(Etit„tttmerhiMssfzes" Vuveuptück. Von ehrlichen.Anarchisten", d. h. von solchen, die wirklich in unklarem Idealismus an die Zaubergewalt des bürgerlichen Freihcitsbegriffes glauben, ist uns wiederholt gesagt worden: statt die Anarchisten zu bekämpfen,. sollten wir sie doch als Bundesgenossen betrachten, die auf ihre eigene Weise, nicht in feindlichem Gegensatz zu uns, sondern nur mit anderer Taktik gegen den gemeinsamen Feind zu Feld zögen— gewissermaßen als �reischaaren, die nebe» der geschlossenen Armee der Sozialdemo- kratie auf eigene Faust, jedoch mit dem gleichen Ziel fechten. Solchen Phantasten mußten wir sagen:„Ihr kennt die Ver- bältnifse und die Menschen nicht— Sozialismus und Anarchismus hnbeii nicht das gleiche Ziel, die Anarchisten stehen auf dem Boden der heutigen bürgerlichen Gesellschaft, wenn sie auch noch so laut gegen sie leswctter»; und, weit cnlfernt uns zu unter- stützen, haben sie, ihrem Ursprung und ihrer Natur entsprechend, keine andere Aufgabe, als uns Sozialdemokraten Knüppel zwischen die Beine zu werfen und Diversionen zu gunsten der kapita- l i st r s ch e n Gesellschaft zu machen, auf deren Boden sie stehen, und aus deren Bodensatz der ganze„Anarchismus" hervor- gewachsen ist." Daß dies richtig, das haben die„Anarchisten" bei hundert Gelegenheiten bewiesen und erst jüngst in eklatanter Weise bei dem Bubenstück, das gegen den„ V o o r u i t" in Gent (Belgien ) verübt wurde. Dort gab ein Anarchist, ein Freund des Nieuwenhuis. sich zu der schmutzigsten Arbeit her, welche die kapitalistische Gesellschaft für sich verrichten läßt- zur Denunziation, einer dem Kapita- lismus verhaßten Person und Sache. Dem ehrlichen Bürgerthum galt früher der Denunziant als „der größte Schuft im ganzen Land". Das durch den Kapitalismus degenerirte und korrumpirte Bürgerthum, zu dem auch die„an- archistische" Abart gehört, braucht die Denunziation und hängt ihr sogar den Mantel der Pflicht und Gesinnungstüchtigkcit um. Unsere Leser kennen die schmachvollen Vorgänge. Ein An- archist beschuldigte Anseele, im„Vooruit" das Schwitzsysteni zu siben und dessen schmutzigste Auswüchse zu dulden— außerdem seien die ganzen Arbeitseinrichtungen derart, daß sie den von den Sozialisten und speziell von Anseele in der Kammer für die Fabriken und Werkstätten geforderten Bestimmungen zum Schutze der Arbeiter schnurstracks zuwiderliefen. Unsere Leser wissen, wie Anseele die Verleumdungen Punkt für Punkt siegreich widerlegte. Und hinzufügen können wir, wie bei diesem Anlaß seine Selbstlosigkeit an den Tag kam,— daß er, die Seele und der Leiter dieses großen geschäftlichen Unter- nehmens, nur etwas über SOCK ) Franks jährlich Gesammt- einnahme hat, seine Kaunnerdiäten e i n gerechnet, von denen ein Theil in die Parteikasse fließt. Das hinderte aber die kapitalistische Presse nicht, die Verleumdung voll Schadenfreude weiter zu kolportire», so daß die Behörden, an welche der anarchistische Denunziant— Pol de Witte, Anseele's eigener Schwager!— sich direkt ge- wandt hatte, eine Untersuchung der Werkstätten und Arbeits- einrichtungen des„Vooruit" anordneten. Zwei Fabrikinspektoren, die Herren de Buck und Febri, wurden mit der Untersuchung be- traut. Ihr Bericht liegt uns vor. Sie schreiben: „Wir haben festgestellt, daß die Gesellschaft„Vooruit" alle Arbeit, welche die Näherinnen in ihrem achtstündigen Arbeitstag über das Minimum hinaus produziren, vollständig bezahlt, daß von dem Ucberschuß(über das Minimum hinaus) 60 pCl. in die Hand, 1ö pCt. in die Unterstntzungskasse der Näherinne» und 2b pCt. in die Reisekasse der Näherinnen(für einen kurzen Ferienausflug) gezahlt werden, daß diese Zahlungen regelmäßig erfolgt sind, und daß die Bücher regelmäßig geprüft werden, und