Nr. 8

1. September 1929

Blick in die Bücherwelt

Die Seele Chinas.

Richard Wilhelms Chinawerk.

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neuere Philosophie, die meist sehr flüchtig abgehandelt wird, zu ihrem Recht tommen läßt. Schade ist, daß nicht auch die letzte Beit, die seit 40 Jahren eingetretene Renaissance der chinesischen Philosophie und ihre Auseinandersetzung mit dem abendländischen Denken, eingehender behandelt ist; gerade für diese Aufgabe wäre Wilhelm wie fein anderer befähigt gewesen. Eine ebenfalls für die Allgemeinheit berechnete Darstellung des gesamten chinesischen Geisteslebens ist die Chinesische Literatur "( Wildpark. Potsdam 1925/27), die eine großzügige durch zahlreiche gute Ueber­legungsproben und Bilder unterstützte Uebersicht über die Entwic lung der chinesischen Literatur vermittelt.

Daß das Intereffe an China im letzten Jahrzehnt in der ganzen Welt starf zugenommen hat, ist allgemein bekannt und erklärt sich ohne weiteres aus den Umwälzungen, die auf der einen Seite die europäische, auf der andern die ostasiatische Welt betroffen haben und die China zu einem immer bedeutsameren Faktor in der öko­nomischen, politischen und nicht zuletzt auch fulturellen Entwicklung der gesamten Menschheit werden lassen. Gerade in Deutschland hat dieses Interesse weniger einen momentanen und die seither ent­standene Literatur einen ernsthafteren und weniger von außer wissenschaftlichen Interessen bedingten Charakter als in England und auch den meisten anderen Ländern, da Deutschland sich durch den Verlust seiner politischen Machtstellung in Ostasien und den Verzicht auf Konzessionen und Konsulargerichtsbarkeit, um den ver schiedene andere Nationen noch einen ebenso unsinnigen wie un ehrlichen Kampf führen, in einer bedeutend günstigeren Lage be findet, die sich nicht nur tommerziell, sondern auch in den tultu rellen Beziehungen zwischen beiden Bölfern auswirkt. Daß sich aber die so gegebenen Möglichkeiten verwirklichen und die vielfachen philosophischen, literarischen, künstlerischen und sonstigen Anregunzige Möglichkeit für die fünftige Entwicklung der gesamten Mensch cen, die China dem Abendlande in so unendlicher Fülle geben fann, aufgefangen und weitergeleitet werden, ist zum großen Teil das Verdienst eines Mannes, in dem dieser historische Prozeß seinen Erekutor gefunden hat, des Vertreters der Chinatunde an der Frant furter Universität, Richard Wilhelm .

Richard Wilhelm bat, wie taum ein zweiter Europäer, Ge­Tegenheit gehabt, China von innen und außen, in seinen Dent- und Lebensformen, tennen zu lernen, und diese Gelegenheit in ebenso feltenem Maße ausgenußt. Er tam ursprünglich als Missionar dorthin, wandte diefer Laufbahn aber schon sehr bald den Rücken vermutlich weil er sogleich ihre Sinnlosigkeit einfah- und war zuerst Geistlicher der protestantischen Europäer in Tsing- tao, dann wissenschaftlicher Berater der deutschen Gesandtschaft und endlich Professor an der chinesischen Reichsuniversität in Beting. Nach Deutschland zurücgefehrt, gründete er mit Hilfe von Interessenten, die er besonders in Frankfurt gewann, das China- Institut , dessen Aufgabe die Vermittlung chinesischer Kultur an Deutschland und deutscher an China ist. Neben vielfacher anderer Betätigung gibt das Institut hierfür auch ein besonderes, sehr inhaltreiches Organ heraus, die Sinica", das zahlreiche chinesische und europäische Gelehrte zu Mitarbeitern hat und neben wissenschaftlichen und at tuellen Beiträgen zu den verschiedensten chinesischen Problemen be­fenders Ueberlegungen aus der modernen wie auch der älteren chi nefischen Literatur bringt. Neben seiner Lehrtätigkeit hat Wilhelm eine reiche schriftstellerische Wirtfamfeit entfaltet, um namentlich die schon vor dem Kriege im Verlag Eugen Diederichs , Jena , begonnene Reihe Die Religion und Philosophie Chinas " zu vervollständigen, die die grundlegenden Werte der chinesischen Denter in fommentierten Ueberlegungen bringen soll, und sodann fein in den 25 Jahren seines Aufenthaltes in China gesammeltes Material über die verschiedensten Gebiete der Chinaforschung mug­bar zu machen.

