Ur. 224.Erscheint täglich außer Montag«.Abonnements- PreiS prännm.!Bicrleljähriich g�oMk.. monatlich1,10 Marl, wöchentlich 28 Pfg. freiins HauS, Einzelne Nummer ö Psg..Sonntags- Nummer mit tllustrirterSonntags-Beilage„Die Neue Welt"lO Pfg, P ost-Abonnemcnl: 330 Ml.pro Quartal. Unter Kreuzband fürTeutschland u. Oesterreich- Ungarn2 Marl, für das übrige Ansland3 Marl pro Monat. Eingelragenin der Post- Zeitung»- Pretslist«für 1886 unter Nr. 7277.13. IichrgiJnsertlonS-Sebiihr beträgt für dl«fünsgespaltene Petitzeile oder derenRaum«0 Pfg,. sür Vereins- undVersannnlungs- Anzeigen 20 Pfg.Inserate sür die nächste Nummerwüsten bis 4 Uhr nachmittag« inder Srpedttton abgegeben werden.Die Expedition ist an Wochenlagenbis 7 Uhr abends, an Sonn- undFest-tagen btsSUHrvormittags geöffnet.Ternlprecher: Nml I, Nr. 1508.Delegramm- Adresse:«Soiialdcmostral Serlin".Berliner Votksblalt.Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands.Redaktion: 8V. l9. Meuty-Straße 2. Donnerstag» den 24. September 1896. Spedition: 8V.l9. Wettty-Straße 3�Skvcklingv vom SköckevflommeUnsere widerspruchsvolle Zeit, in der der Zersetzung.Prozeß der bürgerlichen Gesellschaft auch die bürgerlichenParteien ergriffen hat, in der das Staatsschiff unberechenbarhin und her geworfen wird im widerspruchsvollenZickzackknrs, hat auch wieder einmal eine neue Partesund damit in der That dem Zeitcharakter Rechnung tragend.eine Partei der Widersprüelie erzeugt. Eine Partei„fürnationalen Sozialismus aus christlicher Grundlage" nennt siesich vorläufig, bis ein mundgerechterer Name gefunden ist.Die christlich-soziale Partei des Hofpredigers Stöcker istihre Mutter und die konservative Partei somitihre Großmutter. Sie ist ihren mütterlichenAhnen aus dem Gesichte geschnitten, aber imWiderspruch, im Kampf mit ihnen führt sie sich einZunächst trachtet sie ihrer Mutter nach dem Leben, denn nebeneinander könne denn doch wirklich nicht trotz der Bunt-scheckigkeit, die wir im deutschen Parteileben gewohntsind, eine christlich-soziale und eine national-sozialePartei auf christlicher Grundlage bestehen. So erklärt essich denn, daß die ersten Lebensäußerungen der Neugeborenenauf entschiedene Gegnerschaft mütterlicherseits stoßenund auch von konservativer Seite mit ernstem Mißtrauenbegutachtet werden, während andere Parteien ihr nurNeugierde bezeigen, die Sozialdemokratie aber, trotzdemihr von den National-Sozialen mit der christlichen Grundlaeine fürchterliche Konkurrenz sür die Zukunft angedrohtwird, da? ganze Unternehmen mehr als einen harmlosen Spaßansieht.Es sind Stecklinge vom Stöckerstamm, denen dieNeue Partei entsprießen soll. Nicht so morsch und ver-modert wie das alte Holz sicherlich, sondern nochgrün durch und durch, recht grün in der ThatDiese Grüne aber ist doch ihre einzige Empfehlung, dennmit der Lupe betrachtet zeigt ihre Struktur dasselbe Ge-faser wie der alte Stock. Wir glauben allerdings nicht,daß die Naumann und Göhre je die Schleichwege wandelnwerden wie der theure Gottesmann, dessen Beispiel sie aus demPredigtstuhl auf die Rednertribüne verlockt hat, stehen ihnendoch auch keine höfischen Hintertreppen offen, die sie inVersuchung führen könnten. Aber politische Pastoren sindund bleiben auch sie, trotzdem sie mit der freudigen Unter-würfigkeit, die den Unterthanen ziert, auf den landesbischös-lichen Bannstrahl gegen das politische Pastorenthum hin dieBäffcheu schleunigst abgebunden und obendrein eine schöneneue Theorie ersonnen haben, daß ein politischer Pastoraufhören müsse, Pastor zu sein, um Politiker bleiben zu können.Wer cinmal als Pastor geamtct hat, dem träufelt der geistlicheBalsam ewig von den Lippen, auch wenn er