aber das macht mir nichts. Es wiegt so unendlich wenig gegen das Wesentliche. Und daß ich jetzt redselig bin, kommt vermutlich daher, daß ich mich sehr lange vorbereitet habe. Ich stehe nicht hier vor dir und improvisiere. Ich habe diese Dinge neun Jahre durchdacht. — Es mag aber gern sein, daß ich etwas aufgeregt bin. Ich will versuchen, ruhiger zu werden" Er setzte sich ermattet hin, stützte den Kopf in die chand und sah vor sich nieder. Lü- dersen betrachtete ihn einen Augenblick, dann erhob er sich mit ruhiger Würde und schaltete das Licht an. Er ging an das Fenster und zog die Gardine vor. Alles das tat er mit einer gewissen gewollten Ge- mächlichkeit, als läge ihm daran, zu zeigen, daß er ein gutes Gewissen und nichts zu fürchten habe. Als er sich wieder gesetzt hatte, blickte Verger auf. Sein Gesicht hatte einen schmerzlichen Ausdruck angenommen. „Denkst du noch manchmal an Quisthus?" fragte er. Der andere nickte kurz und mürrisch. „Niemand stand ihm— außer seinen Nächsten— so nahe wie ich. Und ich denke oft an ihn. Er war im Grunde so voller Leben. Was er damals tat, war vielleicht nicht mehr als was du tatest, aber es war auch nicht weniger. Und nun liegt er bald neun Jahre und modert auf einem Fried- Hof. Während du lebendig auf Erden um- hergehst und dich brüstest mit dem, was ihn getötet hat.— Hast du das mal bedacht?" Lüdersen wurde etwas bleicher, aber er schob das Unbehagen mit gespielter Ver- achtung von sich.„Nein", sagte er,„es liegt mir nicht, herumzulaufen und Grillen zu fangen." „Grillen?" „Ja. das sind ja alles Grillen, was du da fabelst. Neid und Grillen." Berger schüttelte sanft den Kopf.„Ich be- neide Quisthus nicht", sagte er.„Und weißt du. zu welcher Ueberzeugung ich gekommen bin?- Ich glaube, es gibt nicht einen ein- zigen Menschen, der sein Leben hingegeben hat— und war es auch um einen andern zu retten—. der es nicht lieber ungeschehen machen würde, wenn er das Ende voraus gewußt hätte." „Ja, wenn er es gewußt hätte." Verger sah den anderen fest an.„I ch wußte es." Lüdersen zuckte die Achseln.„Wenn es dir Spaß macht, dich damit zu entschuldigen, dann meinetwegen!" Berger hatte schon wieder angefangen, vor dem Schreibtisch auf und ab zu gehen
Die Unruhe war wieder wach in ihm. Plötzlich blieb er stehen. „Entschuldigen?" fragte er.„Habe ich etwas getan, was einer Entschuldigung bedarf?" „Nein— du hast eben gar nichts getan." Die Hände auf den Schreibtisch gestützt, beugte Berger sich leicht gegen Lüdersen vor.„Doch", sagte er,„ich verteidigte das Leben!" „Ja— dein Leben." „Hatte ich denn ein andres Leben zu ver- Leidigen?" Lüdersen strich sich mit der Hand nervös und ratlos durch das Haar. Er hatte noch immer sein dichtes rötliches Haar und es
blieb nach dem Durchstreichen dick und struppig stehen. Sein Blick war schwer von tückischer Gereiztheit.„Da schwatzt du und schwatzt", sagte er.„Du sagst, du hättest jetzt sitzen können, wo ich sitze. Und dabei hast du dich nicht mal getraut, dich zu be- werben." „Ganz richtig, ich habe mich nicht getraut. Eben nicht getraut. Ich wußte nämlich vor- her, wie es ausfallen würde, und ich gönnte dir nicht auch noch einen Triumph." „Triumph?— Wovon redest du eigent- sich?" „Ach. laß das Heucheln, du bist noch der alte, du hast dich nicht geändert. Du ver- achtest mich noch immer, weil ich mich da- mal? nicht totschießen ließ. Du findest noch immer, daß ich mich unwürdig benahm. Ich bin hergereist, um zu sehen, ob es noch so ist. Ich hoffte das Gegenteil— aus zweierlei Gründen. Einmal, weil ich es müde bin, mich demütigen zu lassen. Ich halte es nicht mehr aus. Daß du es weißt. Mir ist bald alles einerlei!" Lüdersens Blick flackerte unsicher hin und her bei diesem unterdrückten und doch sehr deutlichen Ausbruch. „Du redest, als ob all das meine Schuld wäre", sagte er.„Glaubst du etwa, andere sind nicht ganz derselben Meinung wie ich?"
