Morgen- Ausgabe
Nr. 93 A 39 50. Jahrg.
Rebattton and Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3
Fermiprecher 7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabreffe: Sozialbemotrat Berlis
Vorwürts
BERLINER
VOLKSBLATT
FREITAG
24. Februar 1933
Bezucsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des rebuttionellen Teils
Auf zur Entscheidung!
An die Mitglieder der Gewerkschaften!
Zum sechstenmal innerhalb eines Jahres werdet Ihr an die Wahlurne gerufen.
Bei all diesen Wahlen stand die gleiche Frage zur Entscheidung, die Schicksalsfrage von der künftigen Gestalt des deutschen Staates, von dem Geist seiner Gesetzgebung und seiner Verwaltung. Soll die Staatsgewalt einer kleinen Herrenschicht, soll sie der Diktatur einer Partei, soll sie einer Einheitsfront der sozialen Reaktion überantwortet oder soll das Volk wieder souverän im Staate werden?
Um diese Frage geht der erbitterte Kampf. Er ist noch nicht entschieden, trotzdem seit langem schon die Staatsgewalt nicht mehr vom Volke ausgeht, sondern beim Reichspräsidenten und seinen Ratgebern konzentriert ist. Ihr habt bisher bei jeder Wahl Euren Gegnern innerhalb und außerhalb der Regierung Euren festen Willen entgegengestellt, die Souveränität des Volkes in vollem Umfange wiederzugewinnen. Ihr habt das Volksrecht gegen jegliches Diktaturgelüst verteidigt. Wirtschaftliche Not und politischer Terror haben Euren Freiheitswillen nicht gebrochen.
Euer Kampf war nicht vergebens, wenn auch zur Zeit die soziale Reaktion im Sattel sitzt. Denn heute ist Euer rechtmäßiger Widerstand gegen jeglichen Umsturz der stärkste, der einzig wirksame Schutz der Verfassung und Eurer Rechte.
Deutsche Arbeiter und Angestellte, Frauen und Männer! Ihr wißt, was auf dem Spiel steht. Ihr kennt die Geschichte der letzten vierzehn Jahre, Ihr habt nicht vergessen, wie sie wirklich gewesen ist. Ihr glaubt keine schwarzweiẞroten Märchen über den Marxismus. Ihr wißt, was Ihr der deutschen Arbeiterbewegung zu verdanken habt.
Erst als die Staatsgewalt vom Volke ausging, erst im November 1918, wurde die Schmach des DreiklassenWahlrechts ausgelöscht. Erst damals wurden die letzten Schranken der Koalitionsfreiheit niedergerissen. Erst damals wurde das Sklavenrecht der Landarbeiter, die Gesindeordnungen, beseitigt. Erst seit jenen Tagen wurde der Bau der deutschen Sozialpolitik zum Bollwerk der inneren Freiheit unseres Volkes. Erst damals wurde das deutsche Arbeitsrecht zu der Brücke zwischen Arbeiterbewegung und Nation, an deren Grundpfeilern Eure Feinde heute
rütteln.
Fort damit!
Der Kampf gegen die freie Schule
Das neue System der nationalkonzentrierten Regierungsmethode beeilt sich, immer neue Schichten der Bevölkerung gegen sich Der aufzubringen. nationalsozialistische Gauleiter, der heute als Kommissar des Reiches im Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung wirkt, hat durch die 3wangsweise Beurlaubung des städtischen Beamten Dr. Karsen aus der Stellung als Leiter der Karl- Marr- Schule in Neukölln ein Signal gegeben. Die KarlSchulsysteme zusammenfaßte, war der ReafMarr- Schule, die in sich die verschiedensten tion schon lange ein Dorn im Zuge, bevor noch die ,, nationale Konzentration in die Amtlichkeit gelangt war. Dauernd stand sie im Mittelpunkt hämischer Verdächtigungen, ohne daß sie selbst sich anders dagegen wehren konnte als durch ihre Leistungen. Und diese Leistungen konnten sich sehen lassen, wo man auch nur sehen wollte. Jetzt soll die KarlMarr- Schule ,, umorganisiert" werden, was im nationalkonzentrierten Sprachsinn nichts anderes heißt, als sie völlig ihres besonderen Charakters als fortschrittlicher Schule zu entkleiden.