endlich, daß dieses System zwischen den Arbeitern und dem Exekutiv»Ausschuß der Gesellschaft„Vooruit" vereinbart worden ist. Damit sind die Behauptungen des anarchistischen Denunzianten Pol de Witte. Freund des Nieuwenhuis, auch von den Behörden als Verleumdungen gebrandmarkt. Und gerade um die Entlöhnung der Näherinnen handelte es sich bei den Anklagen und bei der Untersuchung. Wird unsere Kapitalistenpresse so viel Scham« und Ehr- gefühl haben, ihren Lesern, denen sie die Lügen so eifrig mit- getheilt, nun die Wahrheit zu sagen? politische Aebevstchk. Berlin , 28. September. Eiu französisch- cuglisches Vüudniß gilt seit einiger Zeit bei verständige» Politikern in England und Frankreich als die einzige Möglichkeit zur Beendigung des immer wirrer werdenden europäischen Wirrsals. Der Gedanke ist ja alt. Schon in den fünfziger Jahren hatten wir das Bündniß der West- mächte, das der russischen Eroberungssucht eine Zwangsjacke an- legte. Der deutsch - französische Krieg zerriß aber das Bündniß der Westmächte und die den Russen angelegte Zwangsjacke. Frankreich , das in der Krim an der Seite Englands geaen Ruß- land gekämpft hatte, wurde auf seilen Rußlands gedrängt und die ganzen Machtverhältnisse Europa's verschoben— namentlich auch in Beziehung auf die orientalische Frage. Nun fühlt man in Frankreich mehr und mehr das Un- würdige und Unnatürliche der geschriebenen oder ungeschriebenen Allianz mit Rußland . Man wird sich erinnern, daß das Kabinet Bourgeois von Rußland loszukommen und sich England zu nähern versuchte, und daß die russische Gesandlschast deshalb an seinem Sturz arbeitete— mit Erfolg. Gleichzeitig wächst in England unter den Konservativen sowohl, als unter den Liberalen die Zahl derer, die in einem Bündniß mit Frankreich den alleinigen Aus- weg aus den jetzigen Schwierigkeiten erblicke». Wir wollen hier nicht in die endlosen Gefilde der Zukunfspolitik schweifen; und begnügen uns, die bedeutsame Thalsache festzustellen, daß die „Salurday Review", das vornehmste Organ der konservativen Partei Englands, sich rückhaltlos für ein Bündniß mit Frank- reich, nach vorheriger Verständigung betreffs Egyptens, aus- spricht. Da der den Russen verschriebene Meline nach dem Wieder» zusammentritt der französischen Kammer aller Voraussicht nach einem Kabinet Bourgeois Platz machen wird, so kann die Frage des englisch -französischcn Bündnisses also sehr bald aktuel werden.— l Rußland und die„aruicuischeu Greuel". In Trapezunt am Schwarzen Meer sollen neuerdings Armenier, die dorthin exilirt waren, niedergemetzelt worden sein. Ein russisches Kriegsschiff habe den Hafen verlassen gerade als die Nachricht von den Tumulten in Konstantin opel gekommen und Tumulte auch in Trapezunt begonnen hatten— und das Schiff sei erst wieder zurückgekehrt, nachdem die Metzeleien in Trapezunt vorbei waren. So erzählt ein deutscher Schiffskapitän. Daß die„armenischen Greuel" den Russen nicht ungelegen sind, ist allerdings richtig.— Deutsches Reich . — Vor König Stumm rehabilitirt. Der„Reichs- Anzeiger" schreibt: „Die Nr. 61 der„Deutschen Volkswirthschaftlichen Kor» respondenz" hat die Mittheilung gebracht, die Militär- Verwaltung habe die Einführung eines achtstündigen Arbeitstages in den Artillerie-Werkstätten in Spandau an» geordnet, nachdem in anderen dortigen Staatsbetrieben die so verkürzte Arbeitszeit bereits früher eingeführt sei. Diese Mittheilung ist unzutreffend. Es wird nach wie vor bei allen technischen Instituten der Militär- verwallung grundsätzlich an einer zehnstündigen Arbeiiszcit fest- gehalten. In diese Zeit ist je>/r Stunde Frühstücks - bezw. Vesperpause mit einbegriffen. Versuchsweise ist— nur an den Sonnabenden und den Tagen vor Festen— eine Verkürzung der Arbeitszeit um 1 bis 2 Stunden eingeführt worden." Zur Beruhigung der Militärverwaltung können wir ver- sichern, daß wir niemals den schwarzen Verdacht hegte», daß sie mit der Einführung des Achtstundentages vorangehe» wollte.