ERSTE BEILAGE
Vorwärts
Ein ganzes Jahr Nazi- Terror
Nach den Vorfällen, die sich in den letzten Tagen in Mahlsdorf abgespielt haben, muß man sich fragen, ob es sich hier um das zufällige zu. fammentreffen zweier politischer Handstreiche handelt oder ob etwa der äußerste Berliner Osten fich eines besonders ausgeprägten politischen Rowdytums erfreut. Die nachfolgende Chroni des vergangenen Jahres, die aber nur eine Ausmahl in vorgekommenen Fällen ist, spricht sehr für die lettere Annahme.
Am 19. Januar 1932 wurden trotz Uniformverbot mehrere uniformierte Angehörige der SA. vor der Gärtnerei Golm in Kauls dorf vom Ueberfalltommando festgenommen; fie hatten vorübergehende Republikaner in übler Beise angeflegelt. Es stellte sich später heraus, daß sie an einer nationalsozialistischen Uebung in dem ausgedehnten Kaulsdorfer Laubengelände teil. genommen hatten. Ein Strafverfahren ist nicht durchgeführt worden.
Am 1. Februar fand vor dem Schöffengeright in Lichtenberg ein Termin statt gegen ben nationalsozialistischen Studenten Obst aus Raulsdorf und den SA.- Mann Wan . drei aus Mahlsdorf . Obst hatte eines Nachts den Gewerkschaftssekretär Br. aus Kauls. dorf angerempelt. Im Laufe der Auseinanderfegungen gab Wandrei einen scharfen Schuß auf Br. ab, der aber sein Ziel verfehlte. Obst er. hielt 20 M. Geldstrafe, Wandrei 4 Wochen Gefängnis. In der Berufungsinstanz wurde Obst, auf den der Vorfall zurückzuführen war, sogar freigesprochen, die Strafe gegen Bandrei bagegen bestätigt.
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Am 13. März, morgens gegen 6 Uhr, murde in Baulsdorf in der Köpenicker Straße ein Reichsbannerfamerad von einer Gruppe SA. - Leute beschimpft und von dem Studenten Obst tät.
Bürgerkrieg...
So sieht es im äußeren Osten aus
lich bedroht. Polizei verhütete weitere Zusammen stöße. Etwa eine Stunde später überfiel die gleiche SA.- Gruppe in der Birkenstraße in Kaulsdorf Süd einige Kommunisten, die zum Schutze ihrer Wahlplafate unterwegs waren. Es gab auf beiden Seiten blutige Köpfe. Die Polizei nahm zwei Nationalsozialisten und zwei Kommunisten fest. Von einem Strafverfahren gegen die SA. - Leute ist nichts bekannt.
In der Nacht vom 14. zum 15. April wurden mehrere Angehörige der Eisernen Front von etwa 50 Nationalsozia listen in Rauledorf- Nord überfallen. Die Bo lizei war rechtzeitig zur Stelle und drängte die Nationalsozialisten in das Kaulsdorfer Schüzenhaus zurüd, wo die NSDAP . eine Versammlung hatte. Von einem Strafverfahren gegen die S2. Leute ist nichts bekannt.
Am 22. April überfielen etwa 20 National fozialisten in der Siedlung Gartenheim in Mahlsdorf - Nord vier Kommunisten, die dort Flugblätter verteilten. Das Ueberfallkommando nahm 8 Nationalsozialisten fest. Ob gegen sie ein Strafverfahren durchgeführt wurde?
Am 23. April fand im Lotal von Anders in Mahlsdorf eine SPD. - Versammlung ftatt. Die Polizei wies etwa 50 Nationalsozialisten aus dem Saal. Da bei einer Reihe dieser Leute Waffen gefunden wurden, mußten sie den Weg zur Wache antreten. Als sie von der Po lizei entlassen wurden, war der letzte Zug nach Berlin schon weg. Die Nationalsozialisten. ver. suchten mit Gewalt auf den Bahnsteig zu ge langen und verprügelten den Schließer, der ihnen den Zutritt verwehren wollte. Bon einem Strafverfahren gegen die Beteiligten ift nichts bekannt.
