Abend-Ausgabe
Nr. 56 B 28 50. Jahrg.
Rebattion und Berlagi Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Serniprecher A7 Amt Donhoff 292 bis 297 Telegrammabreise: Sozialdemokrat Berlin
Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
DONNERSTAG
2. Februar 1933
Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Luftgartenfundgebung- verboten!
Wir rufen zu neuer Demonstration am Dienstag!
Vier Jahre!
Die Bankrotterklärung
Als Hitler sein Wunderrezept zur Rettung Deutschlands aus dem Geheimschrank zog, da war es eine Reichstagsauflösung mit der alten Hugenberg - Parole: Kampf Kampf dem Margismus. Hitler hat bisher agitiert. Als Reichskanzler agitiert er weiter. Wo bleibt der große Plan?
Er soll noch kommen. Zunächst wird er angekündigt unter dem Namen ,, Bierjahresplan". Papen wollte es in einem Jahre machen. Hitler und Papen sind jetzt vorsichtiger, sie vertrösten ihre Anhänger auf vier Jahre.
Vier Jahre sind eine lange 3eit! In vier Jahren wird vieles vergeffen. Die Agitationsphrafen von vor vier Jahren, die großen Versprechungen und Heilsverkündungen, was werden sie nach vier Jahren noch sein? Vier Jahre sind eine noch längere Zeit, eine entseglich lange Zeit für den, der ohne Arbeit und Erwerb aufs kümmerlichste sein Leben fristen muß. Jeder Monat stößt ihn tiefer ins Elend. Langsam, aber grausam unerbittlich geht das Absinken. Jeder neue Winter ist eine entsetzliche Prüfung. Vier Jahre, vier Winter!
In der Tiefe der Not und der Verzweiflung sind manche den demagogischen Versprechungen, den Heilsverkündungen der Nationalsozialisten erlegen. Manche haben geglaubt: Adolf Hitler , das ist die Wendung, wenn erst Hitler Reichskanzler ist, wird alles besser. Nun steht er vor ihnen mit leeren Händen, ohne Programm, ohne sichtbare Maßnahmen, mit einer Vertröstung auf vier Jahre! Vier Jahre mit vier Wintern!
Für die Opfer der Krise ist dies deutlicher als alle Stimmungsmache und alles Agita tionstheater, das die Regierung Papen - Hitler für diesen Wahlkampf plant! Vier Jahre- das ist die Flucht vor den eigenen großtönenden Versprechungen, das ist das vollendete Eingeständnis, daß diese Regierung nicht um des Volkes willen da ist, sondern nur um der eigenen Macht willen!
Wie bequem für Hitler, die Einlösung aller feiner Versprechungen auf vier Jahre zu vertagen und sich auf diese Weise der Rechenschaft zu entziehen! In vier Jahren fann sich vielleicht die Weltwirtschaftskrise beruhigen, in vier Jahren können sich die Dinge von selber ändern, in vier Jahren geschieht vielleicht ein Wunder, das Propheten und Verheißer vor dem Zorn der Enttäuschten
rettet!
Herr von Papen hatte auf eine rasche Wendung der Weltwirtschaftskrise vertraut. Er machte den Unternehmern Geschenke in der Hoffnung, daß im Laufe eines Jahres die Dinge sich von selbst ändern würden. Er wollte nach dem Ablauf dieses Jahres als der Retter dastehen.
Ihn hat die Entwicklung enthüllt! Jetzt läßt er durch Hitler das Bolt auf vier Jahre vertrösten!
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zur
Der Berliner Polizeipräsident Stunde vielleicht schon der SA.- Führer Graf Helldorf - hat unsere Luftgartenfundgebung für Sonntag verboten!
Am Montag durfte die SA. innerhalb der Bannmeile aufmarschieren. Eine vollkommen gesetzliche Demonstration republikanisch gefinnter Staatsbürger für die Aufrechterhaltung der Verfassung wird verboten!
Am vergangenen Sonntag find auf unseren Ruf ungeheure Massen im Lustgarten und in den Straßen aufmarschiert. Ihre beispiellose Disziplin, ihre musterhafte Ordnung haben gezeigt, daß sie keine Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit bedeuten. Trotzdem das Berbot! Es wird begründet mit dem Staatsbegräbnis für den erschossenen SA. - Sturmführer Maikowski , das am Sonn
fag vom Dom ausgehen soll. Berbot und Begründung zeigen den kurs! Wir werden aber den neuen Machthabern den Anblick der Arbeiter und Republikaner nicht ersparen! Der fozialdemokratische Bezirksvorstand ruft die Massen zu einer neuen Demonftration auf Dienstag, 18 Uhr, in den Luftgarten, er hat fie unverzüglich angemeldet!
Demonstrationsverbote
Reichsminister Göring hat in seiner Eigenschaft als Reichskommissar für das preußische Innenministerium ein Demonstrationsverbot für die kommunistische Partei und die ihr angeschloffenen Organisationen erlassen. Das Demonftrationsverbot gilt ab sofort.
Das Karl- Liebknecht- Haus ist am Donnerstagvormittag von einem großen Aufgebot von Polizei- und Kriminalbeamten besetzt worden. Nähere Einzelheiten sind zur Stunde noch nicht zu erfahren. Ebenso wurden die Geschäftsräume der Roten Hilfe besetzt.
Eine gleiche Aktion geht in ganz Preußen gegen die kommunistischen Geschäftsstellen vor sich.
Eine Reihe kommunistischer Zeitungen ist teils beschlagnahmt, teils verboten worden.
in der Wallstraße in Charlottenburg
Heute abend um 7 Uhr findet eine Kundgebung der Nationalsozialisten in der Wallstraße in Charlottenburg statt, an der mehrere Standarten der SA. und SS. teilnehmen.
