BEILAGE
DONNERSTAG, 23.FEBRUAR 1933
Srauvois ffiabelais SEur Ti erfahr hunderlfei er feines Schaffens/ Ton Jtermann Wendel
Er gehört zu jenen tiefsten Denkern des sechzehnten Jahrhunderts, deren Ideen uns noch vollkommen modern anmuten, meil sie auch unserer Zeit noch als höchste und unerreichte Ideale voranleuchten. Julius Hart . Da keine Urkunde das(Beburts- und das Sterbedatum des Meisters Fran<:ois Ra- belais überliefert und man nur ungefähr weiß, daß fein Leben von ungefähr 1494 bis etwa 15S3 währte, gedenkt Frankreich , unter anderem durch eine Ausstellung in Paris , seines großen, manche sagen seines größten Dichters, zum Vierhundert- jahrestag des Erscheinens des ersten der Bücher, die den Namen unsterblich machten, des„P a n- tagruel". Aber nicht nur weil das Hauptwerk des deutschen Satirikers Johannes F i s ch a r t in einer Nachdichtung des Rabelais bestand, und nicht nur, weil unter allen Völkern wahrscheinlich wir, aus der Feder von Gottlob Negis und neuerdings von H e g a u r und Dr, O w l g l a ß, die treffendsten Uebertragungen des„G a r g a n- t u a" und„P a n t a g r u e l" besitzen, spricht dieser Erz- und Urfranzose beredt auch zu uns. Allzu viel von seinen Lebensumständen ist nicht aufgehellt. Daß er in dem lieblichen C h i n o n in der Touraine zur Welt kam, das Ordens- gewand erst der Franziskaner , dann der Vene- diktiner trug und als Weltgeistlicher Medizin studierte und die Arzneikunst ausübte, daß er hohe Gönner und mächtige Feinde hatte, dreimal nach Rom gelangte und eine Weile in dem damals noch zum Deutschen Reich gehörigen Metz hauste. wie daß er am Abend seiner Tage zwei Pfarreien als Pfründen zugewiesen erhielt— damit erschöpft sich die zuverlässige Kunde so ziemlich. Aber alles Drum und Dran dieses Daseins ist nicht so wichtig wie der Wind, der die Segel seines Lebens- schiffleins schwellte. Die Zeit war es, da unter dem Ansturm der Geldwirtschaft die Burgen der Naturalwirtschaft in Trümmer sanken, und allent- halben das Kaufmannskapital als revolutionäre ökonomische Macht auftrat. Ein Neues wollte sich begeben. Entdeckungen wie die Amerikas und Erfindungen wie die des Buchdrucks weiteten den menschlichen Horizont ungeheuer; wie es in Deutschland die Reformation tat, suchte in den romanischen Ländern, namentlich in Italien und Frankreich , Humanismus und Renaissance nach Ausdruckssormcn sür den neuen Geist, die neue Art, Erde und Himmel zu betrachten. Diese allgemeine Gärung, die einen Hutten aufjubeln ließ:„O Jahrhundert! O Wissenschasten! Es ist eine Lust zu leben!", warf ihre heftigen Blasen auch im Kopf des Mönches, der dem Kloster den Rücken gekehrt hatte und Francois Rabelais hieß. Vom Scheitel bis zur Sohle war er ein Be- kenner der neuen Zeit, ein H u m a n i st, der in Erasmus von Rotterdam seinen großen Lehrmeister verehrte. Schon früh versenkte er sich nach humanistischem Brauch in die Geistesschätze des lateinischen und mehr noch des griechischen Altertums, aber auch in den neueren Sprachen, Italienisch, Deutsch , Spanisch, war er wohl beschlagen. UnersättlicherWissens- Hunger trieb ihn; Philosophie, Literatur, Poetik, Historie, Anatomie, Astronomie, Geographie, Bo- tanik— wo fühlte er sich nicht zu Hause! Aber wenn er, von Erkenntnisdrang fiebernd, ein Faust war, so einer, der es sich statt in setner ab- geschlossenen Studierstube in Auerbachs Keller wohl sein ließ. In den barock grotesken, aben- teuerlich märchenhaften Erzählungen von der fürst- lichen Gigantenfamilie Grandgousier, Gargantua und Pantagruel, die Rabelais zuerst, sie als etwas Beiläufiges achtend, unter einem Decknamen herausgab, offenbarte sich seine ganze Welt- anschauung, die eines Humanisten und Renaissancemenschen-, schon das Maßlose, Ko- lossale. Strotzende, Explosive der meisten dieser Kapitel kündete überzeugend von einer neuen Generation, die