— — Der allgemeine preußische Städtetag wird, wie angekündigt, am heutigen Dienstag, mittags 12 Uhr, im Stadtverordneten- Sitzungssaale des Rathhauses zusammen- treten. Nach den eingelaufenen Meldungen steht zu erwarte», daß an den Verhandlungen, für welche bekanntlich zwei Tage in Aussicht genommen sind, die Vertreter zahlreicher Städte von 25 000 und mehr Einwohnern lheilnehmen werden. Für die Tagesordnung des allgemeinen preußischen Slädtctages hat der Stadtverordneten-Vorsteher Dr. Langerhans folgende Anträge angemeldet: 1. Das Verhältniß, in welchem zur Zeit die Stadtkreise in den gesetzgebenden Körperschaften vertreten sind, entspricht weder der gegenwärtige» Bevölkerungszahl noch der sonstigen Bedeutung dieser Städte für das Gemeinwesen. 2. Die Aufhebung der Privilegien der Beamten, Geistlichen und Lehrer in der Kommunalbesteuerung ist eine Forderung der Gerechtigkeit, deren Erfüllung länger nicht hinausgeschoben werde» darf. — Die Ratio nal»Sozialcn mit und ohne christlicher Grundlage gedachten ihr spärliches Partei- Material auch mit dem vorläufig auf eigene Faust fechtenden Oberstlieutenant a. D. v. E g i d y zu verstärken. Damit ist es aber nichts, denn Herr v. Egidy hat in seinem Blatte„Ver- söhnung" die Programmwidersprüche der Herren von der„Zeit" und„Hilfe" in folgender Kritik abgefertigt:„National- sozialistisch" ist ein gefährliches Wort; es ist, wie die ganze ge- plante Parteibildung, nur dazu angelha», neue, nutzlose Kämpfe anzufachen. Mit„national" soll jedenfalls das Unterschiedliche gegenüber der Sozialdemokratie hervorgehoben werde»; aber auch die Sozialdemokraten sind zu allermeist soweit national, als sich dies für einen Deutsch-Gcborenen von selbst versteht. Anderer- seits müssen auch diejenigen, die sich„national" nennen, die Nothivendigkeit einer Völker-Annäherung und Völker-Verbiudung anerkennen. Wollen sie aber mit„national" die A b- s ch l i e ß u u g von anderen Völkern, wollen sie damit gar das ausdrücke», was den bejubelten Schlußsatz der letzten Tagung der Evangelisch- Sozialen bildete:„und machet(Ihr Deutschen ) sie(die Well) Euch unterthan", dann birgt das Wort„national" die Gefahr häßlicher Ueberhebung in sich. Entweder ist das Wort also überflüssig, oder es ist s ch ä d l i ch. In keinem Falle paßt es zu„sozialistisch". Soll mit diesei» Wort die Bekämpfung eines vermöge seiner Kraft gewaltlhätig gewordenen Kapitalis- »ins gemeint sein, so muß ein solcher Kampf von allen Völkern zugleich geführt werden, weil, wie wir wissen, auch der Kapitalismus eine internationale Macht ist. Soll mit dem Worte gar aber der volle, große, hohe Sinn gemeint sein, der in dem Worte liegt: Gemeinsamkeit, so liegt in seiner Zusammensetzung mit„national" ein Widerspruch; der Begriff„Gemeinsamkeit" ist— unter voller Festhaltung der natürlichen Gliederung: Familie, Gemeinde, Volk— ein für unseren Planeten unbegrenzter. Auch noch dies fordert ernste Bedenken heraus: die im Werde» begriffene Partei soll, wie das allenthalben betont wird, auf konfessioneller, und zwar auf der sehr weitbegrissigen christlichen Grundlage gegründet werden. Auch hierin liegt ein Widerspruch. Weder sind alle, die zur Nation gehören, Christen, noch schneidet die christliche Konfession an den Grenzen unseres Vaterlandes ab. Will man mit dieser konfessionelle» Grundlage aber andeuten, daß das nationale Bewußtsein und da? soziale Empfinden nur dem C h r i st e n t h n m eigen ist, nur aus dem Christenthum heraus geboren, nur durch Bibel und Kirchenlchre erzeugt