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Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne".

Die kommende Sonne. Es brennt in meinem Gehirn Ein Traum mit gährender Glut, Wie hinter Vesuvius' Felsenstirn Der Erde fieberndes Feuerblut. Ich träume die kommende Sonne.

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Und wie des Meeres Fluth empor Zum lockenden Monde schwillt, Wallt meine Seele schmachtend Dem angebeteten Traumgebild Entgegen- der kommenden Sonne.

In stummer Nacht, dem weichen Arm Schläfernder Ruh entwunden, Wälz ich mich mit heißem Sehnen, Fülle mit Grübeln zögernde Stunden Und harre der kommenden Sonne.

Vom Lager fahr' ich wild empor, Wissende Bücher aufzuschlagen; Ihr starren Züge, laßt mich lesen: Wann wird umnachteten Völkern tagen Die selig machende Sonne?

Es treibt mich auf die Gassen hinaus; Da athmen die Gassen Moderluft; Ein steinerner Sarg jedwedes Haus, Die Stadt eine riesige Gruft. Erbarme dich, kommende Sonne!

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Ich flüchte durch das Thor der Gruft Hinaus auf offenes Feld

Und spähe, ob die finstre Luft Ein Morgenschimmer nicht erhellt. Ich ahne die kommende Sonne.

Und sieh, des Lichtes Halme schießen Empor vom grauen Himmelsstrande, Wie hinter schwarzem Schildesrande Blutige Speere sprießen.

Das sind die Speere der Sonne!

Da weicht der Drache der Verwesung Von seinem Nest, der Völkergruft, Faltet die zackigen Flügel

Und kriecht entscht in eine Schluft. Preis dir, siegende Sonne!

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Nun taucht am froh erröthenden Himmel Empor der rollende Feuerball. Da zittert die Erde, da bersten Die Riesenfärge mit Donnerschall. Preis dir, erlösende Sonne!

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Die todten Völker stehen auf Und baden im goldig strömenden Licht; Die Leiber blühen schön und stark, Und geistig strahlt das Angesicht. Preis dir, erweckende Sonne!

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Die Erde schimmert wie eine Braut Im Schmuck der Blumen und Seen; Hinter üppig grünenden Hainen Marmorhäuser erstehen.

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Preis dir, verklärende Sonne!

Und aus den Thoren der Marmorstadt Wallt des Volkes festliche Schaar, Bringt Fahnen, felige Lieder, Trunkene Blicke zum Opfer dar Der entzückenden Göttin Sonne .

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So brennt in meinem Gehirn Der Traum mit gährender Gluth, Wie hinter Vesuvius' Felsenstirn Der Erde fieberndes Feuerblut. Jch träume die kommende Sonne.

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Bruno Wille .

Sonnabend, den 4. August 1888.

allein und verlassen. Kein Mensch kümmert sich um sie; kein Mensch liebt sie.... Ist sie denn wirklich so häßlich?

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II. Jahrgang.

