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Morgen- Ausgabe

Nr. 71 A 34 50. Jahrg.

Rebattion und Berlag, Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher 7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabreffe: Sozialbemotrat Berlin

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

SONNABEND

11. Februar 1933

Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 15 ẞf.

Bezugsbebingungen und Anzeigenpreise fiebe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Explosionskatastrophe im Saargebiet

Hunderte von Toten und Verletzten in Neunkirchen Neunkirchen

( Saargebiet), 10. Februar. Am Freitag um 18.10 Uhr ereignete sich hier ein außerordentlich schweres Explo­fionsunglück, das sich in seiner ganzen Ausdehnung noch nicht übersehen läßt. Der größte Gasbehälter des Saar­gebietes, der ein Fassungsvermögen von 120 000 Rubikmetern besitzt, 80 Meter hoch ist, einen Durchmesser von 45 Metern hat und eine Grundfläche von 1550 Quadratmetern besitzt, ist aus bisher noch ungeklärter Ursache in die Luft ge. flogen. Der gewaltige Luftdruck hat große Teile der Stadt und selbst einige Dörfer in der näheren und weiteren Umgebung der Stadt in Mit­Leidenschaft gezogen. Die Straßen sind mit Glasscherben und Dachziegeln dick übersät. Es gibt faum eine Fensterscheibe in Neunkirchen , die nicht zerstört ist. Das Werkgelände ist von Polizei und Gendar­meriebeamten scharf abgesperrt, so daß es noch nicht möglich ist, das Unglück in seiner ganzen Tragweite zu übersehen.

Vor allen Dingen fehlen noch nähere Angaben über die Zahl der Toten und Verwundeten. Soviel steht fest, daß die sospitäler und Krankenhäuser der Stadt Neunkirchen hereits bis zur höchsten Leistungsfähigkeit in Anspruch genommen worden sind. Die Detonation wurde bis nach Mannheim , Karlsruhe , Landau und Heidelberg gehört.

und Verwundete zu beklagen find. Man spricht sogar von nahezu 100 Toten und Ver= wundeten; doch war hierfür noch feine amt­liche Bestätigung zu erhalten.

Die Haupterplosion wurde einerseits bis Köln , andererseits bis Basel vernommen. In Baden hatte man den Eindruck, daß ein neues schweres Erdbeben fattgefunden habe.

Die halbe Stadt zerstört

Neunkirchen , 10. Februar.

Man muß annehmen, daß viele Opfer der Katastrophe unter den Trümmern begraben liegen. Unscheinend hat das Unglüd Opfer nicht so sehr unter den Hüttenarbeitern als unter den Be­

wohnern der angrenzenden Straßen gefordert. Alle Krankenhäuser sind überfüllt. Die Häuser der in der Umgebung der Hütte liegen­den Straßen sind zerstört worden. Der Deckel des 85 Meter hohen Gasometers flog über das etwa 800 Meter entfernte Bahnhofsgelände. Dieses ist derart mit Trümmern bedeckt, daß fein Zug ein­oder ausfahren kann.

Die ganze neue Anlage der Hütte steht in hel len Flammen. Sie ist die modernste des ganzen Saargebietes. Die Neunkirchener Be­völkerung ist in furchtbarer Aufregung. völkerung ist in furchtbarer Aufregung. Ganze Straßenzüge mußten geräumt werden. Da­bei ist es zu mitleiderregenden Szenen gekommen, da kranke und Greise nur unter den größten Schwierigkeiten in Sicherheit gebracht werden.

Nazibekenntnis zum Mord

Nationalsozialistischer Stadtrat billigt den Mord von Staßfurt

Eigener Bericht des Vorwärts"

Stuttgart , 10. Februar.

Die moralische und intelleftuelle Schuld der Nationalsozialistischen Partei an den zahllojen Greueltaten, von denen heute das politische Leben in Deutschland zur Schande des deutschen Volkes begleitet ist, trat in deutlichster Weise in der legten Sigung des Stuttgarter Stadtrats zutage, mo es darüber zu ganz unerhörten Zu­

50 Zote, 1000 Verletzte multigenen fam.

Die Telegraphen- Union erfährt aus Saarbrücken , daß in Neunkirchen bisher 50 Tote und 1000 Verletzte gezählt wurden.

Das Bild der Stadt erinnert an eine schwere Beschießung während des Krieges. Zu den Toten und Schwerverletzten zählen nicht nur zahlreiche Arbeiter und An­gestellte der Belegschaft des Hüttenwerkes, sondern auch Frauen und Kinder aus den umliegenden Häusern. Sämtliche Lastkraftwagen aus Saarbrüden sind mit Tragbahren, Pechfackeln und sonstigen Gerätschaften eingesetzt worden. Sämt­liche Krankenhäuser von Neunkirchen und der Umgebung bis nach Friedrichsthal sind bereits mit Schwerverletten überfüllt.

