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BEILAGE

Vorwärts

Bilin und der Borschen

MITTWOCH, 15. FEBRUAR 1933

Federnhandelszentralen, nach Lobo­siz und Leitmerig an der Elbe, gebracht. Der Erlös aus dem Federnverkauf muß oft das notwendige Bargeld des Jahres bringen. Die fetten Gänse wandern in die Küchen der kauf­

Eindrücke vom Rande des nordböhmischen Kohlenbeckens/ H. Reinhold fräftigen Stadtleute und nur eine, selten auch zwei,

Im Spätabend fam Friz Doppelauge, der junge Arbeiterreisende aus Sachsen  , nach Bilin  .

Bilin  , die runde Kleinstadt mit den roten Dächern im lieblichen Tale der Biela vor den auf­steigenden grünen Kuppen des Böhmischen Mittel­gebirges; der stolze Fels Borschen, der größte Klingsteinblock Europas  ; der Biliner Sauer­brunnen. ein gefangener Säuerling, der auf Flaschen abgezogen und in alle Welt versandt wird; das sind drei Begriffe, die untrennbar zu­einander gehören. Bilin   liegt vor dem Borschen, der Borschen gehört zu Bilins Stadtbild, und der Sauerbrunnen hat den Namen Bilin   der Welt bekanntgemacht.

Bilin  , die Stadt, ist hart am Rande des nord­böhmischen Kohlenbeckens. Die 10 000 deutschen und tschechischen Einwohner gehen dem Berg bau nach. Aber die Stadt hat nicht das Gesicht der Kohlenstädte. Die Straßen sind hell. Bäume stehen überall. Die Häuser sind weiß und ohne Kohlenflecken. Nur die Menschen tragen die deut­lichen Zeichen derer vom Schacht.

Links vom breiten Markt thront auf einem Felstegel ein Schloß mit dicken Mauern. Das ist das Bezirksamt. In den weiten Sälen wird das Geschick des Biliner Bezirkes bestimmt. Schreiber und Paragraphenmenschen frigeln in den engen, hohen Zimmern. Auf den langen Gängen treffen sich die Menschen der Umgebung: Städter, Dörfler, Arbeiter, Angestellte, Bauern, Häusler, Gastwirte, Unternehmer, Anwälte, Beamte, Gendarmen und Militärs Oben, in den riesigen Böden, und unten, in den kalten Kellern, lagern verstaubte Akten, die viel von der Geschichte Bilins sagen können. Große Prozesse sind aus­gefochten worden um die Schürfrechte des kohle= haltigen Bodens. Hunderttausende Gulden und Kronen haben Gerichte und Anwälte verschlungen, ehe die Erde nach Kohle aufgebrochen werden fonnte. Der Kampf um die schwarze Erde ist fast vergessen. Nur schwere Aftenbündel, zum Teil schon vergilbt, lassen die Erinnerung an das Ver= gangene aufkommen. Heute geht der Kampf nicht mehr um den Boden. Heute wird um die Kohle und ihren Markt gekämpft!

Aufstieg

In einem der kleinen Hotels, die im Schatten des Sanatoriums des Bades Biliner Sauer­brunnen existieren, verbrachte Friz Doppelauge in hohen, weichen Betten die Nacht.

Und noch ehe die Nebel von den taunassen Wiesen aufstiegen, wanderte er aufwärts, dem Felsen Borschen zu. Grau war noch das Geäst der schlanken Buchen am Wege, aber die hellen Stämme zäher Bergbirken ließen den Frühling ahnen. Lebhaftes Vogelvolk lärmte in niederen Büschen. Von den steilen Wänden des Felsens polterten schwere Steine. Ueber glitschige Rinnen stürzte graues Schmelzwasser. Eine dunkle Wolke schob sich über den Gipfelrand.

Der Weg nach oben führt über schattige Schroffen und wadelige Felstrümmer. Schütterer Laub= wald weicht dunklen Tannen und hellen Zirbeln. Schräg fallen hartgrafige Matten von felsigen Buckeln. Felsnadeln zacken auf. Blöcke werden zu Bergen. Der Borschen wird zum Gebirge.