in dem Menschenstrom, der durch die Passage flutete und sie mit sich fortriß, ihr ansehen könne, welchen Gedanken sie gehabt habe. Rasch trocknet sie sich die Thränen ab und holt den Und am nächsten Sonntag hatte sie wieder vor dem kleinen, blinden Spiegel hervor, an dem die eine obere Schaufenster gestanden und das Buch betrachtet. Auf dem Ecke ausgebochen ist, so daß das gelbe Papier, mit dem Titelblatte war ein Bild, aber die Linien waren so schwach, er hinten beklebt ist, zum Vorschein kommt. Sie wischt daß sie durch den Papierstreifen nicht hindurchschienen. das Glas ab, aber die Nisse und Flecken im Spiegel Was mochte das Bild vorstellen? Elisens Phantasie schweift bleiben. Das schadet nichts, sie sieht noch genug. Die noch jetzt darüber herum, und je verworrener und unklarer Sommersprossen sind wirklich fort, nur auf dem schmalen ihre Vorstellungen sind, desto heißer wird ein unbestimmter, Nasenrücken sitzen noch einige kleine, schüchterne Nach innerer Drang, das Räthsel gelöst zu erhalten. zügler. Der Thau der Fensterscheiben, mit dem sie sich Der kleine Rentier auf dem Ziegeldache drüben ist auf den Nath der Frau Sabel das Gesicht bestreicht, hat also verschwunden, aber seine Tauben sind dageblieben. Der doch geholfen. Ach, sie ist nicht so garstig, wie sie sich Schlag steht offen, und sie fliegen aus und ein. Einige einbildet, wenn sie nur die rothen Haare nicht hätte. fißen auf der First, andere kommen hinzu, sie stoßen und Wem werde ich Rothkopf gefallen?" spricht sie zu drängen sich, eine braunrothe Taube fliegt auf, die übrigen sich selber. Und ich bin so mager." Sie streift den folgen ihr, mit kurzen Flügelschlägen kreisen sie ein Mal Aermel ihres Kleides zurück, daß ihr dünner, zarter Arm in der Luft herum und fallen dann auf eine andere Stelle weit sichtbar wird, auf dem feine Härchen wie Gold des Daches nieder. Hurtig, unaufhörlich sind ihre Be­schimmern. Ich bin so mager." wegungen, das schmale Brett vor dem Schlag ist ihr Solch' dumme Gedanken!" schilt sie sich. Das Tanzjaal. Das Tanzjaal. Ein großer, weißer Täuberich trippelt raftlos kommt aber nur vom Faullenzen." Nun räumt sie Tasse vor einer weißen Taube hin und her. Bald senkt er den und Teller fort und wäscht das Geschirr in der braunen Kopf, bald hebt er ihn hoch, er bläst den Hals auf, und Schüssel ab, die auf dem Holzstuhl zwischen Ofen und seine Federn schimmern wie Schnee in der Sonne. Ein Kommode steht. Tasse und Teller kommen in das Schränk- anderer mit schwarzen Flügelecken und einem schwarzen chen zu dem übrigen Eßgeschirr, und das schmußige Wasser Fleck auf dem Kopfe kommt hinzu und sucht ihn fort zu trägt sie in die Küche, um es in den Ausguß zu gießen. drängen. Der erste aber läßt sich nicht verscheuchen und Eine Viertelstunde verplaudert sie mit Frau Sabel, die hackt mit dem Schnabel nach ihm. Aengstlich flattert die am Heerd sitt und Strümpfe stopft. Frau Sabel weiß weiße Taube in den Schlag und die beiden Nebenbuhler viel zu erzählen, von der Nachbarin, die ihren Mann ge- folgen ihr. prügelt hat, von der dicken Schlächterfrau, die es mit dem Auf dem geraden Dach eines Mansardenvorbaus sitt ersten Gesellen hält, von jener und