Am 22. Juni wurde nachts gegen 23 Uhr vor dem Lokal von Gruhn in Mahlsdorf der 23jährige Milli 2öchler, Mitglied der SA , von der Po
fie suchen nach Patronenhülsen und Einschüssen. In unmittelbarer Nähe, am Rande des Bürger
Ein nächtliches Erlebnissteiges und im Rinnstein werden acht Patronen
Spät ist es geworden, 1 Uhr nachts ist schon vorbei. Am Knie verlassen wir den Autobus. Die Berliner Straße liegt friedlich in ihrer Borgartenverschlafenheit. Wenig Menschen, kaum eine Straßenbahn alle Lichter strahlen in der feuchten Luft einen milden Glanz.
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Da knallt's. Dann noch einmal, zweimal fnattert... Wallstraße?!" Das ist der nächste Gedanke. Gerade stehen wir vor der Wallstraße, die friedhofsstill ist. Wir starren und horchen. Aber es ist nichts. Kein Schreien, kein Laufen, feine Aufregung Also werden es wohl Fehlzündungen von Autos gewesen sein, die das Großstadtecho vervielfachte, verstärkte.
Weiter zum Wilhelmplaz. Schupos besteigen einen mit Scheinwerfern ausgerüsteten Schnellwagen Aber das ist nichts Besonderes in dieser unruhigen Zeit. Die Berliner Straße hinunterda fommt ein ,, Flizer" um die Ecke. Die Tschafos der Polizisten blizen, im Halbdunkel sieht man zwei Zivilisten zwischen ihnen. Und da scheint doch jemand zu liegen? Ein Verwundeter? Ein Toter?
An der Ede stehen Leute und sprechen gedämpft. Man sieht sofort, hier ist etwas los. Hinein in die Cauerstraße. An der nächsten Ecke halten zwei Schupoautos. Die Beamten sind abgefprungen, fragen und suchen. Unter denen, die etwas gesehen haben oder gesehen haben wollen, entsteht schnell eine lebhafte Diskussion. Die Beamten richten die Scheinwerfer auf die Straße;
hülsen gefunden. Hier, noch nicht 100 Meter von der Berliner Straße, hat also die bewaffnete Gruppe gestanden und gefeuert. Die Gegner waren auf der anderen Straßenseite.
Jemand erzählt: Zwei Verwundete hat's gegeben. Einer hatte einen Armschuß und einen Stedschuß im Rüden. Nicht weit vor mir gingen sechs Mann; auf der anderen Seite eine Gruppe von vier Mann. Plötzlich schossen sie wie die Wilden aufeinander los dann waren sie verschwunden. Die Polizei hat nachher noch drei gegriffen."
Die Polizei findet im ganzen 40 leergeschossene Patronenhülsen und sechs volle Patronen. Die Polizei meldet, daß die beiden Schwerverletzten
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Kommunisten sind, daß sie keinen Schüßen ermitteln fonnte und daß sie nicht weiß, ob die Kommunisten auch geschossen haben, da alle Batronenhülfen auf einer Straßenseite gefunden wurden So enthüllt sich der Tatbestand. Sechs und jeder hat seine Naziburschen- ,, Kanone" in der Tasche, die er rücksichtslos handhabt.
Adolf Hitler stößt jeden aus seiner Bewegung, der bewaffnet. ist? Nur schade, daß er nicht jeden bemaffneten SA.- Mann fennt!
Die juristische Sprechffunde fällt des Umzugs wegen am Sonnabend, 11. Februar, aus. Vom Montag, 13. Februar, findet sie wieder Lindenstraße 3, erster Hof, 3. Aufgang, 1 Treppe, statt.
JUD FREITAG, 10. FEBRUAR 1933
lizei festgenommen. Er führte Waffen und Munition bei sich. Wie die polizeilichen Er. mittlungen ergaben, war ein Ueberfall geplant.