Wer in Genf sitzt, hat Frankreich vor Augen, denn das andere Ufer des Genfer Sees ist bereits französisch. Aber da auch Genf französisch ist, wenn auch ganz anders als Frankreich , weiß man auch in Genf gut zu essen.„Ja gewiß," sagte mir eine Parteifreundin vom Arbeitsamt, „hier ißt man gut. Aber wenn man hinüber in die kleinen französischen Dörfer fährt, da weiß man erst, was Kochen und Esten ist. In jedem Dorf gibt es einen anderen wunder- baren Wein, in jeder Dorfküche bekommen sie ein Gericht auf eine Art und Weise zubereitet, wie nirgends sonst." Und wieder dachle ich, daß man, ohne Uebertreibung, an seinem Esten ein Bolk be- urteilen kann. Je individualistischer es ist, um so reicher sein Küchenzettel. Kurzum, es gibt sehr viele Möglichkeiten zur Beurteilung und Klassi- fizierung eines Volkes. Nur eine, die heute be- liebteste und meist angewandte, sagt im Grunde sehr wenig aus. Die Beurteilung nach Seifen- verbrauch und Reinlichkeit. Diese Beurteilung enthält eben nichts als das Kruerium körperlicher Sauberkeit. Schon nicht einmal das Kriterium körperlicher K u l t u r I Denn dazu gehört ja noch vieles andere, was durch den Begriff der Rein- lichkeit gar nicht ersaßt wird, wie die Kunst des Estens, der Liebe, der Naturverbindung, der Hygiene(die mit Reinlichkeit nicht glatt identisch ist), und vieles andere. An solche Dinge sollte gerade der Deutsche denken, der nach Frankreich kommt. Er muß von vornherein entschlossen sein, das Hauptkriterium banaler Bölkerbeurteilung, das Kriterium der Sauberkeit, nicht ohne weiteres anzu- wenden. Er muß wissen, daß Unsauberkeit, auch wenn sie uns aus Deutschland besonders stört, eben nur ein winziges Kriterium des Lebens ist, und daß die vorlaute Beurteilung eines Volkes nur nach diesem Gesichtspunkt zu den dümmsten Vorurteilen verführt. » Wahr ist freilich: Wer auch aus der Schweiz , die von erquickender Sauberkeit ist, in Frankreich einfährt, wird durch die Ueberfülle von Schmutz, durch die Gleichgültigkeit des französischen Men- schen gegen herumliegenden Schmutz, gegen Staub, gegen alles Unscheinbarwerden der Dinge durch Schmutz sicher stark betroffen. Die Bahnhöfe, die Schilder der Geschäfte, die Häuser selbst, die Autos, alles ist unwahrscheinlich vernachlässigt— und das in einem Lande, das wiederum in bezug auf gewisse Teile der Körperpflege, in bezug auf alles, was mit Estenzen, Puder, Parjüm zu- sammenhängt, führend ist. Tatsach« ist, daß der Franzose auf viele Dmge, die mehr oder weniger mit Sauberkeit zusammenhängen, gar keinen Wert legt, dafür kein Geld ausgibt. Ich war einen Tag in Lyon , das allerdings auch für die Iran- zosen eine besonders häßliche und schmutzige Fa- brikstadt ist. und war von der souveränen G l e l ch g ü l t i g k e i t der Menschen gegen das Veralten der Dinge überrascht. Alter nnd Schmutz, Palina des Gebrauchs, der Abnutzung ist für die Franzosen unerheblich. Man sieht hunderte Hausschilder, Ladenaufschrlften, die wahrscheinlich seit bv Jahren nicht gereinigt wurden. Man sieht Autos, die offenbar den ganzen Frühling und Sommer herumfahren, ohne gewaschen zu werden, und das in dem für das Auto bahnbrechenden Land Europas ! Man steht serner halbzerbrochene Wagen mit ausgerissenen Rückwänden, an deren Reparatur niemand denkt. Man sieht Menschen in unwahrscheinlich schlechten, abgerisfenen, zu- sammengeflickten Kleidern. In keiner deutschen Ortschaft, auch nicht dort, wo nur Arbeitslose leben, sieht man Menschen so in R e st e n von Kleidern gekleidet wie in den besten Straßen Lyons. Das kümmert niemand. Daher sitzen cle- ganteste Frauen und sorgsällig. ja geckenhaft ge>
