№ 21.
Beiblatt zur„ Berliner Volks- Tribune".
[ Nachdruck verboten.]
Die Arbeitslosigkeit.
I.
Kalt und finster, wie von der Dede des Ruins umdüstert, starrt die Werkstatt morgens den Arbeitern entgegen. Stumm, mit mageren Armen und unbeweglichen Rädern steht die Maschine im Hintergrund des weiten Raumes, und sie, die für gewöhnlich das ganze Haus mit dem Herzschlage eines Riesen belebt, der hart an der Arbeit ist, gerade sie verbreitet noch tiefere Melancholie um sich her. Der Herr tritt aus seinem Privatkabinet. Leute," sagt er mit trauriger Miene den Arbeitern, Leute, heut' giebt's keine Arbeit mehr.... Bestellungen laufen nicht ein, von allen Seiten gehen mir nur Ab
bestellungen zu, ich habe viel Waare auf dem Hals. Der Monat Dezember, auf den ich rechnete, und in dem in anderen Jahren die Geschäfte so flott gingen, droht die solidesten Häuser zu ruiniren.... Ich muß die Arbeit einstellen."
Sonnabend, den 26. Mai 1888.
II. Jahrgang.
Fleisch- und Wurstläden, den Zuckerbäckereien, kurz dem engen Straße vor einem großen Hause. Beschmußte Aufganzen leckeren Paris vorüber, das in den Stunden des schriften zeigen, daß hier allerlei fabrizirt wird. In der Hungers, sich stolz brüstend, zum Genusse lockt. ersten Etage dies, auf dem Hofe das, in der dritten Etage Als Frau und Töchterchen am Morgen weinten, hat jenes, die ganze Wand ist mit solchen Aufschriften bedeckt. er sie auf den Abend vertröstet. Nun hat er nicht den Er braucht nicht lange zu warten, da entströmt dem Hause Muth, vor Anbruch der Nacht heimzukommen, ihnen einzu- eine Schaar schwazender, lachender, sich drängender Männer gestehen, daß er gelogen. Während er vorwärts geht, und Weiber, die sich einzeln, zu zwei, zu drei, in Haufen überlegt er, wie er eintreten, was er erzählen soll, damit ausbreiten, um diese, um jene Ecke umbiegen, in diesen, sie sich noch in Geduld fassen. Sie können doch nicht in jenen Thorweg oder Keller verschwinden. länger ohne Nahrung bleiben. Er kann es wohl noch auszuhalten versuchen, aber die Frau und die Kleine sind mit frischem Gesicht, ernsten rehbraunen Augen, einfach, Ziemlich zuletzt kommt ein schlankes, junges Mädchen zu schwächlich. mit der kleinen unschuldigen Gefallsucht der großstädtischen wenn eine Dame oder ein Herr an ihm vorübergeht, und Alten erblickt, der ihr die Blumen hinhält. Und einen Augenblick lang denkt er zu betteln. Allein Arbeiterin gekleidet. Ihr Auge leuchtet auf, als sie den wenn er die Hand ausstrecken will, so wird sein Arm steif, D, wie prachtvoll, wie bist Du gut. Ach ja, heut ist ja ,, Vater. Die Kehle ist ihm wie zugeschnürt. So bleibt er auf dem mein Geburtstag, hatte es ganz vergessen. Was brauchen ihm um und halten ihn für betrunken, wenn sie seine vom andere und heut war kein besonders guter. Der Herr Trottoir stehen, die anständigen" Leute drehen sich nach wir Armen solche Feste. Ein Tag geht hin wie der schalt den ganzen Tag, nichts war ihm recht. D, wie Hunger verzerrten Züge sehen. freue ich mich."
( Schluß folgt.)
Ein Blumenstrank.
Sie neigt sich, die hohe Gestalt, ihre Lippen berühren die Stirne des Greises, der glücklich zu ihr auffieht, dann befestigt sie den Strauß an ihrer Schulter, zieht den Arm des Alten durch den ihren und ist bald um eine Ecke verDie Blumen kamen doch in die rechte Hand.
schwunden.
Der Dienstmann.
Eine Geschichte von Otto- Walster.
