Aeiblatt zurAertiner Holks�Hribüne".

M 4.

Sonnabend, den 26. Januar 1889.

in. Jahrgang.

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�Nachdruck otrboten.] Aroggy und sein Mruder. Eine Geschichte. Nach dem Englischen. (Fortsetzung.) V. Während Froggy auf der Schwelle eines fremden Hauses schlief, erwartete Bennp auf der Hühnersteige sitzend, die zu ihrer Wohnung führte, die Rückkunft des Bruders. Er sehnte sich, Froggy zu sehen und die wunderbaren Erlebnisie des Tages zu hören. Er träumte von einem Feuer, an dem er sich wärmen konnte, von einem warmen Nachtmahl, ja sogar noch von Geld, nm Lichter, Holz, Hafermehl für den Brei und hundert andere Dinge zu kaufen, welche sie dringend gebrauchten, und deren sie seit langem beraubt waren. Während Benny im Dunkeln auf der Stiege saß, kam die Nachbarin von unten, Frau Blunt, auf deu Flur, um Holz zu holen. Zufällig schaute sie auf und bemerkte beim Schein ihrer Kerze einen kleinen Schatten. Bist Du es, Benny, wo ist die Katze?" frug sie. Benny wollte sich amüsiren und schrie: Miau, miau zur Antwort.- Kleiner Schelm", sagte die Nachbarin,Du willst mich anführen! Ich weiß doch, daß Du es bist. Dein Bruder ist noch nicht nach Hause gekommen?" Nein, Frau Blunt", sagte der Kleine,aber er kann nicht mehr lange bleiben." Hast Du kein Kerzenstümpfchen, Kleiner, um Dir Licht zu machen?" fuhr die gute Frau fori. Nein, wir haben gar keins", erwiderte das dünne Slimmchen durch die Ditnkelhcit. Froggy bringt gewiß eine Kerze mit." Frau Blunt trat in ihre Wohnung und kam nach einem Augenblick mit einem Lichtstümpschen und etlichen Zündhölzchen heraus. Nimm, Kleiner", sagte sie,es wird schon reichen, bis Dein Bruder kommt." Benny dankte, tastete sich behutsam die Stiege hinunter und nahm sein Geschenk in Empfang. Er war höchlichst zuftieden und überrascht. Frau Blunt hatte nicht die Gewohnheit, Geschenke zu mache». Sie Harle ein halbes Dutzend Kinder, und ihr Mann war ein Trunkenbolv. Die Aermste plagte sich redlich, sie arbeitete als Aufwarte­frau, sie ging Wäsche waschen und brackte doch nur mit knapper Mühe und Noch den Miethszins zusammen Stets mit der Zahlung des Zinses im Rückstand und von Frau Ragbone mit Pfändung ihrer armseligen Möbel bedroht, konnte sie gegen die Brüder nicht freigebig sein, obgleich ihr dieselben das lebhafteste Mitleid einflößten Sie kannte die Qualen der armen Kleinen, wie die aller übrigen Hausbewohner. Aber das Leiden der Kinder bc- rührte sie am schmerzlichsten. Sie hatten keine Mutter mehr, die sie das Gute thun, das Böse vermeiden lehrte. Und doch waren sie die Ehrlichkeit selbst! Nie hatte ihr auch nur ein Spahn vom kleinen Holzvorrath gefehlt, den sie auf dem Flur aufgeschichtet halte. Und die Ber- suchung mußte doch Froggy nahe genug gelegen haben. Benny blieb im Dunkeln sitzen, er wollte das Licht- stiimpfchen für Froggy's Heimkunst aufsparen. Ich möchte wohl eine Katze sein", dachte er vor sich hin.Die Katzen sehen im Finster», sie brauchen kein Licht, auch keine Kleider, sie kommen mit hübschen, warmen Pelzhöschen und einem Pelzmantel auf die Welt. Ihre Kleider zerreißen nicht, und sie brauchen Frau Ragbone keinen Hauszins zu zahlen, wie wir! Ach, wenn ich doch eine Katze wäre, Froggy möchte gewiß auch gern eine Katze sein... Wenn ich eine Katze wäre, so ließe ich mir den Schwanz abschneiden, damit mich Niemand daran zwicken kann... Die Miez hat uns doch neulich einen schlimmen Streich gespielt! Aber ich habe sie nicht ge- schlagen, Froggy hat es verboten..." Das Knarren des Hausthors, das geöffnet wurde, unterbrach Benny in seinen Gedanken. Das mußte Froggy sein. Hastig stand der Kleine auf und zündete das Kerzenstümpfchen an, welches einen schwachen Schein au Froggy stieg mühsam herauf.

