Morgen- Ausgabe
Nr. 75 A 36 50. Jahrg.
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Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
DIENSTAG
14. Februar 1933
Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils
Bentralorgan der Sozialdemokratischen Bartei Deutschlands
Die Schmalzpreise steigen
Die erste Tat der Hitler- Hugenberg- Regierung wirkt sich aus
Die von der Hitler- Hugenberg- Regierung vertündete Erhöhung der Schmalzzölle foll erst am 15. Februar in Kraft treten. Schon jetzt aber sind die Preise gewaltig gestiegen, pro Pfund um 10 bis 11 Pfennig. Statt jeder Stellungnahme geben wir im folgenden einen Bericht vom Schmalzmarkt:
Am deutschen Schmalzmarkt find die Großhandels- und auch die Kleinhandelspreise im Steigen begriffen. Der Großhandel weist darauf hin, daß die Bestände infolge der Ende des verflossenen Jahres eingetretenen Kontingentierung( Drosselung) der Schmalzeinfuhr äußerst gering sind und ihn die vorhandenen geringen Bestände vom Kleinhandel sozusagen aus den Händen gerissen werden. Auf dem Ber= liner Markt haben sich die Preise vom Donnerstag verflossener Woche bis zum Montag dieser Woche um 21 bis 22 Mart pro Doppelzentner erhöht. Die Berliner Großhandelsnotierung für Schmalz weist folgende Entwick lung auf:
am 31. 12. 32, vor der Kontingentierung kostete 1 Zentner Schmalz 49-50 Mart, am 8. 2. 33, vor der Veröffentlichung der Schmalzerhöhung foftete 1 3enter Schmalz 46-47 Mart,
am 11. 2. 33, nach der Veröffentlichung der Schmalzzollerhöhung kostete 1 Zentner Schmalz 57-58 Mark.
In der Fachwelt zweifelt man nicht daran, daß sich die Schmalzzollerhöhung voll auf den Konsumenten abwälzt. Es wird darauf verwiesen, daß Amerika , der größte Schmalzlieferant, seine Mitte des Jahres 1932 immerhin beträchtlichen Bestände in Mittel- und Nord amerika und auch in europäischen Ländern z. B. in Spanien untergebracht hat. Andererseits haben sich die amerikanischen Schweinebestände verringert, so daß auf dem Weltmarkt in 3ukunft der Nachfrage ein verringertes Angebot gegenüberstehen muß, was sich auch in höheren Preisen auswirken wird.
Nazis für Schmalzverteuerung
Die erste Tat des Kabinetts Hitler war die Verteuerung des Schmalzes um 20 Pfennig.
Was sagt der Angriff" des Herrn Goebbels dazu? Tobt er gegen diese Hunger- Notverordnung wie im vorigen Jahre gegen den jetzigen Bundesgenossen Papen ? O nein, am 11. Februar ſtellt er sich bedingungslos hinter die Regierung. Er schimpft auf die„ Gazetten jüdischer und margistischer Prägung", und bringt
Ein miẞglücktes Interview
Das erste persönliche Interview, das Adolf Hitler seit seiner Ernennung zum Reichskanzler einem ausländischen Journalisten gegeben hat, dürfte nicht geringe außenpolitische und vielleicht auch innerpolitische Weiterungen nach sich ziehen. Denn in diesem von einem englischen Oberst a. D. Etherton im Sunday Expreß " von gestern veröffentlichten Interviem stehen Säße, die bereits außerhalb Deutschlands , vor allem in Polen , die größte Aufregung verursacht haben, insbesondere die Stelle:
„ Ich finde, daß mit Hinsicht auf die dort lebende deutsche Bevölkerung, ganz abgesehen von anderen Gründen, der polnische korridor uns zurüdgegeben zurüdgegeben werden muß."
Innerpolitisch dürfte, namentlich bei den monarchistischen Roalitionspartnern Hugenberg und Bapen, folgende im ,, Sunday Expreß " abgedrudte Stelle nicht geringe Bestürzung hervorrufen:
,, Von einer Rüdkehr der Hohen zollern fann überhaupt nicht die Rede sein. Wenn wir Republik gegen Monarchie zur Entscheidung stellen würden, wäre dies ein neuer Grund zur Spaltung und zu ununterbrochenen Unruhen zu einer Zeit, in der es unumgänglich notwendig ist, daß wir ein geeintes Ganzes bleiben, bis wir wissen, wo wir stehen."
Leider wird gerade diese sehr vernünftige Aeußerung Adolf Hitlers de mentiert und zwar deshalb, weil sie nicht in dem mit dem Obersten Etherton vereinbarten schriftlichen Text steht.
Ob diese Aeußerung in der mündlichen Unterredung gefallen ist, das zu untersuchen verbietet uns selbstverständlich unser unbedingter Respekt vor amtlichen Dementis.
Das Gleiche gilt für den Satz bezüglich des polnischen Korridors, der in Warschau bereits etwas reichlich aufgeregt als eine„ Kriegserklärung" bezeichnet wird.