Ein Berggang ist freudvolles Tun Friz Doppelauge sprang nach der Höhe, auf der erste Sonnenstrahlen rot aufzitterten. Im Schutz­haus am Westabfall schlafen die Borschen­wanderer. Die festen Fensterladen waren ge= schlossen. Nur in der Küche schaffte die Bergwirtin. Vom Schornstein fräuselte weiß feiner Rauch. Bergdohlen strichen frächzend, futterlockend um das Haus.

Da ist der plattige Gipfel! Nicht hoch, nur wenig über fünfhundert Meter über dem Nordsee­spiegel. Aber ein Gipfel seltener Schönheit. Und welch eine weite, köstliche Sicht!

Frizz Doppelauge tranf das Bild. Tief und schwer atmete er und öffnete weit beide Arme, als wollte er die Landschaft rings zu seinen Füßen umfassen. Die fühnen und spißen Basaltgipfel des Böhmischen Mittelgebirges  . Den Fürsten der mittelböhmischen Berge, den Milleschauer oder Donnersberg  . Den langen Rücken des hohen Gelzsch. Die dunklen Burgruinen auf stolzen Regeln. Den weiten Mischwald. Die dampfenden Wiesen und Aecker. Die roten Bur­gen der mittelgebirglerischen Bauern. Das schmale glitzernde Band des Egerflusses. Und das tiefliegende Kohlenbecken, unfaßbar groß, ver­schwommen, dunstig grau. Den noch schneeigen Kamm des Erzgebirges im Morgenlicht.

Dohlengefrächz schreckte ihn auf, und ein plötz­licher heftiger Wind ließ ihn erschauern. Die nasse Kühle des Morgens war durch die Kleider ge= drungen. Er fror und zitterte, daß er aufsprang und Arme schlagend in den Windschatten hoher Blöcke eilte. aDnn lag er faul und dösig im auf­steigenden, wärmenden Sonnenlicht.

Unter ihm zog stolz ein Stößer weite Kreise über einer fernen Beute. Grünes Käfergetier raschelte in gelben Kragbeergebüschen. Junge

Eidechsen lugten hinter schmalen Felsplatten. Und tiefer, im Walde, lockte ein erster Kuckuck.

Ein Landmann war von seinem Gehöft hinter einem Erdbuckel gekommen. Lärmend, ein win­ziger Mensch auf weitem Felde, sperrte er zwei helle Pferde vor einen Pflug. Dann acerte er. Furche um Furche. Schweigend. Gebeugt. Auf und ab. Unverdrossen. Nur manches Mal, wenn die Pferde nach lästigen Fliegen schlugen, richtetc er sich auf. Mit einem roten Taschentuch rieb er sich den Schweiß.

,, Der muß sich sputen! Der Frühling kommt mit Macht!" murmelte Fritz Doppelauge und besann fich seines Weges.

Abstieg

Pfadlos stieg er zu Tal. Langsam, unendlich langsam. Schritt für Schritt. Ungern, denn die Höhe hatte es ihm angetan. Oben war föstliche Stille und klare Luft, Reinheit und Wärme. Troy kahler öder Felsen. Oder fahler öder Felsen wegen. Unten wartet schmerzender Lärm, Staub und stickiger Qualm, Schmutz und Kälte. Trotz ge= schäftiger Menschen. Oder eben der Menschen megen!

So ist es: der Abstieg ist der Sinn des Berg­fahrens. Erst der Abstieg weist den Weg zu den Höhen. Der Aufstieg ist das Flüchten, das Ent­rinnenversuchen, die Gipfelrast das Entspannen, das Sammeln, das Einsehen vergebenen Tuns, das Wecken der Liebe zur Tiefe, der Abstieg dann

wird zur Erkenntnis: das Leben ist an die Tiefe gebunden!

Auf den ersten Matten pflückte Frizz Doppelauge blaue Blumen, Boten des Frühlings, Kinder des Borschen, die er mitnahm in die Dörfer vor Brür, der Hauptstadt des Kohlenbeckens.

