Einzelbild herunterladen
 

Morgen- Ausgabe

Nr. 77 A 37 50. Jahrg.

Rebattion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher 7 Amt Donhoff 292 bis 297 Telegrammadresse: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

MITTWOCH

15. Februar 1933

Jn Groß Berlin 10 Bf. Auswärts....... 15 Pf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß bes rebattionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Sonderkommissar für den Westen

Polizeikommandeur wird Vorgesetzter der Oberpräsidenten

Eigener Bericht des Vorwärts"

Düsseldorf , 14. Februar, Der Reichskommissar Göring hat mif fofortiger Wirkung bis über die Wahlzeit hinaus den Höheren Polizeiführer West, Polizeikommandeur Stieler von Heydekamp als dem Reichskommissar unmittelbar unterstellten Sonderfom­missar mit besonderen Vollmachten für die Provinzen Rheinland und Westfalen be­stimmt.

Sämtliche Anordnungen des Sonderkom­missars ergehen im Namen des Reichs­tommiffars. Die einheitliche Leitung der ge­famten staatlichen und fommunalen Polizei und der Landjägerei in beiden Provinzen liegt in seiner Hand. Alle Behörden haben Anforderungen von Polizeifräften unver­züglich Folge zu leisten.

Der Polizeikomandeur Stieler von Hendekamp, ein rechtsstehender Polizeiofizier, der, von Bracht berufen, bisher als höherer Polizeiführer West nur mehr oder weniger die Aufgaben eines In­spekteurs der Schußpolizei im Westen wahrzu­nehmen gehabt hatte, ist damit zum Polizeige­waltigen für ganz Westdeutschland ernannt worden. Dadurch sind nicht nur jämtliche örtlichen zivilen Inhaber der Polizeigewalt, sondern auch die Land­räte und Regierungspräsidenten diesem Polizei­offizier unterstellt, der in polizeilichen Angelegen­heiten von nun an auch den beiden dem 3entrum angehörenden Oberpräsi denten in Koblenz und Münster An= ordnungen geben kann. Seine Befugnisse sind die gleichen, wie sie der Reichskommissar Göring als Leiter des preußischen Polizei­

ministeriums inne hat. Genauere Mitteilungen über seine besonderen Vollmachten" fehlen. Welche besondere Veranlassung der Reichskom­miffar Göring für die Einsehung eines polizei­lichen Sonderkommissars gerade für diese beiden preußischen Provinzen hatte, wird nicht mitgeteilt und ist auch nicht bekannt geworden. Falls es aber auch richtig sein sollte, daß Stieler von Heyde­tamp ermächtigt sei,

nötigenfalls als Rückhalt für die Polizei An­gehörige der S2. und SS. sowie des Stahl­helms heranzuziehen,

10 müßte gegen einen derartigen Plan schärfster Protest erhoben werden. Die Bevölkerung in diesem größten europäischen Industriegebiet unter­scheidet sich in ihrer Zusammensetzung nicht un­wesentlich von der manchen Gebieten Ostelbiens. Eine Heranziehung der rechtsgerichteten Wehrver­bände zu polizeilichen Aufgaben müßte erst recht zu einer schweren Erschütterung des Vertrauens in die unparteiische Handhabung der Polizeiere­futive führen und dadurch statt zur Beruhigung zur Erregung der Bevölkerung beitragen.

Man hat hier den Eindruck, daß Berlin bei der Behandlung des deutschen Westens genau den­selben psychologischen Fehler begeht, den es bei der Behandlung des deutschen Südens be= gangen hat.

Der Kampf um die Aemter

Auch der gestrige Tag brachte neue Beur­laubungen leitender preußischer Beamter. So wurde die bereits angekündigte Entfernung des Leiters der Polizeiabteilung im preußischen Innen­ministerium, Ministerialdirektor Dr. Klausener, durchgeführt. Von einer Wiederverwendung im

Leiparts Warnung

,, Kampf auf Tod und Leben"

Der Vorsitzende des Algemeinen Deutschen Ge­werkschaftsbundes, Genosse Ceipart, beschäf­figte sich gestern abend in einem Vortrag, den er in der Hochschule für Politik über die Stellung der Gewerkschaften in Staat und Wirtschaft hielt, auch mit der gegenwärtigen polifischen Lage. Er führte dabei u. a. aus:

,, Es liegt die Gefahr sehr nahe, daß die begonnene Eingliederung der Arbeiter in den Staat wieder völlig zerstört wird. Die jüngsten offiziellen Reden im Rundfunk und im Sportpalast laffen taum noch 3weifel daran, daß die Kräfte, denen heute die Macht im Staate ausgeliefert ist, diese Absicht verfolgen.

Diese Reden können nicht anders als eine Kampfanfage an die organisierte Arbeiter­schaft aufgefaßt werden.

