ERSTE BEILAGE
Vorwärts
Junge Menschen vom Wedding
Jugendverein als ,, Konkurrenz" der Cliquenbrüder
Ueber die Berliner Jungen cliquen ist die Deffentlichkeit in der letzten Zeit durch Presseberichte und Bücherreportagen ausführlich unterrichtet worden. Mit Recht, denn nirgends zeigen fich Not und Heimatlosigkeit junger Menschen, aber auch Zeichen treuester Kameradschaftlichkeit und falschgeleiteten Edelmuts größer, als in dem Leben dieser Wandercliquen". Die Gefahr ist jedoch nicht zu unterschäzen. Nicht nur eltern- und wohnungslose Jugendliche verfallen dort leicht den Verlockungen eines schein abenteuerlichen Daseins. Nein, bei vielen genügt schon die jahrelange Arbeitslosigkeit, um sie Dinge machen zu laffen und in Kreise hineinzutreiben, die sie nach der bestehenden Ordnung" ins Zuchthaus und Ge= fängnis bringen fönnen.
Wir gehen von dem Grundsatz aus, bei uns im Wedding ist jeder erwerbslose Jugendliche gefährdet", meint der Leiter des Jugendver= eins Wedding" auf die Frage, wer denn in seinem Heim betreut würde. ,, Nein, beileibe nicht nur entlassene Fürsorgezöglinge oder Leute aus dem Arbeitsdienst, auch Jungen und Mädchen, die noch ein Zuhause haben, aber oft ein allzu fragwürdiges, bleiben den Tag über in unseren Räumen."
Mitten in der Schar plappernder Mädchen fizt der Leiter, er ist selbst noch ein junger Mensch. Man sieht es, er gibt sich nicht als Fürsorgebeamter, sondern als Freund und Berater der Jugendlichen.
Seit dem Jahre 1928 besteht der ,, Jugendverein Wedding", der also bald fünfjähriges Bestehen feiern fann. Zur Zeit gehören ihm etwa fünfzig Jungen und dreißig Mädchen im Alter bis zu höchstens 25 Jahren an.
Der Eintritt ist durchaus freiwillig, wenn auch das Jugendamt wohnungslose Jugendliche zunächst mal dorthin schickt, wo sie versuchen sollen, sich einzugliedern. Eigens ge wählte Bertrauensleute regeln die Angelegenheiten der Vereinsmitglieder untereinander, und eine fleine Vereinskaffe gibt einen wertvollen Fundus für Wanderungen und Besichtigungen ab.
Dieses System hat sich durchaus bewährt. Selbst Radaubrüder, die aus Schlafstellen und Tagesheimen herausgeflogen sind, wurden hier zu mitarbeitenden Freunden, die sich bald in der neuen Umgebung wohlfühlten. Selbstver waltung und eigene Verantwortung gab ihnen wieder so viel Selbstbewußtsein und Sinn für Kameradschaft, daß gerade sie oft die tüchtigsten Mitglieder wurden. So haben sich in diesen Kreis auch zwei beurlaubte Fürsorgezöglinge als durchaus vollwertige Kameraben eingegliedert.
Das ist Notwerk der Jugend! Früher wurden in dem Berein nur Jugendliche bis zu 21 Jahren aufgenommen und im all
Heinz Woidkes letzter Weg
Sein Tod- Mahnung zum Kampf!
Unfer Jugendgenosse Heinz Woidke stand am legten Sonntag mit unter den Zehntausenden, die im Lustgarten gegen Hitler und Faschismus de= monstrierten. Es war seine selbstverständliche Pflicht als junger Arbeiter, mit dabei zu sein, wenn feine Kameraden für die Freiheit des arbeitenden Volkes kämpften. Mitten in diesem Protestmarsch gegen die Reaktion hat ihn der Tod hinweggerafft. Auf dem Hinweg erlitt der junge Genosse, der im Zuge der Sozialistischen Arbeiterjugend marschierte, einen plötzlichen Herzschlag, an dessen Folgen er gestorben ist. Er ist auf seinem Posten als Jungarbeiter gefallen, und über seinen Tod hinaus wird er seinen jungen Genossen unvergeßlich bleiben.
Gestern nachmittag gaben ihm alle feine
deutschen Volkes unser Legtes herzugeben. Und wenn es sein muß, so geloben auch wir, unser Leben und unsere Tatkraft für die Freiheit und den Sozialismus zu opfern. Deshalb danken und grüßen wir den toten Genossen und zugleich seine schwerleidenden Eltern." Für die Arbeiterjugend sprach Erich Schmidt das letzte Freundschaft" und gelobte für alle Jugendgenossen, den Freiheitsmarsch weiter bis zum Ende durchzufechten.