Durch das Tal der Biela

Steil stand die Sonne im blauen All, als er fest ausschritt auf der geschotterten Straße im Tale der Biela. Kleine Dörfer liegen zu Seiten des Flusses. Rissige Lehmhütten ducken sich um große Herrenhausziegelbauten. Maschinen stehen auf den sumpfigen Höfen der Großgüter. Auf den Feldern der Häusler aber mühen sich Mann, Frau und Söhne mit primitiven Geräten und Werkzeugen nach der Maschinenarbeit auf des Gutsherrn Felder ab. Im Großgutstalle scharren die Pferde, muhen und brüllen die Milchkühe, klöken die Schafe, grunzen die Schweine. Die Häuslerfuh ist Milch­tier und Zugkraft. Im engen Stall meckern weiße Ziegen, und ein Schwein, auch zwei, wühlen hinten im Jauchepfuhl im kleinen Hof. Gänse, der Reich­tum der kleinen Dörfler, schnattern auf Wiesen und wegen, am Flusse und am grünen Dorfteich. Ihre Federn sind weiß und weich. Des Winters, nach dem herbstlichen Federnrupf, gehen die Häuslerfrauen reihum, die Federn flink und ge= schickt zu schleißen in gesprächsvoller Arbeits­fooperative. In dichten Säcken werden die markt­fertigen Federn nach den mittelböhmischen

braten die Häuslerfrauen selbst.

Frizz Doppelauge sah die Menschen der Dörfer am Rande des nordböhmischen Kohlenbeckens: erd­verbundene, hohe Gestalten mit harten, schwieli­gen Fäusten und faltigen Gesichtern. Breithäftige Frauen, tiefäugig vom Sigen im Dunkeln am Federnschleißtisch, gebeugt vom Tragen schwerer Lasten, abgearbeitet und müde zuweilen. Kinder, lebhaft und lustig, aber blaß und früh arbeitend. Und: Gutsherren, aufrecht, rot im Gesicht, einen eigenen harten Zug um die Augen und ein zu­friedenes, selbstbewußtes Lächeln um den Mund.

Landstraße ermüdet. Nur die Vielheit der Landschaft macht das Wandern auf Landstraßen erträglich. Die Straße nach Brür führt um Berge und Hügel, auf und ab, gegen Westen. Friz Doppelauge schritt rüstig aus. Das Straßengehen wurde ihm zur Qual, denn Autos und Fuhrwerke wirbelten toll grauen Staub auf, der in die Kleider drang und zum Niesen reizte.

Ein Lastwagen überholte ihn. Die Fahrer winkten ihm zu, ehe sie laut hupend an einer Nebenstraße, die zu einem großen Dorfe führte, hielten. Das Lastauto holte Landarbeiter und Kleinbauern ab, die nach Brür wollten zu einem letzten Gange mehrerer vor Tagen von einer wütenden Soldatesta erschossener Brüder vom Schacht. Umflorte rote Fahnen brachten sie mit und ihre Kleidung war dem Ernst der Fahrt entsprechend.

Friz Doppelauge hockte mit auf.

Die rüttelige Fahrt dann nach der Trauerstadt Brür wurde ihm zum Erlebnis der Verbunden­heit mit den Arbeitern Mittelböhmens.

Junger Mann aus der Provinz

Skizze/ Von E. Sachsenröder

Der Autobus fuhr über den Potsdamer Platz  , am Brandenburger Tor   stand er eine Weile still. Drüben glänzte golden die Kuppel des Reichs­tagsgebäudes. Erich hatte oft Bilder davon ge= sehen. Er wollte bald, schon in den nächsten Tagen einmal hingehen.

Unter den Linden fuhr er jetzt entlang. Ein Strom von Menschen wogte auf dem breiten Fuß­weg zur Rechten und in der Mittelallee. Autos huschten ununterbrochen an dem viel größeren Autobus vorüber. In Scharen tamen sie angeraft, wurden an der Kreuzung durch das rote Licht auf­gehalten, der Motor ratterte nervös, gelbes Licht blinkte auf, und ehe das grüne Licht noch die Fahrt freigegeben hatte, waren die ersten schon wieder auf und davon.

Der Schaffner klopfte ihm auf die Schulter. ,, Sie wollten hier aussteigen."

,, Danke" sagte Erich. Er kletterte die Treppe herunter, sprang ab, als wäre er das so gewöhnt. Er empfand etwas merkwürdig, der Autobus im­ponierte ihm gar nicht. Der Verkehr interessierte ihn, aber er konnte die Begeisterung der Zeitungs­leute nicht verstehen, die in überschwänglichen Tönen davon berichteten.