Bon den philofophiegeschichtlichen Werten Wilhelms ift zunächst fein Buch über Ronfusius zu nennen: Rungtfe, Leben und Wert"( Verlag Frommann, Stuttgart 1925). Es eriſtiert in deutscher Sprache bereits eine nicht unbeträchtliche und teilweise auch recht gute Literatur über' ung- Be; das schon 1867 erschienene Wert von Plath Confucius' und seiner Schüler Leben und Lehre" ist noch heute die vollständigfte Materialfammlung in einer euro. päischen Sprache; die Arbeiten von Gabeleng, Doorat, Stübe und Haas und die kurzen, aber treffenden Charakteristiken, die Grube in seiner Geschichte der chinesischen Literatur und Conrady in seiner Geschichte Chinas gegeben haben, sind ebenso wichtig wie die Wür. digungen in den verschiedenen Werfen zur Geschichte der chinesischen Philosophie. Aber noch niemand hat den Meister als Menschen Lehrer und Denker so eingehend gewürdigt wie Wilhelm , ihn so flar in seiner allumfaffenden Bedeutung darzustellen verstanden und von dem größten Chinesen, mit dem hinsichtlich der praktischen Trag weite seines Wirtens unter den europäischen Dentern vielleicht mir mit Karl Marg verglichen werden tann, ein so lebendiges und in sich geschlossenes Bild entworfen. Wichtig war für die Erzielung dieser abgerundeten Charakteristik insbesondere, daß Wilhelm fich nicht wie die meisten anderen europäischen Autoren auf eine be stimmte Auswahl aus den Quellen beschränkte, sondern alles Ma. terial, auch die apofryphe Literatur die man natürlich nicht, wie es bequemerweise meist geschieht, einfach unbeachtet laffen darf, sondern kritisch mitverwerten muß herangezogen hat, so daß ein flares und vollständiges Bild K'ung- ges entstehen fonnte. Umfang. reiche Anmerkungen und Quellennachweise geben dem Buche blei benden Wert. Für weitere Kreise hat Wilhelm dasselbe Thema in dem Bändchen' ung- tfe und der Konfuzianismus" ( Etuttgart 1928, Sammlung Göschen, Nr. 979) behandelt; besonders die ausführliche Behandlung der Quellen verleiht auch diesem Bändchen dauernden Wert.

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Allgemein fulturgeschichtlichen Charakter trägt das Wert Ost. afien"( Potsdam 1928, Riepenheuer), das zu dem Meisterwerf Wilhelms Die Seele Chinas"( Berlag R. Hobbing, Berlin 1926) gewissermaßen die historische Bertiefung gibt. Man erhält eine die neuesten Forschungen mit verarbeitende, aber doch wesent­lich selbständige und originelle Darstellung der Entwicklung der chi nefischen Kultur, mit einem Ausblick auf die Zukunft, der als ein­heit eine Synthese zwischen östlicher und westlicher Kultur erblickt, da teine der beiden Kulturen so überlegen ist, daß sie hoffen könnte, die andere zu besiegen und aufzusaugen. Denn wenn die leben­dige Kulturauseinandersetzung zwischen Ost und West scheitern sollte, so würde ein Chaos eintreten, aus dem teine bewußte Ueberlegung den Menschen retten tönnte". Mehr ins einzelne geht die Ge. schichte der chinesischen Kultur"( München 1928, Brud. mann). Sie gibt zunächst eine gründliche Analyse der Quellen, so. wohl ber literarischen wie der archäologischen und folkloristischen, die als Material für den Aufbau einer chinesischen Kulturgeschichte zur Verfügung stehen wobei auch die gerade für China so wichtige mündliche Tradition nicht vergessen wird, und dann unter stetem Hinweis auf die Quellen eine Uebersicht über die gesamte Kultur­entwicklung Chinas , bei der auch das sonst fast immer sehr stief. mütterlich behandelte Mittelalter zu seinem Recht tommt. Die neueren Forschungen der auf diesem Gebiete arbeitenden chinesischen und europäischen Gelehrten sind eingehend berücksichtigt und ein ausführliches Berzeichnis der in Betracht kommenden chinesischen und europäischen Literatur beigegeben.

