Beiblatt zur„ Berliner Volks- Tribune".
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[ Nachdruck verboten.]
Nur ein Rädchen.
Sonnabend, den 17. März 1888.
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II. Jahrgang.
der Geruch von Medikamenten daran schuld, welcher die Gut! Was thut nun ein vernünftiger Maschinenmeister, Nähe der Krankheit verkündet? Oder die trübe Beleuchtung? wenn ein Rädchen schadhaft geworden ist? Er nimmt es Dder die Stille, die nur zuweilen unterbrochen wurde durch heraus und seßt ein neues ein; ganz einfach! Was also einen Seufzer oder durch das Wimmern eines Knaben Ihren Urlaub betrifft( nun wurde die Stimme frostig), mit verbundenen Augen, welcher auf dem Schooß seiner so bleiben Sie immerhin aus dem Geschäft, so lange Sie In einem Kontor arbeiteten beim zitternden Lichte Mutter saß! Und nun kamen allerlei trübselige Ge- wollen; aber wundern Sie sich nicht, wenn später Ihre Das ist's, was ich Ihnen sagen des Gases mehrere Handlungsgehilfen. Alle zeigten große danken, deren einer flüsterte:„ Warum lebst du eigentlich? Stelle besetzt ist.- Und der junge Mann über- wollte." Hiermit ergriff er die Feder, um seine Arbeit Emsigkeit; mit nervöser Haft wurden die Federn von Was hast du vom Leben? Zeile zu Zeile geführt und ungestüm in die Tinte getaucht, schaute sein Leben." Die Vergangenheit dehnte sich hinter fortzusetzen. damit kein Atom der kostbaren Zeit verloren ginge. Das ihm so einförmig grau, wie eine öde, abgestorbene Steppe; Das Gesicht des jungen Mannes hatte sich vor EntKrizeln der Federn, das Zischen der Flammen, Papier- und von dem, was vor ihm lag, vermochte er nichts setzen verzerrt. Ihm war zu Muth, wie einem Ertrinkengeraschel und unterdrücktes Husten waren das einzige Ge- anderes zu unterscheiden, als ein Pult, Papier mit Reihen den. Sein Geist griff krampfhaft umher nach Halt, nach von Zahlen und eine zitternde Gasflamme. Ja, wozu Rettung. Aber nirgends Halt, nirgends Rettung. Ver= lebte er eigentlich? Der blasse Mensch seufzte und das zweifelt starrte er in die grausamen Züge des Geschäftsführers. Dann", schrie er heftig und schlug mit der augenkranke Knäblein wimmerte. Faust auf das Pult... ,, dann arbeite ich, bis ich..." Die Stimme brach ab, und schluchzend stürzte der Gequälte hinaus.
räusch im Zimmer. idi
Einen der Schreiber schien die Arbeit besonders anzuſtrengen. Es war ein hagerer junger Mann mit zartem Gesicht, dessen Blässe durch blaue Augengläser noch gehoben wurde. Das weiche blonde Haupthaar war über Stirn und Schläfe gelichtet; die peinliche Nähe der Gasflamme mochte daran schuld sein. Der junge Mann blätterte in einem großen Buche, schrieb und blätterte wieder, durchstöberte einen Stoß Papiere, schrieb und wühlte von neuem, mit der bangen Haft eines geheßten Wildes. Plötzlich hielt er mit dem Suchen inne, anscheinend rathlos vor Verwirrung, und starrte trübe vor sich hin. Dann strich er mit der Hand über sein Gesicht, so daß der blaue Kneifer abfiel, und ließ mit einem schweren Seufzer den Kopf auf beide Arme sinken.
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Da öffnete sich die Thür, und der Handlungsgehilfe wurde in das Untersuchungszimmer geladen.
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Der Arzt saß im Lehnstuhl und betrachtete prüfend Eintretenden. Was sind Sie?" „ Handlungsgehilfe.
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Wie lange schreiben Sie täglich?"
Leise weinend irrte er durch die Straßen. Die Leute strömten achtlos an ihm vorbei; ein jeder hatte sein eigenes Glück im Kopfe und fand keine Zeit, sich um des Nächsten Von acht bis eins und von drei bis nach acht; jetzt Wohl und Wehe zu kümmern. Der junge Kaufmann es auch wohl neun." wurde ruhiger; aber es war eine schlimme Ruhe, die Der Arzt machte eine Geberde des Unwillens. Zeigen Ruhe des gebrochenen Herzens. Er sah und hörte, was um ihn vorging; aber sein Auge war starr, sein Ohr Sie Ihre Augen!"
