№ 1.
Beiblatt zur„ Berliner Volks- Tribüne".
Das Gnadenbrod.
( Aus der„ Wiener Illustrirten Zeitung".) Den Schnee verstreut mit milder Hand Der Himmel über's Winterland. Ein Handwerksbursche zieht zur Stadt, Der nichts in Tasch und Magen hat. Wie dehnt der Weg sich lang und weit! Wie oft schon ging die Essenszeit! Wohl giebt es Menschen, mild und gut Heut traf er nur auf Teufelsbrut.
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Man weigert Speise ihm und Trank, Und nennt den trunken, der mnur frank! Verhungert halb und halb verstört, Zieht er dahin, dem nichts gehört. Die Spuren in dem weichem Schnee Deckt wieder Schnee! Sein inn'res Weh' Gräbt Furchen ihm auf Wang' und Stirn, Die nichts verlöscht! Es tobt sein Hirn.
Wirthsschilder giebt's die bunte Meng! Nun ist er in der Stadt Gedräng! Auf Arbeit hat er wohl ein Recht Man weist ihn ab wie einen Knecht!
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Besezt sind alle Stellen längst. Da hört er wiehern einen Hengst, Am andern End', im letzten Haus Der Stadt, die er jezt zieht hinaus. Der Stall ist offen und dem Gaul Fällt Hafer aus dem lahmen Maul. Der hat zu viel, der kennt nicht Noth Und frißt vergnügt sein Gnadenbrod!
Er trug den Reiter wohl zur Schlacht, Hat, was er that, recht gut gemacht! Zur Arbeit nahm man ihm die Pflicht, Er frißt noch, doch er leiftet nicht!
Es ist Pietät ein schönes Ding! Doch ist mein können so gering," So denkt der Bursch, daß mir verwehrt, Was doch gegönnt dem alten Pferd?"
Er klopft. Der Herr des Hauses spricht: ,, Wir brauchen Euch, den Tischler, nicht, So jung und betteln? Arbeit sucht!" Der Bursche geht! Er lacht! Er lacht! Er flucht!
Der Himmel über's Winterland Verstreut den Schnee mit milder Hand. Fußstapfen wieder zugeweht, Beweisen, daß der Bursche geht!
Zum nächsten Dorf noch schleppt er sich!
"
, Schneedecken, legt Euch über mich!"
Am Morgen liegt er kalt und todt... Der Schimmel frißt sein Gnadenbrod.
Eine Idealistin.
Märchen von Schtschedrin.
Aus dem Russischen übersetzt von Julie Zadek.
Sonnabend, den 7. Januar 1888.
II. Jahrgang.
trübe ist. Dann werfen sie die Neße und fangen an, ,, Noch sind sie es nicht, aber fie werden zu Schanden mit Tauen und Stöcken das Wasser aufzuwühlen und werden- glaube mir. Und auch hier wiederum bestätigt Lärm zu machen. Die Karauschen hören den Lärm und die Geschichte meine Behauptung. Vergleiche, was einst glauben, daß er den Triumph des freien Gedankens be- war, mit dem, was ist und Du wirst mir beistimmen deute. Und sie steigen empor aus der Tiefe, um zu sehen, müssen, daß nicht nur die Aeußerungen des Bösen ob sie nicht auch irgendwie an diesem Triumphe theil- heutzutage milder geworden sind, sondern daß auch nehmen können. Und dabei gerathen sie in großen Mengen ihre Anzahl sich merklich verringert hat. Betrachte nur in das Netz, um so das Opfer menschlicher Genußsucht zu einmal unser eigenes Geschlecht, die Fische. Früher fing werden. Denn ich wiederhole es, die Karausche ist ein man uns zu allen Zeiten und mit Vorliebe zur Schonzeit, so schmackhaftes Gericht( besonders mit saurer Sahne ge- wo wir, wie die Narren, selbst geradezu in's Netz gingen; braten), daß selbst die Adelsmarschälle sie den Gouverneuren jezt aber gesteht man ein, daß es nicht gut sei, uns zur gern vorſeßen. Schonzeit zu fangen. Früher tödtete man uns, man kann Was den Kaulbarsch anbetrifft, so ist dieser Fisch wohl fagen, mit den barbarischsten Mitteln- man erzählt bereits von Stepiizismus angetränkelt und überdies sticht sich, daß im Ural, zur Zeit als man uns noch mit Haken er. Zu Fischsuppe gekocht, giebt er aber eine unvergleich- fing, das Wasser viele Werst weit roth war von unserem liche Bouillon. Blute, jezt aber keine Spur mehr davon. Neze, Fisch
