,, Vielleicht wäre es besser, wenn wir alle beide stürben", sagte Benny mit seinem dünnen Stimmchen. " Ich möchte nicht ohne Froggy auf eine solange Reise gehen", setzte er hinzu, seinen Bruder zärtlich küssend. Ich werde Dir eine andere Maus suchen", sprach seinerseits Froggy, um den Kleinen zu trösten.

"

Ich kann keine Andere so lieb haben, wie die", versetzte Benny mit traurigem Kopfschütteln. Es giebt keine andere Maus wie sie. Zu denken, daß ihre glänzen­den, klugen Aeuglein geschlossen sind, und daß sie nicht mehr in ihr Loch huscht!"

Er begann aufs Neue zu schluchzen und ging traurig zu Bett, er legte das todte Thierchen neben sich und gab ihr ein Brotkrümchen vor den Mund, für den Fall, daß sie vielleicht wieder lebendig würde.

Froggy versuchte am nächsten Morgen den traurig vor sich hin brütenden Kleinen zu zerstreuen.

,, Weißt Du", sagte er ihm, was wir machen, wenn der Winter vorbei und schönes Wetter ist?" Nein."

mir nie vom Sterben. Wenn Du stirbst, so sterbe ich zurückkehrte, bei der süßen Beschäftigung des Küssens. Der Verkehr mit seinem Sohne, der ein hübsches auch, wie könnte ich ohne Dich leben." Anna wurde in die Küche verbannt und durfte den Laden und gebildetes, aber armes Mädchen geheirathet hatte, nicht mehr betreten. Der Friseur aber, der am nächsten beschränkte sich auf steife Gratulationsbesuche bei den Tage durch eine in aller Form vorgebrachte Werbung um Geburtstagen. Herzliche Beziehungen walteten zwischen Anna's Hand den Zorn des Alten beschwichtigen wollte, den beiden Familien nicht ob, da der Sohn, in fümmer­wurde mit Hohn nnd Spott abgewiesen. Vergeblich war lichen Verhältnissen lebend, eine tiefe Verbitterung gegen auch alles Bitten und alles Weinen Anna's, die mit un- seinen Vater im Herzen hegte. Sein kleines Geschäft trug gewohnter Festigkeit erklärte, von ihrem Geliebten nicht knapp so viel ein, als zur Erhaltung seiner Familie noth­lassen zu wollen. So'n Lüderjahn, so'n Schlummerkopp, wendig war, an Sparen von Mitteln zur Erweiterung der den ganzen Tag in den Kneipen rumläge, würde mit desselben war nicht zu denken. seinem Willen nie und nimmer sein Schwiegersohn. Der Um seine Tochter bekümmerte sich Klinkmüller gar Mensch habe nicht Lust, etwas zu thun, sei als lüderlich nicht. Die heimlichen Besuche seiner Frau bei Anna, die und faul im ganzen Viertel bekannt und vertrinke und sich inzwischen, nachdem sie majorenn geworden, mit ihrem verspiele Alles, was er verdiene. Friseur verheirathet hatte, entgingen dem Rentier zwar Und von dem einmal Gesagten ging der alte Budiker nicht, aber er stellte sich so, als ob er nichts davon nicht ab, der Name des Friseurs durfte in seiner Gegen- merkte. Die gelegentlichen Versuche seiner Frau, ihn für wart nicht mehr genannt werden und damit war die die Tochter, die in Folge des lüderlichen Lebenswandels Sache für ihn erledigt. Nicht aber für die liebende Anna, ihres Gatten in elenden Verhältnissen lebte, milder zu die heimlich nach wie vor mit dem Geliebten Verbindung stimmen, verliefen ohne jedes zufriedenstellende Resultat. unterhielt und die wenige Monate später, als sie sah, Er versagte nicht nur jede Hilfe, sondern verbat sich auch daß sich der Vater nicht erweichen ließ, aus dem elterlichen mit aller Strenge, Annas in seiner Gegenwart zu er= Haus verschwand. wähnen. Er habe keine Tochter mehr, wenigstens erkenne Wir gehen zusammen auf den Kirchhof, wo Mutter Und Dieser Vorfall trug auch dazu bei, daß der Budiker er die Frau des Friseurs nicht als sein Kind an. liegt Ich bin mit Papa einmal dort gewesen schon jetzt, trotzdem er erst im besten Mannesalter stand hiervon ging der Alte nicht ab. Es war so hübsch dort. Die Vögel sangen, es gab viele und noch ein rüftiger, kräftiger Mann war, sich zur Ruhe Seine Enkel, die seine Tochter in der Ehe mit dem Bäume und Blumen. Es war fast wie auf dem Lande, feßte. Durch sein dreißigjähriges, unablässiges Arbeiten Friseur gebar, hatte er nie gesehen, nie ihnen die Hand wie Papa sagte." und Sparen hatte er soviel erworben, daß er jährlich auf das kindliche Haupt gelegt. Erst fünfzehn Jahre Erzähle mir noch etwas vom Kirchhof", bat Benny 800 Thaler Zinsen hatte, ein Einkommen, mit dem die später, als die schlecht gepflegten Kinder gestorben waren, beiden einfachen, alten Leute sich einen behaglichen Lebens- als Anna immer brutalere Mißhandlungen von dem Es waren viele schöne Blumen dort", fuhr Froggy abend hätten bereiten können. Allein Behaglichkeit war immer tiefer sinkenden Friseur zu erdulden hatte, der sich fort. Die reichen Leute pflanzen Blumen auf die ein Begriff, den der alte Budiker nur vom Hörensagen in seinen Erwartungen auf eine stattliche Mitgift so Gräber, die armen legen Sträuße von wilden Blumen kannte und der mit seinen Gewohnheiten und Lebens- gänzlich getäuscht fah, erst da kehrte die Unglückliche als nieder. Das wollen wir auch thun, Benny. Aber weil ansichten im schroffsten Widerspruch stand. Freilich ge- vollkommen gebeugte und vor der Zeit gealterte Frau ins wir nicht wissen, wo Vater und Mutter begraben sind, staltete sich seine Lebensweise, nachdem er seinen Beruf Vaterhaus zurück. Natürlich durfte sie auch jetzt, wenn so legen wir unsere Blumen auf ein Grab, das keine hat." aufgegeben, jetzt wesentlich anders, aber auf seine Neigungen fie auch in Gnaden wieder aufgenommen wurde, die Die Aussicht auf den Besuch des Kirchhofs zerstreute und sein ganzes inneres Wesen konnte diese äußerliche Hände nicht müßig in den Schooß legen. Der Vater Benny etwas... Die Maus sollte feierlich mit allen Veränderung keinen Einfluß ausüben. Auch jetzt war das kaufte ihr eine Nähmaschine und verſchaffte ihr von einem Ehren begraben werden. Die kleine Leiche ward in einen Klinkmüller'sche Ehepaar von der kleinlichsten Sparsamkeit, Wäschegeschäft Arbeit, sodaß sie im Stande war, ihre Lumpen gewickelt und in eine leere Streichhölzchenschachtel auch jetzt haßte es jeden Lurus, jede Verschwendung, jede persönlichen Ausgaben selbst zu bestreiten. Der erwachsene gelegt. Sie sollte in einem wüsten Terrain begraben überflüssige Ausgabe wie ehemals. Mensch muß sich selbst erhalten" war eine der Lebens­werden, das der gewöhnliche Tummelplay aller Kinder der Nachbarschaft war, denen es mit seinen großen Schutt der Uhr ab. Des Morgens puzte der Ex- Budiker und Ihre Tage spielten sich sehr gleichförmig, fast nach regeln Klinkmüller's, von denen er innerhalb seiner Familie keine Abweichung gestattete. haufen als eine Art Kalifornien erschien. Zwar hatten fic Rentier sein und seiner Frau Schuhzeug, machte Holz Klintmüller aber sparte mit seiner Lebens- und in dem Berge von Auſterschalen und Abfällen noch nie klein zum Anzünden des Feuers und ging in jeder Weise Gesinnungsgenossin unermüdlich weiter und man kann etwas anderes gefunden als alte Stiefeln, zerbrochene seiner schwachen und seit dem Verschwinden Anna's wohl, ohne gegen die Wahrheit zu verstoßen, behaupten, Theekannen, todte Kazen und Hutkrämpen, aber sie durch kränkelnden Frau hilfreich zur Hand. In den Vormittags: daß er auch von seinen jährlichen Zinsen ziemlich die stöberten ihn mit der steten Hoffnung, daß sie doch einmal stunden beschäftigte er sich mit dem Reinigen des Hofes Hälfte zurücklegte. Als er zum letzten Schlummer die etwas finden könnten. Erzählten die Mütter nicht wunder hinter seinem Hause und mit der Fütterung seiner Hühner Augen geſchloſſen hatte, konnte man von ihm nicht viel bare Geschichten von Goldstücken und Diamantenringen, und Tauben, die er sich nach Aufgabe seines Geschäfts, mehr sagen, als: Er lebte um-

nach einer Pause.

die im Kehricht gefunden wurden?

er, was gingen sie die armen Leute an.

um eine Beschäftigung und eine kleine Gelegenheit zum

"

zu sparen.

