Einzelbild herunterladen
 

BEILAGE

Vorwärts

Der Mann, der überfahren wurde

Die Geschichte eines Kriegervereinlers/ Von Alexander Stern

Als Joachim Gräbig, der Bater des fürzlich bei einem Unfall ums Leben gekommenen Friedrich Wilhelm, 1870 aus seinem ostpreußischen Heimats­dorf ins Feld zog, beneidete ihn der damals zwanzigjährige Sohn glühend. Der Alte fiel gleich zu Beginn des Krieges. Sohn und Mutter wurden Mittelpunkt der öffentlichen Anteilnahme. der patriotische Stolz umgab sie, wie man Kränze um Flaggenpfähle windet. Dann wurde Friedrich Wilhelm eingezogen. Sein Hauptmann zeigte ihn den anderen Refruten als den Sohn eines der Helden, die draußen unerschütterlich... Vater­land... Feld der Ehre.. Heldengrab. Ehe Friedrich Wilhelm an die Front sollte, war der Krieg vorbei Als Sergeant wurde er Re­servist, blieb in Berlin , wo er zulegt gedien: hatte, heiratete, bekam drei Söhne, und hatte eine Anstellung bei der Firma Wetter u. Hundertmart, Backpapier und Pappe. Aber in der Hauptsache war er Säckelwart des Kriegervereins Moltke Dort Vorstand zu werden, war die Sehnsucht seiner Tage, der Traum seiner Nächte. Die Vor­stellung, er dürfte einmal im Bratenrock und den 3ylinder auf dem Kopf, den festgerollten Regen­schirm wie einen Degen haltend, vor der Front des Vereins am Sedantag kommandieren: ,, Still­jestand! Aujen rechts!" konnte ihn schwindlig machen. Aber an die Verwirklichung war nicht zu denken. Es gab noch eine Menge Feldwebel im Berein, naturgemäße Anwärter auf die Bor­standsstelle.

-

Die drei Jungen wuchsen heran, heirateten, be­famen Kinder. Längst war Friedrich Wilhelm Der alte Gräbig". Immer noch war er bei Wetter u. Hundertmart. Aus der kleinen Werk­statt war längst eine Fabrif geworden: Deutsche Wellpappwerke". Eine der ersten von den neuen Maschinen hatte Friedrich Wilhelm drei Finger weggerissen. Man machte den Wiedergenesenen zum Portier und setzte ihn im Lohn herab. Aber das kam Friedrich Wilhelm nicht voll zu Bewußt­sein. Während er frank darniedergelegen war. hatte ein dumpfes Gefühl seine Erinnerungen durcheinandergeworfen. Im Kriegerverein hatte er nur noch vier Vordermänner. Die anderen waren weggestorben. Und es schien Friedrich Wil helm allmählich, als hätte ihm nicht die Maschine der neuen Zeit die Finger weggerissen, sondern als hätte er sie auf einem der Schlachtfelder des Krieges von 1870/71 verloren, wo er nie gewesen war. Und wenn wieder einer der Kameraden starb, wenn er wieder vor den scheu bewundern­den Enkeln stand, Kreuze, Medaillen und Schnallen auf der Brust seines schwarzen Roces, wenn er dann durch die Straßen schritt, Knie durch­gedrückt, die Brust heraus, die Musik spielte dann gehörte seine ganze Aufmerksamkeit den Leuten. die als Zuschauer am Straßenrand standen, und wenn dort einer den anderen anstieß und sagte: Kiek mal, der Olle. Dem fehlen drei Finger Wohl' n Kriegsbeschädigter", dann hatte er einen großen Tag und genehmigte sich beim Leichen­schmaus ein paar Gläser Bier mehr als sonst.

Er brauchte das. Seine Söhne bereiteten ihm Kummer. Sie wagten es manchmal, über seine Kriegerbegeisterung zu lächeln. Ja, er hatte sie im Verdacht, daß sie es mit den Roten hielten.

Er schämte sich dieses Verdachtes, als 1914 tam. Dreimal marschierte er zum Bahnhof; einmal, als Joachim, der Aelteste, zum zweitenmal, als Fried­rich Wilhelm, der Zweite, und zum drittenmal, als Johann Heinrich, der Jüngste, ins Feld mußten. Jedesmal trug er seinen Bratenrock und schritt so aus, daß die Zeichen auf seiner Brust leise flirrten.

