Einfluß und gewissermaßen das Bürgerrecht auch in der guten Gesellschaft. Sie haben sich ihre Praxis" völlig wie Aerzte eingerichtet, sind vielfach mehr gesucht als diese und haben Einkommen, die sich bei Einzelnen auf über 20,000 Mark jährlich beziffern sollen. Eine besondere Art„ Aerzte" findet in Dresden ein lohnendes Feld für ihre Thätigkeit. Es sind elegante Gentlemen, die im vornehmen Viertel ihre Konsulationsstunden" halten und das Einkommen eines Ministers besigen. Eine wissenschaftliche Ausbildung haben auch sie für ihren Heilberuf nicht mitgebracht, doch in ihrer Person ruhen wunderbare, der Wissenschaft bisher verborgene Naturkräfte, denen feine Krankheit widersteht. Auch sie sind dem läppischsten, oft mit frömmelnden Phrasen verquickten Zaubersput nicht abgeneigt, doch hat man ihm ein wissenschaftliches Mäntelchen übergehängt, um ihn gesellschaftsfähig zu machen. Einige dieser Herren haben Zulauf aus ganz Sachsen . Vor ihren Häusern halten die Wagen der Geburts- und Geldaristokratie, und ihre Großthaten bilden in den Salons den Unterhaltungsstoff ätherischer Damen. Die Bezahlung aller dieser Heilbeslissenen ist ebenso hoch, oft noch höher, als die des wissenschaftlich durch eingehende Studien gründlich vorgebildeten Arztes. Bemerkenswerth iſt auch, daß keineswegs allein die„ Ungebildeten" in den. Besuchszimmern dieser Aerzte" sizzen, sondern daß auch die feinsten und besten" Kreise vertreten sind. Oft besteht deren " Praxis" nur aus„ Gebildeten".
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Was die Abwendung der Ungebildeten" von den wissenschaftiich gebildeten Aerzten anbelangt, so sind die Leyteren häufig selbst schuld an der Abneigung. Viele Aerzte sehen ihren Beruf( besonders viele Kassenärzte) eben nur vom Standpunkt des Verdienens an.
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Wir möchten, schreibt die Sächs. Arb.- 3tg.", hierzu noch bemerken, daß unsere jüngeren Aerzte sehr bemüht sind, den vernünftigen Forderungen der Naturheilmethode gerecht zu werden. Die Aerzte der freien Hülfskassen" in Berlin z. B. wenden diese, wo irgend angängig, an. ES thut daher auch Noth, in Arbeiterkreisen belehrende Vorträge zu halten, daß es in Krankheitsfällen vor Allem nöthig ist, seinen Körper nicht einem Kurpfuscher anzuvertrauen, sondern einem dafür vorgebildetem Arzte. Die Naturheil methode ist außerordentlich gut um Krankheiten vorbeugen zu können, doch selten ausreichend, um ausgebrochene Krankheiten heilen zu können. Es ist über diesen scharfen Unterschied in den letzten Jahren gerade in Frauenfreisen viel Ünklarheit verbreitet worden und dadurch die Kurpfuscherei großgezogen. Denn diese Unklarheiten haben dem alten Aberglauben, an dem gerade die älteren Frauen noch so gern hängen, neue Nahrung gegeben. Darum sorgt allerorts dafür, daß belehrende Vorträge gehalten werden über„ Gefundheitspflege" und Heilkunde. Aufgabe der Aerzte sollte es sein, sich dieser Mühe zu unterziehen. Auch die in Deutschland thätigen Aerztinnen fönnten hierdurch in Frauenkreisen sehr segensreich wirken. Klärt ihr die Frauen über so Wichtiges auf, so habt ihr damit zugleich die heranwachsende nächste Generation belehrt!
Leipzig . Dem„ Leipz. Tagebl.", diesem lügenliebenden Organ, passirte es in seiner Freitagsnummer, an ein Fundamentaldogma unserer bürgerlichen Gesellschaft unbewußt zu stoßen mit folgendem Sat:
Die unverbesserlichen Verbrecher sind eine besondere Form der Geistesfranken, wichtige Funktionen des menschlichen Organismus sind bei ihnen außer Thätigkeit, und das Mittel ist noch nicht gefunden, um diese Thätigkeit wieder zu beleben.
