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Beiblatt zur Berliner Volks- Tribune".

[ Nachdruck verboten.]

Die Einweihung.

Von Adalbert v. Hanftein.*)

Sie saßen beisammen in traulicher Nische Am runden, schwerfälligen, eichenen Tische. Sie klappten die Deckel von steinernen Krügen Und tranken das Bier in prüfenden Zügen Und sahen mit wichtigem Kennerguce

In den goldbraunen Trant nach jedem Schlucke.

Und wechselnd füllte der Kellner neu

Die Krüge mit Hacker- und Spatenbräu; Denn beides mußten die Herrn erproben, Um dann das Beste herauszuloben.

Beim Henkel ergriff sein Glas Herr Haller

"

Und sprach: Meine Herrn, das Wohl Ihrer aller!" Und schlürfte bedächtig mit guter Art

Und wischte sich freundlich behäbig den Bart, Den doppelt geflügelten, würdigen, grauen, Indeß seine Augen behaglich schauen Hervor aus der Brille im Rahmen von Gold, Deren Bügel die römische Nase umrollt.

Er ließ seine Blicke die Runde durchschweifen, Den ganzen, weiten Raum überstreifen. Erst schaut er die hölzernen Stufen hinab, Die aus der Nische führen bergab,

Und dann in die Räume zu beiden Seiten, Die rechts und links sich hinüberbreiten,

Durchpflanzt mit Beeten von Stühlen und Tischen Und großen, hölzernen Säulen dazwischen, Die geschnißt und verziert zum Himmel ragen Und die bunte, gefehlte Decke tragen Auf Balken, welche von beiden Enden Sich binden mit den getäfelten Wänden. Er sieht die Mauern mit Schnörkeln beschneit, Mit flugen Sprüchen aus alter Zeit,

Die in rothen und blauen Lettern sich schreiben Hoch über den Fenstern von Bußenscheiben, Durch welche das Licht mit mattem Geflimmer Sich märchenhaft gießt in das schattige Zimmer. Und fernher aus Winkeln und Ecken kehrt Sein Blick zu dem Krug, den er eben geleert. Er trommelt zerstreut mit leisem Gesumm Mit den Fingern auf dem Deckel herum Und sizt eine Weile so schweigend da

Und rückt und nickt und sagt:

" Ja, ja! Wenn heute ich an meine Kindheit denke

Und an die alte, verfallene Schenke!

Die Kneipe mein' ich, hier nebenan;

Ich hab' sie geerbt als junger Mann.

Mein Vater ist dort als Wirth gestorben

Und hat sich ein kleines Sümmchen erworben.

Ich selbst aber wollte da drüben nicht leben; Ich habe das Haus einem Pächter gegeben, Und ich wurde Kaufmann. Ja, ja, meine Herrn, Gearbeitet habe ich gut und gern,

Und als ich drei Jahre die Pacht mir gespart, Da hatt' ich ein Sümmchen mir aufbewahrt. Ich kaufte mir Land im Osten und Westen, Und alles gelang mir, Sie wissen's, zum Besten.

Als ein armes Kerlchen fing ich an

Und wurde zuletzt ein vermögender Mann. Ich wohne noch heut im Viertel der Stadt,

In dem meine Wiege gestanden hat.

Es hat sich verändert, und ich darf sagen,

Ich selbst habe auch dazu beigetragen.

Wie hier überstofpernd die Straßen sich drängten Und die Häuser sich Luft und Sonne verhängten!

Die Dächer verfallen, die Stuben niedrig, Die Treppen wie Leitern, das Innere widrig, Die Fenster verwittert, die Scheiben zerschlagen, Besthütten wo heute Paläste ragen,

Fünf Stock hoch bis oben mit großen Balkonen, Mit marmornen Treppen und luſtig zu wohnen, Mit Erkern und Thürmchen, die oben mit flachen Dachzinnen vergnügt in den Himmel lachen, Vom Keller bis unter die First bewohnt Ein Werk, das mit Luft sich und Liebe belohnt! Ich habe die ersten hier aufgebaut,

Davon manches heut in die Wolfen schaut.

Doch hab' ich mich nie an den Armen versündigt;

Ich habe den ärmeren Leuten gekündigt

Ein Vierteljahr oft im voraus;

Sie zogen in Frieden ruhig hinaus!.

Drauf hab' die Scheunen ich niedergerissen

Mit zufriednem Herzen und leichtem Gewissen

Und habe die Häuser zurückgebaut,

Damit man die Straße breiter schaut.