herauskam, die alte Welt zur Um- sormung in ihren Schmelztiegel zurückzuwerfen. Zur Umformung nicht nur im Geiste, denn wenn das Christentum den Körper als verächtliches Ge- fäß unreiner Lüste wegwerfend behandelt, unter- nahm Rabelais in„Gargantua" und„Panta- gruel" etwas, was später die Saint-Simonisten abermals versuchten: d a s F l e i s ch in seine Heid- nischen Rechte wieder einzusetzen. Uebers Fressen und Saufen verbreiteten sich diese Bücher mit ungeheurem Behagen, aber mit ebensoviel Freude an der Sache schilderten sie, wie Speise und Trank den Menschen wieder verlassen, und von Körperteilen, die Hosenlatz oder Schürze schämig deckt, ging so ungescheut und munter die Rede wie von Nase oder Mund. Das wirkte oft wie gewollte Unfläterei und geschah doch einmal 'ganz naiv und zum zweiten im Dienste eines großen, eines humanistischen Ideals: der Eni- faltung der gesamten Persö» Pchkeit, der harmonischen Ausbildung aller KräUe des Gleichgewichts zwischen Seele und Leib Weil es zu dieser allseitigen Entwicklung des Menschen der Freiheit und nur der Freiheit bedurste, packte Rabelais jede Art von Zwang mit Hohn und Spott, mit seinem breiten gallisiiien Lachen un- sanft genug an. Sein„Gargantua" und.Pantagruel"— verdammt scharfe Borstenbesen waren
es, deren Satire allen Unrat des Mittelalters grimm hinausfegte. Ein großer E n t n e b l e r der Welt verulkte Rabelais jeden Aber- glauben. Das Jahr 1933, das an allen Zeitungs- kiosken vielgekaufte astrologische Käseblätter hängen sieht, kann nur mit einem Gefühl der Beschämung vernehmen, wie sich vor vier Jahr- Hunderten schon dieser freie und kühne Geist über die unsinnige Verkoppelung der Gestirne mit dem Schicksal der Menschen weidlich lustig machte. Da- für hob er den gesunden Menschenver- stand auf den Thron. Am Kriegsruhm etwa ließ er kein gutes Haar. Sein Grandgousier ist ein unwahrscheinlich einsichtiger, blutscheuer, fast pa- zisistischer König, der nur zum Schutz seiner armen Untertanen nach Lanze und Streitkolben greift: „Die Vernunft gebietet es. denn durch ihre Arbeit werde ich unterhalten, und von ihrem Schweiß nähre ich mich, meine Kinder und meine Familie. Gleichwohl werde ich erst dann Krieg führen, wenn ich alle Friedenskünste und-mittel erschöpft habe": die Weltliteratur kennt wenige so über- legene und grausame Verhöhnungen des er- o b e r u n g s w ll t i g e n Imperialismus wie das Kapitel 33 des„Gargantua", und Panta- gruels Sinn steht„nicht danach, die Menschen aus- zuplündern und zu brandschatzen, sondern sie zu bereichern und in voller Freiheit ihr Los zu bessern". Auch dem Klosterwesen ging dieser frühere Klosterbruder unerbittlich zu Leibe, die soziale Nutzlosigkeit, das Schmarotzertum der
Mönche ausdeckend:„Ein Mönch ackert nicht wie der Bauer: er hütet des Landes nicht wie der Kriegsmann, heilt die Kranken nicht wie der Arzt: er lehret und predigt nicht dem Volk wie ein guter evangelischer Pfarrer und Schulmeister, führet dem Staat keine Waren noch Notdurst zu wie der Handelsmann. Da habt ihr die Ursach', warum sie allen ein Greuel und Gespött sind." Da Rabelais als Feind des Fanatismus und Lob- redner der Duldsamkeit religiöse Fragen selbst wohl mit Gleichgültigkeit ansah, schlug er sich trotz aller Verspottung kirchlicher Mißbräuche nicht ins Lager der Kalvinisten, um so weniger, als d e r B r a n d- geruch der Scheiterhaufen, auf denen Ketzer geröstet wurden, ihm unhold in die Nase drang. Zum Märtyrer verspürte er nicht das Zeug in sich: er trug die Schellenkappe, weil er die Dornenkrone verabscheute, und seine oft grob- körnige Heiterkeit war ebensowohl Schutzmittel wie Herzenssache für ihn. Gleichwohl wurde d i e Sorbonne, die nicht nur Universität, sondern auch �eine Art oberster Zensur- und Inquisitions- behörde war, auf den Verhöhner aller Autoritäten aufmerksam, verbot prompt jeden neuen Band des„Pantagruel" angeblich als unsittlich, in Wahrheit als umstürzlerisch, und manchmal war es gut, daß König Franz I., der, Gegner der Reformation, doch mit dem Papsttum ein Hühnchen zu rupfen hatte, seine schützende Hand über den Dichter hielt, der durch Lachen revo- lutionieren wollte. Oft in der Sprache der Gasse geschrieben, ge-