Er suchte die Nummernschilder der Häuser ab. Dort drüben mußte es sein Eine große Torein­fahrt, die Nummer stimmte. Eine Menge mittel­großer Blechschilder waren an beiden Seiten der Tür angebracht. Da fand er auch schon den Namen: Großantiquariat Buch und Bild, 2. Hof III. links. Jezt klopfte das Herz doch. Die seltsame Er­regung, in der er sich seit seiner Ankunft befand, war einer ängstlichen Spannung gewichen. Er durchschritt den ersten Hof und schaute an den Wänden hoch. Der Hof war schmal wie ein Schacht. Das Gebäude war fünf Stockwerke hoch, die Sonne schien gerade noch bis zum dritten Stod.

Er ging langsam die Treppe hoch. Auf jedem Absatz blieb er kurze Zeit stehen, um sich zu ver­schnaufen und sah durch das Fenster auf den Hof. Sein Herz klopfte zum Zerspringen. Er versuchte sich einzureden, daß die schnelle ungewohnte Fahrt, das Laufen und überhaupt der ganze Betrieb daran schuld seien. Aber er wußte ganz genau, moran es lag. Er hatte Angst.

Es war genau so wie damals, als er in die Schule gebracht wurde. Die Angst war damals um so unsinniger, als er ja wußte, es sollte nur eine Zuckertüte geben und damit war für den Tag die Schule aus. Er hatte ja auch gar keine Angst nor der Schule gehabt, es war einfach das Unbe= kannte, Fremde, das ihr ängstigte. Er hatte das Empfinden, einem ganz neuen Leben gegenüber zu stehen. Bisher war sein Leben die Straße ge= wesen, die alten Kameraden, die Eltern. Das war jetzt aus, wie ihm schien. Die Mutter konnte er unmöglich jeden Tag mit ir die Schule nehmen, darüber war er sich völlig klar. Was weit schlimmer mar: die alten Kameraden würde er in der Schule auch nicht mehr vorfinden. Deswegen hatte er sich ja auch so sehr er fonnte davor gesträubt in die Bürgerschule zu gehen. Alle anderen Jungens

sollten in die Bergschule kommen. Das war nur eine einfache Volksschule. Aber es half ihm alles nichts ,,, er sollte es einmal besser haben" hatte der Bater gefagt, und damit war das letzte Wort ge= sprochen.

Diese Angstgefühle hatte er dann bei allen ähn­lichen Anlässen immer wieder bekommen. Jedes Jahr, wenn man in der neuen Klasse einen an­deren Lehrer bekam, war das Gefühl leise da. Und die Nacht vor dem Tage, an dem er seine Lehrzeit begann, war schlaflos und qualvoll gewesen.

So, da war er endlich. Eine Klingel war hier nirgends, er konnte also gleich eintreten. Die schwere eiserne Tür schlug hinter ihm zu. Ein etwa siebzehnjähriges Mädchen kam und sah ihn fragend an. Er nannte seinen Namen.

,, Ach so, Sie sind der neue Gehilfe. Herr Berg­mann erwartet Sie bereits." Sie flopfte an eine der Türen, trat ein und kam nach kurzer Zeit wieder heraus, eine Mappe mit Briefsachen in der Hand. Sie ließ die Tür offen und sagte mit einer Handbewegung: Herr Bergmann läßt bitten."

Erich strich seine Jacke glatt, legte Mantel und Hut auf einen Stuhl und ging hinein. Ein unter­setzter dicker Mann saß hinter einem Schreibtisch, stand halb auf und gab ihm die Hand.

,, Also, Herr Feldmann-." Dann wartete er, offenbar wußte er nicht, was er weiter sagen sollte.

Erich hatte eine kleine Verbeugung gemacht und war schweigend stehen geblieben.

,, Nehmen Sie erst einmal Plag."

Der Dicke war also sein neuer Chef. Sein Be­werbungsschreiben lag auf dem Schreibtisch, der Dicke hatte seine kurzen Finger gespreizt darüber gelegt. Das sah aus wie ein Kranz kleiner Würst­chen. Der Dicke holte jetzt offenbar zu einer längeren Rede aus. Schließlich mußte er ihm ja wohl auch etwas über seine zufünftige Tätigkeit ſagen.

,, Also, Herr Feldmann. Sie sind ja eigentlich Verlagsbuchhändler. Hm. Da wird Ihnen die Ar­beit wohl zunächst etwas fremd sein. Aber schließ­lich wir haben hier fast ausschließlich Versand nach auswärts. Hm. Auch so ähnlich wie im Verlag."

