Berliner

Volks- Tribüne.

Social- Politisches Wochenblatt.

Die Berliner Bolts- Tribüne" erscheint jeden Sonnabend früh.

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Einzelne Nummer 15 Pfg.

Abonnements- Preis für Berlin monatlich 50 Pfg. pränumerando( frei ins Haus). Durch jede Post- Anstalt des Deutschen Reiches zu beziehen.( Preis vierteljährlich 1 Mt. 50 Pfg.; eingetragen unter Nr. 850 der Zeitungspreisliste für das Jahr 1888.). Inserate werden die 4 spaltige Petit- Zeile oder deren Raum mit 20 Pfg. berechnet. Vereins- Anzeigen: 15 fg. Arbeitsmarkt: 10 Pfg. Inferaten- Annahme in der Expedition: Oranien- Straße 23.

Redaktion und Expedition:

8.0.( 26). Oranien- Straße 23.

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Höherer Arbeitslohn ist nicht alles.

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Sonnabend, den 27. Oktober 1888.

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Ausgabe für Spediteure: Merkur " Zimmer- Straße 54.

II. Jahrgang.

Wenn sich die Arbeiterbewegung lediglich aus den Offene Wahlen führen in der That weiter nichts Zum Klassenwahlsystem( in Preußen, Sachsen , allerärmsten und schlechtestbezahlten Arbeitern rekrutirte, herbei, als daß wirklich charaktervolle, aber abhängige Braunschweig ).- Die Brodvertheuerung. Aus dann stände es sehr schlimm um die Arbeitersache; denn Wähler der Wahlhandlung fernbleiben, und daß die Frankreich . Aus der amerikanischen Ar- es läge die Gefahr nahe, daß die Bewegung aufhörte, Charakterlosen zur Wahl gehen, nicht aus Trieb und beiterbewegung. Eine bemerkenswerthe sobald die Löhne um ein Geringes erhöht würden. Eine Ueberzeugung, sondern um Behörden, Kunden und sonstige Selbsthilfe. berartige Arbeiterbewegung hätte nur geringe Bedeutung, Leute, auf die man Rücksicht nehmen muß, nicht zu ver­Der Streifführer. Gedicht. Soziales weil sie sich auf den Thaler und Groschen zuspißte und letzen, ja sie wohl gar durch politische Geschmeidigkeit sich Bild aus Rußland von Gorbunoff. Kunst weil ihr das Kulturmoment fehlte. zu verbinden. Politische Schlangenmenschen spielen bei und Revolution. Ein Vorläufer des Sozia- Der Thaler und der Groschen oder die Magen- solchen Wahlen die erste Rolle, während Männer mit frage lismus in Italien . giebt wohl den Anstoß zum Erwachen des Rückgrat einem Konflikt zwischen Ueberzeugung und Zwang Kleine Mitthei: Arbeiters, aber um ihn wach zu halten, bedarf es eines der Interessen dadurch ausweichen, daß sie nicht einmal Politische Nachrichten. lungen. Gewerkschaftliches. Vereine und höheren Ideales, des Zieles der Freiheit und Unabhängig von dem geringen, ihnen zustehenden Rechte Gebrauch feit von der Person des Kapitalisten. Versammlungen. Dieses Ziel haben namentlich diejenigen Arbeiter Gerade bei den kleinen Urwahlbezirken, wo- wie begriffen, welche an unserer Sache theilnehmen, ohne daß z. B. 1866 auf einen zu ernennenden Wahlmann ihnen das Wasser am Halse steht; die sogenannten besser durchschnittlich kamen: in der 1. Abtheilung noch nicht gestellten Arbeiter, welche, obschon sie nicht am Hungertuch 7 Urwähler, in der zweiten Abtheilung noch nicht 19, in nagen, den Kampf gegen die kapitalistische Privatproduktion der dritten 131 Wähler, gerade da ist eine Beaufsichtigung aufgenommen haben. und Beeinflussung besonders leicht gemacht.

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Aufforderung zum Abonnement.

Die Berliner Volkstribüne" erscheint jeden Sonnabend früh in Berlin und sucht in gründlichster Weise alle auftauchenden politischen und wirthschaftlichen Fragen vom

sozialistischen Standpunkte

aus zu beleuchten.

Gerade heute, wo das Vereinsleben der Arbeiter gänzlich darniederliegt, erscheint uns ein Wochenblatt, wie das unsrige als ein unentbehrliches Aufklärungsmittel des Volkes.