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Wie es geschah, daß Karausche und Kaulbarsch zu- reusen, Angeln nichts weiter. Ja, und da berathschlagen sammentamen, weiß ich nicht; ich weiß nur das Eine, daß sie noch in Komitees: welche Neze? Auf welche Weise? sie bei der ersten Begegnung sogleich in Streit geriethen. Zu welchem Zwecke?" Sie stritten einmal mit einander, sie stritten ein zweites ,, Und ist es für Dich nicht ganz gleichgiltig, auf Mal und schließlich fanden sie Geschmack daran und fingen welche Weise man Dich zu Fischsuppe verarbeitet?" an, weitere Zusammenkünfte zu verabreden. Unter irgend ,, Fischsuppe? Welche Fischsuppe?" fragte die Karausche einer Wasserpflanze stecken sie die Köpfe zusammen und halten kluge Reden. Die weißbauchige Plöße springt muthwillig um sie herum und will ihren Geist an der Weisheit der Beiden bilden.
erstaunt.
Ach hol' Dich der Teufel! Das nennt sich Karausche und hat nie von Fischsuppe gehört! Welches Recht haft Du denn da, mit mir zu streiten? Ja wohl, um mitImmer ist es die Karausche, die anfängt. sprechen und eine Meinung aufstellen zu dürfen, muß man „ Ich glaube es nicht," sagt sie, daß Kampf und doch zum Mindesten sich vorher mit den Verhältnissen Streit das Naturgesetz sind, unter dessen Herrschaft die vertraut gemacht haben. Wie darfst Du mitreden, wenn Entwickelung alles Dessen, was in der Welt lebt, sich voll- Du nicht einmal eine so einfache Wahrheit weißt: daß die ziehen muß. Ich glaube an den unblutigen Fortschritt, Bestimmung jeder Karausche ein für allemal die Fischsuppe ich glaube an die Harmonie und ich bin der festen Ueber- ist? Mach', daß Du fortkommst oder es geht Dir schlecht!" zeugung, daß das Glück nicht ein müßiges Hirngespinnst schmärmerischer Geister ist, sondern daß es früher oder später Allen zu Theil wird."
,, Warten wir's ab!" spöttelte der Kaulbarsch. Der Kaulbarsch sprach abgerissen und unruhig, wenn er disputirte. Er ist ein nervöser Fisch, der jede Beleidigung lange nachträgt. In seinem Herzen brennt es... ach, und wie sehr! Noch ist die Flamme des Hasses nicht daraus emporgeschlagen. Aber wie weit liegen Glauben und Vertrauen hinter ihm, wie weit! An Stelle des Friedens sieht er allenthalben Kampf, an Stelle des Fortschritts allgemeine Verderbtheit. Und er behauptet, daß, wer leben will, mit dieser Thatsache rechnen müsse. Die Karausche hält er für sehr einfältig, obschon er gleich zeitig zugiebt, daß ihm nur im Gespräche mit ihr das Herz aufgeht.
Der Kaulbarsch war außer sich vor Wuth und die Karausche machte, daß sie so schnell, als es ihre Plumpheit zuließ, in die Tiefe tauchte. Aber schon nach Verlauf von vierundzwanzig Stunden saßen die feindlichen Brüder wieder beieinander und begannen von Neuem.
,, Vor einigen Tagen hat sich in unserer Bucht ein Hecht sehen lassen", erzählte der Kaulbarsch.
,, Derselbe, von dem Du neulich sprachst?" ,, Derselbe. Er schwamm heran und sagte: Hier ist's aber schon gar zu ſtill! Hier giebt's gewiß Karauschen? Und damit schwamm er fort."