Wie denn? Meint das„ Leipz. Tagebl.", daß die Kategorie Menschen lieber in eine Heilanstalt gebracht werden sollten, als daß man sie wie wilde Thiere jahrelang in Käfige, in Zuchthäuser sperrt. Das wäre ja eine ganz neue Ansicht. Und das Blatt wird dann doch wohl auch nicht umhin fönnen, zuzugeben, daß in Konsequenz des von ihm Gesagten überhaupt diejenigen Verbrechen, deren direkte Triebfeder nicht die Noth ist, z. B. alle Verbrechen wider das Leben, nur auf eine Störung der Gehirnfunktionen zurückzuführen sind, daß solche Menschen lieber in die Behandlung eines Arztes als der eines Zuchthausaufsehers zu bringen sind. Man hält uns immer entgegen, daß in dem sozialistischen Zukunftsstaat doch immerhin noch Verbrecher eristiren wür
der Koch des Herrn Grafen im Café Anglais in die Lehre gegangen war und von diesen Studien Nutzen gezogen hatte. Denn bei diesem Punkte ist unsere verfeinerte Zivilisation angelangt, man erwirbt seine Grade der Kochkunst; es giebt Doktoren für das Braten- und Abiturienten für das Saucenfach.
Alle Gäste aßen lebhaft mit zarten Bewegungen, aber der gute Ton und die Gewohnheit exquisiter Kost, ließ sie nichts zu Gunsten des außergewöhnlichen Gerichtes offenbaren.
Der Träumer hatte keinen Appetit mehr. Er war im Gedanken noch bei den Bretagnern, bei den Leuten des Meeres, welche diese herrliche Butte vielleicht gefangen hatten.
Er erinnerte sich jenes darauffolgenden regnerischen, grauen Morgens, wo er neben den schweren, bleifarbenen Meereswogen spazierte und den Leichnam des alten Fischers, des Familienvaters, welcher vor drei Tagen im Meere verschwunden war, dieses graufige Ueberbleibsel, das in Seegras und Meeresschaum gestrandet war, wieder erkannt hatte. Es war herzzerreißend, seine grauen, schwimmenden Haare voll Sand und Muscheln zu sehen.
Ein Schauer durchfuhr sein Herz.
Aber die Diener hatten bereits die Teller entfernt und jede Spur des mächtigen Fisches verschwinden gemacht. Während man ein anderes Gericht servirte, hatten diese eleganten, frivolen Speisenden bereits ihr Gespräch wieder aufgenommen. Der Hunger war schon ein wenig gestillt, sie wurden lebhafter und sprachen mit mehr ungezwungenheit. Munteres Lachen ertönte.
Ah! die reizende, liebenswürdige Gesellschaft. Da packte den Träumer, den schweigsamen Gast, eine unendliche Traurigkeit; denn Alles, was an Arbeit und Schmerz nöthig ist, um das Bequeme, das Wohlbehagen zu schaffen, tauchte plötzlich vor seiner Vorstellung auf.
Nur um zu ermöglichen, daß diese Leute von Welt, mitten im Dezember, blos im dünnen Frack sein, damit diese Damen ihre bloßen Arme und Nacken zeigen konnten, verbreitete die Luftheizung im Zimmer die Wärme eines Frühlingsmorgens. Aber wer hat die Kohle herbeigeschafft? Der Verdammte aus dem schwarzen Lande, der unterirdische Arbeiter, welcher in der Hölle der Kohlengruben lebt. Wie weiß, wie frisch ist doch die Haut jener jungen Dame, die so siegreich aus dem Rosa Atlas hervorleuchtet! Aber wer webte diesen rosa Atlas? Die menschliche Spinne in Lyon , der Hausweber, der immer bei seiner Arbeit in den verseuchten Häusern des Croix Rousse" fitt.