Dann brach er ab und fragte unvermittelt und etwas lauernd:

,, Wie haben Sie sich Ihre Arbeit eigentlich gedacht?"

Erich schraf zusammen. Eigentlich hatte er sich gar nichts gedacht. Er war froh, als er auf seine Bewerbung eine zustimmende Antwort erhielt. Er stammelte etwas.

,, Ja, ich weiß nicht. Ich kenne ja den Betrieb noch nicht."

,, Natürlich, natürlich" hatte der Dicke darauf ein ,, Also wir faufen in größerer Posten ein, Rest­auflagen, Auktionsware, und verkaufen weiter an die Buchhändler und auch an Straßenhändler. Das Geschäft geht jetzt schlecht, ich habe in der letzten Zeit nur allein gearbeitet mit einer Stenotypistin, einem Lehrling und einem Volontär. Ja, also ich

verlange von meinen Angestellten natürlich, daß sie alle Arbeiten machen. Einen Packer kann ich mir jetzt nicht leisten, das muß der Lehrling machen, wenn viel zu tun ist, muß der Volontär helfen. Sie werden die ganze Geschichte leiten, sobald Sie sich etwas eingearbeitet haben. Ich bin oft auf Reisen, da verludert der ganze Betrieb, die Bande faulenzt, wenn ich nicht da bin. Sie werden also vielseitig beschäftigt werden, und, hm, sind ja noch jung, fönnen viel lernen dabei."

Erich sah den Mann währenddessen an und dachte sich sein Teil. Da schien er ja in eine schöne Bruchbude geraten zu sein. Der Dicke sah unsym­pathisch aus. Ein brutales Gesicht. Seine Art zu sprechen war unglaublich roh und gewöhnlich.

,, Haben Sie sich schon ein Zimmer genommen? Na, da suchen Sie sich erst mal eins hier in der Nähe, damit Sie nicht erst noch zu fahren brauchen. Mit Ihrem Gelde werden Sie sparsam sein müssen. Gehalt bekommen Sie einhundertzehn Mart. Das sind zehn Mark mehr als der Tarif vorschreibt. Aber Sie sollen ja eine leitende Stellung ein­nehmen. Später werde ich Ihnen mehr geben. Sie fönnen sich auch Provision verdienen, wenn Sie mal einen größeren Bosten verkaufen."

,, So, nun suchen Sie sich ein Zimmer. Morgen brauchen Sie nicht zu kommen, damit Sie Zeit genug haben."

Erich stammelte etwas von Danke und sehr liebenswürdig und stand auf. Der Dicke verab­schiedete ihn, rief ihn aber noch einmal zurüd, als er schon halb draußen war. ,, Ja, und einen andern Anzug ziehen Sie doch an, wenn Sie herkommen, es gibt viel Staub hier, und es ist auch mal eine schmutzige Arbeit zu machen."

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Auf der Straße atmete Erich erst einmal tief auf. Die Luft da drin war stickig und dumpf gewesen.

So, das wäre also überstanden. Der Eindruck, den er von seiner neuen Arbeitsstätte hatte, war nicht gerade überwältigend. Aber jetzt nachdenken darüber. Er mußte sich ein Zimmer suchen, und erst einmal etwas essen. Morgen hatte er ja den ganzen Tag Zeit.

Die Beklemmung hatte er jetzt überwunden. Er schlenderte die Straße entlang, blieb vor den Aus­lagen der Läden stehen, betont gleichmütig. Er spürte das Brausen der Stadt, sein Blut pulsierte rascher. Nur sich nicht hingeben, dachte er, Distanz halten. Gleichgültig tun, überlegen und die Dinge an sich herankommen lassen. Nur nicht zeigen, daß einem noch alles neu ist. So tun, als sei man lange schon zugehörig

So ging Erich Feldmann im Strome der Men­schen auf der Friedrichstraße  , frampfhaft hielt er an sich, um nicht an jedem Schaufenster stehen zu bleiben und hinter den verschiedensten Typen von Menschen, die an ihm vorübergingen, herzusehen. Er tat so, auch sich selbst gegenüber, als imponiere ihm gar nichts. Dabei hatte er ständig das Ge­fühl, daß man ihn beobachte, und daß ihm an der Stirn geschrieben stehe, wer er sei: ein junger Mann aus der Provinz.