,, Und was soll ich nun thun?"
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,, Dich bereit halten nichts weiter. Wenn er herankommt und Dich angloßt, drück Deine Schuppen und Flossen so fest als möglich zusammen und lauf ihm direkt
in's Maul."
,, Warum soll ich ihm denn in's Maul laufen? Was habe ich denn verbrochen?"
,, Ein solches Gesetz kann es nicht geben!" rief die
Ich will's auch abwarten," rief die Karausche ,,, und nicht ich allein, sondern wir Alle. Die Finsterniß, die uns umgiebt, ist das Werk eines unseligen geschichtlichen ,, Du bist dumm das ist Dein Verbrechen. Und Zufalls, da wir aber heutzutage, Dank der neuesten Unter- obendrein bist Du fett. Und den Dummen und Fetten suchungen, diesen Zufall bis in die feinsten Fäserchen zer- befiehlt das Gesetz, den Hechten in's Maul zu laufen!" legen können, so ist es uns auch möglich, zu vermeiden, was ihn hervorgerufen. Die Finsterniß ist gewesen, das Licht aber- wird sein. Und es wird, es muß Karausche in offener Empörung. ,, und kein Hecht hat das Recht, Einen ohne Weiteres zu verschlingen, Licht werden!" sich zu rechtfertigen. Ich werde mich schon rechtfertigen; sondern muß Einem vorher Gelegenheit geben, ich will ihm die Wahrheit sagen. Ich werde ihm die Schamröthe in's Geficht treiben."
„ Das heißt, Du bist überzeugt, es wird eine Zeit kommen, in welcher es keine Hechte mehr giebt?"
,, Ich habe Dir's ja bereits gesagt, daß Du ein Einfaltspinsel bist und kann nur wiederholen: Einfaltspinsel! Einfaltspinsel!"
„ Hechte? Was für Hechte?" fragte die Karausche erstaunt. Denn sie war so naiv, daß, wenn man in ihrer Gegenwart sagte:„ Der Hecht lebt im Meere, damit die Karausche nicht schläft," sie allen Ernstes glauben würde, der Hecht sei ein Wesen, etwa nach Art der Niren und Undinen, mit welchen man die kleinen Kinder schreckt und Der Kaulbarsch war sehr ärgerlich und gelobte sich, daher auch nicht eine Spur von Furcht empfinden würde. in Zukunft jeden Verkehr mit der Karausche aufzugeben. ,, Ach, Du Einfaltspinsel! Du willst die Räthsel des Aber nach Verlauf weniger Tage schon siegte die Gewohnheit. Lebens lösen und weißt nicht einmal, was ein Hecht ist!" ,, Ja, wenn alle Fische untereinander einig wären..." Der Kaulbarsch bewegte verächtlich seine Flossen und begann die Karausche. schwamm nach Hause. Aber nach kurzer Zeit schon tamen Das ging dem Kaulbarsch denn doch über den Spaß. Die Karausche behauptete, man könne in der Welt mit die Gefährten in einem einsamen Winkel wieder zusammen ,, Was glaubt denn die Närrin?" dachte er, sie redet und der Wahrheit allein auskommen und der Kaulbarsch ließ( denn im Wasser ist's langweilig) und der Streit begann redet und dabei treibt sich der Thurmfisch ganz in ihrer Nähe herum. Sie aber thut, als wenn dies sie gar nichts es fich nun einmal nicht ausreden, daß es ohne Schlau- von Neuem. heit und Hinterlist nicht ginge. Was der Kaulbarsch Die erste, vornehmste Rolle im Leben spielt das anginge und verdreht die Augen und berauscht sich an eigentlich unter diesen Worten verstand, weiß ich nicht; so Gute" sagte die Karausche ,, das Böse, das geschieht ihren eigenen Worten." oft er sie aber aussprach, rief die Karausche unwillig: nur irrthümlich, aber die eigentliche Lebenskraft ist das Gute." Aber das ist ja eine Gemeinheit!" Worauf der Kaulbarsch entgegnete: " Du wirst schon sehen!"