In Wilhelms Werten vereinigt sich eine gründliche Kenntnis Chimas, feiner Sprache und Literatur wie seines Boltstums, mit einer von feiner europäischen nationalen oder religiösen Beschränkt heit eingeengten Weite des Blickes und einer warmen Sympathie für die chinesische Eigenart, die mit einem ebenso flaren Berständ nis für die Entwicklung der europäischen Kultur und ihre Bedürf niffe verbunden ist. Als Rosmopolit und Pazifift arbeitet Wilhelm in derfelben Richtung auf Aussöhnung und endlich Synthese des Oftens und Westens, die in den letzten Jahren die Werte von Driesch, Dewey, Russell, Lederer und T'ang Liang- li verfolgt haben; aber seine sprachliche Schulung und ebenso weite wie tiefe Sachtenntnis machen ihn vor allen anderen zum berufenen Interpreten Chinas und zum Vermittler zwischen beiden Kulturen. Seine Werke, die auch in China hochgeschätzt werden ein chinesischer Gelehrter meinte zu mir über die Seele Chinas ", daß auch ein Chinese das Buch nicht beffer hätte schreiben tönnen follten darum auch in Arbeiter, Bolts. und Schulbiblio theten nicht fehlen. Gegen die von den diplomatischen und missio­narischen Agenten des Imperialismus verfaßten Schriften, deren Anschauungen noch immer die öffentliche Meinung gegenüber China beeinflussen, bilden sie ein wirksames Gegengift beeinflussen, bilden fie ein wirffames Gegengift- daraus erklären sich wohl überwiegend auch die fachlich sehr schwach begründeten Angriffe, die sie vielfach von reaktionärer Seite erfahren haben. Und der Kampf gegen den Imperialismus, der ja auch einen wesent lichen Teil des Befreiungstampfes des europäischen Proletariats bildet, wird durch folche wissenschaftlich und weltanschaulich gleich hochstehende Werte, die die besten Waffen gegen imperialistische und folonialpolitische Agitation bilden, wirksam gefördert. Prof. Eduard Ertes.

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Strafvollzug.

Dr. Erwin Bumte: Deutsches Gefängniswefen. Ein Handbuch. Berlag Franz Bahlen. Berlin 1928. Das von dem jebigen Reichsgerichtspräsidenten Bumte heraus­gegebene Handbuch des deutschen Gefängniswesens orientiert burch Auffäße zahlreicher Strafvollzugsprattiker und Theoretiker über den heutigen Zustand deutscher Gefängnisse und die Stellung der Ge­fangenen in ihnen.

In drei gesonderte Gruppen schließen sich für den Leser die zahlreichen, ohne besondere Systematik nebeneinander stehenden Bei träge zusammen. Wertvolle Belehrung über die technischen Vor. bedingungen des Strafvollzugs erfahren wir in den Abschnitten über Organisation und Berwaltung von Gefängnisanstalten, über Aus. tilbung und Art der Strafanstaltsbeamten, über die Gesundheits­fürsorge in den Anstalten u. a. m.