Traurig und einförmig verflossen die nun folgenden Verdienste zu haben, angeschafft hatte. Nach dem Essen Wochen. Wunderbarer Weise waren die Kinder noch hielt er nach alter Gewohnheit einen Mittagsschlaf, den Ueber die Rolle des Kleinbürgerthums und nicht vor Hunger gestorben. Froggy verdiente dann und er jetzt in seiner beschäftigungslosen Zeit natürlich länger Proletariats in der französischen Revolution ein paar Pence, zuweilen half eine mitleidige ausdehnte wie ehemals. Dann trant er seinen Nachmittags­Nachbarin über einen bösen Tag hinweg. Seit dem Tode kaffee, bei dem die Cichorie selbstverständlich das Haupt- urtheilt in einer längeren Artikelſerie unser Genosse Karl der Maus war Benny nicht mehr froh und heiter Ingredienz bildete, und kleidete fich zum Ausgehen an, um geworden. Er hockte noch immer stundenlang am Dach- jeinen täglichen Spaziergang zu absolviren. Zu diesem Ingredienz bildete, und kleidete sich zum Ausgehen an, um Kautsky *) folgendermaßen: Im Privilegienstaat genossen verschiedene Dertlichkeiten fenster, aber er erwartete nicht mehr einen Boten der Zwecke lenkte er Tag für Tag, Jahr aus, Jahr ein seine das Privilegium, von der Herrschaft des Zunftzwanges Königin. Die wußte nicht, wie der Hunger thut, dachte Schritte nach dem nahegelegenen Friedrichshain . Niemals ausgeschlossen zu sein. Dieser galt ja ursprünglich Wenn Froggy nicht zufällig eine kleine Arbeit fand, wählte er einen anderen Zielpunkt seiner Ausgänge und bloß für die Städte, nicht für die Dörfer. Manche Wenn Froggy nicht zufällig eine kleine Arbeit fand, es entsprach ganz seinem an Regelmäßigkeit gewöhnten Dörfer, die in der Nähe einer großen, rasch anwachsenden so irrte er durch London , um Beschäftigung zu suchen. Charakter, daß er sogar immer dieselben Alleen und Wege Stadt lagen, zu Vorstädten wurden und mit der Stadt Jeden Tag ging er auf weitere Entdeckungsreisen, denn durchwandelte, ja, auf denselben Bänken seine Ruhepausen verschmolzen, wußten sich auch in der Folgezeit des Zunft­jeden Tag bemerkte er, daß Benny bleicher und bleicher abhielt. Eine Ausnahme machte er nur, wenn seine zwangs zu erwehren. Als unter Ludwig XVI . das ward. Wie flehentlich bat er nicht Inhaber und Inhaberin Lieblingsalleen frisch mit Kies bestreut waren. Er haßte Elend unter den nichtzünftigen Handwerkern und die von Läden, in denen ein Laufjunge gesucht ward, ihn für diese Kieswege ungemein, weil sie das Schuhwerk so sehr Opposition gegen die Zünfte wuchs, suchte die Regierung die Gemüther dadurch zu beruhigen, daß sie diese Privilegien Einen Lurus, eine unnöthige Ausgabe gestattete sich der Vorstädte ausdehnte, manchen Dertlichkeiten auch neu Herr Klinkmüller' doch, seit er Rentier geworden war. ertheilte. In Paris waren in dieser Beziehung besonders Jeden Abend von 7 bis 9 Uhr saß er im Gasthof zum begünstigt die Faubourgs St. Antoine und du Temple. grünen Baum", der seinem Hause gegenüberlag, und Alle Gesellen, die selbständig werden wollten und

den Posten anzunehmen. Niemand wollte ihn. Den Einen war er zu klein, die Andern hatten den Plaz

bereits vergeben, Manche fanden ihn zu schwach und zu jung. Viele steckten ihn mit rauhen Worten zur Thür hinaus ,,, da sie nichts mit zerlumpten Bettlern zu thun haben wollten".

( Fortsetzung folgt.)

Rentier Klinkmüller.

Ein Bild aus dem älteren Berlin . Von Arthur Zapp . ( Schluß.)

abnußten.