Es zwingt mich die Berantwortung vor der Zu­funft, zu sagen, daß diefer angedrohte Kampf, wenn er mit Gewaltmaßnahmen eingeleitet wird, nicht ohne allerschwersten Schaden vom deutschen Volk wird ertragen werden können. Es mürde bei dem Freiheitswillen und der Entschlossenheit der deutschen Arbeiterschaft ein kampfauf Tod und Leben werden, dessen furchtbare Folgen die jetzigen Machthaber im vor­aus abschreden müßten."

Limfturz im Reichsrat

Die Kommissare des Reiches für Preußen" haben als neue Vertretung des preußischen Staates im Reichsrat folgende, Per­sonen benannt:

Als Bevollmächtigte des preußischen Staates: von Papen, Göring , Popig, Hugenberg, Hölscher und Rust .

Als stellvertretende Bevollmäch tigte im Hauptamt: Staatssekretär Dr Nobis, die Ministerialdirektoren Dr. Landfried, Schüße, Neumann, Dr Hog( Finanzministerium) und Hauptmann a. D. Körner( Ministerium des Innern).

Die Kommiffare des Reiches" haben weiter be= schlossen, die Ministerialdirektoren Dr. Badt, Brecht und Coßmann in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.

Das Urteil des Staatsgerichtshofs. vom 25. Oftober sagt:

,, Dem Reichskommissar fonnte weder diese Befugnis( nämlich das Recht, Anweisungen über die Ausübung des Stimmrechts an die Reichs­ratsbevollmächtigten zu geben. D. Red.) noch das Recht übertragen werden, die bisherigen Bevollmächtigten im Hauptstande in den einst­weiligen Ruhestand zu setzen noch neue Bevoll­mächtigte zum Reichsrat zu ernennen." Die diktatorische Einsegung von Reichsrats= bevollmächtigten durch die preußische Kommis jariatsregierung stößt bei der bayerischen Regierung auf den allerschärfsten Widerstand. Ste wird deshalb in der Donnerstagsizung des Reichsrats die neuernannten preußischen Reichs ratsmitglieder nicht als wirtliche Bevoll

Reichsverkehrsministerium, die für diesen dem Zen­trum angehörenden Beamten, der auch Leiter der fatholischen Aktion ist, ist nicht mehr die Rede. Gleichzeitig mit ihm ist sein Stellvertreter, der rechtsgerichtete Ministerialdirigent Gräser, be­urlaubt worden. Aus der Provinz kommt die Nachricht, daß der Regierungspräsident von Arns. berg, Genosse König, auf Urlaub gehen mußte.

Am gestrigen Tage waren beim Reichskom­missar Göring sämtliche preußischen Ober- und Regierungspräsidenten zu einer Besprechung ge­

laden.

Die schwierigste Aufgabe wird den neuen Herren am heutigen Tage erwachsen, denn von den Maß­regelungen des Herrn Göring find betroffen: ein Ministerialdirektor, zwei Ministerialdirigenten, ein Oberpräsident, vier Regierungspräsidenten, drei Regierungsvizepräsidenten, dreizehn Polizeipräsi denten, ein Oberregierungsrat als Vertreter eines Polizeipräsidenten, fünf Bolizeiobersten, zwei Po­lizeioberstleutnants, zwei Polizeimajore... und da wird in der heutigen Sigung der Kommissariats­regierung die Einigkeit der nationalen Front bei der Neubesetzung sicherlich Triumphe feiern. Zur Beurlaubung" von 17 Sozialdemokraten,

7 Staatsparteilern, 4 Angehörigen des Zen trums, 3 Deutschen Wolfsparteilern und- 3 Deutsch nationalen brauchte Herr Göring die Genehmigung des Herrn v. Papen nicht. Vielleicht werden sich die preu­Bischen Kommissare sogar darüber einigen, sämt­liche burlaubte Herren, soweit sie dazu beamten­rechtlich überhaupt imftande sind, zur Disposition zu stellen, denn dadurch werden ja Stellen frei und man braucht freie Stellen. Bloß auf die Einigung über die Neubesetzung sind wir neu­gierig.

mächtigte anerkennen und bei der für Mittwoch im Gebäude der bayerischen Gesandt­schaft in Berlin angesezten Borbesprechung der süddeutschen Regierungen einschließlich Hessens Sachsens und der Hansastädte in der gleichen Richtung ihren Einfluß geltend machen.

Die bayerische Regierung begründet ihre Hal­tung mit folgender Rechtsauffassung: Ein Reichsrat, in dem die der preußischen Staats­regierung unmittelbar zustehenden Reichsrats­stimmen von einem Reichsorgan in­struiert werden, ist fein Reichsrat mehr, wie er in der Reichsverfassung vorgesehen ist. Der Reichsrat ist ausschließlich ein Organ der Länder.