Herzklopfen,wahrscheinlich trägt er Kohlen und Fleisch, das ist schwer." Endlich erschien Froggy am oberen Ende der Treppe. Aber kaum hatte Benny einen flüchtigen Blick auf das Gesicht seines Bruders geworfen, so war es mit seiner Freude aus. Was bedeutete die zerriffene Jacke, das dleicke und tieftraurige Antlitz, das einem Greise zu gehören schien? Du hast Dich doch gar geschlagen, Froggy?" frug der Kleine endlich ungeduldig. Und ob", erwiderte Froggy,mit Mac und zwei Anderen." Er ließ sich auf den Strohsack niedersinken und Benny bemerkte, daß zwei große Thränen über seine Wangen rollten. Das bekümmerte den Kleinen lief: es war so selten, Froggy weinen zu sehen! Er mußte sehr unglücklich sein, damit er sich dies gestattete. Weine nicht, mein Froggy", tröstete das Bübchen, mit einer sonderbaren Grimasse die eigenen Thränen zurück- drängend.Armer Froggy!... Tu hattest wohl einen schlechten Tag, sag'? Hast Du nicht Kapriolen gemacht, wie Mac wollte?... Warum hat er Dich geschlagen?... und die Andern auch, sag', Froggy?" Weil ich nicht mit ihnen stehlen wollte", antwortete Froggy.Mac und seine Freunde sind Diebe. Ich habe es selbst gesehen, und weil ich das gestohlene Geld nicht wollte, so sind sie über mich hergefallen. Ich wollte mir das nicht gefallen laffen, so haben wir uns geschlagen... uno sie haben mir die Jacke zerriffen." Froggy warf einen bedauernden Blick nach seiner Schulter, aus der das Hemd durch ein großes Loch schaute. Armer Froggy", rief Benny mitleidig aus.Nimm meine Jacke aus dem Kasten, sie ist mir doch zu groß, Du sagst immer, daß ich wie ein altes Männchen in ihr aussehe." Er brach in lautes Lachen aus, um Froggy aufzuheitern. Aber dieser starrte mit angsterfüllten Augen vor sich hin und sagte mit einem tiefen Seufzer: Ich pfeife aus die Jacke. Aber ich sehe schon ein, daß ich nie genug Geld für Dich verdienen kann. Wir müssen ins Workhouse(Arbeitshaus) gehen... Du wirst sehen!..." Froggy schlug die Hände vor das Gesicht und weinte bittere Thränen. Auch der Kleine konnte das Schluchzen beim Gedanken an dieses Workhaus nicht unterdrücken. Alle Nachbarn sprachen von ihm mit dem Ausdruck der größten Furcht und des tiefsten Abscheus. Ins Arbeits- Haus zu kommen erschien den Brüdern als das größte Unglück, als die schmachvollste Erniedrigung, die sie in ihrem elenden Dasein treffen konnte. Wir haben Niemand, der uns Helsen könnte", fuhr Froggy fort... Wir haben keine Freunde. Wir können hier vor Hunger sterben. Was kümmern sich die Leute darum?...Ich habe Dir zwei Brötchen gebracht", fuhr er nach einer Pause fort, indem er dieselben dem Bruder reichte. Benny ließ sich nicht überreden, beide Brötchen zu verspeisen, Froggy mußte ihm Gesellschaft leisten, und die Kinder aßen schweigend. Du hast die Königin gesehen?" ftug Benny, nach- dem er sein Mahl beendet und die Krümchen der Maus gegeben hatte. Ach ja", sagte Froggy,und die Prinzessin und die roihen Kutscher... Alles, alles... Und Du hast mit Jack gespielt?" Nein, er wollte nicht", erwiderte das Kind,aber erzähle mir, wie sieht die Königin aus?" Oh, sie ist nicht etwa schön", sagte Froggy,aber sie sieht gulmüthig aus. Sie schien sich zu freuen, daß man so viel Hurrah schrie." Trug sie die Krone aus dem Kopfe? forschte Benny weiter. Nein, einen schwarzen Sonntagshut. Sic sieht wie eine Großmutter aus. Ob sie wohl zu stolz ist, an uns zu denken? Ach, wenn sie wüßte, wie hungrig wir sind. Weist Du was, Froggy?" rief der Kleine wie unter dem Einfluffe einer' plötzlichen Eingebung aus, wir schreiben an die Königin, um ihr es zu sagen." Ach wer weiß, ob der Briefträger den Brief nimmt", antwortete Froggy, bei dem bloßen Gedanken an einen so kühnen Plan erröthend. Gewiß, er nimmt ihn", rief Benny bestimmt aus. Wir packen ihn gut ein, schreibenBuckingham Palais" daraus, und daß er für die Königin ist." Nach kurzem Zaudern war auch Froggy für das Projekt gewonnen. Aus einer von den Eltern ererbten Holzkiste suchte er ein blaues Fläschchen hervor, daß noch etliche Tintentropfen enthielt. Er fand auch eine alte Stahlfeder, Briefbogen und Kouvert, die vom langen Liegen ganz vergilbt waren. Nun wurden ein paar Tropfen Waffer zu der Tinte geschüttet, und es konnte an die dornenreiche Arbeit gehen. Die Brüder setzten sich aus den Erdboden, einander gegenüber, das Kerzenstümpfchen stand zwischen ihnen, und sie zerbrachen sich den Kopf, wie der. Brief anzufangen sei. Es kostete Froggy viele Mühe, gewisse Worte zu schreiben, denn er hatte seine Orthographie etwas verschwitzt, seitdem er die Abendschule