spielte bei einer Weißen" mit dem Wirth und einem feine Aussicht hatten, eine zünftige Meisterstellung zu er= anderen Gaste ,, Schafskopf", die Partie zu einem Pfennig. Langen, drängten sich in diesen Vorstädten zusammen. Schwer genug war es dem alten, in Sparsamkeit ergrauten Eine Unzahl kleiner Meister vegetirte kümmerlich in Mann geworden, sich zu dieser Extravaganz zu entschließen, diesen engen Bezirken, außerhalb deren sie ihre Produkte aber er sagte sich, daß er, wolle man nicht das Gerede nicht verkaufen durften, und je mehr ihre Zahl und die der Leute allzusehr herausfordern, in irgend einer Weise Konkurrenz wuchs, die sie sich untereinander machten, defto die Veränderung seiner Lebensstellung ausdrücken müsse. unmuthiger trugen sie die Schranken, die der Privilegien­Um 9 Uhr Abends ging das Klinkmüller'sche Ehepaar staat ihnen auferlegte, desto erbitterter verglichen sie ihr zu Bett, einerseits um am andern Tage früh aufstehen Elend mit der proßenhaften Behäbigkeit der Zunftmeister Ein weit schwereres Zerwürfniß fand kurz darauf zu können, andererseits um am Petroleum zu sparen . in den benachbarten Stadttheilen. In den von Zunftzwang befreiten Bezirken legten zwischen Vater und Tochter statt. Anna hatte nur die Nur im Sommer, an besonders heißen Tagen, genoß Volksschule besucht- Mädchen haben genug gelernt, man, am offenen Fenster sigend, etwas länger die er- aber auch die Kapitalisten am liebsten ihre Manufakturen wenn sie gut zu kochen und zu nähen verstehen, war des frischende Abendluft, ohne jedoch deshalb dem Sparsamkeits- an, weil sie dort am leichtesten fanden, was sie brauchten: Budikers Ansicht in Betreff der Mädchenerziehung. Nach prinzip untreu zu werden. Während der Sommermonate ein großes Angebot geschickter Hände, an deren Aus= ihrer Konfirmation mußte fie fleißig in der Wirthschaft nämlich wurde die Lampe überhaupt nicht augezündet, beutung fie nichts hinderte. Neben einer Unzahl kleiner helfen, auch oft in den Abendstunden, wo das Geschäft denn das hätten die Klinkmüllers für eine abscheuliche Meister und Gesellen finden wir daher in den fraglichen Vorstädten auch zahlreiche Lohnarbeiter der kapitalistischen besonders flott ging, den Vater bei Bedienung der Gäste Verschwendung gehalten.

unterſtüßen. Bei dieser Gelegenheit hatte das junge Alle anderen zerstreuungen, wie etwa der Besuch Industrie, die sich meist aus den handwerksmäßigen Mädchen die Bekanntschaft eines jungen Friseurs gemacht, von Theatern und Konzerten, eristirten nach wie vor für Arbeitern rekrutiren und ganz in deren Ideengang lebten. der einer der besten Kunden ihres Vaters war. Der alte Klinkmüllers nicht. Seinem Bedürfniß an geistiger An- Das Proletariat als selbstbewußte Klasse bestand vor der Klinkmüller hatte nichts dagegen, daß Anna fich freundlich regung und seinem Interesse an den öffentlichen Vor- Revolution noch nicht. Hand in Hand mit diesen Elementen gingen andere, gegen die Gäste benahm, im Gegentheil, im Interesse des gängen genügte der Rentier, indem er sich gemeinschaftlich Geschäfts forderte er das sogar von ihr. Das Wort: mit einem Nachbar auf ein kleines Nachrichtenblatt bie fich theils aus ihnen rekrutirten, theils von ihnen Verdienen!" stand in seinem Lexikon obenan und alle abonnirte. Was seine politische Parteistellung anbetraf, lebten und ihre Interessen theilten, Kleinhändler, So bunt diese Menge war, sie war doch in Mittel, den Verdienst zu fördern, wofern sie nicht gegen so rechnete er sich zur Fortschrittspartei und zwar lediglich Wirthe ze. Gesetz und Sitte" verstießen, waren ihm recht. aus Oppositionsgründen. Er war ein überzeugter Gegner gewissem Grade einheitlich. Es durchdrang fie ein intensiver Des jungen Mädchens Freundlichkeit aber galt weniger der Regierung und wenn dieselbe sich zu freisinnigen Haß, nicht bloß gegen die Privilegirten, die Zunftmeister, den Kunden ihres Vaters, als vielmehr dem hübschen Anschauungen bekannt hätte, so wäre Klinkmüller wahr- die Pfaffen, die Aristokraten, sondern auch gegen die jungen Manne, dessen gluthvolle Blicke, dessen geflüsterte scheinlich konservativ gewesen. Die Höhe des Budget Bourgeoisie, die sie theils ausbeutete, als Steuerpächter, Schmeichelworte und verstohlene Händedrücke ihr leicht überschritt nach Klinkmüller's Ansichten jedes vernünftige Kaufmann( namentlich als Händler mit Lebensmitteln und erregbares Blut in heftige Wallung brachten. Das Ende Maß; es hätte viel, viel sparsamer gewirthschaftet werden Rohstoffen), Wucherer, Unternehmer, theils ihnen Konkurrenz vom Liede war, daß es eines Tages im Klinkmüller'schen müssen.

Lokal eine heftige Szene gab. Der Budiker überraschte So lebten die alten Leute einförmig und einsam die Beiden, als er einmal von einem kurzen Ausgang dahin.

machte. *) Neue Zeit". Stuttgart , Dies. 1889. Januar- und folgende Hefte.