Polizei im Reichstag! Kommunistischer ,, Hochverrat"

Gestern abend nahm die politische Polizei, wie offiziös gemeldet wird, wegen dringenden Ber­dachts vorbereitender Handlungen zum Hoch­verrat eine Durchsuchung in den Räumen des Reichstages vor, in denen eine fommuni­stische Bersammlung von Angestellten und Betriebsvertretern tagte. Es wurde in den durch­fuchten Räumen Material beschlagnahmt. Und der Ueberwachungsausschuß? Und Frank II?

Grubenunglüd!

Zehn Bergleute verschüttet

Hindenburg , 14. Februar Auf der Königin- Cuife- Grube, Offfeld, ging jeute abend gegen 20 Uhr auf der 340- Meter­Sohle ein Pfeiler zu Bruch. Dabei wurden zehn Bergleute verschüttet. Zur Zeit geben zwei der Berschüffeten Lebenszeichen. Die Rettungsarbeiten find fofort aufgenommen

worden.

Nein! Nein! Nein!

Deutschland ist nicht Italien !

Ist Deutschland Italien ? Die Patent­deutschen wollen italienische Zustände in Deutschland einführen. Ihre Zeitungen schreien im Lande, daß fie nicht ,, über Zwirnsfäden stolpern" sollen. Die Zwirnsfäden, das sind die Vorschrif= ten der Verfassung, es sind die politi­schen Rechte des Volkes, das Recht des Reichstags. Die Gelüste zum offenen Bruch der Verfassung sind offenkundig. Der Terror soll von den Straßen in die Parlamente ge= tragen werden, bis die Volksvertretung zu einer bloßen Kulisse vor der reinen Gewalt­herrschaft einer Partei geworden ist.

Die Sprengung des Ueber= wachungsausschusses des Reichs= tags, die gewaltsame Verhinderung einer ordnungsgemäßen Sigung ist offenfun­diger Verfassungsbruch. Eine Minderheit hat gegen den Willen der Mehr­heit die parlamentarische Kontrolle der Re­gierungstätigkeit, wie sie in der Verfassung vorgesehen ist, verhindert. Der Preußische Landtag ist für die Dauer der Wahlzeit aus­geschaltet. Die Ueberwachungsausschuß des Reichstags ist gewaltsam zersprengt. Ueber die Vorwände ist kein Wort zu verlieren das verfassungsmäßige Recht des Parla­ments follte zerfezt werden!

Eine Generalprobe der Gewalt ist gemacht. Der Reichstag , der am 5. März gewählt wird, soll nach dem Willen der nationalsozia­listischen Gewaltpartei eine ohnmächtige de­forative Einrichtung sein, ein Sejm unter pilsudskischer Dittatur oder ein Scheinparla­ment nach faschistischem Muster.

Die Absichten find flar. Ebenso flar ist. daß die Reste des Bürgertums diesen Ab­fichten fleinmütig und willenlos gegenüber­stehen. Auf diese Kreise mag der Versuch des Terrors nach faschistischem Muster Ein­druck machen auf sozialistisch geschulte Proletarier aber nicht!

"

Die Tobsucht des faschistischen Terrors schafft weder Arbeit noch Belebung der Wirtschaft. Sie ist das beste Mittel zur Ver­ewigung der Wirtschaftskrise. Ein wunder­barer Wiederaufbau" aus der Krise müßte das werden, wenn Staat und Recht nach dem 5. März nach dem Willen der National­sozialisten durcheinandergebracht würden! Wir gratulieren dem Bürgertum schon im voraus zu diesen Aussichten, für die es selbst die volle Verantwortung trägt! Heute hören wir die Ankündigungen von der Ausrottung des Marrismus, von dem zehnjährigen Ver­nichtungskampfaber nicht wir werden auf der Strecke bleiben, sondern das Bürgertum wird die Zeche be= zahlen!

Ist Deutschland Italien ? Das Gefüge seiner Wirtschaft, die soziale Zusammen­sehung seiner Bevölkerung, die politische und soziale Tradition seiner Bevölkerung ist an­ders als in Italien ! Anders ist Bedeutung und Schwergewicht des deutschen Proleta­riats, und die politischen Hasardeure, die von der Zerschlagung der Arbeiterorganisationen schwärmen, vergessen, daß das Proletariat eines modernen Industriestaates immer orga­nisiert ist durch die Produktion selbst!

Die faschistische Diktatur kann die Klassen­gegensätze in Deutschland nicht beseitigen, sie fann fie nur in ganz ungeheuerlicher Weise verschärfen. Ihre Anhänger berufen sich gern auf die 12 Millionen Stimmen, die am 6. November für sie abgegeben worden sind, einen zusammengelaufenen Haufen, der sich seit dem 31. Juli schon wieder um 2 Mil­lionen verkleinert hat. Ihnen gegenüber stehen unverändert und unveränderlich min­beftens 13 bis 14 Millionen der Werkstatt,