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Der Arzt untersuchte aufmerksam und lange; schließ- stumpf, seine Seele müde, abwesend. Mechanisch senkte er lich sagte er:„ Es steht schlimm mit Ihnen. Sie dürfen den Schritt nach seiner Wohnung, stieg die vier Treppen Ein alter Mann wandte sich nach dem Seufzenden für längere Zeit keine Zeile schreiben. Lassen Sie sich empor und trat in das dunkle Stübchen. Hier blieb er eine Weile in dumpfes Brüten versunken stehen; dann um und betrachtete ihn eine Weile; es schien, als wollten einen Urlaub von sechs Wochen geben. Jäher Schreck durchzuckte den jungen Mann. Er warf er sich in den Kleidern auf das Bett. Allerlei seine grauen Augen aus dem rungligen Gesicht herausspringen, um den blassen Menschen zu peinigen. Nun?" ſtand eine Weile starr und sprachlos. Endlich stammelte sonderbare Vorstellungen zogen an ihm vorüber: Ein Mann fegte einen Marktplaß; deutlich war zu sehen, wie rief er mit schwächlicher und doch harter Stimme:" warum er:„ Ich bekomme keinen Urlaub." Sie müssen", entgegnete der Arzt streng. ,, Wenn der Besen Kohlblätter, Strohhalme und Hühnerfedern zuarbeiten Sie nicht?" hr Der junge Mann richtete sich müde empor, drehte Sie nicht die Energie haben, den Urlaub durchzuseßen, sammenkehrte; in dem Stroh regte sich etwas; eine Ratte sich halb nach dem Alten um und sagte kleinlaut: Ich werden Sie ohne Gnade blind." schlüpfte hervor; sie sah einen Augenblick wie der Geschäftskann nicht mehr." Ein schmerzliches Zucken ging über Blind : Ein Schwindel erfaßte den Augenkranken. führer aus; dann wurde sie undeutlicher und verschwamm sein Gesicht. Die Augen waren roth umzogen und thränten. tam ihm vor, als fluthe ein unheimlich schwarzer zu einer dunklen Masse. Und damit war der HandlungsNebel über die Welt dahin und verschlinge mit graufiger gehilfe eingeschlafen. Gier alle die prangenden Formen und Farben, die ganze Mitten in der Nacht wachte er auf. Seine Glieder Meine Augen thun so weh." " Ihre Augen thun weh?" höhnte der Alte. Denken Welt. Diese Vorstellung hatte etwas so Furchtbares, daß waren kalt. Frierend erhob er sich, legte die Kleider ab Sie etwa, daß die meinigen angenehm jucken? Das heißt der Patient unfähig war, die weiteren Worte des Arztes und kroch unter die Bettdecke. Vor dem Fenster saufte eben arbeiten. Kümmern Sie sich nicht um ihre Augen, zu vernehmen. Er starrte ihn an und verließ dann ver- ein starker Wind. Ein Mondstrahl fiel aus zerrissenen wirrt und taumelnd die Klinik. Sinnlos eilte er über die Wolken in's Zimmer. Irgendwo in der Ferne erklang sondern arbeiten Sie! Ihre Augen gehn das Geschäft garnichts an; das Geschäft fragt nur nach Ihrer Arbeit; Straße; ein Wagen drohte ihn zu überfahren; ein Gepäck ein sanfter Ton. Den Schläfer durchdrang ein süßer Er lauschte auf den schönen Ton, welcher es bezahlt regelmäßig und kann auch regelmäßige Arbeit träger stieß mit Wucht an seinen Kopf, der arme Mensch Schauer. ftöhnte vor Schmerz. immer weiter klang, und dann kam es ihm vor, als verlangen." 390 Als er vor dem Geschäftshause angelangt war, über schleiche etwas Holdes, unendlich Gütiges zu ihm heran fiel ihn solche Angst, daß er zögerte einzutreten. Bitternd und lege eine milde, kühle Hand auf seine Stirn. Mit seligem Gefühl fühlte er sein Bewußtsein zerrinnen. öffnete er die Thür des Kontors.
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Sie können nicht? Ha, warum denn nicht?"
Der Handlungsgehilfe hatte sich mit Ergebung die Augengläser wieder aufgesetzt und fuhr fort zu schreiben. Der Geschäftsführer betrachtete ihn noch immer mit bösartigen Blicken und schien zu überlegen. Schließlich fagte er:„ Kommen Sie einmal her! Lassen Sie Ihre Augen sehen!"