Einmal, am Zahltag seines Vereins, wurde ihm ein Telegramm gebracht, in die Kneipe, in der die Mitglieder regelmäßig zusammenfamen. Er riß es auf, las es, schlug dann ans Glas und stand auf. Alle blickten auf ihn und er sagte:

,, Kameraden! Beglückwünschen Sie mich! Er­heben Sie sich von Ihren Plägen! Mir wurde die Auszeichnung zu Teil, daß mein jüngster Sohn Johann Heinrich Gräbiz auf dem Felde der Ehre bleiben durfte. Ich fordere Sie auf, mit mir in den Ruf einzustimmen: Seine Majestät Hurra! Hurra! Hurra!"

Alles schrie begeistert mit. Nur der Vorsitzende nahm den Alten beiseite und rügte seine An­maßung, die Anwesenden aufgefordert zu haben, sich zu erheben. Ein Recht, das nur dem Vor­fizenden zustand. Wegtreten!

Joachim fiel in Flandern , Friedrich Wilhelm wurde auf der Fahrt zum Urlaub das Opfer eines Eisenbahnunfalls in Serbien . Bald darauf starb die Mutter, aber es starb auch der letzte Vorder­mann des schon lange zum zweiten Vorstand auf­gerückten alten Gräbizz. Im Oktober 1918 durfte er endlich bei der Beerdigung vor die Front der Bratenröcke treten und brüllen: In Sektionen rechts schwenkt!" und durfte voranmarschieren

Der Alte brauchte das. Die Welt um ihn war unerträglich geworden Den Arbeitern der Deut­schen Wellpappmerke" durfte er mit seinen Kriegs­erinnerungen nicht kommen. Respektlos sagten fie ihm, so einem dämlichen Dussel müßte man die Fresse zerschlagen. Der Krieg jei eine gott­verdammte Schande. Und den Kaiser? Den Kaiser soll man davonjagen.

Friedrich Wilhelm war jetzt 68. Er hielt sich stramm. Es waren noch immer genug Leute da denen er von Gravelotte erzählen konnte. Die sich den Brief zeigen ließen, den ihm der Haupt­mann nach dem Tode seines Zweiten geschrieben hatte und der mit den Worten schloß: Er starb den Tod fürs Vaterland!" Das war der, den die Trümmer eines Eisenbahnwagens festhielten. während ihn der ausströmende Dampf der Loko­motive zu Tode brühte.

Mit den Arbeitern wurde er auch fertig. Er stand morgens an der Kontrolluhr, wenn sie famen, abends, wenn sie gingen. Die Weiber herrschte er an. Mit Leuten, die in die Deutscher Wellpappwerke" wollten, war er grob. Und es fanden sich immer noch Anlässe, den Kriegerverein Moltke zu kommandieren, wenn auch die Novem bertage des Jahres 1918 und der Januar des Jahres 1919 diese Tätigkeit sehr einschränkten.

Er haßte diese Zeit. Er haßte die Menschen die keinen Respekt vor Krieg und Kaiser hatten Er haßte die Arbeiter, die ihm übers Maul fuhren, wenn er versuchte, mit ihnen herumzu­tommandieren. Aber am tiefsten haßte er sein Fähnchen.

Die Deutschen Wellpappwerke" liegen an der Köpenicker Straße , unablässig fließt auf ihr der Verkehr durch den Berliner Osten, an Geschäfts­häusern vorbei. Friedrich Wilhelm war nicht

mehr Portier. Die Arbeiter hatten seine Ent fernung durchgesezt. Auch war er alt und flap­prig geworden. Er hatte jetzt ein anderes Amt Die Firma behielt ihn, weil sie wußte, daß ihn die Arbeiter nicht leiden konnten. Sein Amt war es, vor den riesigen Lastautos auf den Gehsteig vor der Fabrik zu treten und die Vorübergehen­den auf die Wagen aufmerksam zu machen, die hinter ihm aus der Einfahrt rollten. Und um besser Zeichen geben zu können, hatte er ein rote: Signalfähnchen.

Diese Fahne haßte er, weil sie rot war. Immer trug er sie eingerollt. Er vermied es, mit ihr z winken. Lieber brüllte er die Vorübergehenden an und steckte ruhig ihre Grobheiten ein.

Dann kam sein ganz großer Tag. 1930 wurd er achtzig. Irgend jemand machte den General­direktor darauf aufmerksam und dieser ließ Grä­bizz in sein Kontor rufen. Er beglückwünschte ihn ichentte ihm ein Ristchen Zigarren und hätte ihn gern wieder draußen gehabt. Aber der Alte stand in soldatischer Haltung noch immer neben der Tür ,, Na, is noch was?"

Jawoll, Herr Generaldirektor. Idk hätte' ne Bitte."

,, So? Was denn?"

,, Herr Generaldirektor, ich hab' doch so'n Sig­nalfähnchen. Und det is rot. Idk möchte nu jehorsamst die Bitte äußern, nich den roten

DONNERSTAG, 2. FEBRUAR 1933

Lappen, sondern' ne anständ'je schwarzweißrote Fahne führen zu dürfen."

Der Herr Generaldirektor tam hinter seinem Schreibtisch hervor und schüttelte Friedrich Wi­helm Gräbig die Rechte: Bravo , mein Lieber. Sie sind doch noch' n Mann von altem Schrot und Korn. Solche brauchen wa, weiß Jott. Selbstvaständlich bewillicht. Die Fahne kauf' ich Ihn'n selba."

Tags darauf hatte er sie. Er wedelte mit ihr vor den ausfahrenden Wagen, unbefümmert um die Bemerkungen, die er in der meist von Ar­beitern bewohnten Gegend zu hören bekam. Es wurde ihm manchmal recht sauer, rechtzeitig vor den Wagen hinter ihm wegzuspringen. Und eines Tages erfuhr er, daß man im Betrieb abbaue. Der Mann mit der Fahne sei entbehrlich. An seine Stelle komme ein automatisches Lichtsignal.

Einige Tage später brachten Arbeiter neben der Einfahrt einen Leuchtarm an, der jedesmal rot aufblinkte, so oft ein Wagen das Haus verlassen Die Männer und über den Gehsteig wollte. kannten den Alten mit seinem Fähnchen nicht und verulkten ihn. Wütend antwortete er ihnen aus zahnlosem Mund, wütend über diese ver­fluchte Zeit, die Leuchtarme erfunden hat, rote, die für die alten Farben nur Hohn übrig hatte, und er schwang die Faust mit dem Fähnchen gegen die lachenden Monteure. In seiner Wut sah er nicht, daß ein Lastwagen durch die Einfahrt tam. Der Lenker blickte neugierig nach dem neuen Licht­signal, übersah den Alten, und der lag im nächsten Augenblick unter den Rädern der brüllenden Maschine. Er fiel mit dem Gesicht auf sein Fähnchen und als man ihn aufhob, war es rot, ganz rot von seinem Blut.

Malle mit der Schildpattbrille

Gedanken eines Aengstlichen/ Von Karl Bahnmüller

Er trägt eine Schildplattbrille mit runden Gläsern, ganz wie meine eigene.

Das sagt sich Malle, ein junger Mann, und er vergißt dabei, daß es viele tausend solcher Brillen gibt. Allmählich hat er sich vorgedrängt und steht nun dicht vor dem Schaufenster zwischen vielen anderen Passanten, die wie er die ausgehängte Zeitung lesen. Auf ihrer ersten Seite bringt sie das Bild eines Raubmörders, den die Polizei fucht. Wie aber Malle nun genauer hinsehen tann, bemerkt er, wirklich er bemerkt, daß er vor seinem eigenen Bild stehen könnte.

Die Brille, die ihn zuerst auf den Vergleich brachte, hat gewiß nichts zu sagen. Von ihr muß ganz abgesehen werden.

Aber die Stirn wölbt sich stark und flieht nach hinten, ganz wie Malles Stirn. Auch das Kinn, ganz besonders das eckige Kinn muß, so scheint es Malle, das gleiche sein. Er hebt prüfend die Hand, und wie ihm klar wird, was er zu tun im Begriffe ist, läßt er sie schnell wieder sinken. Ihm ist zumute, als hätte er sie nach fremdem Eigentum ausgestreckt. Malle wagt sich jetzt nicht zu rühren. Er ist eingeteilt zwischen viele unbekannte Men­schen und weiß nicht, ob seine Bewegung bemerkt wurde. Schon ein wenig beunruhigt, beschließt er, sich gegen seine Vermutung zu wehren. Beinahe pedantisch beginnt er, das Bild mit seinem eigenen Kopf zu vergleichen.

Der Mund ist verkniffen, als habe er verschwie­genen Gedanken den Austritt zu verschließen. Wie ist es mit Malles Mund?