An zuständiger Stelle wird erklärt, daß die Unterredung zwischen Hitler und Etherton bereits am 7. Februar stattgefunden hat, und zwar für die„ Daily Mail" bezw. für die Blätter des Rothermere- Konzerns. Warum der Oberst Etherton mit seiner Sensation zur Konkurrenz
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gegangen ist und das Interview in einem Blatt des Beaverbrook Ronzerns veröffentlicht hat, entzieht sich unserer Kenntnis, ist aber für die Beurteilung des Tatbestandes ziemlich nebenjächlich. Im übrigen wird man abwarten müssen, ob der Oberst a. D. Etherton etwas zu diesem amtlichen deutschen Dementi zu bemerken hat. Wir für unseren Teil haben einstweilen nur zu bemerken, daß der neue deutsche Regierungschef bisher keine sehr glückliche Hand mit seinen für die englische Bresse bestimmten Aeußerungen ge= zeigt hat, nachdem bereits in der vergangenen Woche seine angebliche in der„ Times" wiederge= gebene fritische Aeußerung gegen die antienglische Tendenz des Hugenbergschen U- Boot- Films Morgenrot" alsbald dementiert wurde. Hier liegt nun er zweite Fall nachträglich dementierter Aeußerungen vor.
Und die Moral von der Geschichte:
Kanzler schmälen ist nicht schwer, Kanzler sein dagegen sehr." Kriegsgeschrei in Polen
Eigener Bericht des ,, Vorwärts"
Warschau , 13. Februar. Die außenpolitischen Erklärungen Hitlers an ein englisches Sonntagsblatt haben die polnische Deffentlichkeit alarmiert. Die Rückgabe des polnischen Korridors wird in der gesamten polnischen Presse als„ 3ynische Provokation" bezeichnet und die polnische Regierung aufgefordert, unverzüglich Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Die nationalistische Presse malt bereits einen Krieg zwischen Polen und Deutsch land an die Wand. Der„ Krakauer Juustrierte Kurier" dankt Hitler , daß er das wahre Antlitz Deutschlands enthüllt und auf diese Weise auf die Gefahr aufmerksam gemacht habe, die der Welt von feiten des grenzenlosen deutschen Imperialismus drohe". Das Abendblatt„ ABC" schreibt:„ Wir haben vom deutschen Kanzler anstatt seiner angekündigten Friedensdeklamation eine entschiedene Ankündigung des Krieges gehört. Diefe Provokation darf nicht unbeantwortet bleiben." Das gemäßigte Rechtsblatt ,, Kurjer Warszawski" erklärt, daß eine Durchführung der Hitlerschen Ankündigung nur den Krieg bedeuten könne. Das Regierungs
Statistiken über Preise und Einfuhr, sogar zwei Schaubilder( und liefert zu einem einen falschen Tert!), um mit Emphase festzustellen:„ Das Reichskabinett unter der Führung von Adolf Hitler hat diesem Notstand wenige Tage nach der Machtübernahme ein Ende gemacht, indem die Einfuhr abgestoppt wird, der Binnenmarkt der Landwirtschaft gesichert und so dem Preisverfall Einhalt geboten wird."
Das Wort Arbeitslose oder Arbeitslosigkeit tommt überhaupt nicht vor. Die Not der städtischen Massen existiert für den„ Angriff" nicht. Da tann er natürlich auch nicht wissen, daß die Kauffraft der Arbeiter allein über die Preise von Vieh und Fleisch entscheidet. Daß die deutschen Bauern Deutschland mit Schweinefleisch überschwemmen müßten, um die bisher eingeführten Schmalzmengen zu produzieren, wird unterschlagen. Aber das wird ja nicht eintreten, da kein Arbeitsloser statt des eingeführten Schmalzes zu 43 Pfennig Deutschlands Schmalz zu 85 Pfennig das Pfund faufen kann; er darf eben überhaupt kein Schmalz mehr essen.
Wir stellen fest: Die Nationalsozialisten preisen die Schmalzverteuerung als ihre erste Tat. Sie lausen dem demagogischen Landbund nach; die Interessen der großstädtischen Arbeiter bevölkerung sind ihnen völlig gleichgültig.
blatt„ Expreß Poranny" sieht in dem Interview einen innerpolitischen Ablentungsverfuch Hitlers , der angesichts seiner Unfähigkeit, den Massen Brot und Arbeit zu geben, diese mit dem Blockwort„ korridor" abfpeifen möchte.
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Es bleibt nun abzuwarten, ob sich die Aufregung in Warschau legen wird, wenn man dort erfährt, daß inzwischen in Berlin die Stelle des Interviews über den Korridor amtlich dementiert worden ist, da sie nicht in dem schriftlich vereinbarten Text steht.
Bedauerlich ist es allerdings, daß nichtsdestoweniger ein der Reichsregierung nahestehendes Blatt wie die ,, Kreuz- 3eitung", die befanntlich jetzt Organ des Stahlhelm ist, diese amtlichen Beschwichtigungsversuche durch kreuzt.