Der Schreiber kam und ließ seine entzündeten Augen besichtigen. Sie sahen wirklich schlimm aus m
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Sie kommen sehr spät!" sagte der Geschäftsführer mit scharfer Stimme. Sie haben viel nachzuholen.
Nun? Haben Sie Salbe?"
Ein Wagen rollte durch die Straße. Der Handlungsgehilfe erwachte und sah, daß es Morgen war. Durch sein Herz ging ein Stich, und mit Haß schaute er auf Stimme,„ der Arzt meinte, ich müßte Urlaub bekommen." Augen und versuchte weiter zu träumen. Aber der böse „ Der Arzt," stammelte der junge Mann mit matter den gerötheten Himmel. Dann schloß er seufzend die ,, Urlaub?" sagte er grimmig Wurm in seiner Brust war erwacht und ließ ihn nicht weise noch krank werden! Jezt, unmittelbar vor Weih- und warf die Feder hin. Sind Sie verrückt? Jetzt wieder einschlafen. So erhob er sich mit finsterer Stirn. nachten, wo uns die Arbeit über dem Kopf zusammen- unmittelbar vor Weihnachten Urlaub? Ein solches Opfer schlägt! Und da thun Sie nichts für Ihre Augen, salben unterstehen Sie sich dem Geschäfte zuzumuthen?" Sie nicht? Sie Pflichtvergessener, Sie!"
Der Geschäftsführer fuhr grimmig auf. Möglicher
Der Handlungsgehilfe entgegnete ſchüchtern: möchte wohl zum Arzt gehen; aber wir haben ja keine Beit." dong dos
,, Was? Ich soll Ihnen wohl noch frei geben? Das wäre Ihnen gerade recht! Und dann Und dann... zum Arzt gehen! Mensch, das kostet ja Geld! Sie wollen ein Raufmann sein? Da geht man zur Poliklinik, wo man
Der Alte fuhr zurück.
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Aber der Arzt..."
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( Fortsetzung folgt.)
Handelskammer und Fachverein.
Zur Arbeiterschutzgesetzgebung.
„ Ich ,, Zum Teufel mit dem Arzt! Was fragt ein Arzt nach dem Geschäft! Er sieht nur seinen Kranken, aber nicht, was damit zusammenhängt, die höheren Interessen." Bald nach Einbringung des Arbeiterschußgesez- EntDa rief der Augenkranke mit Seelenangst: ,, Dann wurfes seitens der Sozialdemokraten und der Anträge werde ich ja blind!" Hertling und Genossen im Jahre 1885 hat die Handels: Der Alte stuzte. Wie so?- Ja, was hat denn und Gewerbekammer zu Plauen in Sachsen eigentlich der Arzt gefagt? Erzählen Sie doch einmal?" eine Art Enquete in ihrem Bezirke veranstaltet und so,, Er hat gesagt, wenn ich nicht Ruhe bekäme... wohl bei Fabrikanten- und Arbeitervereinen als auch bei ach, nur ein paar Wochen... seien Sie barmherzig. seien Sie barmherzig... einzelnen Gewerbetreibenden aller Art Gutachten über sonst muß ich ja erblinden... bedenken Sie doch, erblinden!" Dauer der Arbeitszeit, Einschränkung der KinderDer Handlungsgehilfe betrachtete den Geschäftsführer mit und Frauenarbeit in Fabriken, gänzliches Verbct insbesondere der Nachtarbeit weiblicher Ar
Dunentgeltlich untersucht wird!( Der Alte sah nach der Uhr). Noch nicht sieben! Die Poliklinik ist noch geöffnet. Machen Sie, daß Sie fortkommen!"
de Der junge Mann fuhr hastig in seinen Ueberzieher und eilte hinaus. Der Alte sah sich mit den Blicken qualvoller Spannung. eines Raubvogels im Kontor um. Die übrigen Schreiber Dieser starrte den Augenkranken an, spißte die Lippen beiter, Einführung eines Marimalarbeitstages duckten sich und krigelten emsig. Ein Kälteschauer ging zu einem hauchenden Pfiff und schien zu überlegen. Dann u. s. w. eingeholt.