kleidete Männer anstandslos im Cafe neben Leuten in einer seit Jahren ungeputzten Arbeits- blufe. Die Gleichgültigkeit gegen das Verkommen der Dinge ist enorm. Aber es ist zugleich eine GleichgültigkeitgegenallesAeußer- l i ch e. Damit hängt auch zusammen, mit welchen pri- mitiven Mitteln vielfach gearbeitet wird. Ueberall wird statt eines Plakate» in Geschäften«in heraus- gerissenes Blättchen Papier mit wässeriger Tinte beschrieben, angeheftet, wo bei uns ein in der Schnelldruckerei hergestelltes Plakat diesen Zwecken dienen würde. Die Eisenbahnbeamten haben kleine selbstgeschriebene Zettelchcn, aus denen sie sich Dienstbestimmungen oder Fahrpläne abschreiben. Bei uns gäbe es dafür gutgedruckte Formulare der Reichsbahn mit allen möglichen und auch überflüssigen Auskünften und Bestimmungen. Das Kennzeichen aller dieser Dinge ist aber auch die berühmte und tatsächlich ungeheure Sparsam- k e i t der Franzosen . Vieles, was Schmutz ist, ist eben da, weil man kein Geld und keine Zeit zu seiner Beseitigung auswenden will. Solange es geht, bleibt es. Warum ändern, Neues anschaffen, Zulängliches zerstören, wenn es seine Bestim- mungen noch ausüben kann.
Wie mit den Dingen geht es aber auch mit den Menschen selbst. Wie man Sachen unendlich lange benutzt, solange sie ihre Funktionen erfüllen können, so auch Menschen. Niemols habe ich so alte Männer und Frauen bei der Arbeit und in Betätigungen gesehen wie in ein paar Tagen in Frankreich . Besonders die Verwendung von Greisinnen in allen möglichen leichten Beschäftigungen ist in jeder Hinsicht bedeutungs- voll. Bei uns grassiert ja die infame amerika - nische Vorstellung, daß der Angestellte über Vierzig auf den Schindanger gehört. In Frankreich findet man zahlreiche Möglichkeiten, den alten Menschen, der keine Rente und Versiche- rung sein eigen nennt, passend und human zu beschästigen. Wie mir überhaupt die Fähigkeit älterer Frauen besonders in Deutschland enorm unterschätzt scheint. Tritt man aber nun diesen Menschen im Ge- spräch näher, dann Ist man auf» höchste über- rascht, welche Feinheit des Tons, der Sprache, der Empfindungen in diesen unscheinbaren Menschen steckt. Die U n s ch e i n b a r k e i t des Franzosen erschien mir immer als eine gewollte, es steckt darin etwas von der Scheu, hervorzutreten, die auch eine besondere chinesische Tugend ist. Es ist, wie bei vielem in Frankreich , das Gegenteil zu dem allgemeinen Begriff, den das Franzosen- tum bietet. Das Volk der xloirc, der großen Ge- bürden und des Pathos, ist eben auch das Volt der S t i l l e der Einkehr, der L e b e n s s ch e u. Diese Kultur ist tief in die Massen gedrungen, und insosern unterscheidet sich auch der Provinz- franzose wenig von dem Pariser . Es werden wich- tige, ja große Dinge wortlos getan, und eine Re- klame und Weltpropaganda für das, was geschehen ist, liegt dem Franzosen nicht.