Die amtliche Erklärung der Wilhelmstraße hat nämlich die Kreuz- Zeitung " nicht gehindert, in großer Aufmachung zu verkünden: Hitler
fordert den Korridor zurück." Damit wird von einem Regierungsblatt den polnischen Kriegstreibern förmlich in die Hände gespielt und das Argument geliefert, das Dementi der Wilhelmstraße sei nicht aufrichtig oder nicht ernst gemeint. Die Regierung möge an diesem Beispiel ertennen, daß eine andere Aufgabe viel wichtiger ist, als in der Oppositionspresse nach etwaigen Berbotsgründen zu suchen, nämlich im eigenen. Presseladen nach dem Rechten zu sehen und dafür zu sorgen, daß die deutsche Außenpolitik nicht durch derartige Entgleisungen wie in der Kreuz- Zei tung " gefährdet wird.
Was sich am letzten Sonntag in Eisleben ereignet hat, ist mehr als ein bloßes Lokalereignis. Denn das, was dort ge= schehen ist, kann jeden Tag wo anders in Deutschland auch passieren, zum mindesten in denjenigen Ländern, in denen die Nationalsozialisten in ausschlaggebende Machtpositionen eingerückt sind.
Das Haus des kommunistischen Klassentamps" ist zerstört, feine Fensterscheibe ist ganz, das ganze Mobiliar in Stücke geschlagen. Die dahinterliegende Turnhalle der tommunistischen Sportorganisation bietet dasselbe Bild vandalischer Zerstörung. In den Krankenhäusern liegen zwei leichtverletzte Nationalsozialisten und 18 verlegte Kommunisten, davon vier schwer. Einer von ihnen ist der kommunistische Stadtverordnete Bernhard Koenen aus Halle, der eine schwere Kopf- und Augenverlegung davongetragen hat. Auch die anderen Schwerverletzten weisen Gehirnerschütterungen und Brüche der Schädelbasis auf, die von schweren Schlägen herrühren. Die Nachricht, daß sich unter den Schwerverletzten auch Kinder befinden, hat fich glücklicherweise nicht bestätigt. Ein Nationalsozialist ist seinen Verletzungen erlegen. Wie ist es zu diesem grauenhaften Vorfall gekommen? Die Nationalsozialisten behaupten, es sei aus dem Hause des ,, Klassenkampf" auffie geschossen worden. Diese Behauptung ist nachweislich unwahr. Sie ist erst nachträglich aufgestellt worden, um die eigene Schuld zu be
Berlin bleibt cot!
Unsere nächsten öffentlichen Partei- und Betriebs- Veranstaltungen:
7. Kreis
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Charlottenburg : Donnerstag, den 16. Februar, 20 Uhr, im Türkischen Zelt, Charlottenburg , Berliner Str. 53. Referent: Erich Lübbe , M. d. R.
10. Abt.
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Tiergarten: Freitag, den 17. Februar, 19.30 Uhr, Eiserne- Front- Versammlung im Schultheiß- Patzenhofer, Turmstr. 26. Referent: Kurt Heinig , M. d. R. 22. Abt. Wedding : Mittwoch, den 15. Februar, 19.30 Uhr, in der Hochschulbrauerei, Amrumer-, Ecke Seestr. Referent: Dr. Kurt Löwenstein , M. d. R.
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23. Abt. Wedding : Mittwoch, den 15. Februar, 19.30 Uhr, im großen Saal der Hochschulbrauerei, See-, Ecke Amrumer Straße. Referent: Karl Litke, M. d. R.
124. Abt.
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Mahlsdorf : Dienstag, den 14. Februar, 19.30 Uhr, bei Anders, Mahlsdorf , Bahnhofstr. 35/37 ,,, Gegen Bürgerkrieg und Terror für ein freies, sozialistisches Deutschland ". Referent: Dr. Kurt Mischler.
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Loewe Radio und Bewag: Dienstag, den 14, Februar, 16.15 Uhr, Belegschaftsversammlung der Eisernen Front im Viktoriagarten, Lankwitz , Siemens-, Ecke Viktoriastr. Referent: Karl Litke, M. d. R.
82. Abt.
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Steglitz : Donnerstag, den 16. Februar, 20 Uhr, Kundgebung in der Aula des Gymnasiums, Steglitz , Heesestr. 15. Referent: Dr. Richard Lohmann. Knorrbremse: Donnerstag, den 16. Februar, 15% Uhr, Fraktionsversammlung mit Sympathisierenden bei Fiedler, Lichtenberg , Sonntag- Ecke Ludwig- LehmannStraße. Referent: Max Heydemann, M. d. L.
85. Abt. Tempelhof : Sonnabend, den 18. Februar, 20 Uhr, in der Aula des Realgymnasiums, Tempelhof , Kaiserin- Augusta- Straße. Referent: Dr. Richard Lohmann.