Am 28. Juni wurden einige Mitglieder der Kaulsdorfer Arbeiterjugend vor dem Kaulsdorfer Jugendheim von unifor. mierten SA. - Leuten überfallen. Die Polizei nahm mehrere Nationalsozialisten fest. In einem örtlichen Flugblatt der NSDAP . wurden dann die Vorfälle in einen Ueberfall auf einige unserer jüngsten Kameraden" umgelogen! Bon einem Strafverfahren hat man nichts gehört.
Nachdem Hitler Reichskanzler wurde, fühlt sich das politische Strolchtum wieder. In Biesdorf schlugen zwei Nationalsozialisten vor den Schillersälen einen Kommunisten nieder. Als der Kom. munist sich zur Wehr setzte, flüchteten die Natio nalsozialisten zur Polizei und gaben an, sie seien von dem Kommunisten überfallen worden. In Raulsdorf sollten nach einer Mitgliederver. fammlung des Reichsbanners die nach Hause gehenden Teilnehmer überfallen werden. Der Alarm klappte aber nicht und die vom Lokal Brückner aus im Sturmschritt lossausenden SA. - Leute mußten unverrichteter Dinge wieder umfehren. In Mahlsdorf hat der Alarm mir berichten fonnten besser geklappt!
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mie
Es hat sich herausgestellt, daß leider die Gerichte nicht mit erforderlicher Schärfe gegen die natio nalsozialistischen Rowdys vorgehen. Nur wenige Fälle der früheren Jahre sind zur Aburteilung gelangt, und fast immer fielen die Urteile sehr mild aus. Die Erregung unter der republikani. schen Bevölkerung im Berliner Often ist aufs höchste gestiegen. Vor allen Dingen müßte die Schußpolizei schleunigst verstärkt werden, damit den nationalistischen Strolchen das Handwerk gründlich gelegt werden kann.
[ Et dibine
1988
Preisrätselvampyre
Zehntausende betrogen
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Ein Konsortium von elf Angeklagten mit dem mehrfach einschlägig vorbestraften Rauf mann Foersterling an der Spike unter den Angeklagten befinden sich noch mehr einschlägig vorbestrafte Kaufleute, auch ein Fabrikant und ein Dr. jur. hat sich vor dem Landgericht I wegen unlauteren Wettbewerbs und Betruges in vielen tausend Fällen zu verant= worten. Die Verhandlung dürfte mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Ausgangspunkt der Betrügereien war die Spekulation auf die Preisrätsellösungswut weitester Volksschichten, und es war richtig spekuliert worden: Hunderttausende von Mark wanderten aus den Taschen der RätselLöser in die Taschen der Angeklagten.
Der Angeklagte, hervorragender Spezialist in Firmengründungen, eröffnete im Jahre 1931 die Werbezentrale für neuzeitliche Raumkunst"- obgleich er erst vor kurzem einen Offenbarungseid geleistet hatte und feinen Pfennig besaß. Die Firma erließ in einer großen Anzahl von Provinzzeitungen in Preisausschreiben,
denen es u. a. hieß: Die Einsender der richtigen Lösung nehmen teil an der Verteilung der Preise im Gesamtwerte von 5000 Mart. Erster Preis: Motorrad, zweiter Preis: Zimmereinrichtung, es folgen Standuhr, Faltboot, komplette RadioNezanschlußgeräte ,. Staubsauger, Fahrräder, Photoapparate, 100 Gebrauchsgegenstände usw. Die Lösung des Preisrätsels war sehr leicht zu
finden. Es erfolgten viele Einsendungen von rịch tigen Lösungen. Statt des versprochenen Preises erhielten aber die Einsender ein Schreiben, in dem mitgeteilt murde, daß sie bei Einsendung der Berpadungs- und Transporttosten von etwa Mart 9,50 eine Standuhr erhalten mürden oder bei Einsendung von 15 Marf einen Röhrenapparat. Die Standuhr entpuppte sich als einfacher hoher Holzfasten mit einem Becker, der Radioapparat als ganz veraltetes Zeug, mit dem nichts anzufangen war usw. usw. Drängten befonders wißbegierige Einsender darauf zu wissen, mer die ersten Preise erhalten habe, wurde Herrn Foersterling die Sache brenzlich, so verkaufte er schnell seine Firma an einen ebenso tüchtigen Monn wie er selbst es war. Die unter anderem Namen entstandene Firma verpflichtete sich zwar die Verpflichtungen der früheren Firma zu übernehmen, dachte aber gar nicht daran, dies zu tun, sondern begann mit demselben Schwindel von neuem, um im erforderlichen Augenblick die Firma meiter zu pertaufen.