Aber die Karl- Marr- Schule genügt dem System als Angriffsobjekt nicht. Die Wünsche greifen weiter. Und so erfahren wir denn durch eine offizielle Mitteilung, daß auch die
Gewerkschaftsmitglieder! Die Staatsgewalt darf nicht jenen Mächten und politischen Gruppen ausgeliefert weltlichen Schulen( Sammelschulen) werden, die ihre Willkür an Stelle Eures rechtsschöpferischen Willens setzen wollen.
So unabsehbar die wirtschaftliche Not ist, Ihr habt noch viel zu verlieren. Schützt Euer Recht! Verteidigt am
5. März das neue Deutschland gegen den Generalangriff seiner inneren Feinde.
Ihr wißt, in welcher Front Ihr diesen Freiheitskampf führt. Ihr wißt, wem Ihr Eure Stimme zu geben habt. Eure Entscheidung wird fallen
Die Bundesvorstände
des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Allgemeinen freien Angestellenbundes Berlin , 15. Februar 1933.
Folgender Erlaß Görings an die Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten wird bekanntgegeben:
Zu meinem Bedauern habe ich feststellen müssen, daß die Handhaben der Verordnung des Herrn Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Bolles vom 4. Februar 1933 gegen Ausschreitungen der Presse nicht
mit der Strenge angewandt werden, wie es angesichts der sich täglich steigernden Hezze in periodischen Drufschriften, Flugblättern und Plafaten der regierungsfeindlichen Parteien und Verbände erforderlich wäre. Ich habe leider feststellen müssen, daß gegen den Herrn Reichskanzler und die Mitglieder der Regierung beschimpfende und verächtlich machende Flugschriften und periodische Druckschriften. in den Verkehr gelangt sind und geduldet werden, obwohl alle Voraussetzungen für die polizeiliche
Beschlagnahme und Verbotsmaßnahmen
gegeben find. Ich erwarte nunmehr von allen Polizeibehörden, daß der Beobachtung der
Presse und der Herstellung und Verteilung von Flugblättern eine größere Aufmerksamfeit zugewandt und
mit Schärfe und Unnachsichtigkeit vorgegangen wird, wenn sich die Möglichkeit dazu bietet. Ich werde Beamte, die es hier an dem notwendigen Diensteifer fehlen lassen, dienst strafrechtlich belangen.
Ein weiterer Erlaß Görings Im Ministerialblatt für die preußische innere Verwaltung Nr 9 vom 22. Februar erscheint ein Erlaz Görings vom 17 Februar, der sich mit den amtlichen Preffeverlautbarungen zu politischen Ausschreitungen beschäftigt:
,, Ich habe wiederholt feststellen müssen, daß in Sachen von politischer Bedeutung, insbesondere auch bei strafrechtlichen Ermittlungsverfahren dieser Art, mit der Bearbeitung der Sache befaßte Beamte Mitteilungen an die Presse gegeben haben, die nach Form und Inhalt die gebotene Zurückhaltung und den erforder= lichen Taft vermissen lassen. Um solchen Vortommnissen für die Zukunft vorzubeugen, ordne ich hiermit an, daß in den bezeichneten Fällen zur Bekanntgabe in der Presse bestimmte a mtliche Berlautbarungen nur von den Regierungspräsidenten und dem Polizeipräsidenten in Berlin selbst veranlaßt werden
dürfen. Sie mache ich für die genaue Beachtung meiner Weisung und für Form und Inhalt der Nachricht persönlich verantwortlich. Den in Be= tracht kommenden nachgeordneten Dienststellen ersuche ich, zu eröffnen, daß meiner Anordnung zuwiderhandelnde Beamte dienststrafrechtliche Maßnahmen zu gewärtigen haben."