spickt mit Ausdrücken aus dem Rotwelsch der Beisel und Bordelle, nicht selten mundartlich ge- färbt, waren„Gargantua" und„Panta- gruel" doch wegen der vielen klassischen An- spielungen nur den Gebildeten ganz verständlich. Sie haben sich denn durch die Jahrhunderte recht- schaffen daran ergötzt, nicht nur an der hohen Kunst der Darstellung, dem saftigen Rea- lismus der Schilderung und, wie Goethes Freund Zelter, an dem„alten, derben, fleischigen Französisch", sondern auch an dem so- zusagen politischen Inhalt. In diesem Sinne rief die Große Revolution durch ein merk- würdiges Schriftchen von G i n g u e n e 1791 Rabelais als Eideshelfer gegen Tyrannei und Möncherei an. Daß auch ein Sozialist unserer Tage an dieser ungebändigt launischen Philo- sophie sich gründlich erbauen kann, bewies zwar nicht Franz Mehring , der etwas pastörlich vor des Franzosen „Freude am Kot" zurück- schreckte, wohl aber Jean Iaures, der in mehr als einer Kammerrede jenen Genius beschwor, in dem schon im Zeichen der Renaissance„die große menschliche Inspiration der Revolution" lebendig gewesen sei. 1912 auf der Jahrestagung der „Gesellschaft für Rabelais-Studien", deren aktives Mitglied er war, allseits aufgefordert, das Wort zu nehmen, feierte der große Führer der fran- zösischen Arbeiterklasse den Schöpser des„Gar- gantua" aus dem Stegreif als Wirklichkeits- menschen und Zukunftsseher und bekannte:„Ich bin auf meine Art praktizierender Rabelaisianer: in den Stunden des Handelns, denen Gefühle der Ermattung und des Ekels nicht immer fern sind, stärkt es mich beträchtlich, den„Pantagruel" in der Hand zu haben, dieses Werk, das eine Quelle der Tat, eine Quelle der Hoffnung, eine Quelle der Freude ist und bleiben wird."
Die elektrischen Glühlampen warfen ihren trüben Schein in den dämmernden Abend. Man drängte aneinander vorbei nach der Untergrund- bahn. Paul lehnte unbeweglich unter vielen an- dern Wartenden am Gitter. Seine Augen späh- ten durch die andrängende Menge. Sein Herz raste. Vor acht Tagen hatte er die Bekanntschaft einer jungen Verkäuferin gemacht und sich sterb- lich in sie verliebt. Suzanne war reizend mit ihrem blonden Wuschelkopf und dem ewig lachen- den Gesichtchen, aus dem die großen Augen stau- nend in die Welt blickten und das Näschen so amüsant hervorsprang. Paul glaubte auch au- nehmen zu dürfen, daß er einen gewissen Ein- druck hinterlassen hatte. Die jungen Leute hatten sich für den nächsten Tag verabredet. Leider kam Suzanne nicht allein. Eine Freundin begleitete sie, eine zierliche Schwarze namens Marianne, die das entzückendste Geschöpf gewesen wäre, wenn man Suzanne nicht vorher kennengelernt hatte. Suzanne erklärt«:„Wir arbeiten zusammen und wohnen in derselben Straße. Wir sind stets beisammen. Sie ist meine beste Freundin. Sie brauchen sich nicht vor ihr zu genieren. Herr Paul." Raul schluckte seine Enttäuschung hinunter und bemühte sich, liebenswürdig zu bleiben. Aber kann man vor einer Dritten sprechen? Er be- wahrte seine sorgsam bedachte Rede auf den nächsten Tag. Am nächsten Tage begleitete Marianne ihre Freundin wieder Ebenso alle anderen Tage. Gestern nun hatte Paul seiner Angebeteten in einem unbewachten Augenblick ins Ohr geflüstert: „Aber morgen kommen Sie allein! Ich muß Sie sprechen." Suzanne hatte gelacht. Und jetzt war- tete Paul klopfenden Herzens an der Untergrund- bahn. Plötzlich flammten seine Augen auf Su> zanne überschritt den Platz, sprang an fahrenden Elektrischen vorbei, wand sich um rasende Autos mit der gelenken Anmut einer jungen Katze. Doch zum Teufel! Hinter ihr bahnte sich mit gleicher Grazie Marianne ihren Weg! Seine Freude brach zusammen. Wieder begann das öde Spiel. Die beiden Mädchen faßten sich unter, lachten über ein Wort, das sie im Vorüber- gehen aufschnappten, über die merkwürdige Be- wegung eines Fußgängers— über ein Nichts—. und Paul wankte an ihrer Seite, einmal rechls, einmal links, auf schmalen Wegen hinterher, wie
