Am letzten Sonnabend tagte der Bezirks- Parteitag der Berliner Sozialdemo- k r a t i e. Die letzten politischen Ereignisse drücken ihm den Stempel auf und so erklärte denn auch der Vorsitzende Genosse Künstler in seiner Er- öffnungsrede, datz durch die Kanzlerschaft Hitlers endlich einmal die verwaschenen politischen Verhältnisse geklärt seien, so datz sich ein klares Kampsfeld ergebe. Der Fackelzug für Hitler ähnele dem Begeisterungstaumel vom Aug» st 1314— dieser Hurrastimmung sei ober schliehlich der Vovember ISIS gefolgt. Sorgen wir dafür, daß das Erwachen recht bald kommt und dah dann die Zeit besser genützt wird als damals. Begeistert sangen die Delegierten die erste Strophe des S o z i a l i st c n m a r s ch e s, der immer noch beginnt:„Auf S o z i a l i st e n. schlicht die Reihen!" AJs Marxisten im Kampfe! Das politische Referat des Abends hatte Parteivorsitzender Arthur Erispien übernommen, der es ganz auf die augenblicklichen politischen Verhältnisse zuschnitt. Crispien betonte zunächst, daß der Parteitag der Sozialdemokratie in Frankfurt a. M. im Zeichen des SV. Todestages von Karl Marx stände. Der Marxis- mus ist international fundiert in der Sozial- demokratie, er bedeutet den Bruch mit allen bis- herigen Geschichtsauffassungen! er ist die Ge- schichtsauffassung der Sozialdemokratie. Der Marxismus hat die Arbeiter zur Erkenntnis ihrer Klassenlagc gebracht und die Triebkräfte des Kapitalismus klargelegt. Nur eine Klasse in der heutigen Gesellschaftsordnung sei wirklich und aus wissenschaftlicher Ueberzung revolutionär, nämlich die Arbeiterklasse. Das gibt der Sozialdemokratie die Stärke gegenüber allen reaktionären Zwischen- spielen und natürlich auch gegenüber dem Faschis- mus. Die letzten Jahre sind gute Lehrmeister für uns gewesen. Die wahre Demokratie ist in einer Klassengesellschaft nicht zu verwirklichen, doch in ihr brauchen wir Demokratie, um unsere Tages- forderungen vertreten und durchsetzen zu können, wir brauchen sie. um die Arbeiterklasse für den Sozialismus reif und fähig zu machen. In Deutschland wurde Demokratie erschüttert durch laue Anhänger, durch Feinde im Arbeiterlager selbst und durch die Rcchtsreaktionäre aller Schattierungen. Daß eine hauchdünne Oberschicht des Volkes nicht regieren kann, bewies Papen : erst auf Hitlers braune Schoren gestützt, konnten sich Junker und Herren an die Macht bringen. Sie bedienten sich dieser Auch- Arbeiterpartei, um ihre eigene Gefolgschaft größer erscheinen zu lassen. Die Nationalsozialisten forderten„Ware fürs Geld", sie haben die Ware geliefert in ihren braunen Privattruppen, die Gegenleistung erhielten sie in Form der Regie- rungsbeteiligung. Hitler ist nicht an der Spitze seiner Truppen siegreich in Berlin einmarschiert, sondern er hat in Verhandlungen hinter verschlossenen Türen sein „Geld für die Ware" eingehandelt. Schon ist klar erkennbar, daß die Hitler-Papen- Hugenberg-Regierung nicht in der Lage ist, ein einheitliches Programm aufzustellen! die wirtschaftlichen und politischen Kräfte in ihr streben zu sehr auseinander. Man hofft deshalb in einem mit allen Mitteln des Terrors und der erlaubten und unerlaubten Beeinflussung be- triebencn Wahlkampf eine Mehrheit zustandezu- bringen. Hitler hat selbst am Freitagabend durch den Rundfunk seine jetzige Position feststellen lassen: Er wollte seine erste Rundfunkrede als Reichskanzler so aufgefaßt wissen, daß er seine Bemerkung über den Vierjahresplan nur als Reichskanzler gemacht habe; als Parteiführer hätte er anders gesprochen! Unter dem Beifall des Bezirksparteitages er- klärte Genosse Crispien: Hitler kennt Deutschland und seine Arbeiterschaft nicht, er hat keine Ahnung von Land und Boll. Die Arbeiterschaft ist ihm ein« unverständlich« Masse, den Marxismus hat er nie begriffen.