Nun, es ist kein Spiegel da, aber wer ist sich nicht seiner Erinnerung gewiß? Malle glaubt sich nicht zu täuschen, auch sein

Mund ist auf diese Weise verkniffen, und hat nicht auch er Gedanken, die besser ungesagt bleiben? Die Augen liegen tief unter den Brauen, wie ver­steckt beinahe. Sie blicken nicht wohin sie sollen. Die Brille aber ist wie ein Vorhang, der das Innere des Menschen verhängt..

Gut, denkt Malle, daß auch ich eine Brille trage. Sie schützt mich. Wie aber? Es ist doch dieselbe Brille aus Schildplatt. Nein, Malle darf sie jetzt nicht abnehmen. Nicht hier, zwischen den vielen unbekannten Menschen. Malle wendet sich brüst um. Und nun scheint es ihm, als visieren ihn zwanzig, dreißig Augenpaare. Er trägt dieselbe. Brille und hinter ihm hängt das Bild.

Malle drängt sich hastig durch den Menschen­wall, der ihn fast schon gefangen hielt, murmelt eine Entschuldigung und ist ungläubig, daß ihn feine Hand ergreift. Er muß jeßt langsam gehen, sehr langsam, das ist gewiß, sonst lenkt er die Aus­merksamkeit auf sich. Haben sie wirklich sein Ge­sicht visiert? Er hätte sich nicht umdrehen sollen.

Nun treibt er nicht mehr langsam wie ein Segel an den Ufern der Straße entlang. Längst hat er seine Brille abgenommen. Sei Blickfeld ist verkleinert jetzt und damit hat seine Unsicherheit nur noch mehr zugenommen. Schwer sind die Gesichter derer zu erkennen, die ihm entgegen­kommen. Er kann sie nicht firieren. Vergleichen sie ihn mit dem Mörder, der den Raub begangen hat?

Malle weiß auch nicht, wer hinter ihm geht. Noch einmal dreht er sich um. Dabei vergißt er zum zweitenmal, sich mit seiner Brille genauer zu befassen. Er beachtet nicht, daß sie statt auf seiner Nase in seiner Tasche steckt. So nur fann es

Zur Geschichte der Philofophie

Zu Spinozas 300. Todestag erschien eine Spinoza - Biographie von Rudolf Kayser im Phaidon- Verlag , Wien , die aus dem einsamen Leben des großen holländischen Denters das ,, Bildnis eines geistigen Helden" herauszuarbeiten versucht. Kayser ist ein fultivierter Schriftsteller, dessen Interesse bisher wohl mehr der Literatur gegolten hat. Man kann aber nur schwer mit ästhetisierenden Begriffen an Leben und Werk eines Philosophen herankommen. Die biographi­schen Teile des Buches find anregend geschrieben, aber die dem Denter Spinoza gewidmeten Seiten zeigen, daß der Verfasser ein Gebiet betritt, in dem er nicht zuhause ist. Die kurze Inhaltsangabe ( und diese Kürze ist wohl nicht zufällig) der ,, Ethit" verrät doch ein bedenkliches Ueber- die­Dinge- hinwegsprechen. Spinozas Verhältnis zu Hobbes in den Gegensatz Monarchist- Liberaler zu deuten, zeigt, daß Kayser von der Staats­theorie des 17. Jahrhunderts auch nicht die leiseste Ahnung hat. Ebenso unscharf ist die Abgrenzung des spinozistischen Denkens von Leibniz Philo­fophie. Daß Spinoza fein statischer" Denker war. sondern die ganze geladene Spannung des Barod­zeitalters enthält, geht aus der fleinen Schrift hervor, die Carl Gebhardt allen Spinoza­Freunden geschenkt hat.( Carl Gebhardt , Spinoza . Reklam Verlag, Leipzig .) Gebhardt, der ver­dienstvolle Vorfämpfer der modernen Spinoza­

Forschung, gibt in der kleinen Schrift einen glänzenden Ueberblick des geistigen und gesellschaft­lichen Bodens, aus dem Spinozas Philosophie ent­springt. Leben und Werk werden mit der leichten Hand des Meisters beschrieben; so ist ein vorbild­liches Volksbüchlein entstanden, das eine kleine Auswahl von Spinozaworten enthält, die in aus­gezeichneter Uebersetzung den Umriß von Spinozas Denken wiedergeben.