jenem. Elise hört den ein Pärchen allein und ist dicht zusammengerückt. Der Klatsch und Tratsch sich an, erwidert nicht viel und geht, Täuberich sieht mit seinen runden Augen nach links und als sie wieder loskommen kann, in ihr Stübchen zurück. rechts, als spähe er, ob ein Störenfried in der Nähe sei, Soll sie lesen? Sie hat keine Lust dazu. Eine und zärtlich schmiegt sich die Taube an ihn. Jetzt schnäbeln sonderbare Unruhe ist in ihr, sie läuft im Zimmer hin sie sich. Elise sieht ihnen mit glühenden Augen zu, sie und her, nimmt einen Lappen, um die Maschine zu pugen glaubt ihr Girren hören zu können.... Immer heißer und wirft ihn wieder weg, zieht den Kommodenschub auf, wird das Werben des Männchens, immer stürmischer seine um ein Hemd herauszunehmen, das sie ausbessern will, Liebkosungen. Und jetzt duckt sich das Weibchen sanft läßt es aber liegen und schiebt den Kasten wieder zu. nieder es ist ein kleines blaugraues Täubchen- und Gedankenfädchen spinnen sich an und reißen sogleich wieder er ist über ihr mit stolzem Flügelschlage. ab. Sie denkt an das neue Kleid, an ihre rothen Haare, Elise hat die Augen geschlossen. Durch ihr Gesicht an die Kragen, die sie morgen vorrichten und nähen wird; flammt eine heiße Blutwelle und ihr Herz pocht in un­ihr fällt ein, daß es Zeit sei Medizin zu nehmen, und sie ruhigen, fiebrigen Schlägen. Eine süße Mattigkeit über­schluckt einen Löffel voll hinunter; sie sucht sich auf die kommt sie, ein Verlangen nach einem Glück, das sie nicht Geschichten zu besinnen, die ihr Frau Sabel eben erzählt kennt, dessen Fülle und Herrlichkeit sie nur ahnt. Von hat und merkt, daß ihr nur eine verworrene, blasse Er- eiuem starten Arme umschlungen zu werden, sich ganz hin­innerung geblieben ist. geben zu können, zu vergehen in lodernder Liebesflamme, Dann kommt sie darauf, ihren Hut hervorzusuchen wie die gelben Hefte es schildern, ist ihre Sehnsucht. und zu sehen, wie sie ihn neu garniren müsse, damit er nicht zu sehr von dem neuen Kleide absteche. Eigentlich immer am Fenster. Längst sind die Tauben fort, sie Die Dämmerung ist gekommen und Elise sitzt noch müßte fie auch einen neuen Hut haben, aber das ist wohl ein schlafen schon in ihren Körben, und nichts ist von ihner. unerfüllbarer Traum. Wo soll sie das Geld dazu hernehmen? auf dem Dache geblieben, nichts, als ein paar weiße Flaum­Er kostet wenigstens zehn Mark, sonst sieht er nach gar febern. Die Schornsteine im Umkreis rauchen, und drohend nichts aus, und so viel verdient sie gerade in einer Woche. zeichnet sich der Schattenriß des mächtigen Fabrikschlotes Wenn es doch ein Mittel gäbe, einmal so lange das im Hintergrunde von dem bleifarbigen Himmel ab, den Essen zu lassen.... Nein, vom Essen kann sie sich die Nacht umspinnt. Und die Nacht verschluckt die nichts mehr abknapsen. Aber wie, wenn sie täglich eine schwarzen Rauchwolken, die unaufhörlich aus ihm zum Stunde länger arbeitete? Elise rechnet: In sieben Stunden Himmel emporrollen, und aus denen zuweilen ein leuchten­verdient sie noch nicht ganz eine Mark, sie würde also zehn der Funke niederfällt. Wochen brauchen, um das Geld zusammen zu haben, und in zehn Wochen ist der Frühling längst vorüber.