Karausche und Kaulbarsch stritten mit einander.
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Gieb Acht auf Deine Taschen!"
,, Du mußt nicht gleich Alles sagen, was Dir durch den Sinn fährt!" redete er auf die Karausche ein. Man braucht auch nicht immer gleich das Maul soweit aufzuAch, Kaulbarsch, welch' abscheulicher vulgärer Aus- sperren und kann, was man zu sagen hat, auch leise sagen." „ Ich will nicht leise reden," fuhr die Karausche un= Die Karausche ist ein friedliebender Fisch, der zum drücke bedienst Du Dich doch! Gieb Acht auf Deine Idealismus neigt: es ist kein Zufall, daß die Mönche sie Taschen. Soll das vielleicht eine Antwort sein?" gerührt fort. Ich sage es gerade heraus: wenn alle Fische so lieben. Am liebsten liegt sie auf dem tiefsten Grunde Dir dürfte man von Rechtswegen gar nicht antworten. fich vereinigten, so..." Hier unterbrach der Kaulbarsch seinen Freund rauh. der Buchten oder Teiche, da wo es am ruhigsten ist und Du bist ein Dummkopf- das ist die einzig richtige Antwort." „ Nein, aber so höre doch, was ich Dir sage. Daß gräbt sich ganz und gar in den Schlamm ein, in welchem Mit Dir muß man, wie ich sehe, anders umgehen," schrie er die Karausche an und machte sich Hals über Kopf sie mikroskopisch kleine Muscheln zu ihrer Nahrung zu- das Böse nie und nirgends die treibende Kraft war- sammenfucht. Und während sie so Tag aus, Tag ein beweist auch die Geschichte. Das Böse erstickte, erschlug, auf den Heimweg. still daliegt, gehen ihr natürlich allerhand Gedanken durch verheerte, verwüstete mit Feuer und Schwert, und nur das Er ärgerte sich über die Karausche und zugleich that den Kopf. Mitunter sogar sehr freie Gedanken. Da die Gute war die schöpferische Kraft. Das Gute ist es, was fie ihm leid. Sie war zwar dumm, aber doch war sie Karauschen indessen ihre Gedanken weder der Zensur vor- den Unterdrückten zu helfen strebte; es zerbrach Ketten und die Einzige, mit der er reden konnte, wie ihm um's Herz zulegen noch zu Protokoll zu geben brauchen, so tommen sprengte Fesseln; in den Herzen weckte es befruchtende Ge- war. Sie erzählt nichts weiter, sie verräth ihn sie auch nicht in den Verdacht politischer Umsturzgedanken. danken und beschwingte den Flug des Geistes. Und wäre nicht wie felten trifft man diese Eigenschaft Wenn wir trotzdem sehen, daß von Zeit zu Zeit Jagd es nicht in Wahrheit die schöpferische Kraft im Leben, so heutzutage an. Die Zeiten sind schlimm, s' ist eine Zeit auf sie gemacht wird, so geschieht dies keineswegs ihres hätten wir auch keine Geschichte. Denn sieh', was ist denn der Schwäche man darf kaum den eigenen Eltern ist die Erzählung trauen. Da ist z. B. die Plöße, man kann ihr eigentlich Freisinns wegen, sondern weil sie überaus schmackhaft sind. eigentlich Geschichte? Die Geschichte Man fängt die Karauschen vornehmlich im Netze; von der Befreiung, von dem Triumphe des Guten und nichts Böses nachsagen, aber ehe man sich dessen versieht, plaudert sie in ihrer Dummheit Alles aus. Von den damit der Fang aber lohnend sei, muß man gewisse Kunst- Vernünftigen über Bosheit und Unvernunft." griffe anwenden. Erfahrene Fischer gehen unmittelbar Und bist Du dessen so gewiß, daß Bosheit und Thurmfischen, den Rothaugen und anderem Gesindel nun nachdem es geregnet hat an den Fang, wenn das Wasser Unvernunft zu Schanden werden?" höhnte der Kaulbarsch. gar nicht zu reden. Für ein paar Würmer sind Die
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