werden kann, so ist das eiu I r r t h u m. Will man sich durch diese Klausel gegen andere Volksgenossen, die. ohne auf derselben Grundlage zu stehen, sich ihres Deutschseins nicht weniger bewußt sind und nicht weniger sozial empfinden, abschließe», so wider- spricht dieses Vorhaben dem, was wir anstrebe» und was durch das Wort„sozial" ausgedrückt ist: Zusammenschluß." — Herr Stöcker sucht sich gegen die unbequemen Mit- theilungcn des Herrn v. G e r l a ch zu wehren, indem er den von uns neulich erwähnten Stöckerstreit folgendermaßen darstellt: „Es ist unrichtig, daß ich ihn als Bettler um Wiederanstellung im Staatsdienst hätte erscheine» lassen. Nur eine einzige Per- sönlichkeit hat diese Sache geführt, und sie wußte genau, daß Herr v. Gerlach daran völlig unbetheiligt war. Die Anfrage, von der ich nicht weiß, ob sie bis an de» Minister des Innern gedrungen ist, war von uns Freunden des Herrn v. Gerlach ge- plant, die aus persönlichster Theilnahme für ihn eine Beruhigung darüber haben wollten, ob er, wenn aus der Preßtbätigkeil ge- schieden, in der Regierung wieder eine Thätigkeit finden würde. Dafür konnte ich mit gutem Gewissen mitwirken, da ich ihm von Anfang an gerathen hatte, seine Staatsstellung nicht aufzu- geben." Damit bestätigt Herr Stöcker nur in anderen Worten die Erzählung des Herrn v. Gerlach. Das Entscheidende ist, daß Serr Stöcker ohne Wissen des Herrn v. G. auf den gewohnten intertreppenwege» für ihn eine Staatsstellung zu erwirken suchte und daß er sich eines Gegners feines Schützlings wider Willen, nämlich, wie jetzt bekannt geworden ist, des Herrn v. Maat eusfel bediente. Der theuere Goltesmann ist eben immer der alte.— — Eine Zusantmenkunft der Vorsitzenden der Jnvaliditäts- und Altersversicherungsanstalten soll in dieser Woche in Kassel behufs Berathung der Novelle zu den Ver- sicherungs-Gesetzen stattfinde».— — Hammerstein's Pi st ole. In bürgerlichen Blättern ist zu lesen: Duell. In Stargardt i. P. verurtheilte die Strafkammer den Apolhelcnbesitzer Koch aus Nörenberg, jetzt in Nordhausen wohnhaft, wegen Falschspielens und Heraus- forder nng zum Duell mit tödtlichen Waffen zu tausend Mark Geldstrafe und vier Monaten Festungshaft. Koch war beim Falschspielen ertappt worden, worauf er am nächsten Tage den, der ihn ertappt und zur Rede gestellt hatte, zum Zweikampf fordern ließ.' Man sieht— Hammerstein macht Schule, und die ramponirte Kavaliers-Ehre, auch wenn sie keinem„Herrn von" gehört, kurirt sich durch einen Mordversuch vermittelst Pistolenschießerei.— — Ein treffendes Urtheil über den groben Unfug-Paragraphen, leider nur eins aus früherer Zeit, gräbt die„Leipziger Volkszeitung" wieder aus. Wir haben dasselbe früher schon veröffentlicht, aber angesichts der neuesten Leistungen auf diesem Gebiete schadet es nichts, daran zu er- inner», daß unsere Gerichte unter Umständen auch„anders können". Festgehalten muß bei der Einschätzung dieses Urtheils freilich werden, daß es nicht gegen Arbeiter, sondern gegen Anti- femiten von dem Landgericht Leipzig ergangen ist. In dem Urtheil heißt es: Hält man sich an die engere Auslegung, so leuchtet ein, daß der Inhalt des Preßerzeugnisses den Thatbestand des Deliktes nicht hervorrufen ckann. und daß sich grobev Unfug nur in der Weise denken läßt, daß die äußere Form der Verbreitung, die Art und Weise, wie das Preßerzeugniß verbreitet wird, eine Be- helligung des Publikums enthält. Wer Flugblätter in auf» dringlicher oder den Verkehr störender Weife auf der Straße verbreiten läßt, macht sich groben Unfugs schuldig. Dann kommt es aber auf de» Charakter de» Preß« erzeugnisses überhaupt nicht an. Es ist gleich- giltig, ob es sich um eine politische Streitschrist oder um Reklame eines Fabrikanten handelt. Pflichtet