Wir bitten alle Freunde unseres Blattes, recht eifrig für die weitere Verbreitung der

,, Berliner Volks- Tribüne

Wir theilen daher nicht die gang und gebe Besorgniß, daß die organisirten Arbeiter, wenn sie erheblich besser­gestellt würden, den Kampf gegen die kapitalistische Privat produktion aufzugeben bereit wären. Im Gegentheil: dann hätten sie mehr Muße und mehr Mittel, für ihre Sache einzutreten.

machen.

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Je größer die Zahl der bessergestellten Arbeiter in In ländlichen Gegenden wickelt sich darum auch unseren Reihen ist, desto leichter und sicherer der Erfolg. fast immer das Wahlgeschäft in der für den maß­Denn erst kommt die kräftige Suppe und dann die poli- gebenden Großgrundbesitzer denkbar wünschenswerthesten tische Thätigkeit. Der leibliche Mensch muß erst befriedigt Weise ab. Der Tagelöhner, der kleine Besißer, Leute der sein, ehe man an den geistigen herantreten kann. Einem dritten Abtheilung, sie kommen, sie finden ihren Herrn" Hungernden kann man ebensowenig von Jdealen wie von am Wahltisch als Leiter und stimmen für ihn als Sittlichkeit predigen. Wahlmann. Die zweite Abtheilung, der Pfarrer, der Lehrer, sie wählen vieicht den Juspektor des Herrn, und letzterer, der die erste Abtheilung allein ausfüllt, beglückt dann huldvollst einen ihm ergebenen Bauern mit der Er­nennung zum Wahlmann. Das Ergebniß aber dieser ver­einten Bezirkswahlen ist alsdann der Herr Landrath. Bei Bestellungen in Berlin wende man sich stets direkt an Aehnlich machen sich persönliche Einflüsse, Abhängigkeits­die Spediteure. Dieselben liefern die Berliner Volks- Tribüne" Es läßt sich viel leichter einem Jdeale nachgehen, verhältnisse auch in den Städten geltend, sodaß von einer für 50 Pfennige monatlich jeden Sonnabend Morgen frei in's Haus. wenn man vom drückendsten Kummer frei ist, als mit unbeeinflußten, wirklichen Volkswahl niemals gesprochen Probenummern jederzeit gratis. Durch jede Postanstalt des einem Kopf voller Sorgen und einem Herzen voller werden kann. Deutschen Reiches zu beziehen.( Preis 1 Mt. 50 Pfg.; eingetragen Bangen um die kleinlichen Bedürfnisse des Alltagslebens. Darum ist nicht nur die Dreiklassenwahl, sondern unter Nr. 850 der Zeitungspreisliste für das Jahr 1888.) Wir bestreiten daher die von Vielen vertheidigte auch die offene Etimmenabgabe von jedem wirklichen Der Verlag der Berliner Volks- Tribüne." pessimistische Idee, daß es in der Welt erst ganz erbärm- Volksfreunde zu bekämpfen. Berlin S. O., Oranienstr. 23. lich schlecht werden müsse, ehe die Arbeiter sich aufraffen.

einzutreten.

aber er ist Die Arbeiterklasse und die Landtagswahlen

Höherer Arbeitslohn ist gut, aber er ist nicht alles.

Beschränkte Menschen aller Art können sich darüber nicht zufrieden geben, daß selbst solche Arbeiter, die den höchsten" Lohn beziehen, ein paar hundert Mark in der Sparkasse oder ein Häuschen haben, die im Stande sind, eine Bernsteinspiße zu befißen und Uhr mit Kette zu tragen, dennoch unzufrieden" mit ihrer Lage sind und fortfahren, Andere aufzuheßen".

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Diese Leute, welche im sogenannten ,, höchsten" Arbeits­lohne das Ende alles Strebens, die Glückseligkeit selber erblicken, haben keine Ahnung vom Werth des Lebens, der doch einzig und allein in der Freiheit und Unab­hängigkeit des Individuums besteht.

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in Preußen.

( Na ch tra g).

Wir haben in letter Nummer die Härten und die unheilvollen Wirkungen der Dreitlassenwahl geschildert und hätten nunmehr noch eine zweite Eigenthümlichkeit des preußischen Wahlrechtes kurz zu erwähnen, welche allein schon hinreichen würde, daß das Ergebniß der Wahlen in Preußen nicht dem wahren Volkswillen entsprechen kann: die offene Stimmenabgabe. Preußen hat für die Wahlmännerwahlen öffentliche Stimmgebung zu Protokoll!