R'ung- hes großer Gegenspieler Lao- ße, dessen Buch Wilhelm schon 1910 übersetzt hatte, hat ebenfalls in Frommanns Klaffitern der Philosophie einen Band erhalten( 2a otse und der Taois. mus", Stuttgart 1925, Frommann). Da sowohl die Lehren des Taoismus wie feine Geschichte sehr viel dunkler sind als die des Konfuzianismus, so ist es auch viel schwerer, darüber zu einem ge­fchloffenen Bilde zu gelangen, und ein faft müßiges Beginnen, fich jezt schon über die Auffassung eines faoistischen Autors streiten zu wollen. Jedenfalls ist Wilhelms Anschauung von Lao- hes System flar und in sich gefchloffen und ganz auf Quellenstudien gegründet; heitlich geregelt find. Besonders verdienstvoll erscheint uns hier der von europäischen Interpretationen hat er sich im Gegensatz zu manchen neueren Uebersetzern, die fast nur auf solchen fußen, gar nicht beeinflussen lassen.

Eine Gesamtdarstellung des chinesischen Dentens, für weiteste Kreise bestimmt, gibt Wilhelm in seinem in der Jedermanns Bücherei" erschienenen Bändchen Chinesische Philo­sophie"( Breslau 1929, Hirt). Es sind in den letzten Jahren nicht wenige Werke erschienen, die die Geschichte der chinesischen Philosophie behandeln, wie die auf Quellenstudien beruhenden Ar­beiten von Lucci, Hadmann. Forte und die Kompilation von Benter; aber alle diese sind, was Größe, Darstellungsart und auch Breis anbelangt, nur für einen verhältnismäßig fleinen Kreis be­sonderer Intereffenten bestimmt. Wilhelm dagegen schreibt für jeden, der Belehrung sucht, und ist trotzdem nicht oberflächlich; denn wie immer arbeitet er auch hier ganz nach den Quellen und gibt in mehr als einer Hinsicht auch mehr als die genannten Autoren, da er auch die historischen Verhältnisse berücksichtigt, die zur Ent­stehung der philosophischen Meinungen führten, und ferner die

Sind so die äußeren Umrisse unseres Strafvollzugs dem Lefer deutlich geworden, so eröffnen ihm die Kapitel über die Strafvoll streckung, die rechtliche Stellung der Gefangenen, die Behandlung der Gefangenen, die Arbeit der Gefangenen, den Strafvollzug in Stufen, die vorläufige Entlassung und noch manche andere Einblick in die nähere Ausgestaltung der Freiheitsentziehung, in die mannigfaltigen Berhältnisse, die hier zunächst durch Uebung der einzelnen Länder entstanden und jetzt durch Grundsatzvereinbarung für das Reich ein­Beitrag des leider inzwischen verstorbenen Profeffors Freude n thal, der mit deutlicher Betonung den Gefangenen nicht als Dbjelt einer irgendwie gearteten Fürsorge oder Verwaltung, sondern als Subjekt von Rechten darstellt. Durch die ganz schlichte, aber an­schauliche Schilderung von scheinbar auch geringfügigen Regelungen der Gefangenschaft" wird hier der Leser genötigt, sich selbst einmal in die Lage eines Gefangenen hineinzuversehen und die Aus­wirkungen aller dieser Anordnungen, Gebote und Verbote, auf sich selbst deutlich zu empfinden.

Aber mit einem noch so fein ausgebauten, der Gerechtigkeit noch und Aufrechterhaltung der Disziplin ist es ja nicht getan. Wir per. langen heute für die brutale Tatsache der Freiheitsentziehung durch Urteilsspruch eine innere Sinngebung. Ein noch so reibungslos verlaufender Strafvollzug, felbst wenn er nur mit einem Minimum von Härte ausgestattet wäre, läßt in uns heute nicht das Schuld gefühl zur Ruhe kommen darüber, daß hier Menschen getrennt werden von allem, was das Leben lebenswert macht, daß sie ab

so nahe fommenden System von Regelungen über Tageseinteilung

Wollen Sie sich einen Genuss verschaffen.

Rauchen Sie

Beilage des Vorwärts

geschlossen und eingesperrt werden und ihr Intereffe abstumpft und verfümmert.