die wackelige Stiege warf,?>--?-,»..,..... Wie langsam er geht", dachte Benny mit freudigemnicht mehr besuchte, auch mußte er sich redltch plagen, um

gewisse Buchstaben zu malen. Aber endlich brachte er Doch folgenden Brief zu Stande: Liebe Frau Königin! Wir sind zwei kleine Brüder, die in Shoreditsch wohnen. Wir haben kein Geld, und wir haben keine Eltern. Wir wohnen in einem miserablen Loch. Die Mutter ist gestorben, und der Vater ist gestorben, und Froggy(das bin ich) weiß nicht, wie er Brot für den kleinen Benny verdienen soll. Das ist nämlich mein Bruder. Man sagt, daß Sie eine gute Frau sind, und Sie sehen auch nicht bös aus. Ich habe nämlich Ihre Photographie gesehen, und ich habe Sie auch heute selbst gesehen mit dem Fräulein Prinzessin, als Sie in den Park fuhren. Sie lachten uns Alle an, als ob Sie uns Alle kannten und fragen wollten, wie wir uns denn mit den Kohlen und dem Holz einrichten, wo jetzt Alles so theuer ist. Benny und ich haben gar nichts mehr, und wir haben morgen nichts zu essen, und wir haben auch kein Geld. Ich fürchte mich so, ins Workhaus zu gehen. Alle Leute meinen, daß es darin viel schlechter ist, als im Gefängniß. Wenn Sie nur Frau Blunt fragen wollen, so wird die Ihnen schon sagen, daß ich die Wahrheit schreibe. Es ist nämlich die Nachbarin unter uns." Hier brach der Brief jäh ab. Das Kerzenstümpfchen flackerte hin und her und drohte zu erlöschen, und das Schreiben mußte noch in das Kouvert gesteckt und adressirt werden. Froggy, glaubst Tu, daß die Königin selbst zu uns kommen wird?" frug Benny mit glänzenden Augen. Nein, ich denke, daß sie einen Bedienten schickt", erwiderte Froggy, indem er sich alle Mühe gab, das Kouvert dadurch zu schließen, daß er mit der geballten, nicht eben reinen Faust kräftig darauf drückte. Das Kouvert klebt nicht", setzte er nach einer Minute hinzu; wir müssen den Brief mit einem Stückchen Bindfaden zusammenbinden. Das sieht gerade nicht schön aus, aber das schadet nichts." Er zog einen verwirrten Knäuel von grobem und seinem Bindfaden aus der Tasche, suchte ein hübsches Stückchen aus, schlang es mehrmals um das Kouvert und knüpfte die Enden fest zusammen. Darauf schrieb er mit großen, steifen Buchstaben aus den Brief: An die Frau Königin, Bucknam Paläs(Buckingham Palais)." Das Schreiben war postfertig und Froggy trug es sofort in den Briefkasten. Da