Elise ist aufgestanden und zittert vor Frost. Ihre Hände sind eiskalt, aber ihre Stirn brennt, und sie hat Kopfschmerzen. Sie wird sich Fliederthee kochen und dann zu Bett gehen.

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Es muß auch so gehen," denkt sie und wendet den Hut, den sie in der Hand hält, nach allen Seiten. Wenn ich hier ein neues Band ausseße und die Feder kräufeln lasse und ihn mit neuem Sammet einfasse, wird er sich schon machen. Die Hauptsache ist doch das neue Kleid." Der Arzt ist hinausgegangen; das Rezept, das er Grübelnd flüßt sie den Kopf mit dem Arm, der auf tintenfeucht. Er hat bedenklich mit dem Kopf geschüttelt, geschrieben und auf dem Tisch zurückgelassen hat, ist noch dem Fensterbrett ruht. Was kommt es darauf an, wie aber Elise ist guten Muthes. Sie fühlt sich heut freier, fie aussicht? Weshalb pußt sie sich? Wem will sie gefie hat fast gar kein Stechen in der Brust, die der fallen? Gleichviel went sie gefällt, wenn sie nur über- Doktor eben untersucht hat, und sie hofft zuversichtlich, haupt jemandem gefallen könnte! Es giebt so viele Mäd- wieder gesund zu werden. Jetzt soll sie sterben, wo das chen, die schöner, gesünder, und nicht so arm sind, wie sie. Leben so schön geworden ist? Sie möchte leben bleiben. Die Glücklichen! Elise preßt die Lippen auf einander, und eine Falte legt sich auf ihre weiße Stirn. Sie liegt in ihrem Bett und kann aus dem Fenster sehen. Frau Sabel hat ihr ein Kissen von den eigenen Wie mag es nur sein, wenn man geliebt wird? Oft geliehen, damit sie etwas höher liege und besser athmen hat sie darüber nachgedacht, aber sie kann sich keine deut- könne. liche Vorstellung davon machen. Und doch liest sie so Leichenbläse ihres Gefichts noch mehr hervortreten, das Der rothkarirte Ueberzug der Betten läßt die viele Liebesgeschichten, liest von feurigen Küssen, von zärt von offenen Haaren umwallt, wie ein von wildem Mohn lichen Umarmungen, von Seufzern und Kosen, und wird bekränztes Marmorbild aussieht. Auf dem Stuhl neben nicht klug daraus. Alles bleibt schattenhaft und wesenlos. dem Bett steht ein Wasserglas mit einem silbernen Löffel, Jm vorigen Winter war sie an einem Sonntag Nach- der Frau Sabel gehört, und die Medizinflasche. Darunter Kommode, und sie steht am Fenster. Alles sieht noch so mittag ausgegangen und in die Passage gekommen. Vor steht ein Nachtgeschirr, das der Arzt beim Herantreten an aus, wie vorhin. Nur die Tauben sind auf das Dach dem Schaufenster eines Papiergeschäftes war sie stehen das Lager der Kranken zurückgeschoben hat, und in dem niedergefallen und trippeln auf den vorspringenden Man- geblieben und hatte die Auslagen gemustert. Und plöß- gelblicher Schleim, mit rothen, zarten Blutfäden durchsetzt, sarden, die mit getheerter Pappe bedeckt sind, herum. Der lich hatte sie ein dünnes Buch gesehen, dessen Titel durch liegt.

[ Nachdruck verboten.]

Die Tauben.

Von Curt Baake. ( Schluß.)

Elise ist mit einem Male traurig geworden, sie weiß selber nicht, weshalb. Das Kästchen ruht wieder in der

neu.

Kleine Rentier hat ihnen Futter hingestreut und sieht ihnen einen weißen Papierstreifen halb verdeckt war, auf dem mit Elise hat vorgestern einen Blutsturz gehabt. Wie zu, wie sie die Körner aufpicken, als wäre ihm das ganz blauem Bleistift: Hochinteressant! Preis 1 Mark" ge- das so rasch gekommen ist, kann sie sich nicht erklären. Alles ist sonntäglich still. Unten rumpelt eine geschrieben stand. Die Geheimnisse der Liebe und Ehe," Den ganzen Frühling und Sommer über bis in den Droschke vorüber, in der ein Herr im Cylinder neben einer hieß das Buch. Eliſe hatte den Titel durch das dünne Herbst hinein war sie so frisch und munter, wie noch nie gepußten Dame fißt. Wohin mögen sie fahren? Nach Papier lesen können und hatte wohl zehn Minuten vor dem in ihrem Leben gewesen, sodaß sie sich bei der Kasse Livoli oder auf den Spandauer Bock? Elise lauscht auf Schaufenster gestanden und verstohlen ihr Portemonnaie gesund melden konnte. Und am Montag, den 24. Oktober das Geräusch des Wagens, das sich in der Ferne verliert, herausgezogen und nachgesehen, ob sie eine Mark bei sich sie weiß das Datum genau, denn es steht auf dem und plöglich merkt sie, daß ihr Thränen in den Augen habe. Aber so groß die Versuchung war, hatte sie doch ersten Rezept, das sie heute neugierig angesehen als nicht hineinzugehen und das Buch zu kaufen gewagt. Was sie gerade bei der Arbeit saß und sich nach einem Bänd= Was ihr nur ist? Sie muß sich auf den Stuhl hätte man nur von ihr gedacht, wenn sie es gefordert hätte! chen bücken wollte, um damit die fertigen Kragen zusammen seßen und sich Mühe geben, um nicht laut zu schluchzen. Und mit heißen Wangen war sie von dem verlockenden zu binden, hatte sie husten müssen, daß sie zu ersticken ge= Alle anderen freuen sich und genießen, und sie sitzt hier Laden fortgegangen und hatte gefürchtet, daß ein jeder fürchtet hatte, und dann war das Blut gekommen. Ein

stehen.

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