ein gut erzogenes Hündchen. Er tobte innerlich und schwor sich:„Das ist das letztemal!" Bei der Ueberquerung eines Platzes wurden sie ge- trennt. Paul mutzte laufen, um seine Gefähr- tinnen einzuholen. Einmal bemerkte Suzanne: „Was haben Sie, Herr Paul?" „Ich? Nichts." Da lochte sie unsinnig lange. Paul verzog keine Miene. Er schwor Roche . Vor der Haus- tür der Blonden umarmten sich die Freundinnen. Paul drückte ihnen die Hand und sagte wie immer:„Auf inorgen!" Dann schritt er eiiig aus, blieb an der Ecke vor einem Buchladen stehen und spähte aus den Augenwinkeln die Straße entlang. Suzanne verschwand in ihrem Hause
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„Ich ober", brüllte Paul,„halte das nicht aus! Ihre Freundin macht sich lustig über mich! Morgen komme ich nicht zur Verabredung." „Ach!" seufzte Marianne. Er sah ihr tief in die Augen und setzte voll irischer Hoffnung hinzu:„Wenn nicht.." „Wenn?" „Ja, wenn Sie kommen wollen, Sie allein." Er konnte kaum sprechen. Die Schwarze ant- wartete:„Ich komme. Wir wollen uns nicht an der Untergrundbahn treffen. An der Oper!" Er preßte ihre Hand. Das Vergangene schwand. Die Zukunft winkte verheißungsvoll. Mit den Blonden ist nichts anzufangen! Tja! Die Schwarzen! Am nächsten Abend stand Paul zur bestimmten Stunde an der Oper: unbeweglich: nur sein« Augen spähten in die andrängende Menge. Sein Herz raste.» Marianne erschien pünktlich. Doch hinter ihr schritt eine kleine Rothaarige..., ein« Freundin. die sie begleitete.
und Marianne ging die wenigen Schritte weiter nach ihrer Haustür. Als sie den Schlüssel umdrehte, stand Paul neben ihr.„Verzeihung!" keuchte er,„aber so geht das nicht weiter! Jeden Abend hoffe ich, Ihre Freundin allein zu sprechen, und immer sind Sie dabei, so daß ich kein Wort heraus- bringen kann." Marianne schien nicht erstaunt zu sein. Sie antwortete sanft:„Ich kann nichts dafür, Herr Paul. Suzanne wünscht, daß ich sie begleite Wir jungen Mädchen sind unsicher und geben immer nach, wenn wir zum ersten Male mit einem jungen Manne zusammen sind. Aber wenn wir zwei gegen einen sind, dann sind wir stark! Dann können wir lachen und kokettieren! Wir hoben unsere Freude— und uns kann nichts passieren!"
Jilt, aber gul... Der Witz von der Besäufnis (Für gebürtige Antialkoholiker: Der Alkohol, in zureichendem Maße genossen, versetzt den sogenannten harmlosen Säufer in die Lage, auch den miclermärtigen Erscheinungen der rauhen Wirklichkeit mit überlegener Sachlichkeit gegenüberzutreten. So vermögen auch ausgesprochen unästhetische Dinge, roie etwa das Wiedervonsidigeben des Genossenen auf dem dem natürlichen Ablauf entgegengesetzten Wege, ihn nicht aus dieser sachlichen Position zu verdrängen. Dies zur Erklärung und Entschuldigung.) Spätmitternacht in München . Herr.laver Maß- huber hält sich an einem Laternenpfahl und tut, von zahllosen Eruptionen erschüttert, was sich der Quantität des Getrunkenen wegen nicht länger vermeiden läßt. Ein fremder Hund hat sich hinzu- gefunden und betrachtet das Wirken Herrn Maß- hubers interessiert. Herr Maßhuber unterbricht sich in des Wortes verwegenster Bedeutung, sieht den Hund sinnend an und meditiert: „Also dees Bllr, hupp!, dös Bllr hob i im Hof- bräu trunken, hupp! Un dö Weißwllrscht, hupp!, dö hob i im Franziskaner bestellt, dös, hupp!, dös woaß i a. Aber wo i, hupp!, wo i den damischen Hund da fressen hob— söll woaß i nimmer'..!" YoriK.