politischsein will. Nur einem Pastorengehirn, das sich die schönstenLebensjahre hindurch damit abgequält hat, Widerspruchs-801 Mienzi.Der letzte der römische» Volkstribuuen.Roman von Edward Lytton Buliver.Fünftes Buch: Die Entscheidung.Erstes Kapitel.Das Gericht des Bolkstribnnen.Wenn auch die entschiedenen Worte des Tribunen gegenStephan Colonna die Wuth des stolzen alten Patrizierserhöhten, so hielt er bei weiterem Nachdenken es doch fürralhsam, ihnen Folge zu leisten. Er fand sich daher zu derbestimmten Stunde in einem der Säle des Kapitals mitden anderen Eingeladenen ein. Nicnzi empfing sie mit nochgrößerer Freundlichkeit, als gewöhnlich.Sie setzten sich mit geheimer Besorgniß und Unruhean das glänzende Mahl, als sie bemerkten, daß mit derAusnahme Stephan Colonna's keine Gäste, außer die umdas Komplot wußten, au dem Bankett theil nahmen. Rienzi,der ihre Zerstreuung und ihr Stillschweigen nicht zu be-merken schien, war munterer, der alte Colonna mürrischerals gewöhnlich.„Edler Herr Colonna, wir scheinen durch unsere Emladung Euch nicht sehr erfreut zu haben. Einst wurde esuns leichter. Euch zum Lächeln zu bringen."„Die Verhältnisse haben sich geändert, Tribun, seitIhr mein Gast wäret."„O ich denke nicht. Ich bin emporgekommen, aberIhr habt Eure Stellung behauptet. Ihr könnt bei Tageund bei Nacht unangefochten und ruhig ans den Straßengehen; Euer Leben ist gesichert vor den Räubern, undEure Paläste bedürfen nicht mehr der Schutzwehren undBefestigungen, um Euch vor Euern Mitbürgern zu schützen.Ich habe allerdings meine Lage verbessert, aber wir alle— aus barbarischer Unordnung sind wir in ein zivilisirtesLeben getreten. Edler Herr Gianni Colonna, den wir zumOberherrn über die Kampagna gesetzt haben, Ihr werdetdem Buodo Stato einen Becher nicht verweigern; auchglauben wir,j Eurer Tapferkeit nicht zu nahe zu treten,volle Glaubenssätze durch das Nadelöhr der Vernunft zutreiben, konnte das widerspruchsvolle Programm entstammen,mit dem die Naumann und Göhre den„Arbeiterstand" zum„National-Sozialismus auf christlicher Grundlage" bekehrenwollen.Die Grundgedanken grundverschiedener Parteien glaubtHerr Naumann mit einander verschmelzen zu können. Erwill den Sozialismus mit dem Liberalismus und demKonservatismus, natürlich immer nur„das Berechtigte"darin, verbinden. Wie? das ist allerdings die Sache derZukunft, der er„mit leuchtenden Augen entgegengeht". Erist vorsichtig genug, sich nicht in Einzelheiten seinesProgramms zu vertiefen, sondern hilft sich mitallgemeinen Redewendungen über die Gegensätze hinweg.Er will national sein, also, wie wir aus einer Auseinandersetzung eines älteren Stecklings vom Stöckerstammersehen, für ein starkes Heer, eine starke Flotte, eine starkeKolonialpolitik und eine starke Monarchie eintreten, unddoch dabei die politische Freiheit fördern. Ein bischenGeschichtsstudium hätte ihn belehren können, daß solcheBestrebungen noch nie mit einander sich verlragenhaben. Sie werden auch jetzt im Deutschen Reichesich nicht vereinigen lassen, selbst wenn man sie etwas inchristlich-soziale Tunke taucht. Das ist nebenbei des HerrnNaumann Geheimniß, wie denn der ursprüngliche Christus,dessen Reich nicht von dieser Welt war, den Naumann aber alssein Ideal zu neuem vorbildlichen Leben erwecken will, mitder Schneidigkeit der uferlosen Nationalpolitik sich abfinden soll.Eine Ahnung, daß das absolut nicht geht, scheint denndoch einem anderen Stöckersteckling, dem Herrn Göhre, aufgedämmert zu sein, denn gleichzeitig mit den Programm�artikeln des neuen Parteiblattes„Zeit" veröffentlicht er inNaumann's Wochenschrift„Hilfe" eine Betrachtung, in derer sagt:„Indem wir das Christenthum als Quelleunserer sozialen und politischen Forder un genausgeben, geben wir die Wahl der Weltanschauung jedemunserer Genossen preis, verpflichte» ihn nur auf unser sozial-politisches Programm und beanspruchen nur für uns selber dasRecht, als Christen uns wie im privaten, so auch im politischenLeben zu bethätigen."Von Göhre wird das Christenthum als Quelle dersozialen und politischen Forderungen aufgegeben, bei Nau>mann heißt es, seine Phantasiepartei komme„als soziales Christenthum und greift die wahre undewige Person Jesu aus dem Beiwerk der Zeiten heraus, stelltihn in die Milte, liebt ihn, will sich von ihm lehren und leitenlassen. Ein solches wahrhaft evangelisches Christenthum, dasmit der Bibel ernst zu machen sucht, paßt nicht zu konservativenTraditionen und darum greifen wir es auf und lassen es unserLicht sein, eine Leuchte von unerlöschlichem Glänze, von un-ausschöpflicher Leuchtkraft. Um diese unsere Stellung zumChristenthum von vorn herein klar und fest auszusprechen,I reden wir von nationalem Sozialismus aufch r i st l i ch e r Grundlage."Diesen Widerspruch zwischen den beiden Hauptprophetender neuen Lehre zu lösen, ist nicht unsere Sache. Es wirddas eine lehrreiche Beschäftigung sein für die beidenpolitischen Pastoren, die keine Pastoren, sondern nur nochPolitiker sein wollen. Sind sie mit dieser Aufgabe fertiggeworden, dann bleibt ihnen Zeit, einmal das Wesen desKlassenkampfes zu erforschen. Vielleicht kommen sie dannnoch einmal dahinter, weshalb der Emanzipationskampf desProletariats sich nur auf der Grundlage des demokratischenSozialismus vollziehen kann und daß, wer zu dieser Er-kenntniß gelangt ist, sowohl den christlich-sozialen HerrnStöcker wie dessen national- soziale Stecklinge als Eintags-erscheinungen einer widerspruchsvollen Zeit der Gährungbei Seite schiebt._polMfche Mebevstchk.Berlin, 23. September.Zum Zlchtstundentng. Unter Anlehnung an die be-kannten Barvus'scheii Vorschläge zum Parteitag wird voneinigen Genossen gefordert, die Reichstagsfraklion solle be-auftragt werden,„einen Gesetzentwurf bezüglich Einführungdes Achtstundentages möglich st zu Beginn de«W i n t e r s e s s i o n imR eichstage ein zubringe n".Wie wenig überlegt die übereifrigen Reformatoren an dieArbeit gehen, ist daraus zu ersehen, daß die Fraktionbereits am 9. Dezember 1893 beschlossen hat, einen bez.Gesetzentwurf einzubringen, und ihn sodann bereits am11. Dezember 1895 eingebracht hat. Der Gesetzentwurf istin Nr. 288 des„Vorwärts" vom 10. Dezember 1895 ab«gedruckt und lautet wörtlich:„Der Reichstag wolle beschließen: die verbündeten Ne«gierungen zu ersuchen, dem Reichstage bis zur nächsten Session«inen Gesetzentwurf vorzulegen, wodurch die regelmäßigetägliche Arbeitszeit für alle im Lohn», Arbeits» und Dienst-verhältniß im Gewerbe-, Industrie», Handels» und Verkehrs«wesen beschäftigten Personen aus acht Stunden festgesetzt wird."Dieser Antrag behält, da die Session nicht geschlossen,sondern nur vertagt ist, seinen Platz unter den Initiativ«antrügen sämmtlicher Parteien. Es erübrigt sich bei dieserSachlage, die Fraktion aufzufordern, etwas zu beantragen,was vor 9 Monaten bereits von ihr beantragt ist.—In Budapest hat nach zahlreichen anderen Kongressenvorige Woche auch ein Internationaler Friedens-k o n g r e h getagt. Wenn wir über die Verhandlungen nichtberichteten, so geschah es der Sache zu lieb, die auch die unsrigeist. Je mehr die Sozialdemokratie wächst, desto mehr greift auchdie Erkcnntiiiß um sich, daß der Weltfriede ein Traum ist undbleiben muß, so lange, die heutige, de» Klassenkampf bedingende,die Menschen und Völker verhetzende kapitalistische Gescllschafrs«wenn wir uns freuen, daß Rom jetzt keine Feinde hat,welche sie bezeugen können."„Mich dünkt," erwiderte der alte Colonna trocken,„wirwerden, noch ehe die Ernte reif ist. Feinde genug ansBöhmen und aus Bayern sehen."„Und wäre das auch der Fall," antwortete derTribun ruhig,„so sind auswärtige Feinde besser als derBürgerkrieg."„Ja, wenn wir Geld im Schatz haben, was aberschwerlich der Fall sein dürfte, wenn wir noch niehr solcheFesttage feiern."„Ihr habt wenig Zutrauen zu den Römern, edler Herr!Welcher Bürger würde sich weigern, Gold zu opfern, umdafür Ruhm und Freiheit zu erkaufen?"„Ich kenne wenige in Rom, die das thun würden,"entgegnete der alte Patrizier.„Aber sagt mir, Tribun,"was ist besser für einen Staat, wenn das Oberhaupt zu ver-schwcnderisch oder wenn es zu sparsam ist?"„Ich schiebe diese Frage meinem Freunde Luca diSavelli zu," erwiderte Rienzi.„Er ist ein großer Philosophund kann gewiß nachher ein noch schwierigeres Räthsel auf-lösen, als das, welches wir vorläufig seinem Scharfsinnvorlegen wollen."Die Barone, welche durch die kühne Rede des altenColonna sehr beunruhigt worden waren, richteten jetzt alleihre Blicke auf Savelli, der mit mehr Fassung, als sie er-wartet hatten, erwiderte:„Die Frage läßt eine doppelte Antwort zu. Wer alsHerrscher geboren ist, durch die Furcht regiert und aus-wärtige Truppen unterhält, sollte sparsam sein. Wer da-gegen zum Oberhaupt erwählt wurde, dem Volke sich anschließtund durch Liebe regieren möchte, muß dessen Neigungdurch Freigebigkeit gewinnen, und die Phantasie der Mengedurch Pracht und Glanz in Anspruch nehmen. Diesesist. wie ich glaube, der allgemein giltige Grundsatz inItalien, welches in der Staatsklugheit am erfahrensten ist."Die Barone billigten einstimmig die vorsichtige Ant-I wort, nur der alte Colonna nicht.„Ihr müßt entschuldigen, Tribun," sagte er,„wenn ichmit der höflichen Entscheidung unseres Freundes nicht ganzübereinstimme, und, jedoch mit aller gebührenden Achtung,der Ansicht bin, daß selbst die grobe Kutte eines Bettel«mönchs, das Kleid der Demuth, sich besser für Euch eignenwürde, als diese glänzende Pracht, daS Kleid des Stolzes."Mit diesen Worten berührte er den weiten, mit Gold ge»stickten Aermel des Purpurgewandes Rienzi's.„Still, Vater!" sagte Gianni, Colonna's Sohn, erröthendüber die gefährliche Kühnheit des Alten.„Nein, es hat nichts zu sagen," bemerkte der Tribunmit scheinbarer Gleichgiltigkeit, obgleich seine Lippenzitterten und seine Augen funkelten, und darauf fuhr er mitunheimlichem Lächeln fort:„Wenn der Colonna das grobeKleid des Mönchs liebt, so wird er, ehe wir uns trennen,noch genug davon sehen können! und jetzt, SignorSavelli, will ich Euch noch eine Frage vorlegen, die allenEuern Scharssinn in Anspruch nehmen wird. Ist es besserfür den Beherrscher eines Staates, zu nachsichtig oder zngerecht zu sein? Nehmt Euch Zeit zur Antwort! Ihrerbleicht? Ihr zittert?— Ihr wendet Euch ab?-->Bösewicht und Mörder, Dein Gewissen verrälht Dich!—Ihr Herren, wollt Ihr antworten sür Euren Mit«schuldigen?"„Nein, wenn wir entdeckt sind," rief Orsini, indeni erverzweifelnd aufsprang, so wollen wir nicht ungerächtfallen!— stirb, Tyrann!"Er sprang auf den Tribunen zu, der ebeufalls auf«gestanden war, und führte mit seinem Dolche einenStoß nach dessen Brust; die Waffe durchdrang daspurpurne Gewand, glitt aber harmlos ab, und Rienzi be-trachtete den darniedergeschmetterten Mörder mit verächt»lichem Lächeln.Bis gestern Abend ließ ich es mir nicht träumen, daßich unter meinem Staatskleide auch noch eine geheimeRüstung tragen müsse," sagte er.„Ihr Herren habt mireine schreckliche Lehre gegeben, und ich danke Euch!"(Fortsetzung folgt.)