Trommelwirbel und Gesangsvorträge hatten de wirkungsvolle Trauerfeier eingerahmt, die für alle Teilnehmer zu einem starken Erlebnis und neuen Treueschwur für den Sozialismus wurde.
gemeinen lediglich Abendveranstaltungen durchgeführt. Erst neuerdings ist das Tätigkeitsfeld erheblich erweitert worden, weil hier der gegebene Plaz für die Bildung von weiteren Kameradschaften der Jugendlichen ist, wie sie durch das Notwerf der deutschen Jugend angestrebt
werden.
Durch den Zuschuß des Arbeitsamtes Nord ist es auch möglich gewesen, den Jugendlichen ein Mittagessen zu verabreichen. Tags: über wird nun in den Räumen eifrig gearbeitet. Weil die Gruppe schon viel zu groß ist, erfolgt die Beschäftigung in zwei Schichten, die jeweils vier Stunden beieinander bleiben. Während dieser Zeit werden Tischler- und Schlosserarbeiten unter Anleitung von gelernten Kräften getrieben. Die Mädchen machen Näharbeiten, die sie für sich selber verwenden können. Daneben bleiben selbst= verständlich die Abendveranstaltungen bestehen, wo Vorträge, Singabende und sportliche Tätigkeit abwechseln.
Wenn dieser Verein auch nur einen geringen Prozentsatz der großen Armee erwerbsloser Jugendlichen erfassen kann, ist seine Arbeit deshalb nicht minder wertvoll! Freilich ist dazu die Unterstügung der Behörden und die Auf= opferung von Menschen notwendig, deren höchstes Ziel es ist, der darbenden, arbeitslosen Jugend zu dienen.
Die Arbeiterfamariter, die nachweislich im Hause waren, haben es nicht für nötig gehalten, fich mit irgendeinem des anwesenden Personals in Verbindung zu setzen. Es hat nur eine Unterhaltung zwischen ihnen und völlig unorientierten Patienten stattgefunden. Zum Zeitpunkt des Vorfalles waren 2 Aerzte im Hause anwesend, die von dem Vorfall erst heute durch die Zeitung erfuhren. Irgendeine Verweigerung einer Hilfeleistung hat nicht stattgefunden."
Es handelt sich um unsern jungen Genossen Heinz Woidke von der SAI., der am vergangenen Sonntag auf dem Anmarsch zum Luſtgarten einem Herzschlag erlag. Wir haben dazu festgestellt, daß das Mitglied des Arbeiter- Samariterbundes, das sich mit zwei Kollegen um den Sterbenden bemühte und das bereits 10 Jahre als Samariter tätig ist, alles Erdentliche getan hat, um Hilfe zu bringen. Auf das Klingeln im Vorflur der Klinik hat sich nie= mand gemeldet. Darauf ist unser Genosse in den oberen Flur gegangen, wo er nur Ba
Freunde das letzte Geleit. Auf dem Marktplay in Der Tod des GA3. Woidke tienten, aber feinen Arzt und keine Schwefter
nommen.
Pantom hatten die Parteikreise Pankow , Wedding und Reinickendorf , die Genossen aus der Arbeiterjugend und Kollegen der BBG., bei der Heinz Woidke beschäftigt war, Aufstellung ge= Das Reichsbanner stellte seine Ehrenformation, und unter zahlreichen roten Fahnen, die mit dem Trauerflor geschmückt waren, bewegte fich der lange Zug für den toten Mitfämpfer zu dem Gemeindefriedhof in der Bahnhofstraße.
Dort fand zunächst eine kleine Gedenkfeier statt, bei der Pfarrer Panto w tröstende Worte an die Angehörigen richtete, deren einziger, hoff nungsvoller Sohn Heinz Woidke war. Durch ein Spalier von uniformierten BVG.- Kollegen und Reichsbannerkameraden wurden dann der tote Leib des jungen Kämpfers unter Trommelwirbel zu seinem letzten Ruheplatz gebracht. Hinter roten Fahnen marschierten in endloser Reihe die Freunde des Toten: der stille Jugendgenosse im blauen Kittel und roten Halstuch, die Kollegen von der Arbeit und alle die, die im Leben mit ihm zusammen waren. Zahlreiche Kränze mit letzten Grüßen auf roter Schleife bildeten das äußere
Berichtigung und Feststellung
Bon Herrn Dr. F. B. Caro, dem leitenden Arzt der Klinik und des Ambulatoriums der Nordöstlichen Eisen- und Stahl- Berufsgenossenschaft Settion I, Johannisstr. 11, erhalten wir unter Berufung auf§ 11 des Pressegesezes folgende Berichtigung:
In der Morgenausgabe des Borwärts" vom 31. Januar 1933 Mr. 51 A 26 findet sich unter der Ueberschrift: Vom Herzschlag getroffen, folgender Baffus: Wie uns von Augenzeugen berichtet wird, brachten Arbeitersamariter den Bewußtlosen in die nahegelegene Klinik der Nordöstlichen Eisen- und Stahl- Berufsgenossenschaft. Mit der Behauptung: ,, daß Niemand da wäre", wurde dem Sterbenden die Hilfe verweigert." Wir sehen uns leider gezwungen, dazu nach§ 11 des Pressegesetzes eine Berichtigung zu fordern.
