Abend-Ausgabe
Nr. 48 B 24 50. Jahrg.
Rebattion and Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher: 7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabreffe: Sozialbemokrat Berlis
SONNABEND
28. Januar 1933
Vorwärts=
BERLINER
VOLKSBLATT
Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Schleicher zurückgetreten!
In der heutigen Besprechung des Reichs: kanzlers von Schleicher mit dem Reichs: präsidenten hat Herr von Schleicher vom Reichspräsidenten die Vollmacht zur AufLösung des Reichstags gefordert. Der Reichspräsident hat ihm diese Vollmacht verweigert. Daraufhin hat Herr von Schleicher die Demission des gesamten Kabinetts gegeben. Der Reichspräsident hat die Demission angenommen, er hat das Kabinett Schleicher mit der einstweiligen Weiter
Papen wieder da!- Er soll mit den Parteien verhandeln
führung der Geschäfte beauftragt und den Ministern seinen Dank ausgesprochen.
Dann berief der Reichspräsident den Reichskanzler a. D. von Papen und beauftragte ihn, durch Verhandlungen mit den politischen Parteien die politische Lage zu klären und durch diese Verhandlungen die Möglichkeit zu einer Regie: rungsbildung festzustellen.
*
Geschichte eingehen. Papen, der Fünfmonatefanzler, ist wieder da! 3war nicht als Reichskanzler, aber als Vertrauensmann des Reichspräsidenten . Im Hintergrund steht Hitler .
Papen soll versuchen, eine Regierung der Harzburger Front zustande zu bringen mit Hitler als Kanzler. Er soll sich bemühen, für ein solches Kabinett die Tolerierung durch das Zentrum zu gewinnen. Nazis, feine Leute" und schwarze und ,, schwarze Jesuitenpest" ist die neue Konstellation. An
der grundsäglichen Bereitschaft Hitlers zu ihr. besteht nicht der geringste Zweifel. Aber da einer dem anderen nicht über den Weg traut, ist es nicht sicher, daß das Geschäft zustande tommt.
Und wenn nicht, was dann?
Eine Harzburger Regierung ohne parlamentarische Mehrheit bedeutet Staatsstreich und Bürgerkrieg. Ihre Ernennung wäre ein Anschlag auf die Sicherheit des Staates.
Es wird auf den Reichspräsidenten der stärkste Druck ausgeübt werden, um ihn den Plänen der Rechten gefügig zu machen. Und daß er Papen noch immer als seinen Vertrauensmann betrachtet, ist ein sehr schlechtes Zeichen!
Die Ernennung Schleichers vor zwei Monaten fonnte vielleicht dahin gedeutet werden, daß man auf dem Wege zur Besinnung sei. Mit ihr hörte zwar der reaktionäre
Die Spizenverbände sämtlicher Gewerkschaften haben heute in letter Stunde au kurs nicht auf, aber wenigstens die Tobden Reichspräsidenten folgendes Telegramm gerichtet:
Hochverehrter Herr Reichspräsident!
In tiefer Sorge über die unser Volk beunruhigenden und bedrohlichen politischen Gefahren sind die Gewerkschaften aller Richtungen zur Beratung der überaus ernsten Lage zusammengetreten.
Sie halten sich in dieser entscheidenden Stunde für verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß die Berufung einer sozialreaktionären und arbeiterfeindlichen Regierung von der gesamten deutschen Arbeitnehmerschaft als eine Herausforderung empfunden werden würde. Die Gewerkschaften erwarten, daß Sie, Herr Reichspräsident, allen unterirdischen Bestrebungen, die auf einen Staatsstreich hinzielen, ihren entschiedenen Widerstand entgegensetzen und auf einer verfassungsmäßigen Lösung der Krise bestehen.
Allgemeiner Deutscher Gewerkschafsbund Allgemeiner freier Angestelltenbund
Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften Gewerkschaftsring deutscher Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenverbände,
Allgemeiner deutscher Beamtenbund
fuchtsperiode der Reaktion, die durch den Namen Papen gekennzeichnet ist, schien zu Ende. Die verbrecherischen Staatsstreichpläne, die unter Papens Regierung eine so große Rolle gespielt hatten, hörten auf, ein Moment der unmittelbaren Erregung und Beunruhigung zu sein.
Der Sturz Schleichers ist ein Alarmzeichen allererster Ordnung. Er zeigt, daß der Weg zu einer neutralen Beamtenregierung, die in diesem Augenblick vielleicht die einzig verfassungsmäßige Möglichkeit wäre, nicht beliebt wird. Der andere Weg ist aber auch dann, wenn die Verfaffungsmäßigkeit gewahrt bleibt, ein Weg des halsbrecherischen Experiments, des gefährlichsten Abenteuers.