(Wiederholter Bei- fall.) Wie ist ein Mann zu bewerten, der heute noch behauptet, der Marxismus hätte die Wirt- fchaftskrise in Deutschland verursacht? Jeder Wald- und Wiesenagitator weiß, daß wir eine Welt- Wirtschaftskrise haben, und daß die Krise auch in den Ländern besteht, in denen kein
„Marxismus herrscht". Die Entwicklung im Maschinenzeitalter führt zur Umstellung aller Arbeitsverhältnisse. Leute, die sich Technokraten nennen, haben er- rechnet, daß 1ö Stunden Arbeit in der Woche, ge- leistet von den Menschen im Aller von 25 bis 45 Jahren, beim heutigen Stande der Maschinen- technik genügt, um genug Güter für alle Menschen der Erde zu erzeugen, heute haben wir junge Menschen genug, die noch nie in einen sozialen Gedankenaustausch mit ihren Arbeitskollegen in der Fabrik getreten sind, weil sie noch nie Arbeit hotten. Ihnen fehlt das soziale Bewußtsein, das der Arbeiter in der Gemeinschaft der Fabrik er- wirbt. Den Produktionsapparat den Verbrauchsverhält- nisten anzupassen, ist die Aufgabe von internatio- naler Bedeutung, vor die die Sozialisten jetzt ge- stellt sind. Die Staaten sind zu klein geworden. Eine Vereinigung der Staaten Europas , den Zu- sammenschluß der Kontinente zu schaffen, wird nötiger denn je, die international funktionierende Produktion erfordert es. Wir brauchen Frei-
zügigkeit für die Rohstoffe, für die Güter, für die Menschen. Was tun demgegen- über die autoritären Regierungen unter Papen und Hitler? Sie erlassen Einfuhrverbote, richten Zollschranken auf, verordnen Devisenzwangsbestimmungen, die Methoden des Weltkrieges werden in der Wirt- fchaftsführung wieder angewandt. Die Kapitaliste» haben alles ruiniert, was die Nachkriegswelt an Vernünftigem schuf. Der an sich gesunde Gedanke des Völkerbundes ist totgeschlagen, ein Zusammen- arbeiten der Völker unmöglich gemacht. Erhebt sich da nicht von selbst die Forderung nach der Einigkeit der Arbeiterschaft? Noch ist für die Bolschewisten die Sozialdemokratie der Hauptfeind. Aber das hindert nicht, daß die Sozialdemokratie von der ganzen Reaktion gefürchtet wird. Seien wir uns klar über die Situation, in der wir stehen: Sie mögen uns des Hochverrats anklagen, sie mögen einzelne von ihren Posten in der Ar- beiterbewegung entfernen können, aber eins können sie nicht: den Sozialismus in den Hirnen der Menschen auslöschen.(Stürmischer Beifall.>
Arbeitermasten zu leiden haben, deren Ernäh- rungsstandard noch mehr herabgesetzt würde. Nach einer längeren Diskussion nahn, außerhalb der Tagesordnung Genasse Siegfried Aufhäuser das Wort zum„V o r w ä r t s"- V e r b o t. Er reichte eine Entschließung ein, in der sich der Parteitag einmütig zu seinem K a m p f b 1 a t t, dem ,,V o r- wärt s", bekennt und die Rechts- Widrigkeit des Verbots betont. Der An- trag fand unter starken Veifallskund- gedungen einstimmige Annahme. Nach einem Schlußwort von Arthur Crispien wurde eine Reihe von Entschließungen gefaßt. Die bisherigen Kandidatenlifte» zum Reichstag und Landtag wurden bestätigt.