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dauert,
In dem vorliegenden Bericht genannter Handels- und Gewerbekammer treten aber wir folgen hier den Deutschen Worten" des Abg. Pernerstorfer( Wien ) weiter noch zwei diametral entgegengesetzte Weltanschauungen sich gegenüber.
durch den Raum. Der Alte hüftelte vor Erregung. warf er einen Blick auf die übrigen Schreiber, räusperte Es ist hierdurch das, was durch die Berichte der Der Handlungsgehilfe trat auf die Straße, wo ihn sich und sagte mit ruhiger kalter Stimme: Ja, was Fabriks- Inspektoren längst bekannt, aber nichtsdestoweniger sogleich das Treiben der Großstadt umfing. Wagen glauben diese jungen Leute eigentlich? Wofür halten sie doch hier und da immer noch bestritten wurde, auf's Neue raffelten, Hufe klapperten, eine bunte Menge bewegte sich sich denn? Da meint jede Schreiberseele, wunders wie bestätigt worden, daß, nämlich die Lage der Arbeiter eine durcheinander. Aus allen Läden strömte Licht und lockte werthvoll sie sei.. ganz unentbehrlich für's Geschäft, höchst traurige ist, daß, die Arbeitszeit 13, 14, ja die Leute herbei zur Besichtigung der ausgestellten Gegen- nicht wahr? D, Sie irren sich gewaltig! Heutzutage 15 Stunden täglich Frauen eingeschlossen isestände. Vor einem wohl ausgeschmückten Schaufenster bedeuten sie gar nichts mehr; heutzutage ist alles Maschine, daß Arbeiterinnen in wöchentlich abwechselnden Schichten standen viel Kinder und Frauen mit heitern Gesichtern und sie sind bloß Rädchen; ja, ganz recht, Maschinen- im Nachtbetriebe beschäftigt werden u. s. w. und Augen, die vor Weihnachtshoffnung glänzten. Der rädchen! Der eine kopirt, der andere schreibt Adressen, Handlungsgehilfe eilte an ihnen vorbei mit bittern Gefühlen. kurz jeder hat eine einzige mechanische Verrichtung; weiter 37 Šie mochten sich wohl freuen, aber er! Was ihre Augen hat er nichts gelernt. Sie sind gar keine Kaufleute, Sie verklärte, erfüllte sein Herz mit Bekümmerniß. Denn für sind Mädchen. Und an solchen Rädchen ist ja, Gott sei ihn brachte das Feſt nur erdrückende Arbeit; ja wirklich, Dank, kein Mangel. Hundert für eins kann man heut sonst nichts. Worüber sollte er sich wohl freuen am zutage haben. Versuchen Sie es doch, gehen Sie zu Der Gewerbeverein zu Crimmitschau läßt sich heiligen Abend? Er besaß keine Familie mehr, nicht ein- andern Geschäften! Da hat man keine Lücke, da ist alles unter anderem wie folgt vernehmen:„ Rücksichten auf das mal einen Freund, der mit ihm zusammen ein Glas besetzt." Der Geschäftsführer ließ seine Augen hämisch sittliche Wohl(!) der Kinder sprechen nicht für eine Bunsch hätte trinken können. Die Wehmuth allein würde umhergehen, während die Schreiber vor Demuth fast in weitere Einschränkung, sondern für eine Ausdehnung ihm Gesellschaft leisten in seinem ärmlichen Stübchen. fich selbst hineinkrochen. Dann wandte er sich zu dem der Kinderarbeit. Wer erzieht die Kinder, wenn Vater Die Klinik für Augenkranke war erreicht. Der bleichen jungen Manne: Ja, was ich sagen wollte... und Mutter auf Arbeit gehen? Die Schule nimmt sie Handlungsgehilfe stieg die Treppe empor und betrat das und Sie sind auch solch ein Rädchen, nur ein kleines, kaum den halben Tag in Anspruch; die häuslichen SchulWartezimmer. In demselben befanden sich mehrere unbedeutendes Rädchen. Und jetzt noch dazu lädirt, ab- arbeiten sind bei den Schulen untersten Grades gleich Null. Patienten ärmlichen Standes, welche alle Augenbinden oder genußt! Es stimmt doch, habe ich nicht Recht? Und nun Da liegt denn doch die Gefahr nahe, daß die Kinder, Brillen trugen. Der Ankömmling grüßte und nahm be- verlangen Sie, daß sich die ganze Maschine nach Ihnen wenn sie keine Arbeit haben, sich zwecklos herumtreiben scheiden Plaz.p richten soll? Ist das nicht Vermessenheit? Seien Sie und auf Müßiggang und schlechte Streiche verfallen,
Wie er so saß, beschlich ihn schwere Bangigkeit. War einmal ehrlich!( Hier klang die Stimme ganz väterlich). wohl gar von gewissenlosen Eltern, denen sie mit ehrlicher