Und wie er sieht, daß sich die Arbeiter unter ein- gk. Die erste warme Frühlingssonne hatte die Lieblingsander anschauen, die Scheu vor der Heimkehr, den Schrecken Promenade der Großstadt belebt. Kurz vor der Mittagsvor dem Hunger des folgenden Tages im Blick, da fügt stunde drängten sich geputzte Menschen auf den breiten er mit leiserem Tone hinzu:„ Ich bin kein Egoist. elastischen Asphaltwegen in angenehmem Gewühl bunt nein, das schwör ich Euch... Meine Lage ist ebenso durcheinander. Der warme Sonnenschein verlieh dem schrecklich, vielleicht noch schrecklicher als die Eurige. Binnen Ganzem einen einheitlichen glänzenden Ton und ließ die acht Tagen habe ich 50 000 Franks verloren. Ich stelle prächtigen Farben des Damenpuzes, sowie den zarten heute die Arbeit ein, um den Abgrund nicht noch tiefer Schmelz der Rosen, Veilchen und Maiglöckchen, die sich zu machen. Ich habe noch nicht einen Heller für die am hindurch windende Blumenverkäufer anboten, gleich gut 15. fälligen Zahlungen. Ihr seht, ich spreche offen zur Geltung kommen. mit Euch, ich verberge Euch nichts. Morgen schon ist Vor mir her schlendert ein modernes Herrchen, so vielleicht der Exekutor hier. Es ist nicht unsere Schuld, von den Faden der Fadeste. Lang aufgeschossen, schlottrig, nicht wahr? Wir haben bis zuletzt gekämpft. Ich hätte verlebt troß seiner Jugend er mochte in der Mitte der Gut, Vater, gut, ich werde Alles bedenken, aber Euch gern geholfen, die schwere Zeit zu überstehen aber zwanziger stehen. Aschgraues Gesicht, matte wasserblaue jetzt laß' mich allein, das Zimmer ist mir zu klein, viel es ist Alles aus. Ich bin ruinirt, ich habe kein Brod, Augen, spärlicher blonder Schnurrbart, fahlblonde Haare, zu klein, und ein Mensch mehr, wäre es selbst mein Vater, das ich theilen könnte." neuestes Modejournal, Hände in den Taschen, aus einer macht mir's noch viel kleiner. Nimm mir's nicht übel Darauf reicht er ihnen die Hand, welche die Arbeiter ein dicker Knüttel senkrecht hervorragend, so schleicht er Vater, aber ich muß allein sein. schweigend drücken. Und sie bleiben noch einige Minuten über den Asphalt. Da zuckt er plößlich zusammen. Das
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( Fortsetzung.)
Heinrich, mein Herz hat dich mit Jubel begrüßt, stehen und betrachten mit geballten Fäusten ihr jetzt über- Gesicht verzieht sich zu einem freundlichen Grinsen. Die als Du in dieses Leben tratst, laß mich nicht einsam flüssiges Handwerkszeug. Sonst sangen schon früh am Hände kommen aus den Taschen hervor, streichen den verzweifeln. Morgen die Feilen, klopfteu die Hämmer den Taft, aber armseligen Bart, klemmen den Kneifer fester. Schnell
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Sei ruhig Vater, sei rubia, aber lah' mich auch
Ich gehe schon, ich gehe schon, rief der alte Mann, indem er das Zimmer verließ.
jetzt scheint es, daß Alles schon im Staub des Bankerottes entrafft er einer Blumenverkäuferin den aröktey. Stravhaueur out. schläft. Zwanzig oder weißig Jamiun were Woche nicht essen: Einigen Frauen, welche in der Fabrit Korb und steht gleich darauf mit abgezogenem Hut vor arbeiteten, steigen die Thränen in die Augen. Die Männer zwei in Schwarz gekleideten Damen. wollen stärker erscheinen; sie spielen die Tapferen und sagen, daß in Paris Niemand vor Hunger stirbt.