Und jetzt, wo die neue Straße man bricht,

Einen Strom uns zu schaffen von Luft und von Licht,

Der uns eint mit den nobelsten Straßen der Stadt

Und die Großstadt zu uns getragen hat,

Mit elektrischem Licht und neuen Laternen, Aus Winkeln die Nester der Nacht zu entfernen, Da führt' ich den letzten der Wünsche mir aus Und baute dies neue, geräumige Haus.

Schon früher hatt' ich's für tüchtiges Geld Als Wirthshaus neben die Schenke gestellt. In besseren Räumen ein treffliches Bier, Das lockte die besseren Leute zu mir.

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Auch Handwerker ließer es bald sich nicht nehmen, Bu sizen in meinem Lokal, dem bequemen. Manch Arbeiter warf seinen Kittel beiseit, Kam Abends zu mir im Sonntagskleid.

Und je feiner die Gegend hier ward, um so schneller Verschwand mir das Bier aus Lager und Steller.

" Die Schenke, die doch einmal fallen muß, Ift mir schon lange ein arger Verdruß. Jezt hab ich dem Bächter gekündigt die Pacht, Und nächstens heißt es auch da: Gute Nacht!

Und dann werden Sie in meinem Lokale, Herr Wirth, fich heben mit einem Male. Ich hab' es vollständig ja umkonterfeit, Es trägt nun ein wirklich modernes Kleid, Denn altdeutsch muß heute ein Wirthshaus sein, *) Vergl. auch letzte Seite dieser Beilage.

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Sonnabend, den 21. Juli 1888.

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Und echtes Bier muß vor allem hinein. Im nächsten Jahre erwächst mir schnell Darum und daneben ein ganzes Hotel Mit Aufzügen von hydraulischen Pressen, Den Lichthof mit Glasdach nicht zu vergessen Das soll uns die Gäste in Haufen bringen, Die nie sonst in unsere Gegend dringen. Seitdem uns die Stadtbahn hier berührt Und die Menschen uns über den Köpfen entführt, Da faßt' ich sogleich den großen Plan­Im nächsten Jahr ist auch das schon gethan! So schaff ich mir selber im Kleinen zwar nur Doch immer ein Stückchen der großen Kultur. Und daß es noch lange so gehe fortan, Darauf, meine Herren, stoßen wir an!"

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Sie flappern zusammen die steinernen Krüge Und thaten viel kräftige, tüchtige Züge.

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Dem Wirth, der das neue Lokal übernommen, Dem waren die Augen vor Freude verschwommen; Er paffte so seelensvergnügt in die Luft Und sog den Havanna - und Zukunftsduft. Doch Hallers Freund, der Regierungsrath, Nur langsam Schluck um Schluck noch that Und dem andern die Schulter betippte sacht: " Das hast du mal wieder sehr gut gemacht!" Und ein Herr von der Presse" von siebzehn Jahren, Dem Freibier und Frühstück noch wichtig waren, Notirte sich alles mit Blei auf Papier Und sagte bemerkbar: Das bringen wir!"

Und wie so noch sprachen die achtbaren Herrn, Ging hinten die Thüre man hört es von fern Und Tritte vernahmen sie ungeschickte, Bis dort eine Frau um die Säule blickte Und langsam des Weges zur Nische klappte, Mit den Händen auf Stühle und Tische tappte, Und als sie die Herrn in der Nische erkannt, Dicht unter den Stufen stille stand.

Dann stieg fie und riß bei jedem Schritt Mit der Hand die schlampigen Kleider mit; Drauf fuhr sie sich über ihr aschgraues Haar, Das rauh und starr und geknotet war, Und unter den schimmlichen Augenbrauen Begann sie dummdreist hervor zu schauen Und strich sich die Röcke so lasch und so schmuzig; Da stand sie so progig, so pazig und pugig Und sagte ganz laut: Guten Tag, die Herrn, Und wenn ich störe, dann thu ich's nicht gern; Ich wollte bloß auch' mal gratuliren!"