Durch die Explosion des großen Gasbehälters der Neunkirchener Eisenwerke sind im Werk selbst und in der Stadt Neunkirchen große Ber. müstungen angerichtet worden. Mehrere in

Die Nationalsozialisten hatten die Ueber= Iassung städtischer Turnhallen an Sportorganisationen ihrer Partei beantragt, was den Borsitzenden der sozialdemokratischen Stadt­ratsfraktion veranlaßte, ihnen den blutigen Terror vorzuhalten, zu dem die Jugend in ihren Orga­nisationen erzogen mürde. Er führte u. a. an, daß der Berwaltungsbeamte der Stuttgarter Stadthalle vom Sefretär Reuff der Nationalsozialisten mit Erichie Ben bedroht worden sei, weil er die Stadt­halle pflichtgemäß der Sozialdemokratischen Partei für den 4. März zugefagt hätte, die sich zuerst für diesen Abend anmeldete, während die Na­tionalsozialisten später gefommen seien. Wörtlich habe Reuff gesagt:

,, Wenn wir von Ihnen die Stadthalle nicht für den 4. März bekommen, dann werden Sie erschossen. Die Kugel ist für Sie schon gegoffen!" Und weiter habe er noch erklärt:

,, Wir werden auch am 4. März unfere SS. und SA. in der Stadthalle aufmarschieren lassen und dem Redner die Knochen im Leib zusammenschlagen!"

Im Zusammenhang mit dieser. Mitteilung, die im Stadtratskollegium die größte Unruhe auslöfte, erwähnte der Redner auch die Erschießung des Bürgermeisters pon Staßfurt, worauf der nationalsozialistische Stadtrat Me-

ger rief:

,, Der hat den Richtigen getroffen!"

Dieser Vorfall führte zu einer ungeheuren Steige rung des Tumultes. Der Vorsitzende Oberbürger­meister Dr. Lautenschlager sprach sein Be dauern darüber aus, die unerhörte Bemerkung nur mit einem Ordnungsruf rügen zu können und forderte Metzger wiederholt auf, sie mit dem Aus­druck des Bedauerns zurückzunehmen. Nach langem Zögern verstand sich Megger zu der Be langem Zögern verstand sich Metzger zu der Be­merkung, der Ausdrud sei nicht so gemeint gewesen".

Nunmehr erflärte ein Vertreter des Zentrums, daß seine Fraktion unter den obwaltenden Um­

ständen nicht in der Lage sei, dem Antrag der Nationalsozialisten auf Ueberlassung städtischer Räume an ihre Organisationen zuzuftimmen. So zialdemokraten, Kommunisten und Zentrumsver­treter verließen hierauf geschloffen die Sigung, die dadurch beschlußunfähig wurde und abgebrochen werden mußte.

Einheitsfront

Offener Brief an die kommunistischen Arbeiter

Von Friedrich Stampfer

Tagtäglich wendet sich die KPD . mit öffent­lichen Aufrufen an die fommunistischen Ar­beiter. Also mag hier auch einmal ein Sozial­demokrat zu fommunistischen Arbeitern sprechen.

Ihr wollt die Einheitsfront aller Werk­tätigen gegen den Faschismus, und es gibt feinen unter uns Sozialdemokraten, der die Einheitsfront nicht will. Nur stellt sich leider heraus, daß diejenigen, die von der Einheitsfront reden, ganz verschiedene Dinge

damit meinen.

Wenn in den kommunistischen Aufrufen von der Einheitsfront die Rede ist, so ist da­mit eine Front gemeint, die vonderK PD. befehligt wird, in der die kommunistischen und die sozialdemokratischen Arbeiter gemein­sam marschieren, die Führungen der Sozial­demokratie und der Gewerkschaften aber nichts zu sagen haben.

Eine solche Einheitsfront verdient nicht ihren Namen, sie ist eine leere Illusion. Die Agitation für sie kann kein anderes Ergebnis haben, als daß die KPD. isoliert bleibt und sich höchstens durch ein paar Ueberläufer verstärkt.

In euren Reihen ist das Mißtrauen gegen die Führung der Sozialdemokratie und des ADGB . groß. Bildet euch nicht ein, daß das Mißtrauen der sozialdemokratischen Arbeiter gegen die fommunistische Führung geringer ist! Nur ein Phantast tann glauben, die Mil­lionenmasse der sozialdemokratisch und ge­werkschaftlich geschulten Arbeiter werde eines Tages zur KPD. überlaufen! Wie lange wollt ihr, fommunistische Arbeiter, noch auf den

Tag dieses Wunders warten? Wie lange foll noch im Arbeiterlager über alte Streitfragen diskutiert werden, während der Feind marschiert?