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Sie trägt zwei herrliche Perlen in ihren winzigen Ohren, diese junge Dame. Welche Pracht, welche schimmernde Durch sichtigteit, welche vollendete Form! beinahe tugelförmig. Die Berle, welche Kleopatra geschluckt, nachdem sie dieselbe in
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den, wenn auch keine Eigenthumsverbrechen. Wenn man aber selbst zugeben muß, daß Verbrechen, soweit sie nicht durch die Noth geboten und also eigentlich auch kaum Verbrechen sind wenn Jemand stiehl, um Mittel zum Leben zu bekommen, die er sich durch Arbeit nicht schaffen kann, weil er keine hat, so ist er nach unserer Ansicht kein Verbrecher nur als frankhafte Störungen des menschlichen Organismus zu betrachten sind, weiter aber bedenkt, daß diese nach und nach mit Hilfe der Wissenschaft, wie beispielsweise Blödsinnigkeit weise Blödsinnigkeit Kretinismus in der Schweiz ! zurückgedrängt und ganz ausgerottet werden können blieben dann die Verbrechen im sozialistischen Staate? Und daß in dem Letteren, in dem alle Rücksichten gegen die auf das höchste körperliche Wohl der Bürger zurücktreten, im Gegensatze zu dem jetzigen kapitalistischen Staat, wo nur dem Geldsacke das höchste Interesse entgegengebracht wird, Alles gethan werden wird, was zur Ausrottung der Geistesfrankheiten, der Mißbildungen, ber unrationellen Lebensweise nur gethan werden kann, darauf können sich die Bourgeois verlassen. Auch die Dummheit will geheilt werden, weil, wie wissenschaftlich erwiesen, sie oder wenigstens deren Vorausſetzungen heilbar sind. Es wird freilich eine schwere Auf gabe sein, all die Bornirtheit der Bourgeoisie zu heilen oder aus der Welt zu schaffen.
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Bürgerliche Moral. Die Mitteldeutsche Zeitung" in Weißenfels , welche sich auch freisinnig nennt, bringt da ein Heirathgesuch, welchem wir das Folgende entnehmen: Einzige Tochter, der Vater ist 72 Jahre
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Heirath!
alt. Das heißt zu gut deutsch, der Vater ist so alt, daß sein Tod bald zu erwarten ist. Pfui und noch mals Pfui über eine der artige„ Moral"! Allerdings solche Sorten Gaunerehen, welche auf den Tod der zu Beerbenden berechnet sind, wollen wir mit allen gebotenen Mitteln beseitigen. Daher auch die Wuth dieses Bürgerthums, das sich in seinem Schlamm so wohl fühlt.
Junger Defonom kann in ein ca. 80 Acker haltendes Gut, in großem Bahnstationorte belegen, wo außer der Besizung noch Kapitale vorhanden, heirathen; einzige Tochter, gebildet, 24 Jahr alt und hübsche Erscheinung. Vater ist 72 Jahr alt.
Die Sterblichkeit der Proletarierkinder ist sechsmal so groß, als die der Bourgeoiskinder; denn nach den Untersuchungen des Sozialstatistikers Kaspar starben von 1000 zu gleicher Zeit geborenen Menschen in den ersten 5 Jahren bei den Reichen 57, bei den Armen 345. Die Ursache dieser Erscheinung ist darin zu suchen, daß die Kinder von den Eltern aus dem arbeitenden Volfe, welche durch lange und auch harte Arbeit entfräftet und obendrein schlecht genährt sind, von vornherein schwächlich zur Welt kommen und in Folge gleichfalls schlechter Ernährung und ungenügender Pflege allmälig so verkümmern, daß sie der geringfügigsten Krankheit sofort erliegen. Am meisten wird die Sterblichkeit unter den Neugeborenen bei den Armen dadurch befördert, daß die Mütter durch die Arbeit verhindert sind und im Uebrigen auch gar nicht die Kraft haben, ihre Kinder selbst zu nähren, sondern dieselben aufpäppeln" müssen. Die schlechte Beschaffenheit der Ruhmilch führt in den heißen Sommermonaten zu Darmfatarrh und Brechdurchfall, so daß in Berlin wöchentlich bis zu 400 Kinder und darüber an diesen Krankheiten sterben. Daß es sich hierbei nicht um den Nachwuchs der Reichen handelt, welche sich eine Amme halten oder sich eine nach allen Regeln der Hygiene präpa= ricte, aber dafür recht theure Kuhmilch verschaffen können, sondern um die Kinder der Armen, lehren die Kirchhöfe der in den Arbeitervierteln belegenen Gemeinden, auf denen der Todtengräber im Juli und August mit unheimlicher Emsigkeit ein Kindergrab an das andere reiht. In dem nach den Veröffentlichungen des kaiserlichen Gesundheitsamtes aufgestellten Bericht über die Krankheits- und Sterblichkeits- Verhältnisse Berlins in der ersten Augustwoche heißt es:„ Auch in dieser Woche tamen Darmfatarrhe und Brechdurchfälle, besonders unter den Kindern, in sehr großer Zahl zum Vorschein und führten in 296 Fällen( gegen 302 in der vorhergegangenen Woche) zum Tode. Am zahlreichsten zeigten sich die Krankheitsformen auf dem Wedding , im Stralauer Viertel und in der Rosenthaler Vorstadt, während aus der Friedrich stadt und der Dorotheenstadt fast gar kein Todesfall gemeldet
Essig aufgelöst hatte, und die 10,000 Sesterzen werth war, fonnte nicht reiner gewesen sein.
