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ERSTE BEILAGE

Vorwärts

Das Elend wartet auf..

Mit einem feierlichen Akt wurde gestern am Kaiserdamm die Internatio­ nale Automobil- Ausstellung   eröffnet. Vor den Paradeabteilungen der auf­marschierten SA. schritt der Reichs­kanzler einher, um zu einem illustren Kreis geladener und gesiebter Ehren­gäste zu sprechen. Nach dieser Eröff­nung zogen die SA.- Leute wieder in ihre Quartiere, in die Viertel der Not und des Massenelends. Da stand gestern vormittag eine Ar­beiterfrau bei ihrem Milchmann. Die Frau sagte, sie wüßte nicht mehr, wie­lange sie noch Brot holen könne, es reiche nur noch zu Kartoffeln. Und der Milchmann antwortete: Sie sagen mir nichts Neues, Frau Nachbarin. Milch kommt schon keiner mehr kaufen, jetzt brauche ich auch von Woche zu Woche weniger Brot bestellen; ich weiß, die halbe Straße hier lebt nur noch von Kartoffeln. Wie sollen es die Leute auch anders machen." Ungeheuerlich steigt die Not das Elend wartet auf.

Vom Hunger zur Grippe Inzwischen bekommen die Berliner   Unter­ftügungsempfänger wahre Kartoffelbäuche. Es dürfte eine Million nicht mehr ausreichen, zählt man die Erwerbslosen, die Altersrentner, die Kriegerhinterbliebenen, die Unfallrentner und die Kleinrentner der Reichshauptstadt zusammen. Und schlägt man zu jedem dieser Menschen nur einen einzigen Familienangehörigen, dann haben wir bereits zwei Millionen Menschen, das ist die halbe Einwohnerschaft Berlins  , die in der Haupt­fache von Kartoffeln lebt und für die eine Steige­rung des Kartoffelpreises nur um einen Sechser entweder bedeutet, daß sie am heutigen Sonntag in der falten Stube ſizen müssen oder am morgigen Montag sich nicht mehr zwei trockene Schrippen zum Frühstück leisten können. Und erlebten wir nicht diesen jammerhaften Ernährungszustand der Bevölkerung, dann wären die Menschen auch nie­mals so anfällig für die Grippe gewesen wie in

diesem Winter. Vom Hunger zur Grippe ist nur ein furzer Schritt. Selbst die bürgerliche Wissen­schaft beginnt eindeutig vor diesem Weg in den Abgrund zu warnen. Die Professoren v. Tyszka, Achner und Lehmann haben den bündigen Beweis erbracht, daß die Arbeitslojenunterstützung in Deutschland   nicht ausreicht, um den arbeitslojen Familien im allgemeinen den Kauf von Nahrungs­mitteln in genügender Menge zu ermöglichen. So haben diese Wissenschaftler vor einiger Zeit einmal die Verbrauchsverschiebungen untersucht, die der Lohnabbau hervorgerufen hat. Darüber hinaus ist auch der Unterstützungsabbau unter­sucht worden, und zwar bei einer Erwerbslosen­familie, die bisher rund 1200 M. Unterstützung pro Jahr bezog, der dann aber die Unterstützung auf rund 800 M. gekürzt wurde.( Das ist un­gefähr die Summe, von der heute ein Wohlfahrts­erwerbsloser mit Frau und Kind seine gesamten Lebenshaltungskosten bestreiten muß.) Dieser Ab­bau hatte zur Folge: sofort sank der Butter­verbrauch um 19 Proz., der Weißbrotverbrauch um 13 Proz., der Eierverbrauch um 12 Proz., der Milch, Fleisch- und Gemüseverbrauch um je 11 Proz., der Fleisch- und Käseverbrauch um je 7 Broz und schließlich der Fischverbrauch um 6 Proz. Aber demgegenüber stiegen der Verbrauch an Margarine um 11 Proz., der Verbrauch an Schmalz um 10 Proz., an Roggenbrot um 7, an Zucker um 6 und an Kartoffeln um 2,3 Prozent. Wir sehen: jede dem Erwerbslosen genommene Mart zwingt ihn, den auf die Dauer immer gesundheitsschädlicheren Weg von den hoch­wertigen eiweißhaltigen Nahrungsmitteln zu den geringwertigen kohlehydrathaltigen Nahrungs­mitteln zu gehen.

Da liegt auch das Zeugnis eines Konjum­vereinsleiters in einer deutschen   Großstadt vor, und zwar hat jener Konsumverein 36 000 Mit­glieder. Unter dem Einfluß der Krise sank der Nahrungsmittelumjazz dieses Vereins um rund 30 Proz., aber der Umsatz an Brot und Kar­toffeln blieb unverändert! Dafür ging der Butter­umsag um 50 Proz. zurück, jedoch der Margarine­umfah stieg sofort um 50 Pro3. Selbst der Ber­brauch von Fleischsorten, die nur 70 Pf. je Pfund toften, finft unaufhaltsam, dagegen stieg der Kon­fum einer neu eingeführten Leberwurst für 50 Pf.

je Pfund in kurzer Zeit um 80 Broz. Und eine ganz gefährliche Entwicklung: in diesem Konsum­verein sank der Gemüseverbrauch um 30 Proz.; auch die oben zitierte Erwerbslosenfamilie ließ nach dem Unterstützungsabbau unmittelbar den Verbrauch an grünem Gemüse um 11 Proz. ab­sinken, also: nicht einmal mehr den nackten Kohl­topf können die armen Erwerbslosen erschwingen!