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Die ältere, eine Matrone mit vergrämtem Gesicht, Drunten wogte das Gewühl der Menschen, das Geerwidert seinen Gruß verbindlich, die jüngere, eine prächtige, wühl war geboren von dem allgemeinen Wunsch, in einer Der Herr verläßt sie dann. Sie schauen ihm nach, etwas üppige Blondine im ersten Schmelz der Jugend- von Selbstsucht beherrschten Welt einmal ein Fest der wie er davon geht, gebeugt, binnen acht Tagen gealtert, schönheit, hat kaum merklich den energischen Kopf geneigt Liebe zu feiern. Und hier oben in seiner stillen Klause eilte ein junger Mann fassungslos mit getödteten Hoffwie gebrochen unter der Last des Unglücks, das vielleicht und ihr Auge hat das Herrchen fast gar nicht gestreift. „ Aeh! welch' Glück, daß ich den Vorzug habe. nungen umher, weil er sich sagte, daß er ohne Liebe leben größer ist, als er eingestehen möchte. Darauf ziehen sich gnädige Frau Majorin freue mich un- müßte und sich dazu unfähig fühlte. Es war ihm so eng auch allmählich die Arbeiter zurück. Sie meinen in dem Aeh Raum zu ersticken, die Kehle ist ihnen wie zugeschnürt, endlich. Gnädiges Fräulein äh darf ich die Kühn- im Zimmer, und doch fürchtete er die Berührung mit der Ihrer kaum würdig wäre mir Außenwelt, der er ja doch seinen Kummer, seine Leiden ein Gefühl innerer Kälte beschleicht sie, als ob sie aus heit haben- äh nicht mittheilen konnte. einem Zimmer kämen, in dem ein Todter liegt. Der große Ehre äh!" Todte ist die Arbeit, die große, stumme Maschine, deren Stelett unheimlich drohend aus dem Dunkel starrt.
II.
Der Arbeiter liegt draußen, auf der Straße, auf dem Pflaster. Acht Tage lang lief er die Straßen ab, um Arbeit zu finden. Er ging von Thür zu Thür, seine Arme, seine Hände, sich ganz und gar feilbietend für jede Arbeit, die widerlichste, die härteste, die tödtlichste. Und
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äh
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Ein bittender Blick der Mutter, und langsam streckt Da klopfte es wieder. Der junge Mann mußte sich sich die schmale Hand nach den Blumen, ohne sie zu be- fassen, seine Züge mußten sich glätten, seine Stimme mußte trachten, sie nur mit den Spizen der Finger fassend. Ein ruhig sein. tonloses Bewegen der Lippen, kein Blick und fort schreitet Ruhig hörte er den Boten an, der ihm augenblicksie, vorbei an dem jungen Mann. Die Mutter folgt ihr, liches Erscheinen auf dem Bureau seines Prinzipals zur nachdem sie noch eine höfliche Verbeugung mit demselben Pflicht zu machen hatte. Ohne Zögern machte er sich zum Ausgange bereit, gewechselt. Die Damen schreiten, ohne zu sprechen, weiter, jede denn er wußte, daß dieser Ruf, zu ungewöhnlicher Stunde scheint mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Die fest- in das Komptoir zu kommen, außergewöhnlichen Umgepreßten Lippen der jüngeren, ihre drohend zusammen- ständen entſprang. keine Thür öffnete sich. Wenige Minuten später eilte er mit zuckendem Herzen, Darauf bot sich der Arbeiter zu halbem Preise an. gezogenen Brauen zeigen, daß ihre Gedankeu keine schönen Die Thüren blieben nichtsdestoweniger geschlossen. Und sind. Sie trägt an ihrem Loos, die verwöhnte Tochter aber mit der geschäftlichen Gewandtheit des Kaufmanns wenn er gleich umsonst arbeiten wollte, könnte ihn doch eines verstorbenen armen Offiziers zu sein. Dies Loos ist durch das Menschengewühl nach dem Orte seiner gewohnten Niemand nehmen. Es wüthet die Krise, und die schreck- nicht beneidenswerth, das Loos der„ verschämten Armuth." Thätigkeit. liche, entsetzliche Arbeitsnoth läutet für die Dachwohnungen das Todtenglöcklein. Die Panik hat alle Industrien zum Stillstand gebracht, und das Kapital, das feige Kapital verkriecht sich.
Etwa zehn Schritt weiter breitet sich ein wohlgepflegter Schmuckplatz, dessen Rasen schon grün aufsprießt.
Fünftes Kapitel.