Auf dem andern Weg kann die Verfassungsmäßigkeit nur gewahrt bleiben, wenn für Hitler eine parlamen
Die Spisenorganisationen der Gewerkschaften haben gleichzeitig um einen Empfang tarische Mehrheit geschaffen werden beim Reichspräsidenten nachgesucht.
Der preußische Ministerpräsident Otto Braun hat heute an den Reichs= tanzler das folgende Schreiben gerichtet:
Der Preußische Ministerpräsident. St. M. 124.
Berlin , den 28. Januar 1933. W. 8, Leipziger Straße 3.
In einem Teil der Presse, in öffentlichen Versammlungen und dergleichen wird öffentlich zum Hochverrat aufgefordert, ohne daß, soweit hier bekannt, die zuständigen Stellen gegen diese durch§ 85 des Strafgesetzbuches mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren bedrohten Handlungen einzuschreiten. Der preußischen Staatsregierung ist durch die geltenden Ausnahmevorschriften die Möglichkeit genommen, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Sie weist die Reichsregierung und den Reichskommissar dringend auf diese Notwendigkeit hin.
Nach§ 81 des Strafgesetzbuches wird wegen Hochverrats bestraft, mer es unternimmt, die Verfaffung des Deutschen Reichs oder eines deutschen Landes gewaltsam zu ändern. Durch diese Vor
schrift sind nach der Rechtslehre und Gerichtsprargis gegen gewaltsame Eingriffe geschützt die Rechte derjenigen Gewalten, durch deren Willensäuße rung das Staatsleben bestimmt wird", in erster Linie der Reichstag als das höchste Organ des Reiches und als Repräsentant des einheitlichen deutschen Boltes, von dem die gesamte Staatsgewalt jetzt ausgeht"( Kommentar von Ebermayer, Lobe und Rosenberg zum Strafgesetzbuch§ 81 Anmerkung 4 und dort Zitierte).
In Art. 23 der Reichsverfassung sind die Fristen, innerhalb deren der Reichstag im Falle der Auflösung wieder zusammentreten muß, genau festgelegt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts, die in der Entscheidung des Staatsgerichtshofs vom 25. Oktober 1932 ausdrücklich bestätigt worden ist, kann der Reichspräsident auch auf Grund des Artikels 48 über derartige Vorschriften der Reichsverfassung nicht hinweggehen.
Die Berufung auf einen Staatsnotstand ist rechtlich unzulässig. Wenn öffentlich
dazu aufgefordert wird, der Reichspräsident möchte den Reichstag nach Hause schicken und vorläufig nicht wieder zusammentreten lassen, so ist dies also eine Aufforderung zum Hochverrat. Solche Aufforderungen müssen vom ersten Augen blic an mit den vorgeschriebenen zulässigen poli zeilichen und strafrechtlichen Mitteln unterdrückt werden, wenn nicht neue Verwirrung im Rechtsbewußtsein des Volkes die schwersten Folgen heraufbeschwören soll. Da die preußische Regierung gehindert ist, die nötigen Schritte zu ergreifen, trifft die volle Ver= antwortung für diese Aufgabe die Reichs= regierung und die Kommissare des Reichs. An den Herrn Reichskanzler zugleich als Reichskommissar für das Land Preußen.
Ablauf der Ereignisse:
Das Reichskabinett trat heute vormittag um % 12 Uhr zu einer Sigung zufammen, in der der Reichskanzler feine Ministerkollegen über die Entwicklung der politischen Lage im Zusammenhang mit dem Beschluß des Aeltestenrates unterrichtete. Um 12.15 Uhr fand dann die Besprechung Hindenburg- Schleicher statt.
Papen im Kanzlerhaus Papen bewohnt noch immer die Dienstwohnung, die ihm als Reichskanzler eingeräumt worden war. Er wohnt also im Vorrat!
fann und wenn Garantie dafür geboten wird, daß Hitler verschwindet, sobald er diese Mehrheit verliert.
Das heißt, eine Hitler- Hugenberg- Regierung ist verfassungsmäßig nur möglich, wenn das Zentrum ihr seinen Segen gibt.
In dem Augenblick, in dem der Reichspräsident einer Parteiregierung der sogenannten ,, nationalen Rechten" besondere Voll
Burlin bleibt
of•
Sonntag.
29 Januar
14½ Uhr
Lustgarten