Zeichen der Dankbarkeit für den Mitkämpfer unter 3 Jahre Gefängnis für Hillges
den Millionen Deutschlands , die mit ihm an einer Seite standen.
Genosse Franz Künstler hielt am Grabe die Gedenkrede für den verstorbenen Streßer für den Sozialismus: Der Tod hat unseren Genossen Heinz Woidke am Sonntag von der Seite seiner Eltern und von der Seite seiner Kampfgenossen geriffen. Die Sozialdemokratische Partei , das Reichsbanner und die Sozialistische Arbeiterjugend betlagen seinen tragischen Tod aufs tiefste. Er murde uns zu Beginn des großen Kampfes hinweggeholt, der uns noch bevorsteht. In diesem fchweren, opferreichen Ringen weilt Heinz Woidke im Geiste weiter unter uns. Er soll uns ein Anfporn sein, im Kampfe um die Freiheit des
HEINRICH JACOBI
Seine Schüler trauern um ihn
Das Landgericht I verurteilte den Lehrer Hillges, der am 2. Juli v. 3. im Bellevuepart im Beisein seines vierjährigen Söhnchens durch einen Schnitt in die Kehle seine Frau tötete, wegen Totschlags zu 3 Jahren 6 Monaten Gefängnis. Die Untersuchungshaft wurde ihm angerechnet.
Das Gericht ist nicht dem Verteidiger R.-A. Dr. Alsberg gefolgt, der für seinen Mandanten auf Grund des§ 51 auf Freispruch plädierte, sondern hat dem Gutachten des Sachverständigen gemäß die Tat als im Affett begangen gewertet.
Hausmarke
Ng 15 15
10
-
-
traf. Auf seine wiederholten Fragen nach Arzt und Schwestern fonnte ihm niemand etwas Bestimmtes sagen. Es hieß nur, es sei niemand zu sprechen, es sei kein Arzt da usw. Unter diesen Umständen es ging doch um einen Sterbenden konnte unser Genosse nicht mehr Zeit mit offenbar zmedlofen Fragen verlieren und wir müssen auf Grund dieser ganz einwandfreien, sich auf Zeugen stützenden Austunft den Vorwurf, daß es die Arbeitersamariter nicht für nötig gehalten haben, sich mit irgendeinem des anwesenden Personals in Verbindung zu seßen", entschieden zurückweisen. Die erste Hilfe wurde vielmehr von unserem einige Häuser entfernt wohnenden Parteigenossen, dem Arzt Dr. Friedländer, gewährt, dessen Frau den Vorfall beobachtet hatte und den Sterbenden sofort in ihre Wohnung bringen ließ, wo sich um ihn Dr. Friedländer trotz seiner Erkrankung bemühte. Dr. Friedländer und seiner Frau gebühren Dank und Anerkennung.
Der Staatsanwalt wollte dem Angeklagten mil
dernde Umstände versagen, das Gericht hat fie anerkannt und ist in der Urteilsbegründung den besonderen Verhältnissen dieses tragischen Falles in hohem Maße gerecht geworden. Der Verteidiger hatte aber recht, als er Hillges' Tat als finnlos bezeichnete, da er durch sie nichts gewonnen und alles verloren hat: Sein Söhnchen und seinen Lehrerberuf.
Wie gern ihn seine Schüler hatten, davon tonnte man sich nach Schluß der Verhandlung überzeugen. Etwa zehn 12- bis 13jährige Jungen aus der Gemeindeschule in der Waldenser Straße, seit vier Jahren Schüler des Angeklagten, waren zum Kriminalgericht gefommen, um ihren Lehrer aus dem Untersuchungsgefängnis abzuholen. Sie
ORIGINALGROSSE N10..... 10 Am grünen Band, wird sie
erkannt!
