-v;>;
Abend-Ausgabe Nr. 68 B 32 50. Jahrg.
SRetaftton und Verlag, Berlin SW 68, Lindenstr. 3 getnfpwelier A 7 Ami Dönhoff U2 blö 21? Telegrammabreff«, Sojlafttmotcal Borli»
BERLINER
VOLKS BLATT
DONNERSTAG 9. Februar 1933
In Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts..... 10 Pf. Bezugsbedingungen and Anzeigenpreis« siehe Morgenausgabe
Aentealovsa« der Sozialdemokratischen Partei Neutschlands
Sofort! Sofort! Sie werden gleich bedient! Eine beliebte Figur des älteren Lustspiels war jener Kellner, der über die Bühne hetzt und, von einem hungrigen Gast angerufen, mit einem stereotypen„Sofort!" antwortet. Dann verschwindet er in der Kulisse und der hungrige Gast wartet weiter. Das wiederholt sich so drei-, viermal im Akt und erregt bei den Zuschauern steigendes Ver- gnügen. Deutschland erlebt jetzt eine ähnliche Szene, die aber den hungrigen Menschen gar kein Vergnügen bereitet. In hunderttausend Reden haben die Nazis der Bevölkerung angekündigt, was alles sofort nach ihrer Machtergreifung geschehen würde. In ihren Reden und Darbietungen strotzten sie form- lich vor Energie, so daß man meinte, diese müsse sich bei der ersten Gelegenheit knallend entladen. Ihr Drang zur Rettung des deut- fchen Volkes schien unbezähmbar, und immer wieder wurde versichert, daß nur die der- zeitigen„Machthaber" und das„System" gewaltsam an Betätigung hinderten. Es hat auch nicht an konkreten Einzeloer- sprechungen gefehlt.„2 4 Stunden nach unserer Machtergreifung sind die Popens chen Notverordnun- gen restlos aufgehoben", so hat Joseph Goebbels — noch gar nicht lange ist es her— im Sportpalast schwadroniert, „M illionen Schaufeln und Spa- ten setzen sich sofort in Bewe- gung, die Arbeitslosigkeit hört in kurzem auf!" Jetzt hat uns der Reichskanzler Hitler allerdings verraten, daß er in d i e s e r Ton- art nur als Parteiagitator, aber nicht als l e i t e n d e r S t a a t s m a n n sprechen könne. Bezeichnend ist, was man sich an Berliner Stammtischen zuraunte: Ganz Berlin sei von Flugzeugen aus photo- graphiert und man habe auf Plänen genau alle Stellen notiert, wo Durchbrüche, Straßenverbreiterungen usw. geboten seien. Es brauche nur auf den Knopf gedrückt zu werden, dann werde dieses Programm in Angriff genommen. Es mag ja nun Leute geben, die immer noch an ein solches. Programm glauben, dessen Durchführbarkeit aber nicht von Flug- zeugaufnahmen, sondern in erster Linie von vorhandenen Geldmitteln abhängen würde. Aber selbst sie müssen sich fragen: Warum mußten jetzt zehn wertvolle Tage nutzlos verstreichen, wenn ein solches Programm existierte? Warum mußten die Arbeitslosen diese zehn Tage weiter hungern, wenn nur auf den Knopf gedrückt zu werden brauchte? Darauf gibt es keine Antwort. Die Nationalsozialistische Partei steht jetzt wie vor einigen Dutzend Jahren jene franzö- fische Madame Humbert vor dem Kassen- schrank, der die geheimnisvolle Millionen- erbfchaft enthalten sollte. Nun ist der Augen- blick da, wo der Tresor vor den jahrelang vertrösteten, ungeduldig harrenden Gläubi- gern geöffnet werden muß, und jetzt wird sich zeigen, daß— wie im Fall der Madame Humbert— nichts darin ist. Unter den Leuten, die damals auf das Millionengerede der Madame Humbert und ihren leeren Geldschrank hereingefallen sind, waren erste Geschäftsleute, für klug gehaltene Bankiers. An die Versprechungen der Natio- nalsozialistischen Partei hat auch so mancher geglaubt, der sich für erfahren und Urteils- fähig hielt. Und nun die leere Schublade! Aber da unter ihnen eine Anzahl Bibel- feste fein werden, so wird ihnen vielleicht bei diesem Anblick das Wort der Schrift ein- fallen:„Sehet, Ihr seid nichts und Ihr habt nichts, und Euch zu wählen ist ein Greuel."