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So sprach sie zu den versammten Vieren. Die schauten sie an mit vergnügtem Entsetzen. " Ich darf mich auch wohl ein bischen sezen?" Herr Haller rückt seine Brille: Sieh da, Frau Grünfeld, ei freilich, versteht sich, ja, ja! Ich dachte, Sie würder mich heut nicht vergessen. Gin Seidel, Kellner, und tüchtig gemessen!" " Ich danke, die Herrn, ich habe schon was!" Das thut nichts. Sie trinken schon noch ein Glas!- Nun, sehen Sie wohl, da ist es ja schon! Prost, Sie sollen leben und Ihr lieber Sohn, Und vor allem Ihr Mann, mein ehrlicher Pächter! Was macht das Geschäft?" Geht täglich schlechter! Kein Bier wird getrunken wir haben kaum Brod Mein Sohn liegt zu Bette mein Mann ist todt." Ist todt? Herr Gott , woran ist er gestorben?" " Ich weiß nicht, er ist so allmählich verdorben! Seitdem die rothe Laterne hängt, Und seitdem sich der alte Barbier erhängt..." Der Herr von der Presse" lauschte genau: Wer ist der alte Barbier, liebe Frau?"

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Ein Freund von meinem verstorbenen Mann, Dem keiner was Böses nachsagen kann. Dem Wirthshaus wohnte er gleich gegenüber, Und Abends fam er zu uns herüber, War einer von unseren ersten Kunden, Die wir hier vor dreißig Jahren gefunden.

" Ich weiß es noch ganz genau wie heute, Wie ich und mein Mann als junge Leute Einzogen in das alte Haus.

Wir puzten es ordentlich fein heraus Wie war da alles so sauber und nett Das ganze Haus wie ein Staffeetablett! Die Stühle noch ganz, die Ecken so sauber, Wie aus Ei gepellt der ganze Zauber! Wie alles dann ganz und fertig war, Bis auf den letzten Nagel jogar, Da machten wir unsere Thüre auf Und schrieben Heute eröffnet!" darauf. Dann warteten wir den ganzen Tag Bis neun Uhr mit dem Glockenschlag. So lange waren wir ganz allein Da trat der alte Barbier herein.

Klein war er, die Augen so keck und verschlagen, Das Haar trug er lang bis über den Kragen.

Er trat an den runden Tisch zu mir,

Und August brachte ihm ein Glas Bier; Er tranf und schnalzte, wie man wohl thut, Sah um und sagte behaglich: Gut!"

Und gab meinem Mann seine schneeweiße Hand, Als wären sie beide schon lange bekannt, Und sagte zu ihm:" Gefällt mir sehr! Hier komme ich jeden Abend her!"

,, Und wie die Thüre dann wieder ging, Da guckt er sich um mit schlauem Geplink: " Der Buchhändler ist es hier von der Ecke, Der kneipt sich auch eine niedliche Strecke! Er ist nur ein bischen wunderlich. Der braucht einen ganzen Tisch für sich Und ist so stolz wie' ne Ercellenz Es macht ihm ja keiner hier Konkurrenz!" War ein mächtiger Herr mit dickem Bauch, Sah sich feierlich um und setzte sich auch Und aus der Tasche holt' er heraus Wohl zwanzig Packete und pacte sie aus; Waren alles Stücke von seiner Pfeife, Obgleich ich das heute noch nicht begreife. Und wird sie alle zusammenkleben

Und ließ sich' ne Weiße mit Himbeer geben.

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II. Jahrgang.

" Dann kam vom Gymnasium der alte Professor Und sein Schwiegersohn, der junge Assessor; Die sezten sich hinten und sprachen ganz leise, Die waren für uns ja viel zu weise. Und schließlich kam auch der Juwelier Zu unserem Tisch und trank sein Bier. Ein freundlicher Herr, hatt' es nimmer gedacht,

Daß der sobald schon Pleite gemacht!

Und der alte Barbier gab ihm schnell die Hand. " Ich glaube, die haben sich du" genannt, Er bot aus der Dose ihm eine Prise Das war eine Freundschaft, das war ein Geniese!

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,, Oft klappte die Thür. Von allen, die kamen, Sagte gleich der Barbier uns Titel und Namen. Und wie er so recht erst aufgetaut,

Da lachten wir alle und sprachen sehr laut Und mußten uns schütteln in einem fort. Der Buchhändler horchte und sagte kein Wort, Doch wenn er' mal eines fonnte erwischen, Dann rief er: Ganz falsch!" oder Unsinn!" dazwischen.-

" So hat es den ersten Tag angefangen, Und so ist's auch prachtvoll weiter gegangen. Der Barbier kam immer des Abends erst spät Und war immer lustig und aufgedreht. Na, ich sage, der konnte Geschichten erzählen Und die Leute ärgern und necken und quälen! Ein richtiger Hausfreund wurd' er uns dann, Ich hatt' ihn so lieb fast wie meinen Mann! Die besten Kunden hat der gehabt,

Sie haben ihm ehrlich und tüchtig berappt, Bis alle die neuen Häuser kamen

Mit den feinen Herren und den vornehmen Damen Und alle die Miethen so fürchterlich stiegen, Da fonnt er keine Stunden mehr friegen;

Da hat er schon lange Jahre gefeiert, Heut ist ja alles so fein und geleiert. Sie nahmen's ihm übel, wenn er mal hustet, Den Leuten die Haare vom Hals runterpustet! Da fam er zu uns was sollte er machen? Verbrauchte sein Geld und konnte noch lachen.