FREITAG, 3. FEBRUAR 1933
hofften, er würde freifommen und waren tief= betrübt, zu erfahren, daß er längere Zeit im Ge= fängnis bleiben würde. Wird er die ganze Strafe abmachen müssen?" fragten fie. Man tröstete sie so gut es ging. Aber Lehrer wird er nicht mehr sein können?" fragten sie weiter. ,, Nein, das wird wohl nicht mehr möglich sein. Habt Ihr ihn denn so gern gehabt?"" Ja", antworteten fie im Chor, er war unser bester Lehrer. Er war auch mit uns vier Wochen an der Ostsee , und jeden Quatsch hat er mitgemacht."- ,, Aber wie fonnte mit ihm das da im Bellevuepart geschehen?" Altflug meint dazu ein Zwölfjähriger:„ Er war wohl nicht bei feinen fünf Sinnen." ,, Schade nur um den armen kleinen Peter", sagte einer ganz traurig, ,, der wird es nun nicht vergessen."- ,, Ach, viel leicht doch", wirft ein anderer dazwischen. ,, Nee, id weiß auch alles noch, was id gemacht habe, als ich vier Jahre alt war." So geht die Unterhaltung längere Zeit weiter.
-
Hillges war seinen Jungens ein guter Lehrer und Erzieher; nur mit sich selbst konnte er nicht fertig werden.
Nazi- Demonstration
Durch eine einsame alte Straße
Die Nationalsozialisten veranstalteten geffern abend um 9 Uhr eine Demonstration durch die Wallstraße in Charlottenburg , wo am Montag der SA.- Mann Maykowski und ein Polizeibeamter erfchoffen worden waren.
Die gestrige Demonstration war nichts weiter als eine Herausforderung der Bevölkerung dieser Gegend, genau so wie der Durchmarsch der Nazis am Montag nach dem Fackelzug. Die Wallstraße gehört zu den ältesten Straßen Charlottenburgs , ist total verbaut, mißt taum 18 Schritte in der Breite und ist allgemein in Charlottenburg als Kommunistenviertel befannt. Die Nationalfozialisten hatten es am Montagabend durchaus nicht nötig, ausgerechnet durch diese enge Gaffe zu ziehen, denn unmittelbar daneben liegen die Bismarckstraße und die Berliner Straße, die breite Verkehrsstraßen sind. Aber den Nazis war die Gelegenheit gerade recht, hier wieder einmal provozierend auftreten zu können.
Gestern abend herrschte von 7 Uhr ab geradezu Belagerungszustand in der Wallstraße. Die Poli zei zerstreute zunächst alle Ansammlungen, fämmte dann die Straße systematisch ab und räumte dabei auch das Verkehrslokal der Kommunisten im Hause 96 aus. Dabei trat der Gummitnüppel in Aktion. Als um 9 Uhr der Abmarsch der Nazis vom Knie aus begann, blieb die Wallstraße für jeden anderen Ver. tehr gesperrt. Scheinwerfer leuchteten die Häuserfronten ab. Die Fenster mußten ge= schlossen gehalten werden. Weit und breit war kein Mensch zu sehen, und durch diese zur Einöde gemachte Straße führten die Nazis ihre ,, Demonstration". Obwohl man, wie die Nazis selbst erzählten, die SA. aus ganz Berlin zusammengezogen hatte, dauerte der Vorbeimarsch ganze zwanzig Minuten. Der Trauer um den erschossenen Kameraden gab man durch flotte Marschmusit Ausdruck.
Liebknecht- Haus durchsucht
,, Rote Fahne" verboten
Die gestrige Aktion der Politischen Polizei gegen die KPD. bezog sich nicht nur auf das Parteihaus am Bülowplay, sondern auch auf die meisten Büros der Berliner Bezirksorganisationen der KPD. sowie auf sonstige kommunistische EinDie richtungen und auf viele Verkehrslokale. Durchsuchungen zogen sich teilweise bis in die Nachmittagsstunden hin. Das Karl- Liebknecht- Haus wurde ungefähr um 22 Uhr von der Polizei wieder verlassen. In der Hauptsache sollen sich die Nachforschungen auf das Vorhandensein illegaler Flugblätter bezogen haben. lleber die Ergebnisse der Durchsuchungen und die Zahl der dabei festgenommenen Personen war gestern abend noch nichts zu erfahren. Die Rote Fahne " ist auf acht Tage verboten worden.
Eine große Kundgebung gegen die Kulturreaktion veranstaltet am heutigen Freitagabend um 20.15 im Beethovensaal, Köthener Str. 32, die Deutsche Liga für Menschenrechte. Es werden u. a. sprechen Frau Prof. Anna Siemsen , Frau Oberschulrätin Dr. Hildegard Wegscheider- Ziegler, Oberstudiendirektor Dr. Friz Karsen, Karl von Offießty, Frau Adele Schreiber- Krieger . Vorsiz: Dr. Siegfried Kawerau . Ermäßigte Karten für Mitglieder von Gewerkschaften und Partei an der Abendkasse.
DAS HOCHWERTIGE ENDPRODUKT VON
100 Jahren Erfahrung
FABRIKAT
GEGR.1842