Bedenkt man, daß ein Teil der Angeklagten bereits wegen ganz ähnlicher Preisrätselschwinde leien vorbestraft iſt, ſo ſcheint es unper, ständlich, daß diesen Leuten nicht ein für allemat das Handwerk gelegt werden kann.
ban
Unsicherheit in den Straßen.
In Mahlsdorf haben sich durch das Treiben der nationalsozialistischen Banden Zustände ent mideft, die nur noch als bürgerkriegsahnlich bezeichnet werden können. Es vergeht teine Nacht, ohne daß friedliche Passanten von national sozialistischen Trupps bedroht und angepöbelt
werden.
Nach Schluß einer Mitgliederversammlung maren gestern nacht auf dem Heimwege wiederum mehrfach Sozialdemokraten den Bedrohungen bewaffneter nationalsozialistischer Trupps ausgesetzt. Gegen 412 Uhr wurde hinter heimgehenden Berfammlungsteilnehmern in der Graudenzer Straße und in der Röntgenstraße scharf geschossen. Glücklicherweise wurde niemand verletzt. Leider gelang es aber auch nicht, einen der Täter zu faffen. In der Markgrafenstraße fah fich eine Gruppe von Sozialdemokraten plöglich einem Razitrupp gegenüber. Die Mehrzahl der Burschen zog plötzlich Pistolen. Die ent schloffene Haltung unserer Genossen hielt die Nazis von weiteren Gewalttätigkeiten ab. Beim Erscheinen des Ueberfallkommandos waren die Leute Unter des Dritten Reiches längst ausgeriffen. ihnen wurden jedoch die Gebrüder Großmann, zwei jüngere Naziburschen, genau erkannt.
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Sozialistischer Wahlfieg
An der Deutschen hochschule für Politik fanden soeben die Wahlen zum Hörerausschuß statt. Man durfte dieser Wahl mit besonderem Interesse entgegensehen, da es die ein zige Hochschule ist, an der Politik als Wissenschaft betrieben wird. Die Liste Sozialistische Front" erhielt 122 Stimmen und 2 Mandate, die kommunistische List e 54 Stimmen und Mandat, die Nationalsozialisten 42 Stimmen und 1 Mandat, die als überparteilich getarnte 3entrumsliste 47 Stimmen und 1 Mandat, die Deutschnationalen 20 Stimmen und 1 Mandat. Die Nationalsozialisten nerloren gegenüber der vorigen Wahl 20 Stimmen, die Sozialistische Front" dagegen gewann 20 Stimmen. Dieses Ergebnis, das den Claren Sieg der Sozialistischen Front" zeigt, kann uns nicht überraschen, aber es beweist die Richtigkeit unserer Ansicht: Ueberall da, wo man sich ernsthaft mit Politik beschäftigt, mendet man sich von der NSDA P. ab und entscheidet sich für die Sozialdemokratie.
Zeppelin- Weltfahrten
264 echte Bromsilber- Fotos: Vom ersten Luftschiff bis zu den Reisen des LZ 127 >> Graf Zeppelin. Diese neue und gegenwärtig interessanteste Bilder- Sammlung finden Sie in allen Packungen: Deutschlands weitaus
CLUB beste 3% Pfg- Zigarette
Die Tausch- Bedingungen der bisherigen Bromsilberbilder- Serie werden übermorgen veröffentlicht.