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Mit uns sah es auch ganz anders aus. Wir hatten im alten, guten Haus Zwanzig Jahre gelebt in Trauer und Glück, Und denk' ich noch an die Zeit zurück! Wir haben die arme Grete begraben Und in den Krieg geschickt den Knaben; Wir haben geschafft und Geschäfte gemacht Und uns ehrlich und rechtlich durchgebracht. Dann ging's zehn Jahre so langsam bergab. Ganz plöglich wurden die Gelder uns knapp, Wie ein Haus um's andre zusammerbrach,

Das ganze Viertel so nach und nach.

Hier kennen wir keinen Menschen heute,

Hier wohnen jetzt nur noch reiche Leute.-

,, So saßen wir heute vor einem Jahr, Verweint und verzweifelt ganz und gar, Zusammen am runden Tisch zu Vier: Ich, August, mein Mann und der alte Barbier. Sch holte in's falte Zimmer ein Licht,

Und die Klinke der Thüre bewegte sich nicht. Die bei uns gesessen in früheren Jahren Der Teufel weiß, wo sie damals waren!

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Der Buchhändler war längst heruntergekommen, Seitdem der Brander den Laden genommen, Den neuen, mit allen den großen Scheiben Da wollte kein Kunde mehr bei ihm bleiben. Er bummelte, trant sich selbst auf den Hund, Verkaufte Nomane, sechs Dreier das Pfund. Im Laden hat es nach Schimmel gerochen, Im Schaufenster waren die Scheiben zerbrochen! Da lag noch ein alter Plan von Berlin , Ein Haufe von gelben Photographien, Ein Kochbuch und ein Band mit Gedichten, Ein paar bunte Bücher mit Kindergeschichten, Und drin in seinem verschlossenen Spind Hatt' er Bücher, die lange verboten sind. Und einmal sucht' ihn ein Schußmann da Aber er war fort nach Amerika !

Mit dem Juwelier ging es nicht so schnell. Das war ein verflucht gerieb'ner Gesell! Als keiner mehr kaufte in seinem Laden,

Da dacht' er: Vergrößern kann niemals schaden!" Ihm gehörte das Haus, da hat er gebaut

Und immer so pfiffig drein geschaut

Und rieb sich die Hände, wenn er mal kam Und von dem Barbier eine Prise nahm. Wenn der dann sagte; ,, Na alter Sünder, Du gehst wohl auch noch unter die Gründer?" Dann sagte er leiſe: ,, Warte nur,

Ich schwimme im Strom der großen Kultur!" Und lief bei den kleinen Leuten herum Und lich sich ihr Geld und brachte sie drum.-

Er hat sie alle, alle betrogen,

Die Wirthe, die Arbeiter ausgesogen!

Er hatte im Kopf einen riesigen Wurm

Und baute sein Haus so hoch wie' nen Thurm,

Und als die Geschichte fertig war,

Da wurde der ganze Schwindel klar.

Die Leute hier wollten den Alten ermorden,

Der im sechzigsten Jahr noch ein Schurke geworden Und richtig so nach ein paar Tagen,

Da mußte er in den ,, grünen Wagen." Sie fuhren ihn weg nach Moabit Ja, wenn man so was so kommen sieht!

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,, Da saßen wir nun am kahlen Tisch, Und vor uns lag ein Zeitungswisch, Drin war ein Stück Wurst und' n Kanten Brod. Und mein Alter sagte: Ich wollt, ich wär' todt!" Da rief der Barbier: Du bist nicht gescheit, Wir sind ja gesunde, träftige Leut!" Und geht's auf die eine Weise nicht mehr, Dann nehmen wir schnell etwas anderes her. Schwimm' auch mal im großen Strom der Kultur, Es wird schon gelingen, versuche es nur! Häng' du eine rothe Laterne heraus Und nimm dir Mädchenbedienung ins Haus. Die Rife von meinem verstorbenen Sohn,

Die kann sich auch was verdienen schon.