Melcher ist krank
Polizeipräsident Melcher ist krank. Bizepräsident Mosle ist auf Krankheitsurlaub. Wie wir hören, ist der S.- Führer Graf Helldorf bereits im Polizeipräsidium.
Der neue Kurs Staatsbegräbnis für SA. - Führer!
Der am Montag dieser Woche in der WallStraße in Charlottenburg erschoffene Polizeiwachtmeister Zauritz und der nationalsozialistische Führer des SA.- Sturms 33 Maikowski werden am Sonntag auf Staatstoften beigesetzt werden. Die Leichen werden bereits am Sonnabendmittag im Dom am Custgarten aufgebahrt, und am Sonntag mittags um
1 Uhr findet im Dom eine große Trauerfeier statt, an der auch Vertreter der ReichsVier Jahre! Das heißt: sie wissen nichts, regierung und der kommissarischen fie fönnen nichts, sie helfen nichts! Regierung teilnehmen werden. Von dort aus
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Haussuchungen
erfolgt die Ueberführung nach den Friedhöfen. An dem Begräbnis werden sich neben einer starken Abteilung Schuhpolizei auch voraussichtlich die S.- Formationen von Berlin und
Groß- Brandenburg beteiligen.
die Reichswahlvorschläge spätestens mit Ablauf des 19. Februar.
Das Wahire cht wird dahin geändert, daß Wählergruppen, die zulegt im Reichstag nicht vertreten waren, für einen ihrer Kreiswahlvorschläge mindestens 60000 Unterschriften aufbringen müssen, damit er zugelassen wird. In einem solchen Falle genügen dann für die anderen Kreismahlvorschläge derjelber Wählergruppe 50 Unterschriften.
Achtung, Wählerlisten!
Wahlgesetz geändert! Auslegung vom 19. bis 26. Februar
Erheblich erschwerte Zulassungsbedingungen für die Splitterparteien
Die Kreismahlvorschläge sind spätestens bis Ablauf des 16. Februar einzureichen,
Nachdem der Reichspräsident die Neuwahl des Reichstags auf Sonntag, den 5. März, festgesetzt hat, hat der Reichsminister des Innern angeordnet, daß die Stimmlisten vom 19. bis 26. Fe. bruar auszulegen sind.
Phrase statt Programm
Das Echo des Regierungsaufrufs
Das Echo des Regierungsaufrufs ist gewaltig, aber anders, als die Verfasser sich vorgestellt haben. Ueberall schüttelt man die Köpfe über soviel Phrase und Geistesarmut. Auf der Straßenbahn konnte man heute einfache Leute aus der Bevölkerung vielfach sagen hören:„ Was? Vier Jahre sollen wir warten! Die setzen sich jetzt ins warme Nest und uns vertrösten sie auf 1937! Falls wir bis dahin nicht verreckt sind."
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Was der Mann auf der Straße denkt, drückt sich auch in der Presse aus. Es ist bezeichnend, daß die Regierungspresse den Aufruf ihrer Regie. rung so gut wie gar nicht kommentiert. Der „ Lokal- Anzeiger" beschränkt sich darauf, zu in melden, daß der Aufruf starken Eindruck Amerika gemacht habe! Wir fügen hinzu: und bei den Eskimos. Denen blieb sogar die Spucke weg. Ebenso druckt der„ Bölkische Beobachter" den Aufruf kommentarlos ab. Zur Reichstagsauflöjung weiß er auch nichts weiter zu versichen, als daß die Position der Nazis„ besser als je" sei. Zweifellos! Alle Leute, die sich noch auf vier Jahre vertrösten lassen, werden Hitlers Partei wählen.
Die Links presse ist sich völlig einig in der Beurteilung des phrasenreichen und gedankenarmen Regierungsmachwertes. Wir geben folgende Stimmen wieder:
..Boffische Zeitung":
" Der Aufruf, wortreich und großtönend, i st
ein Produkt und ein Dokument der Verlegenheit. So spricht man nicht, wenn man weiß, was man will. So spricht man nicht, wenn eine Gemeinschaft gleichstrebender Männer darauf brennt, alle Volksgenossen von ihrem reinen Wollen durch Taten zu überzeugen. Die Behauptung, daß eine arbeitsfähige Mehrheit in diesem Reichstag nicht zu finden wäre, ist nicht unter Beweis gestellt worden. Das Zentrum hat, obwohl es bei der Regierungsbildung nicht beteiligt war, keinerlei Absage erteilt, sondern nur eine Reihe von Fragen gestellt, die dem regierenden Konsortium unbequem gewesen sein mögen, deren Beantwortung aber auch die Wähler mehr interessiert hätte, als die Baufenschläge, mit denen statt sachlicher Aufklärung Stimmung" geboten werden soll." „ Berliner Tageblatt":
Auf das Wichtigste, auf das einzig Wichtige vielleicht, wartete man vergeblich: auf den Inhalt des Plans, der„ gigantisch" genannt wird auf das„ Wie". Ziele wurden genannt, über den Weg wurde geschwiegen. Wunder wurden vertündet, Greifbares wurde verheimlicht. Es iſt die alte Methode: großim Proflamieren Don Zielen und klein im Handeln, verwegen im Erwecken von Hoffnungen und ratlos, wenn es gilt, sie zu erfüllen; der Trommler als Kanzler! Und nur eines ist anders: Heute will man Taten von ihm, nicht Worte. Heute gibt es ein Recht, ihn und seine Ministerkollegen, die den Aufruf mit unterzeich