Mit dieser ganz großen, dieser seelischen Not des Gefangenen beschäftigen sich die Beiträge über Seelsorge an evangelischen und an tatholischen Gefangenen und der Auffah von Oberregierungsrat Dr. Frede über geistige und seelische Hebung der Gefangenen. Die Unmöglichkeit. an der seelischen Haltung der Gefangenen vorbei­zugehen, ohne ihr Beachtung zu schenken, spricht aus den Worten des Strafanstaltsoberpfarrers Dr. Klatt, mit denen er aufs treffendste den Zustand der in Einzelhaft gefekten Gefangenen schildert.

Welcher Art sollen nun die ,, Icbendigen Kräfte" sein, von denen der Gefangene Willen zum neuen Leben empfangen foll? Es ist hier nicht der Ort, sich mit dem Dogma der katholischen Kirche von Schuld, Erbsünde und Sühne auseinanderzusehen, auf dem die warmherzigen Ausführungen des Hamburger Pfarrers Meyer be­ruhen. Die Feststellung genügt, daß nur eine firchlich- dogmatische, feineswegs aber eine psychologische Notwendigkeit dafür besteht, den Rechtsbrecher das bittere und niederdrückende Gefühl des Sünder­feins austosten zu lassen. In welchem Maße es vielmehr möglich ist, jede negative seelische Beeinflussung zu vermeiden und alle Einzelheiten des Gefängnislebens der einen und wesentlichen Auf­gabe dienstbar zu machen: Geist und Seele des Gefangenen zu führungen von Dr. Frede. Hier wird ohne Furcht vor dem immer weden, anzuregen, zu heben und zu fördern, zeigen die Aus­noch so oft zu hörenden, gedankenlosen Vorwurf, man mache das brecher, überzeugend dargestellt, welch geistig- feelische Förderung Gefängnisleben zu schön und geradezu verlockend für den Rechts­dem Gefangenen aus einer sinnvollen Handhabung des Unterrichts, aus einer verständigen Ausgestaltung der arbeitsfreien Zeit er­wachsen tann. Ja, es soll an den Gefangenen in seiner Strafzeit etwas herangetragen werden, was besser ist als sein bisheriges Leben; er soll die Freude an der Musik, am Lesen, an förperlicher Wege der Ermutigung, der Erweckung und Stärkung feines fee­Bewegung und an vielem anderen tennen lernen. Nur auf diesem lischen Lebens fann der im Gefängnis sonst unvermeidlichen völligen inneren Abstumpfung entgegengearbeitet werden.

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für den Leser. Zu vermissen ist nur ein Beitrag über das Sexual­So enthält das Wert eine Fülle von Belehrung und Anregung leben im Gefängnis, das wohl das düsterste Kapitel des ganzen Gefängnislebens doch als Gegengewicht gegen den sonst zu leicht betörenden und beruhigenden optimistischen Befferungswillen fast aller Mitarbeiter nicht hätte fehlen dürfen. Dr. Hilde Kirchheimer.| Karl Plättner : Eros im 3uchthaus, Morp- Berlag, Ber fin. 236 S. Preis 4,50 m. Das Segualproblem des Gefangenen interessiert nicht seit heute. Sowohl in der schönen als auch in der wissenschaftlichen Literatur, in Gefängnisschilderungen und Bekenntnissen von Gefangenen gab es bald furze Andeutungen, bald drastische Darstellungen. Aber erst jetzt ist das Segualproblem mit zu einer brennenden Frage der Strafvollzugsreform geworden. Das mußte es; soll der gesamte Mensch durch den modernen Strafvollzug erfaßt werden, so fann der Praktiker wie der Theoretiter an den Forderungen des zweit­stärksten der menschlichen Triebe nicht stillschweigend vorübergehen. Mehr noch: er muß ihn wenn irgend möglich in den Dienst des Erziehungsgedankens stellen.

