DRITTE BEILAGE
Vorwärts
Man entdecke endlich den Verbraucher!
Die neue Heilslehre der ,, Technokratie" und die Wirklichkeit
In den Bereinigten Staaten macht gegenwärtig eine Vereinigung von Ingenieuren sehr viel von sich reden, die unter Leitung von Mr. Howard Scott eine neue gesellschaftliche Heilslehre propagiert. Der baldige Untergang Amerikas und aller Industriestaaten sei gewiß, so verkünden diese Leute, wenn die Menschen nicht schleunigst ihre Wirtschaftsordnung ändern und zum Sozialismus übergehen? Nein, davon ist nun gerade nicht die Rede, sondern
,, Technokratie". also Herrschaft der Techniker, heißt das neue Losungswort.
Die Prognose des Untergangs stammt weder aus dem Kaffeefaz noch aus der Astrologie. Nach ihren Verkündern ist sie das Resultat sorgfältiger und exakter Berechnungen, die Howard Scott mit seinen 350 wissenschaftlichen Mitarbeitern in vieljähriger und mühsamer Forschungsarbeit vorgenommen hat. An 3000 der wichtigsten Gebrauchsartikel haben diese Technokraten" seit 1919 die Stundenproduktivität der Arbeit verfolgt, haben den Verlauf der Entwicklung in ebensoviele Kurven eingetragen und diese in der festgestellten Richtung in die Zukunft hinein verlängert.
Als Ergebnis ihrer Gesamtrechnung stellen sie fest: Selbst wenn es Amerika gelänge, die große Prosperity des Jahres 1929 wieder zu erreichen, würde infolge der inzwischen eingetretenen technischen Veränderungen die Hälfte der zur Zeit 14 Millionen Arbeitslosen auf der Strede bleiben müssen. Die weitere Entwicklung der Technik würde in kurzer Zeit das Arbeitslosenheer auf 24 Millionen bringen. Ohne Aenderung der Wirtschaftsordnung müsse in spätestens 18 Monaten in den Vereinigten Staaten das Chaos ausbrechen und in anderen Industrieländern läge es ähnlich so.
Ganz anders, wenn die Wirtschaftsführung an die„ Technokraten" überginge. In diesem Falle verbürgen sich Howard Scott und die Seinen dafür, daß unter Ausnutzung aller technischer Möglichkeiten der Lebensstandard der ge= samten Bevölkerung gegenüber dem guten Jahre 1929 nicht weniger als verzehnjacht, gleichzeitig die wöchentliche Arbeitszeit auf 16 Stun den reduziert werden tönnte, wobei nur die Arbeitsfähigen zwischen 25 und 45 Jahren zur Arbeit benötigt würden.
In den Vereinigten Staaten hat eine Idee nur dann Aussicht, von der öffentlichen Meinung beachtet zu werden, wenn sie mit verblüffen= den Zahlen ausgestattet ist. Mit der Richtigkeit der dargestellten Größenordnungen- die einer exakten Berechnung auch wohl schwerlich zugänglich sind darf man es deshalb nicht so genau nehmen.
Der Grundgedanke jedoch, daß nach dem Stande des technischen Wissens und produktiven Könnens unserer Zeit die tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungen lächerlich gering sind, ist ohne jeden Zweifel richtig.
Wir wissen ja, daß die industrielle Gesamtproduktion in der Welt seit 1929 um mehr als ein Drittel zurückgegangen ist. In den Vereinigten Staaten wie auch in Deutschland ist der Rückgang noch größer. Dabei muß man berücksichtigen, daß auch auf dem Höhepunkte der Konjunktur ein erheblicher Teil der vorhandenen Kapazität unausgenutzt blieb, und daß nur ein fleiner Bruchteil der Gesamtwirtschaft wirklich mit allen Mitteln der höchstmöglichen Produktivität betrieben wurde.
Wenn man weiter bedenkt, daß in einer ver nünftig geordneten Gesamtwirtschaft alle Anstrengungen in erster Linie auf eine möglich st große Erzeugung von Konsumgütern gerichtet sein und die heute üblichen Verschwendungen von Kraft und Stoffen für nicht notwendige Produktionsgüter vermieden würden, so er= geben sich in der Tat phantastisch anmutende Möglichkeiten für die Steigerung der Berforgung.