Mit einer verächtlichen Handbewegung wirft sie die Wir finden die Kaufmannstochter noch immer bei der Blumen weit auf den Rasen. Im Gesicht der Mutter Halbtoilette, in welcher sie die Friseuse verlassen. Auch Nach acht Tagen ist Alles aus. Der Arbeiter hat zuckt es schmerzlich. Wortlos, traurig schreiten beide weiter von ihr will die peinliche Unruhe nicht mehr weichen, und sie durchmißt das reich ausgestattete, mit seidenen, spizeneinen letzten Versuch gemacht; langsam, mit leeren Händen, und verlieren sich in der Menge. Ein altes Männchen, schäbig aber reinlich, mit glatt- besetzten Gardinen verhängte Zimmer eilenden Fußes; auch vom Elend gebrochen, kommt er zurück. Ein dichter Regen rieselt herab. Heute Abend, in all dem Schmutz erscheint rafirtem Gesicht, eine Tasche um die Schulter gehängt, ein ihr sind die Wände zu dicht neben einander, und erzürnt Paris wie in Trauer gehüllt. Er geht vorwärts, ohne Kassenbote oder so etwas, sah die Blumen fliegen und stößt sie mit den zierlich bekleideten Füßchen den unter das Unwetter zu fühlen, er fühlt nur seinen Hunger, er fallen. Freudig leuchtet sein Gesicht auf. Er hemmt den ihnen aufrollenden kostbaren Teppich zurück. Sie reicht bleibt nur stehen, um nicht so schnell nach Hause zu Schritt, steht und sieht sich prüfend um. Nein, kein grün- dem Papagei Zucker und reizt ihren Liebling dabei so, kommen. Er neigt sich über eine Brustwehr der Seine: röckiger Parkaufseher, kein behelmter Schußmann ist in daß er sie in den Finger beißt. Sie schlägt nach ihm langsam, mit dumpfem Rauschen rollen die angeschwollenen der Nähe, es kann gewagt werden. Hurtig, so schnell als und trifft doch nur an die Gitter des Käfigs, die das Gewässer vorwärts, weiße Schaumstrudel brechen sich an es die kurzen steifen Beine erlauben, ist er über den Thier seiner Freiheit berauben. D, wie dumm! schreit das Thier; es ist ihm so einem Brückenpfeiler. Er neigt sich noch tiefer über das niedrigen Drahtzaun, sich scheu umblickend. Ein Paar Geländer, der ungeheure Strom wälzt sich unter ihm da- ungelenke Sprünge bringen ihn zu den Blumen, er hat eingelernt; das Fräulein hat so oft darüber gelacht, heute hin und schleudert ihm eine wilde Herausforderung ent- sie gefaßt, ist zurück und steht selig lächelnd im Anblick ärgert es sich darüber. gegen. Aber er sagt sich, daß es feig wäre, derselben des schönen Straußes, von der Menge kaum beachtet, wieder auf dem Wege. Jetzt setzt er sich, immer mit Folge zu leisten.... er geht weiter. Der Regen hat nachgelassen. Das Gas flammt in frohem Lächeln den Strauß betrachtend, in ziemlich schnelle den Schaufenstern der Juweliere. Wenn er eine Scheibe Bewegung, biegt um einige Ecken, vertieft sich in die zertrümmerte, so könnte er mit einem einzigen Griffe Brot innere Stadt mit ihren Straßen und Gäßchen. für Jahre nehmen! In den Küchen der Restaurants Thurmuhr beginnt langsam und behäbig, wie es sich für knistert und loht das Feuer, durch die weißen Mousselin- eine sehr anständige Kirchenuhr in einer sehr anständigen vorhänge bemerkt er Leute, welche essen. Er beschleunigt Stadt schickt, die zwölfte Stunde zu schlagen. Unser Mann seine Schritte und wendet sich der Vorstadt zu, an den beeilt seine Schritte noch mehr und hält bald in einer gelegentlichen Mißhandeln eines Hundes vielbeschäftigte
Die
Die Klingel ruft das Kammermädchen herbei.
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"
Bring mir den Azor her, ich will ihn kämmen." Es gehörte zum Zeitvertreib des Fräuleins, ihrem Hündchen das Haar zu kämmen.
Azor kommt, das Fräulein hat schon wieder ganz andere Gedanken und stößt das schweifwedelnde, kußfertige und kußgewöhnte Thierchen mit dem Fuße zurück.
Ob dem ernstdenkenden Manne die mit Kämmen und