Der Kommunist Karl Plättner hat ein Buch geschrieben, das nur dieser einen Frage gewidmet ist: Eros im Zuchthaus. Es ent­hält die Sexualbeichte des Verfassers und die Bekenntnisse einer Reihe seiner Mitgefangenen. Mit schonungsloser Offenheit wird intimes Erleben bloßgelegt; was man hier erfährt, wirft erschüt­terns, selbst dann, wenn man von den Sexualqualen dieses intellek­tuellen und anscheinend seelisch ein wenig labilen Menschen manches abstreicht. Mag sein, daß sein Erleben nicht ganz typisch ist für fämtliche Strafgefangene, insbesondere für solche von weniger feiner feelischer Struttur und für die, die tagsüber mit förperlicher Arbeit beschäftigt find. Trotzdem bliebe noch so viel übrig, daß man mit ruhigem Gewissen von spezifischen Sexual qualen des Ge­fangenen sprechen muß. Daß es sich hier nicht um den Einzel­fall Blättner handelt, beweisen die Geständnisse seiner Mitge fangenen. Blättner erzählt, wie sein Sexualleben troy hartnäckigen Widerstandes, ben er Anfechtungen jeglicher Art entgegenseite, nach und nach den ungesunden Reizen des Eingefertertseins unter­lag; er schildert die Einwirkungen der Gemeinschaftsfäle, der Einzel. haft und der Arrestzelle und macht Borschläge, die geeignet wären, ben schlimmsten Auswüchsen der Gefängnisfegualität entgegenzu­musik flingen. Das soll nicht besagen, daß es vielleicht nicht doch wirken. Hierbei versteigt er sich zu Vorschlägen, die wie Zukunfts­noch einmal dahin kommen würde; aber vorläufig befindet sich der moderne Strafvollzug noch in den ersten Anfängen. Plättners Buch zeigt, wie notwendig es wäre, schon im Rahmen des jeht Möglichen den für die Entfaltung des schöpferischen Menschen so wertvollen Geschlechtstrieb dem modernen Strafvollzugsgebanken Leo Rosenthal. dienstbar zu machen.

Sozialpolitik.

Friedrich Kleeis: Die Geschichte der sozialen Ver= ficherung in Deutschland . Berlag der Arbeiter- Bersor­gung in Berlin- Lichterfelde . 300 S. Preis geb. 7 M.

Ein ausgezeichneter Kenner unserer Sozialversicherung hat hier den durchaus geglückten Versuch unternommen, ihre Geschichte zu schreiben. Das Schwergewicht dieser Kleeisschen Arbeit liegt weniger in der ideengeschichtlichen Darstellung und in Untersuchungen über die soziale Funktion der Sozialversicherung und ihre Wandlungen im Berlaufe der Entwidlung, es liegt in der Hauptfache in der Darstellung der Sozialversicherung als Schuß gegen die Wechſelfälle des Lebens von ihren Anfängen im Mittelalter als Selbsthilfe­einrichtungen bis zu jenen umfassenden Schöpfungen durch die Gesetz­gebung. Die Fortbildung der einzelnen Zweige der Sozialversiche­rung durch die Gesetzgebung wird in gedrängter und doch erschöpfen­der Form in ihren einzelnen Etappen dargestellt. Kleeis unter­scheidet dabei in seiner Darstellung nach der Einführung der reichs­gefeßlichen Zwangsversicherung, die Zeit der Reformbewegung und neuer Pläne, die Reichsversicherungsordnung und ihre Auswirkun­gen auf andere Gesetze, die Kriegs- und Nachkriegszeit und die Zeit bes Wiederaufbaus und Weiterbaus. Die einzelnen Zweige der Sozialversicherung werden in diesen verschiedenen Zeitspannen be­handelt, so daß eine einheitliche chronologische Darstellung der einzel­nen Zweige nicht möglich ist. Man kann darüber streiten, welche

Bei offenen Füßen, Krampfadergeschwüren, schwer heilenden Bunden, schmerzhaften Entzündungen usw., unerträglichem Jucken follten Sie die milde wohltuende Orlinda Salbe anwenden. Dose Wet. 1.75 und 3.-, in Drogerien und Apotheken erhältlich, sonst bei Otto Reichel, Berlin 43 GD, Eisenbahnstraße 4.

ENVER BEY

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GUTSCHEINE LIEGEN BEI!