Stockholm . 9. Februar. Wie schon gemeldet, hat der deutsche Reichs- minister G ö r i n g der Redaktion der„Götedorger Handels- und Seefahrts-Zeiwng" ein impulswes Telegramm geschickt, das auf die deutsch -schwedi- scheu Beziehungen höchst schädlich gewirkt hat. Der Wortlaut des unglücklichen Dokuments wird jetzt von der genannten Zeitung wiedergegeben. Da- nach handelt es sich um ein Staatstelegramm dieses Inhalts: „Zch protestiere auss schärfste gegen den in Ihrer Zeitung unter der Rubrik„heule" vom Z. Februar veröffentlichten Ausspruch über den deutschen Reichskanzler. Als aufrichtiger Freund des schwedischen Volkes erblicke ich in einer solchen schmutzigen Auslassung eine e r n st e Gesahr für die sreundschastlichen und herzlichen Beziehungen zwischen beiden Völkern. Ehe andere Rlaßnahmen ergriffen wer- den. erbitte ich Rlitteilung, inwiefern Ihre Re- daktion in Zukunft gegen solche Aeutzerungen ein- zuschreiten gedenkt,(gez.) Göring , Reichsminister." In welcher Art die Redaktion der angesehenen, übrigens ziemlich weit rechts stehenden Zeitung „einzuschreiten" gedenkt, zeigt ihre Antwort. Schon die Ueberschrist„Komik und Ernst" ist bezeichnend. Gormg, heißt es dann, scheine Schweden für«in Anhängsel Deutschlands zu halten und sich ein Herrenrecht über die schwedische Presse anzumaßen. Schweden gehöre aber glücklicherweise nicht zu Deutschland . Weiter ist von einer Verfinsterung Deutschlands die Rede, von einem Rückfall in die Barbarei, von einer Erniedrigung, aus der sich das deutsche Volk hoffentlich ohne allzu große Opfer wieder erheben werde. Der ungewöhnlich scharfe Artikel, der auch sehr kräftige Urteile über die augenblicklichen Be- Herrscher Deutschlands enthält, wird von dem größten Teil der schwedischen Presse zustimmend abgedruckt. ★ Nachdem die Affäre des„Morgenrot"-Films in England starkes Mißbehagen ausgelöst hat, nachdem die Drohungen der deutschnationalen
Presse wegen der Zulassung Nöltings als Rund-- funkredner in Holland heftig oerstimmend ge- wirkt haben, ist nun durch ein unüberlegtes Tele- gramm auch in Schweden eine starke Aus- regung gegen Deutschland entstanden. Es ist ein ausgesprochenes Pech, daß es sich in allen drei Fällen um germanische Länder handelt, in denen der neue Kurs Deutschlands peinliche Ver- stimmungen schafft, und daß gerade dort dieser Kurs die schärfste Ablehnung findet. Im übrigen nehmen wir an, daß Herr von R e u r a t h sich noch heute mit Herrn Göring über die Frage unterhalten wird, wer eigentlich deutscher Außen- minister ist. Von zuständiger Seite wird zugegeben, daß der Gesandte von Rosenberg ohne Austrag
Pari«. 9. Februar. Tn einem Artikel der ,Kre Rouvelle" über die ernste außenpolitische Lage schreibt H e r r i o l zu den Vorgängen in Preußen: „Das Reich will den Staat vernichten, der unter dem kräftigen Antrieb von Männern wie Braun ausrichtig versucht hat, ein demokratisches Programm durchzuführen. Bayern scheint sich mit Preußen, mit dem Recht und der Verfassung zu solidarisieren. Aber diese juristischen Diskussionen, in denen sich einige mutige Männer wie Adenauer herumschlagen, ähneln schrecklich B e- crdigungssormalitäten. Und die Machenschaften des Kronprinzen werden immer beunruhigender. Man kann für die deutsch « Sozialdemokratie alles befürchten. Ts wäre aber ungerecht, zu behaupten, daß die Sozialdemokratie nicht mehr in Deutschland existiert. Bei der Kundgebung der Eisernen Front im Lustgarten
aus Berlin zu linden gegangen ist, um sich über die Haltung der Stockholmer Presse zu be- schweren. Jedoch wird behauptet, der stellvertre- tende Außenminister linden habe„Verständnis" gezeigt und versprochen, auf die Presse einzu- wirken. Bon einem solchen Verständnis und Versprechen ist nach unserer Unterrichtung in Stockholm nicht das geringste bekannt. Görings Telegramm nach Göteborg wird als „private Initiative" bezeichnet. Göring hat übri- zens gleichfalls aus privater Initiative M u s s o° [int antelegraphiert und eine begrüßende Ant- wort bekommen. Danach ist es vielleicht an der Zeit, daß Herr Göring der Ordnung halber das Auhenminifterium ganz übernimmt. Und wie denkt darüber Herr von Neurath?