Redeverbote
Nach Crispien Franz Künstler!
Dem Genossen Franz Künstler , dem langjährigen Reichstagsabgeordneten und wiederaufgestellten Kandidaten von Potsdam II, ist in Nomames, also in seinem Wahlkreis, vom Polizeipräsidenten von Zizemiz das Reden ver= boten worden.
Dieses in Potsdom erlassene Redeverbot stützt sich interessanterweise auf ein anderes Redever= bot, das gegen Künstler in Schwerin erlassen worden ist, und auf dessen Begründung. In Schwerin hatte man behauptet, Künstler sei ,, in Wort und Schrift dauernd für Kriegsdienstver: weigerung eingetreten", er habe auch in unflätiger Weise die Reichswehr beschimpft".
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Beide Behauptungen sind unrichtig. Die Kriegsdienstverweigerung ist zwar von manchen Personen, die großes Ansehen genießen wie 8. B. vom derzeitigen englischen Minister präsidenten vertreten worden, aber nicht von Künstler, der auch niemals die Reichswehr ,, unflätig beschimpft" hat. Künstler war während des Krieges fast ständig im Felde, erhielt das E. K. II und wurde für vertrauenswürdig genug befunden, in die Waffenmeisterschule Döberig einberufen zu werden. Das alles schützt ihn nicht davor, daß ihm heute als angeblichen Kriegsdienstverweigerer" das Reden verboten wird.
vom Ostertermin 1933 ab dem Abbau verfallen sollen.
Das ist eine Meldung, die dem Lokalblatt des Hugenberg- Konzerns geradezu Freuden tränen entlodt. Was irgendein Denunziant aus dem reichen Arbeitsfeld der weltlichen Schulen an irgendeinem Provinzort aufgeschnappt und eingesandt hat, das wird im ,, Lokal- Anzeiger" in epischer Breite als Beispiel für die Sittenverderbnis ausgewalzt. Und der Kapp- Journalist, der diese Walze dreht, versteigt sich hierbei zu dem rührseligen Ausbruch, daß die Kinder der weltlichen Schule
,, vergiftet und freudeleer gemacht werden dadurch, daß ihnen alles verekelt wird, was uns die selige Freude mar..."
Mit Berlaub: Was den freiwilligen Lobpreisern des heutigen Systems früher als ,, selige Freude" im wohlbehüteten Elternhaus gegolten hat, das wird man den darbenden Kindern der erwerbslosen, furz arbeitenden und auch bei voller Beschäftigung schlecht entlohnten Proletariern der Großstädte und Industriebezirke beim nationalfonzentriertesten Willen nicht mehr nahebringen können. Diese Kinder der Hungerjahre haben andere Begriffe von Freude, als die Generation von ehedem, die heute wieder nach der Macht im Staate gegriffen hat.
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Aber die weltlichen Schulen haben, obwohl sie immer noch den alten Vorschriften unterliegen, ein ganz Neues in den Schulbetrieb eingeführt. Sie drillen nicht, fie arbeiten! Und sie arbeiten in aller Deffentlichkeit, denn sie haben nichts zu verbergen. Sie sind sogar die Ehrwürdigen mögen darob erschauern!- nicht davor zurückgeschreckt, Gäste bei ihrem Unterricht gern zu sehen. Wenn auch nur einer der Leute, die über die weltlichen Schulen die Nase rümpfen, es für nötig gehalten hätte, sich zu irgendeiner Zeit in irgendeiner dieser Schulen einzufinden, wäre ihm anstandslos gestattet worden, an jeder Unterrichtsstunde teilzunehmen. Und er würde erstaunt gewesen sein, mit welcher sachlichen Selbstver ständlichkeit die Jungen und Mädels von seiner Anwesenheit gar nicht Notiz nähmen, sondern ruhig mit ihrem Lehrer weiter arbeiteten, als wären fie ganz unter sich! Freilich hätte ein solcher Besuch oder gar