Hand aufs Herz! Die ,, Einheitsfrontparole" eurer Führer war ja immer etwas ganz anderes, als was ihr Name sagt. Sie war eine Parole nicht der Einheit, sondern der Entzweiung, eine getarnte Kampfparole gegen die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften. Unter dauernder Beschimpfung ihrer Führer wurden die sozialdemokratischen Arbeiter aufgefordert, ihre bisherige Ueberzeugung aufzugeben, das alte Vertrauensverhältnis zu lösen und sich der kommunistischen Führung anzuvertrauen. Bis zum heutigen Tage ist die ,, Rote Fahne" von oben bis unten ange­füllt mit unsinnigen Angriffen auf führende Sozialdemokraten und Gewerkschaftler.

Das ist keine echte Einheitsfront! Das ist nur ein Einheitsfront man över. Man spricht vom gemeinsamen Kampf. Gut, schaffen wir die Voraussetzungen für ihn! Truppen, die gemeinsam gegen einen

der Nähe des Gasometers liegende Häuser sind Reichskommissar für Heffen? Ruhe und Ordnung gefährdet und die hessische gemeinsamen Feind kämpfen sollen, dürfen

eingestürzt. In anderen Häusern sind die Decken eingestürzt und haben die Bewohner mit in die Tiefe gerissen. Zahlreiche Personen wurden auf den Straßen durch herunterstürzende Glasscheiben, Dachziegel und Steine schwer verlegt. Ganze Fensterrahmen wurden durch die furchtbare Gewalt der Explosion herausgerissen und durch die Luft geschleudert. Einige Straßen machen den Eindruck, als ob der Krieg gewütet habe. In der Stadt herrscht ungeheure Erregung. Man kann sich noch nicht annähernd ein Bild von dem Ausmaß des Unglüds machen.

Um 19.15 Uhr erfolgte eine weitere Pleinere Explosion, die in einem Umkreis von 20 bis 30 Kilometern um Neunkirchen noth bernommen wurde. Die Zahl der Toten und Ver­wundeten steht noch nicht annähernd fest, da selbst Die Polizeiverwaltung noch feinen Ueberblick ge­winnen fonnte. Es verlautet, daß zahlreiche Tote

Frick erkundigt sich Eigener Bericht des ,, Vormärts

Darmstadt, 10. Februar. Amtlich wird mitgeteilt: Der hessische Innen­minifter empfing am Freitagvormittag in Ber­tretung des zur Zeit in Berlin meilenden Staats­präsidenten den Oberregierungsrat Dr. Medicus vom Reichsministerium des Innern, der im Auftrage des Reichs­ministers Dr. Frid nach Hessen entfandt worden ist, um sich an Ort und Stelle ein Bild von der Lage in Hessen zu machen.

Die Entfendung beruht auf den verschiedenen Mitteilungen, die in den letzten Tagen seit dem Amtsantritt der Regierung Hitler nach Berlin ge= richtet worden sind und dort den Eindruck er­meden mußten, als sei in Hessen die öffentliche

Regierung nicht Herr der Lage.

Der hessische Innenminister hat im Namen der Regierung dem Vertreter des Reichsinnen minifteriums erklärt, daß die hessische Regierung nichts zu verbergen habe. Es sei in Hessen ruhiger als in irgendeinem anderen deutschen Land, und die öffentliche Sicherheit und Ordnung seien nicht im mindesten gefährdet.

Bei den in Betracht kommenden Ausschreitungen handele es sich um Vorgänge geringfügiger Art, was schon daraus hervorgehe, daß es bei den politischen Auseinandersetzungen in Hessen seit dem Amtsantritt der neuen Reichsregierung weder einen Toten noch einen Schwerverletzten gegeben habe Der Vertreter der Reichsregierung betam Gelegenheit, sich an Ort und Steile von den wahren Tatbeständen zu überzeugen. Mit seiner Rückreise nach Berlin ist im Laufe der Abendstunden zu rechnen."

nicht aufeinander schießen.

Solchen Erwägungen entsprang der Ge­danke des Nichtangriffspafts. Som­jetrußland hat mit zahlreichen kapitalistischen Staaten Nichtangriffspatte geschlossen. Wir machen ihm daraus nicht den geringsten Vor­wurf

im Gegenteil! Wir meinen nur, dann müßte ebensogut auch ein Nichtangriffspaft zwischen Arbeiter parteien möglich sein. Ein Nichtangriffspakt zwischen Arbeiter­parteien, das braucht kein Vertrag zu sein mit Artikeln und Paragraphen und Unter­schriften und Siegeln. Es genügt eine Ber­ständigung darüber es fann sogar eine ftillschweigende Verständigung sein- daß man bis auf weiteres alle gehässigen, 3 ersehenden undorganisations= schädigenden Kämpfe beider feits einstellt. Dabei fann jeder bleiben,