nian der weiteren Aus- legung bei, so kann der Thatbestand auch durch den Inhalt der Druckschrift geschaffen werden. Der Richter muß dann den Inhalt unter die Lupe nehmen und groben Unfug statuiren, wenn ihm der Inhalt ungehörig erscheint. Die Straskammer ist nun nach reislicher Erwägung der engere» Auslegung beigetreten. Dafür sprechen die Entstehungsgeschichte, die Zusammenstellung niit der Erregung ruhestörenden Lärms, endlich auch folgende Erwägungen: Die weitere Auslegung läuft im Grunde genommen auf die Slufhebnng der Preßfreiheit hinaus. Denn der Richter braucht nur von seinem subjektiven(persönlichen) Slandpunkte aus in dem Inhalte der Druckschrift eine Ungehörigkeit zu finden und eine Behelligung des Publikums anzunehmen und das Preß- erzeugniß ist der Strafe verfallen. Der Richter ist dann nicht mehr Richter, sondern Zensor, und wird in eine iiiolle gedrängt, die seiner nicht würdig ist. Zudem ist bei der herrschenden weitere» Meinung der Satz: vulla xoena sins lege(keine Strafe ohne Gesetz) nicht gewahrt. Denn der Staatsbürger kann nicht einmal wissen, worin der Richter eine Ungehorigkeit findet. Der Grobe-Unfug-Paragraph, wie ihn die herrschende Meinung handhabt, kann leicht der Todtengräber eines offenen, ehrlichen, sreimüthigen Wortes werden.— —„Zu einem Ehrengeschenk" für den Gesellschafls- retter und Mnsterarbeiter Lorentzen in Kiel läßt der anti« semitische Abgeordnete Vielhaben den Klingelbeutel herumgehen. Nun— in der einen oder anderen Form>var dieser Bettel das unvermeidliche Ende. Gleichzeitig wird bürgerlichen Blättern aus Kiel gemeldet, ein Arbeiter Namens Geliert, der dem König von Preußen ein„Geschenk" gemacht und dafür das üb- liche Geschenk erhalten habe, sei von den Sozialdemokraten so „verfolgt" worden, daß er die Werft in Kiel verlassen und sich nach Stockholm in Arbeit begeben habe. Natürlich ist das gerade wieder so srech erlogen, wie seinerzeit die Leidensgeschichte des Lorentzen.— — Wieder ein?lntisemitenführer wegen ge- meiner Verbrechen mit dem Strafgesetz in Konflikt. In Chemnitz ward dieser Tage der Kaufmann Max Baron verbastet, weil er, der gegen die spitzbübischen Juden nicht genug losdonnern konnte, sich schwerer Unterschlagungen schuldig ge- macht und das Geschäft, für welches er arbeitete, planmäßig bestohlen hat.— — Aus Bliemchen'sVaterlande berichten sächsische Parteiblätler folgenden Akt großartiger Staalsweisheit: Ueber den Gasthof Neundorf bei Pirna ist kürzlich die Polizeistunde verhängt worden. Höchst gelungen ist die Be- gründung. Das amtliche Schriftstück lautet: Herrn Gasthofsbesiger Oehmig Neundorf. Infolge der vielen Rückstände an G e m e i n d e- anlagen und s o n st i g e n S t ö r u n g e n hat der hiesige Gemeinderath die Einführung einer Polizeistunde beschlossen und dürfe» Sie daher vom 15. August d. I. ab das Ver- weilen in Ihren Schanklokalen über nachts 12 Uhr hinaus niemanden gestatten. Zuwiderhandlung dieser Anordnung wird nach 8 365 deS Reichs-Strafgesetzbuches bestraft. Neundorf, oen 14. August 1896. Der Gemeinderath: Bähr, Gemeindevorstand. Also, w-i' die Steuern nicht eingehen, soll der Gastivirth darunter leiden. Künftig werden wohl die Gastwirthe noch ern Verzeichniß der Sienerrückstände erhalten, um beim Geld- wechseln den säumigen Staatsschuldnern abzuziehen. Was die„sonstigen Störungen" betrifft, wegen deren der Wirth um 12 Uhr schließen soll, so hat diese? Opfer polizeilicher Für- sorge keine Ahnung, was damit gemeint sein soll.