Die Sache ist nur die, daß alle technischen Berechnungen der Produktions möglichkeiten nur einen Makulaturwert haben, solange es nicht gelingt, die erzeugbaren Güter auch unterzubringen. Nicht in erster Linie bei der Produktion,
sondern im Verteilungsproblem stedt die verderbliche Unfähigkeit des kapitalistischen Systems. Die Techniker und Wissenschaftler haben die Menschheit überschüttet mit immer neuen Erfindungen und Entdeckungen, mit denen die Produktivität nahezu grenzenlos erweitert wurde. An ihnen liegt es wahrlich nicht, wenn trotzdem ein grausiges Massenelend die Welt beherrscht. Daß die grandiose Leistung der Techniker, die alle sozialen Nöte hätte beheben können, in Wirklichkeit geraden Wegs in die soziale Katastrophe hineingeführt hat, das ist die Schuld der kapitalistischen Wirtschaftsverfassung.
Es hat sich gezeigt, daß alle technischen Erfindungen und Entdeckungen für die Kah find, folange sie nicht ergänzt werden durch eine einzige und eigentlich gar nicht schwierige Entdeckung, die allerdings volkswirtschaftlicher Natur ist: Man muß den Verbraucher entdecken!
Die Nichtentdeckung des Verbrau chers beruht nicht etwa auf einem Zufall, wie manche positive Entdeckung. Die Massen der Verbraucher haben es ja nicht daran fehlen lassen, sich bemerkbar zu machen und ihre Bedeutung als Wirtschaftsfaktor hervorzuheben. Aber die kapitalistische Wirtschaftsführung hat sich beharrlich ge= weigert, diese Entdeckung zu machen, um sich da= für mit großer Vehemenz auf eine andere zu stürzen, die ihr praktischer zu sein schien, nämlich die Entdeckung der Selbst kosten. Die Melodie dazu haben wir zum Ueberdruß gehört. Geht es der Wirtschaft gut, müssen die Selbstkosten gesenkt werden, auf daß es ihr noch besser gehe. Geht es ihr schlecht, müssen natürlich erst recht die Selbstkosten gesenkt werden. Auf diese einfache Formel ist schließlich
die ganze kunst der kapitalistischen Wirtschaftsführung
reduziert worden und dabei hätte allerdings die Entdeckung des Verbrauchers nur stören können. Denn die Masse der Verbraucher besteht aus Lohnund Gehaltsempfängern. Und die Löhne und Gehälter zu fürzen, das ist ja gerade die vornehmlichste Methode der Selbstkostensenkung.
So find unter der Devise ,, Selbstfostenjenkung" die Verbrauchermaffen niedergeschlagen worden, aber sie konnten sich gar nicht zu Boden werfen faffen, ohne die Wirtschaft mit herabzureißen. Die Wirtschaftskurven reden in dieser Beziehung eine anschauliche Sprache. Je tiefer die Löhne
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gesenkt wurden, um so mehr schrumpfte der Absatz und notwendigerweise auch die Produktion zu= sammen.
Voller Grausen sehen die Unternehmer den Pleitegeier sich auf die erfalteten Fabrikschlote niederlassen. Gelernt aber haben sie daraus nichts anderes, als daß der heilkräftige Trank der Lohnsenkungen doch wohl nur schwach gebraut worden sei!
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Nach den Berechnungen des Konjunkturinstituts ist in Deutschland das gesamte Lohnein= kommen der Arbeiter, Angestellten und Beamten von 11,4 Milliarden im dritten Vierteljahr 1929 auf 6,8 Milliarden in der gleichen Zeit des Jahres 1932 gesunken. Berücksichtigt man, daß auch eine Senkung der Lebenshaltungskosten eingetreten ist, so verbleibt doch noch immer auf das Ia hr gerechnet ein Rauftraftausfall von mehr als 7 Milliarden Mark. Neben den Löhnen und Gehältern sind alle sozialen Unterstützungen grausam geföpft worden. Der Durchschnittssag der Arbeitslosenunterstützung ist von monatlich 80 M. im Jahre 1929 auf 40 bis 45 M., die Wohlfahrtsausgaben einschließlich Wohnungswesen und Kleiderversorgung sind von 5 Milliarden Mark 1928 auf weniger als die Hälfte heruntergedrückt worden. Die noch Beschäftigten sind zum größten Teil auf ein Existenzminimum gesetzt worden, das nur noch für Wohnung und Ernährung Raum läßt. Bei den Erwerbslosen reicht es längst auch schon dafür nicht mehr aus.
So sieht die volkswirtschaftliche Bilanz der ,, Selbst to stensentung", wie sie betrieben wurde, aus. Daraus erkennt man, daß an technischen Konstruktionen wohl demonstriert werden tann und dafür seien die„ Technokraten" gepriesen, wie überwältigend groß der allgemeine Wohlstand sein könnte, daß aber erst volts= wirtschaftliche Neukonstruktionen dazu kommen müssen, um ihn zu realisieren.
Zweifellos ist der Grad von Unvernunft auch in der kapitalistischen Wirtschaft noch regu= lierbar, und wenn ihre Beherrscher über mehr Verstand verfügten, müßten sie schon aus Selbst. interesse den Verbraucher pfleg lich er behandeln, statt ihn systematisch zu schinden. Aber letzten Endes heißt die Entdeckung des Verbrauchers die Anwendung des Prinzips, daß alle Wirtschaft der Bedarfsdeckung und feinem anderen Zwecke zu dienen hat. Und dieses Prinzip kann erst in der sozialistischen Gesellschaft verwirklicht werden.
Zwecksparkassen- eine Gefahr
Scharfe Kontrolle oder Verbot
Seit die Bausparkassen unter strengste staatliche Kontrolle gestellt wurden, schießt eine neue Art von Sparunternehmungen, die sogenannten Zwecksparkassen, in die Halme. Innerhalb von zwei Jahren sind Hunderte solcher Unternehmungen entstanden. Obwohl bis jetzt keine Kasse nennens= werte Spareinlagen an sich zu ziehen vermochte und alle zusammen nur über einige Millionen Einlagen verfügen, können sie sich doch zu einer ernsten Gefahrenquelle anwachsen. Denn sie arbeiten mit einem
Heer von Agenten, die gerade kleine unerfahrene Sparer zu beschwahen suchen.
Die Sparmethoden der Zwecksparkassen sind denen der Bausparkassen nachgebildet. Die Kaffen suchen Sparer zu gewinnen, die für einen ge= wissen Zweck, beispielsweise für die Anschaffung eines Motorrades oder für eine Aussteuer zu sparen wünschen. Die Sparer müſſen sich verpflichten, jeden Monat einen bestimmten Betrag einzulegen. Unter den Sparern wird regelmäßig nach bestimmten Schlüsseln ausge= Iost, und wer ausgelost wird, erhält ein Darlehen, mittels dessen er das Sparziel also die Beschaffung eines Motorrades oder der Aussteuer schneller erreichen kann, als wenn er den ganzen Betrag felbft hätte sparen müssen. Die
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anderen aber müssen weiter sparen und warten und ihr Geld riskieren.
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Das Ganze ist eine überaus ristante Sache, noch viel riskanter als die Bausparkassen, von denen ja auch ein großer Teil zu= sammengebrochen ist, zum schweren Schaden von Zehntausenden von Sparern. Das Risiko liegt nämlich abgesehen von der Gefahr des unlauteren Geschäftsgebarens der Unternehmer selbst, die vorläufig noch ganz unkontrolliert sind in ber
mangelhaften Sicherung der Darlehen,
die bei Zwecksparkassen ganz unvermeidlich ist. Denn was ist bei einem Motorrad oder einer Aussteuer die dringliche Sicherung wert, wenn diese Dinge einmal in Gebrauch genommen sind. Dazu kommen noch die zweifelhaften Ge= schäftsmethoden vieler Zwecksparkassen, die anreißerische Propaganda und die zweifelhafte Bergangenheit vieler Gründer.
Kurz, es droht sich hier jener typisch kapitalistische Sumpf zu entwickeln, der immer wieder in„ Gründerperioden" entsteht. Deshalb ist für alle Sparer, die von Agenten für Zwecksparkassen bearbeitet werden, äußerste Vorsicht am Plazze.
Größeres Unheil fann nur dann vermieden
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ABBILD HAUSMARKE
werden,
SONNTAG, 29. JANUAR 1933
wenn die Zwecksparkassen sofort unter die gleiche strenge Kontrolle gestellt werden wie die Bausparkassen. Läßt sich dieses Ziel aber wegen der hohen Kosten einer solchen Kontrolle nicht erreichen, dann muß ein Verbot dieser problematischen Spareinrichtungen verlangt werden und die Sparer auf die bisherigen soliden Wege des Zwecksparens, nämlich das regelmäßige Sparen bei öffentlichen SparBassen, den Sparabteilungen der Konsumgenossenschaften und der Arbeiterbank verwiesen werden.
Eisenproduktion sinkt
Rückschlag im Dezember
Wie bei den Hochöfen und Stahlwerken ist auch bei den Eisenwalzwerken im Dezember ein starker Rückschlag eingetreten. An 26 Arbeitstagen wurden 359 033 gegen 392 373 Tonnen an 24 Arbeitstagen im November erzeugt, so daß die arbeitstägliche Produktion um 15,5 Proz von 16 349 auf 13 809 Tonnen ge= sunken ist. Dieser Rückschlag hängt mit der Fertigstellung einiger großen Russenaufträge zusammen, die der Eiſenindustrie im Zusammenhang mit den Reichsbahnbestellungen eine starte Stüße gewährt hatten. Da im laufenden Monat bereits mit der Auswalzung neuer russischer Röhrenaufträge be= gonnen wird, werden sich die Produktionsziffern für den laufenden Monat wahrscheinlich wieder bessern, ohne daß darin jedoch eine effektive Belebung der Montankonjunktur zum Ausdruc tommt.
Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 4,21 Millionen Tonnen Walzwerksfabrikate her= gestellt oder arbeitstäglich 13 830 Tonnen. Die Schrumpfung gegen 1931 beträgt 28 Proz.
Gedämpfte Stimmung im Stahlkartell
Entgegen dem bewußt zur Schau getragenen 3 med optimismus führender Eisenmagnaten war die Stimmung auf der Jahresversammlung des Deutschen Stahlfartells und angeschlossener Syndikate sehr gedämpft. Bei der Beurteilung der Marktlage wurde festgestellt, daß troß verschiedener Ansätze zu einer Belebung von einer nennenswerten Besserung auf dem Eisenmarkt noch nicht gesprochen werden könne.
Belebung im Schiffbau
Große Neubauaufträge der englischen Werften
In einer Zeit, mo bei allen seefahrenden Nationen mehr oder minder umfangreiche Ab mradaktionen im Gange sind, um die arbeitslose Handelsflotte zu vermindern, hat in England eine überraschende Belebung in der Schiffsbauindustrie Plaz gegriffen. Nach einem fast völligen Stillstand der Neubautätigkeit vom Januar bis Oktober 1932 find vom November ab 22 größere Fracht- und Passa. gierdampfer, 30 Kohlenschiffe und Küstenfahrzeuge und verschiedene andere Schiffe in Auftrag gegeben. Die Gesamttonnage der Neubauten dürfte 150 000 Tonnen übersteigen. Dadurch kann eine wesentliche Besserung der Erwerbslosigkeit unter den Werftarbeitern, die im vergangenen Jahr 60 bis 80 Proz. der Belegschaft betrug, erwartet werden.
Auch in Deutschland sind einige Neubauaufträge zu verzeichnen. So hat die Deutsche Levantelinie, die Betriebsgesellschaft der Hapag und des Norddeutschen Lloyd für das östliche Mittel meer , zwei Motorschiffe von je 4500 Tonnen mit einem Gesamtwerte von fast 4 Millionen Mark vergeben. Die Bauten werden von Blohm u. Voß, Hamburg , und der Deschimag in Bremen durchgeführt. Wie es heißt, handelt es sich bei diesen beiden neuen Dampfern um Spezialtypen, die von der brachliegenden Flotte der HapagLlyod- Union nicht gestellt werden konnten.
8 Proz. Hypothekenbank- Dividende. Der Aufsichtsrat der Berliner Hypothekenbank A.-G. beschloß, aus dem Reingewinn des letzten Jahres in Höhe von 607 513 Mart eine Dividende von 8 gegen 9 Proz. im Vorjahr vorzuschlagen.
Die deutsche Paramount Film 2.-. teilt mit, daß sie von dem Zusammenbruch des cmeritanischen Paramount - Konzerns nicht in Mitleidenschaft gezogen wird.
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