Varteitag Brandenburg In den Räumen des Preußischen Landtags lagte am Sonnlag der B e z i r k s p a r t e i l a g der Sozialdemokratischen Partei für Branden- burg-Grenzmark. Auf ihm hielt der vor- sitzende der sozialdemokratischen Reichstagsfraklion, Genosse Dr. B r e i t s ch e i d, ein sehr bemerkeus- wertes Referat über die politische Lage, wie sie sich seit dem Zustandekommen der Regierung Adolf Hitlers ergeben hat. Die kommende Zeit wird für die Arbeiterschaft schwer und opferreich werden. Herr hugenberg hat zwar einen Ausgleich zwifchen den ver- fchiedenen Jnterestentenhaufen versprochen, doch wird dieser Ausgleich nur auf dem Rücken des Proletariats möglich fein. Wenn das Massenelend vergrößert, wenn die Kaufkraft verringert ist, was nützt dann der Ausgleich? Wie wird dann die Stimmung der hakenkreuzler werden? Genosse Breitscheid charakterisierte dann einzelne Mitglieder des Kabinetts. Der Außenminister von Neurath , seit über 30 Jahren Berufsdiplomat, hätte es nicht als eine Schande einpfun- den sich vom„M a r x i st e n" E b e r t als Bot- schafter berufen zu lassen. Der Finanzminister von Schwerin- Krosigk war lange Jahre Beamter im Finanzministerium! der„Marxist" h i l f e r d i n g machte ihn zum Ministerialdirektor — von Schwerin-Krosigk fand nichts dabei. Herr von Papen war lange Jahre Mitglied und Abgeordneter einer in i t de»„M a r x i st e n" koalierten Partei! Das ist eine hübsche Sammlung von Charakteren in der autoritären Regierung. Wenn es ein Ber - brechen war, daß die Marxisten Ruhe und Ordnung im Lande sicherten, wenn sie den Arbeitern, Angestellten und Beamten das Koalitionsrecht gaben, wenn sie den Staat zu unerhörten sozialpolitischen Leistungen fähig machten, dann sind wir allerdings stolzdarauf, Novemberverbrecher zu sein. Unterschiede zwischen den Regierungserklärungen Papens , Schleichers und Hitlers im Rundfunk bestanden kaum, nur daß Hitler aufgeregter und bom- bastischer redete. Er fand kein Wort für den notleidenden Mittelstand, ja, er wandte sich nicht einmal gegen die Juden! Er sagte nichts über die Enteignung der Bank- und Börsenfür st en, und er ließ die Brechung der Zinsknechtschaft völlig aus seiner Rederei heraus. Hitler nennt alles Marxismus , was er nicht begreift. und er wettert gegen den Marxismus, ohne ihn zu verstehen. Es wird ein opferreicher Wahlkampf werden, in dem der Gegner feine ganze Brutalität, die ganze Mordlust seiner entfesselten Gefolgschaft spielen lasten wird. Unter solchen Umständen wird die Sozialdemokratie mehr noch als bisher die Werbung von Mund zu Mund betreiben. Jeder Sozialdemokrat wird ein Agitator fein, ein Kämpfer und ein Redner für die Freiheit, für die Demokratie und den Sozialismus.(Großer, zu- stimmender Beifall.) ie Den Geschäftsbericht für das abgelaufene Jahr gab Parteisekretär Genosse Wilhelm Krüger, der feststellte, daß die Organisation durch die Krise nur sehr schwach betroffen sei. Sie sei aber inner- lich geschlossen, organisatorisch hervorragend fest, so daß sie auch den kommenden Wahlkamps sieg- reich bestehen wird. Die Delegierten stellten dann die K a n d i d a t e n l i st e n für die Pro- v i n z i a l l a n d t a g e. für die Kommunalver- tretungen und für die Reichstags- und Landtagswahlen auf. Mit der Erledigung einer großen Anzahl von Anträgen schloß die arbeitsreiche Tagung.
Das Verbot des„Vorwärts"
Im Anschluß hieran sprach Chefredakteur Ge- nosse Stampfer zum Verbot cies„Vorwärts" Er dankte zunächst allen Genossen und Betriebs- delegationen, die telephonisch oder persönlich der Redaktion ihre Entrüstung über das unHalt- bare Verbot des„Vorwärts" und ihre Sympathie bekundet haben. Stampfer dehnte diesen Dank auch auf diejenigen aus, die sonst nicht unter unseren Fahnen marschieren, die ober trotzdem gegen die Unterdrückung der Presse- f r e i h e i t protestiert haben. Dabei erneuerte er das Bekenntnis von früher, nämlich daß er und die gesamte Redaktion sich verbunden fühlen mit allen Arbeitern und allen Notleidenden.(Leb- hafter Beifall.) Noch nie ist der„Vorwärts" so interessant gewesen, erklärte der Redner, wie am Sonnabendmorgen. Viele gute Mitarbeiter habe das Blatt, aber der interessanteste ist doch der Polizeipräsident in Berlin . Herr Welcher führt den juristischen Doktortitel, aber er hat es fertig be- kommen, den„Voi�värts" zu verbieten, weil dieser ein Verbrechen gegen§§ 81 bis 85 des Strafgesetzbuches begangen habe. Das heißt Hochoerrat, der mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft wer- den kann! Das ist unser Verbrechen! Herr Dr. jur. Melcher war auch so freundlich, aller Welt mitzuteilen, wodurch wir dieses Ver- brechen des Hochverrats begangen haben. (Stampfer verliest die in dem Verbotsschreiben zitierten Absätze des vom„Vorwärts" veröffent- lichten Aufruf des Parteivorstandes.) Als die Delegierten in stürmische Beifallskundgebungen ausbrechen, meint Stampfer, die Delegierten sollten diese Kundgebung unterlassen, sonst begingen sie auch noch Hochverrat!(Große Heiterkeit.) Das Verbot des„Vorwärts" war nur möglich, wenn die Sätze des Aufrufs aus dem Zusammenhang gerissen wurden. Der Parteivorstand fordert auf, den Kamps für die Verfassung zu führen, den Kampf zu führen für einen Reichstag, in dem nach der Reichsverfassung eine Enteignung der Schwer- industrie und des Großgrundbesitzes möglich ist. Eine solche Enteignung kann niemals Hochverrat sein. Wenn die zusammengeschobenen Güter der ehemaligen Dynastien und der Junker nicht ent- eignet werden können, dann hat der ganze Artikel 153 der Verfassung keinen Sinn. Solange das Reichsgericht noch von Richtern besetzt ist, glaube ich nicht, daß die Berechtigung des Verbots anerkannt wird. Sollte sich aber dennoch ein Senat finden, der es tut, so sage ich: Bitte, be- dient euch, hier steht der Hochverräter!(Stür- Mischer Beifall.) Ich werde dann in Leipzig den Herren sagen. was Hochverrat und was Verfassungstreue ist. Und Ich bin überzeugt, daß mit mir Millionen ausstehen werden und sich auch als solche„Hochverräter" bekennen werden, wie wir Sozialdemokraten sind. Das eine sei Hitler heute schon gesagt: Nie- m a l s wird Deutschland römisch werden, weder mit noch ohne h!(Stürmischer Beifall.) Und wenn
Hitler uns italienisch kommen sollte, dann wird er die Antwort auf deutsch bekommen! (Wiederholter stürmischer Beifall.) Ein Wort noch, Genossen, zum Thema Einig- k c i t. Wir haben über Einigkeit in der Arbeiter- schaft keine Meinungsverschiedenheit! es gibt keinen Sozialdemokraten, der die Einigkeit nicht sehnlichst herbeiwünscht. Wir erkennen seit Jahren die große Gefahr, die in der dauernden Spaltung liegt. Deshalb gehöre ich zu denen, die bereit sind, einen Strich unter die Vergangenheit zu setzen, natürlich unter der Voraussetzung, daß die anderen es auch tun. Warum sollen wir nicht in einen Meinung?- austausch eintreten, so wie wir Sozialdemokraten unter uns auch diskutieren! aber es muß in an- ständiger Form geschehen. Man muß aufhören, die sozialdemokratischen Führer als Ärbeiterver- räter zu beschimpfen und man muß aufhören mit unaufrichtigen Cinheitsfrontmanövern zu spiele». Meinungsverschiedenheiten werden bleiben, und wir werden nie aufhören uns zum d e m o k r a- tischen Sozialismus zu bekennen. Was unterbleiben muß, ist die böswillige, persönlich gehässige organisationsschädigende Polemik. Biel - leicht haben wir in der Vergangenheit auch Fehler gemacht, aber die Kvmmunisten haben überhaupt nichts anderes als Fehler gemacht. Es war ein verhängnisvoller Fehler, Millionen von Arbeitern zu der Ausfostung zu bringen, die Demokratie be- deute für sie nichts. was es heißt, politische Freiheiten zu verlieren. müssen alle Arbeiter jetzt empfinden: darum kämpfen wir für die Allarbeiterpartei, die unter sozialistischen und demokratischen Fahnen marschiert und deren Donnerwort alle Feinde hinwegfegt.(Stürmischer Beifall.) Nachdem Genosse Otto Meier einen ausführ- lichen Bericht über die Sitzung des Land- tags am Sonnabend gegeben hatte, sprach in der Diskussion Genosse h e i n i g zu dem Skandal der O st Hilfe. Es läge uns nicht daran, eine Hetze gegen die Landwirtschaft schlecht- hin zu inszenieren, wenn wir das Osthilfepanama aufdecken. Unsere Kritik ist ein Akt der Solidarität mit den Millionen aus der Landbevölkerung, die mit Ingrimm zusehen, wie eine dünne Oberschicht sich auf Kosten des ganzen Volkes saniert, während die große Masse der Kleinbauern keinen Pfennig aus der Osthilfe erhält. Von 18 000 RiLerguts- besitzern sind 12 000 östlich der Elbe ansässig und von diesen befinden sich wiederum 10 000 im Siche- rungsverfahren und beanspruchen die Unter- stützung des Reiches Einer der ersten unter ihnen war Herr von Oldenburg-Januschau. Der Sinn der Osthilfe, die eine Reform der Landwirtschaft bringen sollte, ist völlig verkehrt worden, sie ist zu einer Vermögenssicherung einer kleinen Schar von Rittergutsbesitzern geworden. Der Kampf gegen den Osthilfeskandal ist ein Stück des Kampfes gegen die Reaktion. Genossin Wurm sprach über die Außenhandels- Politik der Regierungen Papen und Hitler . Unter dem Handelskrieg würden vor allem wieder die
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BERUH SW19 MXRKISCHES UFER 32 WALLSTRASSE«2, C5