Lyon ist eine alte, ungeheuer weit gedehnte Stadt, mit unendlichen Altertümern, aber auch neuen Bauten von packender Modernität. In Toni Garnier besitzt Lyon «inen der mo- dernsten Architekten der Welt, der vom modernen Häuserbau zur modernen Stadtanlage vor- gedrungen ist. Und in dieser altmodisch, jämmer- lich gekleideten, sast überall schmutzigen Stadt steht der modernste Bau nüchtern und phrasenlos neben dem ältesten. Da stehen die berühmten Schlachthäuser Garnier», die ganz Kon- strutckion sind, eine der kühnsten Europas . weil das tragende Stahlgsrippe auf drehbaren kleinen Kugelgelenken montiert ist. Ein Chauffeur klärte mich nicht nur über diese Kon- struktion aus. sondern sagte mir auch, als mir der
„Gewiß, wer behauptet denn was andres? Aber mir bist du der Repräsentant für alle die andern— für all den Hochmut und all die Zurücksetzung! D u hast mich gedemütigt, d u hast vergessen, was du Frau Quisthus schuldig bist.— Wer bin denn ich? Ein lum- piger lebenslänglicher Schalterbeamter. Er- wartest du, daß ich es mit der ganzen Welt aufnehme?— Bei dir will ich mir meine Ehre wiederholen!" Eine heftige Röte flammte in Lüdersens Gesicht auf. „Weißt du was?" fragte er hitzig.„Ich glaube, du bist verrückt!" Berger nickte energisch.„Richtig getroffen. Ich b i n verrückt." Er wandte sich plötzlich, ging an das Fenster, schob die Gardine zur Seite und sah hinaus. Lüdersen sah ihm sprachlos zu. Als Berger noch immer am Fenster stehen blieb, fragte er:„Nach was siehst du denn?" Berger machte kehrt und ging, ohne zu ant- warten, quer durch das Zimmer. An der Tür blieb er stehen. „Ich sehe mir bloß mal den Hof an", sagte er.„Er ist groß und von ihm bis zur Straße ist ein noch größerer Garten. Hinterm Garten ist ein hoher Zaun." Lüdersen wurde nervös. (Fortsetzung folgt.)