Aber weiß die junge Dame, daß dort, weit weg, in Ceylon, auf den Perlausterbänfen von Arippo und Goatatchy die Hindu von der Indischen Kompagnie heldenhaft über 12 Klafter in die Tiefe tauchen, einen Fuß in dem schweren Steinbügel, der sie zum Grunde zieht, in der linken Hand ein Messer, um den Haifisch zu bekämpfen? Aber was! Man ist schön und gefallsüchtig, der Speisesaal ist warm und wohlriechend, man fann dort halb nackt, sehr geschmückt speisen und mit seinem Nachbarn kokettiren. Welchen Zusammenhang, frage ich Sie, kann man mit dem düstern Arbeiter haben, der 50 Kilometer unter der Erde schanzt? mit einem vor seinem Webstuhl steif gewordenen Weber? mit einem Wilden, der in's Meer springt und es bisweilen mit seinem Blute röthet? Warum sollte man an so traurige, garstige Dinge denken? Welche Abgeschmacktheit!
Doch der Träumer wird von seiner firen Idee verfolgt. Seit einer Weile zerbröckelt er mechanisch, ohne darauf zu achten, ein Stückchen des fleinen, goldgelb gebackenen Weißbrodes, das neben seinem Teller liegt. Oh! das ist ein nichtssagendes Phantasie- Nahrungsmittel bei solch einem Mahle. Man muß unwillkürlich an das naive Wort jener großen Dame denken, welche zu der unglücklichen Brotlosen sagte, warum sie keinen Kuchen essen?" Aber dieser schöne Kuchen ist doch auch Brod, Brod, das aus Mehl bereitet wurde, und dieses wieder ist aus Korn gemacht. Mein Gott ja, ja es ist furzweg Brod, Brod wie das des Bauern, wie das Kommißbrod des Soldaten. Damit es aber dahin, auf den Tisch des Reichen kommen konnte, bedurfte es der geduldigen Arbeit vieler Arme. Der Bauer hat gepflügt, gefäet, geerntet, er hat seinen Pflug in der fetten Erde fortgeschoben oder seine Egge geführt unter den kalten Nadeln des Herbstregens. Er ist voll Sorgen um sein Feld erwacht, wenn es in der Nacht donnerte; er hat gezittert, wenn er die schweren violetten Wolfen mit Hagel beladen vorüberziehen sah; er wurde ausgedörrt und abgebrannt von den erschöpfenden Strapazen der riesigen Arbeit der Erntezeit.
Und wenn der alte Müller vom Rheumatismus halb gekrümmt, den er von den Nebeln am Flußufer erwischte, sein Mehl nach Paris geschickt hat, dann tragen die Lastträger mit den weißen Hüten die erdrückend schweren Säcke auf ihrem breiten Rücken, und noch in der verflossenen Nacht haben im unteririrdischen Raum die Teigkneter bis zum Morgengrauen geächzt. Ja wahrlich, all dieser Mühen hat es bedurft, dieses kleine Brod, das die weißen Hände dieser Patrizier zerstreut auseinanderbrechen, herbeizuschaffen. Für den unverbesserlichen Träumer ist dies nun eine Zwangs
wurde." Der Wedding , die Rosenthaler Vorstadt und das Stralauer Viertel sind als Arbeiterviertel bekannt, während die Friedrichstadt und die Dorotheenstadt ( Gegend der Straße ,, Unter den Linden ") zu den vornehmsten, Stadttheilen gehören.
Eine englische Charlotte Corday . Die Stadt London hatte dem Lord - Protektor Oliver Cromwell zu Ehren ein prunkvolles Bankett veranstaltet, zu welchem der 18. Februar des Jahres 1654 bestimmt war. Cromwell begab sich in seinem Staatswagen dahin, von den Parlamentsmitgliedern, Staatsräthen und dem Generalstabe seiner Land- und Seemacht be= gleitet. Da fiel aus dem Fenster eines Eckhauses der Essexstraße ein Schuß, die Kugel fuhr durch den Wagen und traf das Roß, auf dem des Protektors Sohn Heinrich, auf der entgegengesetten Seite des Wagens ritt. Diesen Schuß hatte ein junges Mädchen, Lucretia Gremoit, gewagt. Sie war die Tochter eines Baronets und Braut des Herzogs von Bucking ham , den Cromwell in der Schlacht bei Naseby mit eigener Hand erstochen hatte. Seit dem Tode ihres Bräutigams hatte Lucretia einen glühenden Haß gegen den Protektor gefaßt und ihm blutige Rache geschworen. Sie übte sich geraume Zeit im Pistolenschießen, wobei ihr des Protektors Bild zur Zielscheibe diente, und hatte, da der Gefürchtete sich nur höchst selten zeigte, drei Jahre lang Zeit, sich auf ihr Attentat vorzubereiten. An jenem Tage nun stand Lucretia mit mehreren Damen am Erkerfenster, und als Cromwell's Wagen sich ihr hinreichend genähert hatte, zog sie ihre Pistole unter dem Mantel hervor und schoß. Der Schuß würde auch sein Ziel nicht verfehlt haben, hätte nicht die neben Lucretia stehende Dame sie im Abbrücken angestoßen. Als der Schuß gefallen war, blickte Crom well nach dem Fenster hinauf, der Wagen hielt, Bestürzung hatte das ganze Gefolge ergriffen. Die Damen oben waren aus Schreck auf die Kniee niedergesunken, nur Lucretia stand und blickte, ihre Pistole weit hinausstreckend, mit flammendem Auge auf den Verhaßten nieder.
" Tyrann", rief sie, ich habe geschossen! Untröstlich bin ich, statt eines Tigers nur ein armes Roß getroffen zu haben!" Cromwell schickte Soldaten ins Haus. Lucretiens Eltern gaben zwar vor, ihre Tochter sei seit dem Tode ihres Bräutigams zu Zeiten ihres Verstandes nicht mächtig, allein Crom well ließ sie dennoch verhaften. Späterhin verschwand das Mädchen, und man erfuhr ihr Schicksal nie.
Rußland. Wie in dem neuesten Septemberhefte von„ Free Russia" mitgetheilt wird, hat sich nun auch Sophie Günsburg, welche in dem letzten Nihilistenprozesse eine so große Rolle spielte, durch Selbstmord ihren Leiden entzogen. Sophie Günsburg, das 21 jährige Mädchen, war zum Tode durch den Strang verurtheilt worden, allein Angesichts der Agitation in England und Amerika , beschloß die russische Regierung, dem Czaren die Umwandlung des Todesurtheils in lebenslängliches Gefängniß anzuempfehlen. In dem entseßlichen Gefängniß von Schlüsselburg, von wo nur selten und langsam Nachrichten kommen, hat sich Sophie Günsburg vor sechs Monaten mit einer alten stumpfen Scheere, die sie sich zu verschaffen gewußt hatte, getödtet, obgleich beständig eine Wache vor ihrer Thür hin und her ging und beständig hinein sah. Wie nachträglich bekannt geworden ist, hatte Sophie Günsburg ein Verhältniß mit einem Manne von guter sozialer Stellung. Er hatte die revolutionäre Proklamation geschrieben, welche des einzige Anklagematerial gegen sie bildete. Sophie Günsburg weigerte sich, den Mann anzugeben, und aus Furcht, daß die beständigen Quälereien sie in einen nervösen Zustand und zur Angabe des Namens verleiten könnten, gab sie sich den Tod.
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Eine große und schöne Rolle spielt die Mutter im Sprichwort. Der Deutsche hat über die Würde einer Mutter verschiedene Sprichwörter. Er sagt:" Muttertreu wird täglich neu." Ist die Mutter noch so arm, giebt sie doch dem Kinde warm." Wer der Mutter nicht folgen will, muß endlich dem GerichtsDiener folgen."" Besser einen reichen Vater verlieren, als eine arme Mutter." Was der Mutter an's Herz geht, geht dem Vater nur an's Knie." Der Russe sagt:„ Das Gebet der Mutter holt vom Meeresgrunde herauf." Der Czeche und Lette sagt: Mutterhand ist weich, auch wenn sie schlägt." Fast in allen Völkern hat man das Sprichwort: Eine Mutter kann eher sieben Kinder ernähren, als sieben Kinder eine Mutter." Das Leiden der Mutter bezeichnet der Italiener in dem Sprichwort: Mutter will sagen: Märtyrerin."
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vorstellung. Die Feinheiten des Gastmahles gemahnen ihn an nichts anderes, als an die menschlichen Leiden. Gerade vorhin, als ihm der Mundschenk ein Glas Chambertin einschenkte, hatte er sich dabei erinnert, daß gewisse Glasarbeiter durch das fortwährende Flaschenblasen lungenschwindsüchtig werden. Ach was! Das ist lächerlich. Er weiß wohl, daß die Welt so beschaffen ist. Ein Nationalökonom würde ihm in's Gesicht lachen. Wollte er am Ende gar Gefahr laufen Sozialist zu werden? Es wird ja immer Reiche und Arme geben, so wie es immer Gutgewachsene und Buckelige giebt. Uebrigens, die Glücklichen, die er vor sich sieht, sind es nicht ungerechter Weise. Das sind nicht gewöhnliche Anbeter des goldenen Kalbes, egoistische, gemeine Emporkömmlinge.
Der Großgrundbesitzer, der bei der Tafel präsidirt, trägt mit Ehre und Würde einen Namen, der mit allen Rufen Frankreichs verbunden ist. Dieser graubärtige General ist ein Held; er hat mit dem Muth eines Marat Rezonville gestürmt. Der Maler, dieser Dichter haben treu der Kunst und Schönheit gedient. Dieser Chemiker, der sein Leben als Apothekerjunge begann und auf den heute die Gelehrtenwelt wie auf ein Orakel hört, ist einfach ein Mann von Genie. Diese vornehmen Frauen sind freigebig und gut und mit bescheidenem Muthe tauchen sie manchmal ihre zarten Finger in die Tiefe des Unglücks. Warum sollten diese außerordent lichen Wesen nicht auch außerordentliche Freuden genießen?
Der Träumer sagte sich, der sei ungerecht gewesen, das waren alte Sophismen, für einen Vorstadtklub noch gerade gut genug, die nun in seiner Erinnerung wieder erwacht waren und von denen er sich hatte bethören lassen. Ist es möglich! Er schämt sich vor sich selbst. Aber das Mahl neigt sich seinem Ende zu und während der Diener zum letzten Mal die Bokale mit Champagner füllen, tritt Ruhe ein. Die Gäste fühlen die Müdigkeit der beginnenden Verdauung. Der Träumer sieht nun einen nach dem andern an und alle diese Gesichter haben einen blasirten, befriedigten Ausdruck, der ihn beunruhigt und anwidert. Ein dunkles, unerklärliches Gefühl aber so bitter!
Trotzdem erhebt er im Grunde seines Herzens einen Protest gegen diese Befriedigten und und als man sich vom Tischchen erhob, da wiederholte er sich hartnäckig, aber ganz leise: Ja, sie sind in ihrem Recht... Aber wissen sie wohl, daß ihr Lurus auf so vielem Glend aufgebaut ist. Denten sie manchmal daran? Denken sie so oft, als es sein sollte daran? Denken sie überhaupt daran?
Und auch er wurde ruhig wie sonst.