in Frau Ragbone's Haus der Eingang nie geschlossen ward, brauchte Froggy nicht zu befürchten, auf- gehalten und befragt zu werden. Er stürmte durch die dunklen, stillen Straßen, in denen nur der schwere, ab- gemessene Schritt des Polizisten wiederhallle oder das heisere Geschrei eines Trunkenen, der sich mit einem ein- gebildeten Feinde herumschlug. Froggy fand bald einen Briefkasten, dem er die wichtige Botschaft anverttaute. Er war voller Hoffnungen über den glücklichen Erfolg des Schreibens. Als er nach Hause kam, versperrte Mister Blunt den engen Gang zur Treppe. Er war betrunken heimgekehrt und fluchte gegen seine Frau, die zitternd, im Hemde auf dem Treppenflur stand. Mit etlichen Schimpf- reden begrüßte er Froggy, der sich im Vorüberdrückcn sagte:Wenn ick mich je verheirathe, so werde ich nie so mit meiner Frau reden." Die elende Mansarde lag im tiefen Dunkel, denn das Lichtstümpschen war endlich unter Zischen und Flackern erloschen. Der kleine Benny war bereits fest eingeschlafen und sah im Traume prachtvolle Lakaien in rothen, mit Gold garnirten Röcken. Mit einer Botschaft und Geschenken der Königin beladen, kamen sie in das armselige Loch und brachten unter Anderem Froggy eine neue Jacke, die, welch' unerhörter Luxus, Schöße und alle Knöpfe halte!... (Fortsetzung folgt.)

Mentier Ktintimüller. Ein Bild aus dem älteren Berlin . Von Arthur Zapp . Dreißig Jahre lang hatte er vom frühen Morgen bis zum späten Abend gearbeitet und gespart, um das Ziel zu erreichen, das ihm von allem Ansang an wie ein Ideal vorgeschwebt. Dreißig Jahre lang war er des Morgens um fünf Uhr aufgestanden und des Abends um elf Uhr zu Bett gegangen, dreißig Jahre lang hatte harte, unablässige Arbeit, die selten durch ein paar Stunden sonntäglicher Erholung unterbrochen wurde, neben Essen, Trinken, Schlafen und Sparen seinen Lebensinhalt ausgentacht. Bei alledem war seine Frau seine treue Gefährtin gewesen, welche ebenso stüh aufstand wie er, welche die Hände ebenso geschäftig regte und die ihm beim Sparen nicht nachstand. Sie war vierundzwanzig Jahre alt, er nur eiit Jahr älter, als sie heiratheten uud in der Lands- bergerstraße einen Bttdikerkeller eröffneten. Der Verdienst war anfangs gering, denn die Kundschaft mußte erst er­worben werden. Aber das fleißige Ehepaar ließ sich keine Mühe verdrießen, vorwärts zu kommen. In der ganzen