Name des Erbauers entfallen war, daß Garnier das gebaut hat. Solche Chauffeure kann man sich auf der Welt suchen! Im Museum zeigte mir ein Wächter ein Bild, von dem er sah, daß ich es nicht bemerkt hatte, einen herrlichen Dürer, wie mir schien. Aber, fügte der Mann hinzu, die Zu- schreibung zu Dürer wird lebhaft bestritten. Solche Dinge erlebt man in Frankreich auf Schritt und Tritt. Die Stadt modernisiert sich übrigens weiter mit Elan, gerade als ich dort war, wurden vom Stadt- rat�der Bau des größten europäischen Wolken- kratzers von 70 Meter Höhe mit 18 Etagen in dem modernen Viertel Brotteaux beschlossen. ★ Daß Frankreich das Land ist, in dem zum erstenmal mit den modernen Baustoffen: Beton, Gla», Eisen gebaut und geformt worden ist, ist nicht so bekannt, weil ja die Franzosen überhaupt nichts tun. um solche Einzelheiten weltnotorisch zu machen. Auch sonst bauen sie Dinge, die erstaun- lich sind. Der neue Straßburger Hasen ist einer der modernsten der Welt. Eine große Leistung war die Verlegung einer Hafenbrllcke in einem Stück. Die ganze große Eisenbrücke wurde ohne jede Zerlegung in Teile entfernt und neu eingebaut. Ich schätze die Länge dieser so verlegten Brücke auf 40 Meter. Uebrigenz fiel mir diesmal in der französischen Eisenbahn, die viel schneller fährt als die deutsche, «ine praktische Einrichtung auf. Die Türen gehen nach innen auf, nicht nach außen. Ein Heraus- stürzen aus dem Zug durch Aufgehen der Tür ist also ausgeschlossen Außerdem öffnen sich die Türen nicht durch Niederdrücken, sondern durch Hochheben der Klinke. Alle Türunglücksfälle sind damit eliminiert. Aber da wir schließlich in Frank- reich sind, fuhr der Zug, in dem ich saß, ab, ob- wohl in 3 Waggons sämtliche Türen weit offen- standen Als übrigens der Zug die deutsche Grenz- station erreichte, zog eine Truppe Reinemache- stauen ein und fegte gründlich und schnell einige Eimer Dreck heraus. Ich muß gestehen, daß mir das etwas peinlich war, denn ich weiß, welchen Komplex die Reinlichkeit in unserem Denken ein- nimmt, und wie abgrundtief so manche Scheuer- frau die Franzosen wegen ihrer dreckigen Eisen- bahn oerachtet haben mag. * Wie in der Schweiz , ist auch Im Elsaß der Sprachschatz des persönlichen Verkehrs, alle Worte der Erziehung, des guten Benehmens, des Bittens und Dankens französisch. Die Bevölkerung spricht ungehindert Deutsch , aber wer sich nicht kennt, redet sich französisch an. Man nimmt fran- zösisch Fühlung, das heißt in der gemeinsamen Sprache, und setzt dann in der, zu der man gehört, den Verkehr fort. Strahburg ist trotz der Krise eine ungemein lebendige Stadt geblieben, ja geworden, denn der Hafen spielt ja heute hier eine ganz andere Rolle als vor dem Krieg. Die junge Generation wird französisch sprechen, dar- über kann kein Zweifel bestehen. Die Fehler, die einmal leider die Linke im Elsaß durch über- stürzten Zentralismus und Laizismus begangen hat, werden nicht wiederholt werden, so daß nichts das Hineinwachsen der beiden Provinzen in die französische Kultureinheit behindern wird. Das germanische Element, das dadurch in Frank- reich eindringt, wie einst vom Norden her, wird Und muß ein Kitt zwischen den Völkern werden, die sich so ungleich sind, aber so fabelhaft er- ganzen könnten. Der Franzose ist nämlich vielfach so, wie der Deutsche zu sein glaubt, also zu sein wünscht, und umgekehrt. Darin und in dem Zwang zum Wirtschaftsaufbau liegen die großen dynamischen Kräfte, die zum Zusammenschluß drängen. Eine?, sah ich wieder, könnte die deutsch « Seele von der französischen lernen: ihre Fähigkeit zur Still«, zum ruhigen Einatmen der Natur, zur Hin- gäbe ohne Phrase, zur Unabhängigkeit des Denkens von Launen der Zeit und des Augenblicks. Eben das macht in Frankreich die Dinge alt und gibt ihnen eine natürliche Würde und Sicherheit Dies wieder einmal, wenn auch nur im Sprung, gesehen zu haben, war das eigentlich Schöne dieser Frankreichreisc. Und zuletzt hat sie mir bestätigt, wie sehr Frankreich Paris und wie pariserisch Frankreich ist.