hat Wels eine mutige Rede gehalten, die eine ungeheure Menge zu billigen schien. Aber der Hillerismus sucht augenscheinlich seinen Gegnern einen Vorsprung abzugewinnen. Er sindet außerhalb Deutschlands Unterstützungen, an denen man nicht mehr zweifeln kann. Wir erhalten darüber seltsame 3n- s o r m a t i o n e n. Unsere südslawischen Freunde sind nicht weniger beunruhigt wie unsere polnischen Freunde." * Weiteren Meldungen aus Paris zufolge soll dieser Artikel Herriots nur die Gedankengänge wiedergeben, die er am heutigen Tag« im Aus- wältigen Ausschuß der französischen Kammer ent- wickelt hat. Dabei soll Herriot insbesondere auf die Wahrscheinlichkeit eines deutsch -italieni - sehen Geheimbündnisses hingewiesen haben, das sich innerlich gegen Polen wie gegen Jugoslawien und damit letzten Endes gegen Frankreich richte. An diese Ausführungen Herriots soll sich eine lebhafte Debatte geknüpft haben, wobei Herriot davon sprach, daß die Reichsregierung einen Kreuz- zug gegen das bolschewistische Rußland pro- pagiere. Die Vildung der Regierung Hitler werde jedoch insofern für Frankreich etwas Gutes be- wirken, als sich nunmehr Rußland Frank- reich nähern dürfte.
Die Bescherung �ollerhöhung— einzige Leistung ReichserNährungsmlnisler hugenberg hat eine ganze Reihe Zoklerhöhungen für lebendes Vieh und Fleisch verordnet, da im Inland genug davon vorhanden und preise außerordentlich niedrig seien— nämlich im Zndex. Die Millionen Erwerbslosen und Vedürstigen, die Lohnabgebaulen usw. werden die Preise nicht so niedrig finden. Die Zollsähe pro Doppelzentner iverden ab 15. Februar erhöht: für lebendes Rindvieh auf 50, lebende Schafe auf 45, lebende Schweine auf 50, Frischfleisch aus 100, einfach zudercileles Fleisch aus 150, Fleisch zum seinen Taselgebrauch aus 280 M.
Zur Frage Einheitsfront Line Stimme aus Wen Die Wiener„Arbeiter-Zeitung " schreibt: „Ein Blick in die sozialdemokratische und in die kommunistische Presse Deutschlands zeigt deutlich «inen ganz unbestreitbaren Unterschied. D i e sozialdemokratischen Blätter, auch die-
•Der leiste Weg des Wlordopfers
Am Mittwoch wurde in Staßfurt unter Riesenbeteiligung dem von einem Nazijungen ermordeten sozialdemokratischen Bürgermeister und Landtagsabgeordneten Kasten eine würdige Trauerfeier veranstaltet.'Reichsbannerkameraden trugen den Sarg. Die Einäscherung sollte in Magdeburg erfolgen. Doch mußte sie in letzter Stunde abgesagt werden, weil nach dem preußischen Feuer- bestattungsgesetz Personen, die durch Verbrechen zu Tode gekommen sind, nicht eingeäschert werden dürsten. Aus diesem Grunde war die polizelliche Genehmigung versagt. Die Einäscherung erfolgte in dem anhaltischen Bernburg .