— Mcerane, 27. September. (Gig. Bericht.) Wie bereits telegraphifch mitgetheilt wurde, hat auch die Amtshauptmann- schaft in Glauchau die in ihrem Gebiet« beabsichtigten Ver- fammlungen, in denen Bebel sprechen sollte, verboten, sobald sie hörte, daß unser Bürgermeister mit einem Verbot vorangegangen war. Der staatsretterische Eifer war also anfangs bei der Glauchauer Amtshauplmannschaft nicht vorhanden, er entstand erst durch das von unserem Bürgermeister gegebene Beispiel. Die Amishauptmannschaft folgerte, daß getheilter Schmerz nur halber Schmerz, getheilte Blamage nur halbe Blamage sei, und so kam sie unserem Bürgermeister als Schicksalsgenosstn zu Hilfe. Aber es war auch ein Grund nölhig, um zu verbieten, und um den Nachahmungseifer nicht zu deutlich merken zu lassen, ein anderer, als ihn unser Stadtoberhanpt in seiner Weisheit ausgetüftelt hatte. Die Versammlung sollte im Grundstück unseres Genossen Stolle in Gesa» staltfinden und zwar im Garten desselben. Daraus rückten Freitag Nachmittag von Glauchau mehrere Polizei- und Straßenbeamten mit Spieß und Stangen bewehrt aus, um auf dem Stolle'sche» Grundstück Umschau zu halten. Hier ließ sich aber nichts machen. Der Garten war groß genug, um die 2000 Personen fassen zu können, und er war auch von allen Seiten eingefriedigt. Wie aber, wen» mehr wie 2000 Personen kamen und diese auf der breiten Siaaisstraße, die an Stolle's Grundstück vorbeiführte, Platz nahmen? Zwar gehen dort nicht viel Menschen und fahren noch seltner Wagen« aber was sollte werde», wenn plötzlich ein Regenguß niederbrach und die Massen nach einem Obdach flüchteten? Dann war nicht nur alle Ordnung, sondern auch Gesundheit und Leben der Verfammlungsbesucher rn Gefahr. Sier war der Hebel des Archimedes anzusetzen und konnte der rund zu einem Verbot hergeholt werden. Und so geschah es. Stolle wurde eröffnet, daß. da er keine Garantie gegen einen plötzliche» Regenguß leisten könne und alsdann die breite Staats- straße viel zu schmal sei für die auseinander strömende» Massen, die Rücksicht auf das Wohl der V-rsammlungsbesucher das Ver- bot der Versammlung rechtfertige. Die Sachsen sind helle. Glaubst du all« Vorsichtsmaßregeln getroffen zu haben, um eine Versammlung zu ermöglichen, der sächsische Staaisretter beweist dir. daß du ei» Tölpel bist und daß Gründe billiger sind als Brombeeren, um solche für»in Ver- bot zu finden. Die erwähnten armseligen Gründe waren eS also, die das Verbot der Versammlung rechlfeiligen mußte». In bezug auf das Verbot des Kommerses schloß sich die Amtshaupt- Mannschaft Glauchau den Gründen unseres Bürgeruleiliers an: Die Rede Bebel's werde politisch sei» und dann fei der Kommers eine Volksversammlung und eine Ge- fahr für das Gemeinivohl. Die Amtshauptmaniischafl ging nur nicht so weit wie der Meeraner Bürgermeister, der wider Recht und Gesetz auch das mit dem Kommers verbundene Konzert als staatsgesährlich verbot, und so fand dasselbe unter großem An- drang Sonntag Nachmittag in der Nähe Meerane's statt, ohne daß die Existenz des sächsischen Staates in Gefahr kam. Was haben aber unsere Staatsretter mit ihre» Verboten er- reicht? In der ganze» Bevölkernng und zwar bei Fren.nd. und eind herrscht eine hochgradige Erregung und ist die schärfste erurth eilung der Maßregeln eine allgemeine. Mehr als die besten Reden Bebel's haben die Verbote gewirkt und eine Stimmung, namentlich gegen unser Sladloberhaupt er- zeugt, die himmelweit entfernt ist von Liebe und Verehrung oder Achtung. Diese Stimmung kam explosiv zum Ausdruck, als Bebel Sonntag Abend nach Berlin zurückreiste und die ans dem Bahnhof ausgestauten Massen durch frenetische Hochs sich von ihm verabschiedeten. Die Polizei, die während seiner Anwesen- beit hier ihm und seinen Begleitern auf Schritt und Tritt nachfolgte, als gelte es ein gekröntes Haupt vor einem geplante» Attentat zu schützen, war ohnmächtig gegenüber diesen Ausbrüchen der Volksstimmung.—
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten