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BEILAGE

Vorwärts

Die leere Herberge

Der Handwerksbursche im Krisensturm

Aehnlich wie im Asyl für Obdachlose sieht es in der Herberge des Berliner Gemert­schaftshauses aus: allabendlich ein nur ge­ringer Besuch, der in keinem Verhältnis zu den vorhandenen Unterbringungsmöglichkeiten für wandernde Handwerksburschen steht. Ja," er= zählt der Herbergsvater, da hätten Sie vor drei, vier Jahren kommen müssen, als es noch Arbeit in Berlin gab, da war die Gewerkschaftsherberge so überlaufen, daß ich bereits am Mittag regel­mäßig das letzte Bett ausverkauft hatte. Wer sich damals nicht wegen Quartier beeilte, dem tonnte es oft passieren, daß er bei Mutter Grün schlafen mußte. Dieser gute Besuch der Herberge hing seinerzeit mit der regen Bautätigkeit in Ber­ lin zusammen, einmal die vielen Neubauten, zum anderen der Untergrundbahnbau, wo ein wandern­der Handwerksbursche, besonders aus dem Bau­beruf, so gut wie immer Arbeit fand. Dieje Möglichkeiten sind jetzt weggefallen, die einzigen, die noch in der Gewerkschaftsherberge übernach­ten, sind Buchdrucker."

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Nun stellen die Buchdrucker innerhalb der wan­dernden organisierten Handwerker einen Sonderfall dar. Hier besteht ein ausgebautes, durch internationale Gegenseitigkeitsverträge ge= sichertes Unterstützungsnetz, das dem wandernden Buckdrucker die Existenz auch fern der Heimat einigermaßen erleichtert. Augenblicklich sind zwei

ungarische Buchdrucker in der Berliner Gewerk­schaftsherberge. Der eine streift schon zwei Jahre lang durch Mitteleuropa . Er erzählt ein wenig ,, Es bleiben einem nicht allzu viele Länder zum Reisen übrig. Aus Jugoslawien muß man bald weg, denn die dortige Polizei zählt nicht gerade zu den Freunden der wandernden Handwerks­burschen. Desterreich und die Tschechoslowakei sind gegenwärtig für den Reiseverkehr gesperrt, weil die dortigen Berufskollegen in Lohnbewegungen stehen. Schade; schön war es in Prag . Es gibt wohl pro Tag nur noch 10 Tschechenkronen Unter stügung, vor zwei Jahren gab es noch 25 Kronen aber als ich bei den Kollegen eines Tages Umschau hielt, hatte ich einmal rund 400 Kronen in der Tasche. In Deutschland war es am besten in München . Jetzt werde ich wieder in die Heimat machen; das deutsche Essen ist mir zu teuer. In Budapest bekomme ich Unterstützung 1,60 Ben­, wenn ich davon nur die Hälfte für das Essen nehme, dann habe ich aber einen Gulasch! Hier in Deutschland bekomme ich vielleicht für das gleiche Geld in Mark umgerechnet eine Bockwurst mit Salat. Ich kann von euren Bockwürsten aber nicht leben."

Hier sind wir ungefähr bei einem der Kern= punkte des Reisewesens der organisierten Hand­werksburschen angelangt: hat der Verband, dem der junge Mann angehört, einen hohen Unter­stützungssag, wird immer noch troz Krise fleißig gemalzt; mußte der Verband aber wegen seiner

Neue Brücken in Berlin

Am Bahnhof Rummelsburg und bei Westend

In aller Stille sind in Berlin umfangreiche Brückenbauten vollendet worden, die es verdienen, allgemein bekannt zu werden. Es handelt sich um Bauwerke, die im Bereich der Reichsbahn ent­standen sind.

Die erste Brücke liegt in der Nähe des Be= triebsbahnhofs Rummelsburg, der be=

zu ersetzen. Man ging hier so vor, daß man die neue Brücke neben der alten fertig baute, um sie später an ihre Stelle zu setzen. Dazu wurde neben der alten Brücke noch ein Gerüst errichtet, auf das sie hinübergefahren werden konnte, wäh

Sonnabend, 11. d. M., 19% Uhr, Saal des ehem. Herrenhauses, Leipziger Straße 3, Vortrag des Genossen Prof. Dr. Ernst v. Aster- Gießen über: ,, Der Geist des deutschen Bürgertums und die Politik"

Karten zum Preise von 50 Pf. an den bekannten Stellen.( Karten zu er­mäßigten Preisen a. d. Abendkasse.)

fanntlich hinter dem großen Umsteigebahnhof Freie Sozialistische Hochschule Stralau- Rummelsburg im Zuge der Strecke nach Erkner liegt. Hier geht die zweigleisige Bahn Berlin - Küstrin über zwei Gleise der Vorort­strecke und ein Gleis der Fernlinie nach Frank­ furt an der Oder hinweg. Die alte Ueberführung, die aus zwei sogenannten Gerberbrücken" be= stand, war den gesteigerten Anforderungen nicht mehr gewachsen. Die Ersetzung des recht erheb lichen Bauwerks konnte verhältnismäßig leicht durchgeführt werden, da die neue Brücke unter geringer Veränderung der Linienführung dicht neben die alte zu liegen fam. Sie macht durchaus den Eindruck einer einzigen zusammenhängenden Brücke, die wie ein kräftiger Balfenträger über drei Stügen läuft. Tatsächlich aber handelt es sich um zwei Brücken, die auf zwei Stützen gelagert sind. Ihre Stüzweiten betragen 64,5 und 58,4 Meter. In der Mitte aber werden sie von einem massiven Pfeiler unterstützt. So einfach und selbstverständlich das neue Bauwerk jetzt nach seiner Fertigstellung auch aussieht, so groß waren dennoch die Schwierigkeiten bei der Grün­dang des Mittelpfeilers und am östlichen Wider­ lager . Man mußte sehr tief graben, bevor man den tragfähigen Untergrund fand. Wie wichtig dieje Gründungsarbeiten sind, zeigte sich ja erit vor kurzem bei der Stößenseebrücke, über die alarmierende Nachrichten ihres Baugrundes wegen verbreitet wurden. Die Ueberbauten der neuen Brücke bestehen aus gefupfertem Stahl und wiegen die Kleinigkeit" von 1200 Tonnen oder 24 000 Zentnern.

Die zweite Brücke wurde am anderen Ende Berlins zwischen den Bahnhöfen Westend und Jungfernheide durchgeführt. Hier galt es, die alte Ueberführung der Berliner Ringbahn über die vier Gleise der Hamburg - Lehrter Bahn durch eine neue tragfähige Konstruktion

rend man gleichzeitig die neue Brücke an ihre Stelle brachte. Zu dieser viel Sorgfamkeit er­fordernden Arbeit wurden sieben Stunden ge= braucht. Da aber auf der Ringbahn fahrplan­mäßig nur zwei betriebsfreie Stunden zur Vec­fügung standen, mußte der Verkehr auf 5 Stunden unterbrochen werden. Die Reisenden wurden in dieser Zeit mit Omnibussen zwischen den Bahn­höfen Westend und Jungfernheide befördert. Wäh­rend der Schnellbahnverkehr schon über die neue Brücke brauste, wurde die alte in aller Ruhe autogen zerschnitten und abgefahren. Der Ueber­bau dieser zweiten neuen Brücke miegt 900 Tonnen.

Schade, daß die Stadt Berlin nicht in der Lage ist, manche der Spreebrücken, die es wirklich nötig hätten, in ähnlicher Weise durch moderne Bauten zu ersetzen.

Umbau S- Bahnhof Jannowitzbrücke Der Umbau des S- Bahnhofs Janno miz brücke ist jetzt nach mehrjähriger Arbeit bis auf kleine Restarbeiten vollendet. Durch

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angespannten Kassenverhältnisse das Auszahlen von Unterstützung beschränken oder gar einstellen, dann nimmt im gleichen Maße die Wanderei ab. Das Schulbeispiel hierfür sind die Zimmerleute. Hier mußten die Ortsverwaltungen sogar das Aus= zahlen des Lokalgeschenks einstellen und diese Tat­sache zusammen mit der anderen, nämlich der Unmöglichkeit, Arbeit zu finden, hat die Zahl der fremdgeschriebenen Zimmerleute auf ein Mini­mum sinken lassen.

Dagegen die Metallarbeiter, die ihre statutenmäßigen Reisegelder trotz Krise immer noch zur Auszahlung bringen, haben demgemäß auch immer noch lebhaften Reiseverkehr. Im Winter natürlich weniger, aber im Sommer rücken nach wie vor die jungen Metallarbeiter aller Branchen aufs Verbandshaus in der Linienstraße, mit dem Kochgeschirr auf dem Buckel und der Klampf unter dem Arm, und holen sich ihr Lokalgeschenk. . In einem Quartal des vergangenen Sommers sprachen hier in Berlin fast 1000 organisierte Me­tallarbeiter vor, als Kuriosum dabei: drei Frauen. Aehnlich ist es bei den Holzarbei­tern. Auch hier im Winter schwacher, im Sommer stärkerer Reiseverkehr, allerdings längit nicht so wie in Zeiten der Konjunktur. Damals tamen vor allem viele dänische, schwedische und norwegische Holzarbeiter nach Berlin , um sich hier im Tischlerhandwerk zu vervollkommnen; das hat jedoch in der gegenmärtigen Krisenzeit völlig auf­gehört.

die Verbesserungen der Durchfahrtshöhe der neuen Jannowißbrücke mußte auch die Straßen­oberkante erhöht und infolgedessen auch der ganze Bahnhof um 54 Zentimeter gehoben werden. Der Bahnsteig, der eine geschlossene Halle er­halten hat, ist verbreitert worden, und Fahr­fartenausgabe und Zugänge wurden wesentlich verbessert. Auch der Ostzugang von der Holz­marktstraße hat neue Schalteranlagen erhalten. Lediglich der Durchgang nach der Holz­marktstraße, die Passage im Hause Holzmartt­straße 5, tannte bisher noch nicht endgültig ber­gestellt werden, die Fertigstellung verzögerte sich infolge der Besizverhältnisse des benutzten Privatgrundstüces.

Bewaffnete Nazi Unerträglicher Straßenterror

Wenn noch irgend etwas geignet ist, den B a n- diten charakter der Nazis zu fennzeich­nen, so ist es ein Vorfall, der sich am Dienstag­abend nach der gewaltigen sozialdemokratischen Demonstration ereignet hat, und zwar wieder ein­mal in Mahlsdorf, im äußersten Osten von Berlin.

Als in Mahlsdorf in der Nähe des berüch tigten SA.- Lokals 3um strammen Kater" in der Hönower Straße zwei Reichsbannerkameraden und ein Ar beitersamariter den Autobus verließen, um sich in ihre Wohnungen zu begeben, wurden sie alsbald in der Augustastraße von einer aus dem Nazilokal kommenden Horde von sieben Mann der nationalsozialistischen Deutschland­retter verfolgt und mit dem Erpresserruf Hände hoch! umzingelt," gestellt und man hält das in einem geordneten Staatswesen faum für mög­lich mit vorgehaltenen Revolvern nach Waffen untersucht. Die Banditen mit den Hakenkreuzen nahmen unseren Freunden. die sich angesichts der drohenden Revolver nicht wehren konnten, die Koppel und dem Sanitäter auch noch seine Tasche weg und flüchteten.

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Wie uns nachträglich mitgeteilt wird, wurde am Dienstagabend nach der sozialdemokratischen De­monſtration der Reichsbannermann Joachim R. aus Lichtenberg an der Ede Neue

DONNERSTAG, 9. FEBRUAR 1933

Bahnhof- und Weserstraße von SA.- Leuten überfallen. Als sich der Ueberfallene einige Zeit später zum Revier 255 begab, um dort Be­amte zur Feststellung der Täter zu alarmieren, wurde nach den Angaben des Ueberfallenen poli­zeiliche Unterstützung abgelehnt. Ein Kriminal= beamter soll erklärt haben, daß sein Dienst zu Ende sei und der diensttuende Oberwachtmeister hatte angeblich keine Beamten zur Verfügung. Eine Klärung dieses Vorfalles wäre dringend er= wünscht.

Die bebende Erde Weitere Erdstöße in Baden

Rastatt, 8. Februar. Im Berlaufe des Mittwoch haben sich die Erd­stöße in Mittelbaden mehrfach wiederholt. Bis 17 Uhr zählte man etwa fünf starke Erdstöße. Der letzte gegen 16,56 Uhr war wiederum ziemlich heftig, so daß die Bevölkerung stark beunruhigt ist. Die Apparate des Geodätischen Instituts der Tech­nischen Hochschule in Karlsruhe sind immer noch in Bewegung, so daß man mit weiteren Erschütte­rungen rechnet.

Das tektonische Beben ist zurückzuführen auf Erdverschiebungen in den Verwerfungs­spalten, die vom Murggraben in die Rheinebene münden. Am heftigsten wurden die Stöße nach wie vor in Rastatt verspürt. In der Zwischenzeit stellte sich heraus, daß der Sachschaden dort noch weit größer ist, als anfänglich angenommen wurde. Die Zahl der umgestürzten ka­mine wird auf 200 geschäht. Ein 15jähriges Mädchen erlitt durch herabftürzende Ziegelsteine erhebliche Kopfverlegungen. Besonders stark in Mitleidenschaft wurde das Neubauviertel Jan gezogen, da es sich hier um Neubauten aus der Inflationszeit und um aufgeworfene Wall­gräben handelt.

In wenig Worten

In der am Mittwoch begonnenen Schlußziehung der Preußisch- Süddeutschen Klassenlotterie entfielen 300000 Mart auf das Los Nr. 347087, das in Achteln in der ersten Ab= teilung im Rheinland, in der zweiten in Nieder­jchlejien gespielt wird.

形式

Am Leipziger Plaz wurde vor den Augen der Mutter die zwei Jahre alte Barbara Dun= can aus der Gasteiner Str. 23 in Wilmersdorf von einer Autodroschke angefahren und zu Boden geschleudert. Das verunglückte Kind wurde ins Gertraudten- Krankenhaus gebracht, wo es einige Stunden nach seiner Einlieferung ge­storben ist.- In der Holzendorffstraße in Charlottenburg geriet der siebenjährige Schüler Paul Jürgens aus der Rönningstraße unter die Räder eines Autobus der Linie 7. Der Junge wurde mit starken Gesichtsverletzungen und Beckenverlegungen zur nächsten Rettungs­stelle gebracht.

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Die Staatsanwaltschaft Berlin will an die Re­gierung von Liechtenstein einen formellen Antrag auf Auslieferung der in ihr Liliput­reich geflüchteten Theaterdirektoren Brüder Rotter stellen. Die Staatsanwaltschaft möchte vor allem feststellen, ob die Brüder Rotter tatsäch= lich die Liechtensteinsche Staatsangehörigkeit ord­nungsmäßig erworben haben.

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Der 40 Jahre alte Schlosser Martin Guber aus Lützelsachsen wurde in Mannheim im Verlauf von Zwistigkeiten von seiner Ehe= frau erschlagen. Frau Guber wurde ver­haftet.

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Das Luftschiff Graf Zeppelin" wird in diesem Jahre neun planmäßige Süd­ameritafahrten durchführen.

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In der Nähe von Salisbury( England) ist ein Bombenflugzeug abgestürzt. Alle vier Infassen wurden getötet.

Morgen aufpassen!

Zeppelin kommt!