Der gleiche Verlag veröffentlicht aus der Feder von Mar Apel eine Einführung in die Philosophie", mit der man allerdings viel meniger einverstanden sein kann. Apel gibt eine Einführung in die Philosophie im wesentlichen am Leitfaden ihrer Geschichte. Von einer eigenen Durchdringung und selbständigen Gestaltung der Geschichte der Philosophie ist kaum etwas zu spüren. Die Probleme werden schulmäßig abge= handelt. Die Philosophie des Mittelalters wird mit ein paar Zeilen abgetan. Die gegenwärtige Philosophie wird nur teilweise in den Namen ihrer Vertreter behandelt. Dilthey ist für Mar Apel anscheinend kein selbständiger Denter Heidegger , Karl Jaspers , Misch eristieren wohl auch nicht. Dieggen wird mehr Raum ge= widmet als Marr. Der Anfänger wird in Apels Schrift einen ersten Wegweiser finden fönnen, aber er wird gut tun, sehr bald nach den Quellen zu greifen. J. P. M.

ihm scheinen, als ob fünf, sechs Schritte hinter ihm ein Mann geht, der ihn nicht aus seinen Augen läßt. Ein wenig später wird ihm das ge= wisser, weil er das Gefühl hat, jemand starre ihm unausgesetzt auf den Rücken. Was er damit auf sich hat, wäre Malle zu anderer Zeit gewiß be­wußt gewesen. Jetzt aber hat er anderes zu denken. Er muß unbedingt eine Zuflucht finden. Seine Wohnung?

Ach, es ist mit Malle wie mit vielen seines­gleichen, wie mit vielen jener jüngeren Arbeits­losen, die allein und Untermieter sind. Sie und auch Malle fühlen sich in ihren Wohnungen nur geduldet. Da ist noch ein Rest der Miete zu zahlen, schon naht auch der neue Termin und. sie, ganz besonders aber Malle, missen nicht, woher die Summe nehmen. Malle hat viele Pläne ge= wälzt, das Geld zu beschaffen. Aber heute, an diesem Morgen, hatte Malle beschlossen, keinen dieser Pläne auszuführen.

Freilich, das Geld muß beschafft werden.

Aber nicht auf diese Weise, denkt Malle. Auf welche Weise? Ach, Malle wollte jetzt nicht mehr daran denken.

Das war am Morgen. Und darum kann er jetzt nicht nach Hause, wo ihn die Wirtin erwartet. Wohin aber? Hinter ihm ist ein Mann her, und so kann es nicht weitergehen. So nicht.

Malle befindet sich, jetzt schon heftig atmend, vor einer Straßenkreuzung. Die Verkehrslampe leuch tet noch grün, geht aber gleich in Gelb über. Da setzt Malle mit einem plötzlichen Entschluß zu einem Sprunge an und gelangt noch hinüber auf die andere Seite, ehe eine Straßenbahn seinen Weg, der geradeaus führt, verriegelt.

Malle aber hört nicht auf zu rennen, und er glaubt, daß er jetzt nicht anhalten dürfe. Ein Kind freuzt seine Richtung. Es streift seine weitaus­holenden Schenkel und fällt um. Jemand schreit wütend hinter Malle her, der den Unfall nicht be= merkt hat.

Wer schreit, denkt er, ist es der Verfolger? Bassanten starren dem Flüchtenden entgegen., Festhalten!"

Der Ruf pflanzt sich fort und wird aufge­nommen von vielen, die nicht wissen, um was es hier geht. Inzwischen haben sich einige aufge= macht, die ihn einholen wollen. Da sieht Malle, daß sich ihm jemand, der den Ruf gehört hat, in den Weg stellt. Der Gejagte wendet sich scharf zur Seite und gelangt in ein Haustor.

Wie er eine Treppe aufwärts hastet mit fast versagenden Knien, drängt es ihn, die verkrampfte Hand zu öffnen. Etwas fällt klirrend auf die Treppenstufen.

Was war das, fragt sich Malle, war es doch das Geld, auf das die Wirtin wartet. Aber Malle fann jetzt nicht ergründen, was ihm auf seiner Flucht enfiel.

Die Polizei findet ihn zitternd, falfweiß im Gesicht und unfähig ein Wort zu reden. Auf der Bache wird er befragt, wie er heiße. Malle ant­wortet nicht. Später legt man ihm seine Brille vor. Sie ist arg ramponiert. Ihm ist es aber, als erhalte er einen Schlag. Es war nicht das Geld, auf das die Wirtin wartet. Es war nur die Brille. Nun fühlt er sich erleichtert und weiß, daß er einer Gefahr entgangen ist.

Der andere aber, der Raubmörder? Malle lächelt und denkt, wie fonnte ich nur meinen, daß ich ihm ähnlich bin?