Auch die Nationalliberalen haben sich früher

gegen die Dreiklassenwahl erklärt. Jm nationalliberalen Programm vom 13. Juni 1868 heißt es nämlich unter anderem:

Wie unsere Partei im Entstehen( die Reichsverfassung) zu bessern bemüht war, so wird sie ununterbrochen darauf hinarbeiten, die Verfassung in sich auszubauen.

Das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht ist unter unserer Mitwirkung zur Grundlage des öffentlichen Lebens gemacht. Wir verhehlen uns nicht die Gefahren, welche es mit sich bringt, so lange Preßfreiheit, Versammlungs- und Vereinsrecht polizeilich ver= kümmert sind, die Volksschule unter lähmenden Regulativen steht, die Wahlen bureaukratischen Einwirkungen unterworfen sind, zumal die Versagung der Diäten die Wählbarkeit be= schränkt.

Nach dem Beispiele der preußischen Verfassung haben die entsprechenden Unvollkommenheiten in die Reichsverfassung Eingang gefunden. Auf beiden Gebieten( also auch in Preußen) sind nunmehr gleichzeitig und regelmäßig die wesentlichen Forderungen zu erstreben, welche die allein sichere Grundlage des öffentlichen Rechts gewähren.

Nach wie vor verlangen wir die Ausführung der in der preußischen Verfassung verheißenen Geseze und die Reform des Herrenhauses als Vorbedingung aller Reformen." Dazu dann noch aus einem im Oktober 1868 er­

Man hat natürlich auch dieses System, das in allen Ländern vorkam und noch vorkommt, heuchlerisch zu Unter der Voraussetzung selbst, daß ein Mensch kern- vertheidigen gesucht und ein würtembergischer Abgeordneter gesund ist und von Familienunglück verschont bleibt rief sogar 1819 bei der Verfassungsberathung aus: Wenn und wie weit hat man zu suchen, ehe man diese beiden das Volk nicht den Muth hat, öffentlich zu wählen, dann Vorausseßungen dauernd vereint antrifft! unter dieser verdient es überhaupt keine Volksvertretung." Vorausseßung selbst hat der Lohnarbeiter und bezöge Derartige Aeußerungen können auf der Seite der er den ,, höchsten" Arbeitslohn- das Recht, unzufrieden" Reichen und Unabhängigen durchaus nicht befremden, den zu sein, weil er nicht frei, nicht unabhängig ist, sondern Armen und Abhängigen aber, den von Entlassung und schienenen Wahlaufruf Folgendes: der Laune oder der Gnade Anderer, oder dem Zufalle des Maßregelung, von Arbeits- und Existenzlosigkeit Bedrohten Geschicks sich beständig preisgegeben sieht. müssen solche Worte immer wie Spott und Hohn ins Dieses Gefühl und Bewußtsein: Dein Leben hängt Gesicht schlagen! Wie man dereinst in einer Gesellschaft von dem Wohlwollen eines Menschen oder einiger weniger wahrhaft freier und gleicher Menschen öffentliche Angelegen­Menschen und dem unberechenbaren Zufalle ab"- das heiten erledigen wird, darüber mag man streiten. Aber ist es, was auch den höchsten" Arbeitslohn unendlich daran kann kein Zweifel sein, daß die Forderung der klein erscheinen läßt und den Werth selbst einer solchen offenen Stimmgebung, wenn sie heute vom Sammipfühl Bei den neueren Kreis:, Provinzial- und der Neichen an die Abhängigen gestellt wird, zum min- Städteordnungen hat selbst die preußische bessergestellten Existenz beträchtlich verringert. Es giebt allerdings Bedientennaturen, die sich in ihrer desten eine Unredlichkeit enthält. Es ist kein Kunststück, Abhängigkeitsrolle ziemlich wohl fühlen, weil diese der sich ins Wasser zu wagen, wenn man es zum guten Regierung auf die offene Stimmenabgabe Geistesträgheit zu Statten kommt. Aber ein Mensch, der Schwimmer gebracht hat; aber darum Anderen, Hülfloseren Fähigkeiten und Selbstbewußtsein besißt, kann sich niemals den Kopfsprung in die Tiefen zuzumuthen, ist Grausam­im Zustande der kapitalistischen Lohnarbeit wohlbefinden. keit oder Hohn.

" Das beschränkte Klaffen- Wahlsystem hat sich über­lebt und der nächste(!) Landtag wird zu prüfen haben, in welcher Weise und unter was für Voraussetzungen der Uebergang zum allgemeinen Stimmrechte zu be= reiten ist."

verzichtet.

Im Jahre 1872 nahm eine konservative Mehrheit Ides Abgeordnetenhauses nach dem Vorschlage der Regierung