Vor der Exmission

Zu der Ernährungsnot kommt die Woh= nungsnot. Wir stehen gegenwärtig vor einer Ermissionswelle, die für Berlin   beispiellos sein wird. Denn alle die Hauswirte, die den Erwerbs= losen bisher in seiner Wohnung beließen, auch wenn er ein paar Monate die Miete rückständig war, diese Hauswirte drängen jetzt ebenfalls zur Ermission. Denn die Hauswirte finden heute einen Mieter auch für das erbärmlichste Loch von Woh­nung; wenn der arme ermittierte Erwerbslose seine Sachen auf einen Karren lädt, dann steht schon ein anderer, der aus einer Zweizimmer­wohnung fommt, mit seiner Habe bereit, um in die Einzimmerwohnung des Ermittierten für 25 Mark einziehen zu können.

Den größten Notstand haben bisher die 20 in Berlin   vorhandenen und von den Marristen ge­schaffenen Wohlfahrtsämter auszugleichen gewußt. Ganz selten, daß mal eine Familie für ein paar Tage ins Asyl mußte; in der Mehrzahl aller Fälle wurde mit Mietbeihilfen eingegriffen, eine neue Kleinwohnung verschafft und einige Mark

SONNTAG, 12. FEBRUAR 1933

für den Umzug bewilligt. Ohne die Wohlfahrts­ämter, ohne die Arbeitslosenunterstützung, ohne die gesamte Sozialversicherung wäre Deutschland  vielleicht heute schon ein Trümmerhausen. Aber dennoch: es ist schlimm, sehr schlimm, ermittiert zu werden. Auf einer Stempelstelle unterhielten sich dieser Tage zwei Erwerbslose darüber; was der Ermittierte erzählte, sei wörtlich hierhergesezt: ,, Das war ein Theater", sagte er. Für den Um­zug hatte ich 12 Mark von der Wohlfahrt erhalten, das langte gerade für den Kohlenhändler mit seinem Wagen. Tragen half mein Schwager. Nun mußt du aber einmal sehen, in welchem Zustande Wohnungen sind, die Ermittierten zugewiesen werden. Verrostete Wasserleitungen ist man ja gewohnt, aber wenn bei der Kochmaschine am oberen Rand der Haltering gerissen ist und alle Kacheln schief liegen, dann ist das schlimm. Und die Wände schwarz wie die Nacht, die Dielen feucht und verdreckt; zuletzt hatte eine alte sieche Frau in der Wohnung gehaust. Wir mußten uns mun die Wohnung machen, aber wie? Mein Schwager und ich, wir zählten beide unser Geld, aber zusammen hatten wir nur 2,56 Mart. Das mindeste, was wir brauchten, waren 3,75 Mark. Wir brauchten unbedingt 15 Pfund Gips zum Verschmieren der Löcher, das machte 75 Pf., und wenn wir uns sehr einschränkten, für das Material zum Weißen von Wand und Decke einen Taler. Und was geschah? Ich nahm meinen Trauring, das letzte Versatzstück, und trug ihn auf die Pfand­leihe. Drei Mark bekam ich dafür. Glaubst du, daß ich den Ring jemals wieder werde einlösen können? Woher soll ich denn einen übrigen Taler haben? So geht es einem nun seit 1929: stem­peln, stempeln, nichts als stempeln. Wo soll das enden?"

Opferfuche im Trümmerfeld

Bisher 72 Tote in Neuenkirchen geborgen

Neunkirchen  , 11. Februar.

Wie die Polizeiverwaltung Neunkirchen  auf Anfrage mitteilt, sind bis in die Nach­mittagsstunden gegen 17 Uhr 72 Tote des Gasunglücks festgestellt worden. Man rechnet noch mit 100 Toten, da eine große Anzahl Opfer unter den Trümmern der Unglücksstelle vermutet werden und auch viele Schwerverlette kaum mit dem Leben Savonkommen dürften. Eine genaue Zahl der Schwer- und Leichtverletzten war bis­her noch nicht einwandfrei festzustellen. Nachdem der Hauptschutt der zusammen­gestürzten Wohnhäuser hinweggeräumt ist, stellt sich heraus, daß ganze Fami­lien unter den

zusammengestürzten Häusern begraben worden sind. Am Sonnabendmorgen wurde eine Frau mit ihren vier Kindern tot geborgen. Eine Lehrersfrau, die in ihrem Hause ziemlich weit von der Explosionsstätte entfernt mit Fensterputzen beschäftigt war, wurde 80 Meter vom Hause entfernt zerschmet­tert aufgefunden.

Die Verwaltung des Neunkirchener Eisenwerks teilt über das Explosionsunglück u. a. mit: Die Koferei mußte stillgelegt werden, da das Neben­

produktewerk vollständig zerstört ist. Der Hoch­ofenbetrieb geht in beschränktem Umfang weiter. Man hofft, in etwa 8 Tagen auch die Betriebe des Stahl- und Walzwerks wieder aufnehmen zu können. Das Werf hat sofort die erforderlichen Mittel für die notwendigste Speisung und klei­dung hergegeben. Die Regierungskommission des Saargebiets hat 500 000 Franken zur Ber­fügung gestellt. Jede Familie, die einen Toten oder Schwerverletzten hat, bekommt 1500 Franken. Die Beerdigung wird wahrscheinlich am Dienstag auf Staatstoffen stattfinden. Für die Unterbringung der Obdachlosen ist ge­forgt. Es ist überhaupt jede mögliche Maßnahme getroffen, um die Schwere des Unglücks zu mildern.

Flaggen halbmast

Amtlich wird mitgeteilt: 3um Zeichen der Trauer um das Unglück in Neunkirchen   setzen auf Anordnung der Reichsregierung, der kommissari schen preußischen und der bayerischen Staatsregie­rung am Sonntag, 12. Februar, und am Tage der Beise zung der Opfer die öffentlichen Gebäude in Preußen und der bayerischen Pfalz   die Flaggen auf halbmast.

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