Aeiblatt zur„Aertiner Aotks-Hriöüne".
i y:
17.
Sonnabend, den 27. April 1889.
Iii. Jahrgang.
Wie ist doch Menschenblut so billig! Fünf Treppen hoch, dicht unterm Dach, Darüber ausgespannt bis Drähte Des Telegraphen, war sie wach Die halben Nächte noch und nähte, Und nähte, nähte, fiebernd flink, Die schon der Schwindsucht sich're Beute, Bis endlich sie der Schlaf umfing, Der kurze Schlaf der armen Leute. Allein sobald der Frührothstrahl Umspielte der Mansarde Zinnen, Sah er sie emsig allemal Die Nadel wieder führen drinnen. Sie nähte, nähte, blaß und bleich, Wie sehr der Körper auch entkräftet, Die Augen auf das Arbeitszeug Fest auf das Arbeitszeug geheftet. Die neucrstehende Natur, Der Lenz und seine Lobgcsänge, Sie hörte nichts und nähte nur, Ihr bangte vor des Winters Strenge. Sie reihte, reihte Stich an Stich Und durfte keine Zeit verlieren, Damit fie, wenn der Sommer wich, Nicht fürchten müsse zu erftiercn. Wie bitter ist das Leben!— Doch Beim Glänze der krystall'nen Lampen Verspürt man nichts von seinem Joch, Beim Schlemmen, Schlecken und Schlampampen. Die Tausende oft bringen hin In Tafelfreuden und dergleichen, Für eine arme Näherin Da haben sie kein Herz, die Reichen. Nein, eher drücken fie herab Im Preis das Werk der regen Hände Und schaufeln so der Armen Grab Und trage» bei zu deren Ende. Ein Opfer ihrer Thätigkeit Und des modernen Barbarismus: So starb sie. Keine Thräne weiht Ihr der brutale Egoismus. Ist sie zu besscrm Sein erweckt? Was gab das Leben ihr das karge? Still liegt sie vor mir ausgestreckt Im rohgezimmert schlichten Sarge. Ich denke ihres Hungerlohns, Und den, kaum den erhielt sie willig. Aus mir hervor spricht's wehen Tons: „Wie ist doch Menschcnblut so billig!" Leipzig . Bruno Tellheim.
Wie ein ehrlicher Mensch zum "Derörecher wurde. Von tf-rnst Alaar.*) Es ist ein armseliges Nest, in dem der Weber Buchholz wohnt. Droben im Gebirge liegts, nach der böhmischen Grenze hin. Im Sommer ist es trocken und prasseldürr auf dem kahlen Hang, seit die Bauern infolge einer Mißernte ihre Wälder niederschlagen ließen, und im Winter pfeift der Wind darüber hin, daß einem die Seele im Leibe gefrieren möchte. Aber macht schon das ganze Torf einen armseligen Eindruck, so ist dies mit der eigenen Behausung des Webers noch viel mehr der Fall. Schon die Bauern haben nichts, aber der Buchholzer hat noch viel weniger als sie, denn es reicht bei ihm nicht einmal zum Allernoihwendigsten. Die windschiefe Hütte steht abseits der Torfstraße. Eine lückenhafte Hecke umschließt ein kleines Gärtchen, in dem neben einigen Kressen verschiedene Gemüsepflanzen ein kümmerliches Dasein fristen und am Feldrain spielt ein krüppelhafter Knabe mit einem Kaninchen. Aus dem halb geöffneten Fenster klingt das klappernde Geräusch des Weberschiffchens und hinter den Scheiben wird die hagere, blasse Gestalt des Buchholzers sichtbar, der schon seit vier Uhr Morgens seinem mühseligen Tage- werk obliegt. Draußen auf der Flur liegt der lachende Sonnenschein des Spätherbstes. Ein frischer Luslhauch dringt in die niedere dumpfe Stube. Wie das der gepreßten Brust doch so wohl thut! Und in dem Herzen des fleißigen Mannes erwacht der sehnliche Wunsch, einmal einen ganzen Tag draußen herumstreifen zu dürfen— draußen im Wald, wo die Vogel singen und die Bäunie so heimlich rauschen. Aber er weist diesen Wunsch sofort wieder von sich; ist er doch froh, daß er jetzt ausreichende Arbeit hat, wenn's auch vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht dauert. Ueberdies kommt er ja jede Woche einmal, wenn er die fertigeil Maaren zum Fabrikanten trägt, an die frische Luft, und das ist ja genügend. Und er muß fleißig arbeiten, der arme Weber! Ist doch jetzt der Lohn so gering, daß er kaum zu Kartoffeln und Hering reicht, und das Brot ist auch wieder theurer und die Steuern sind wieder höher geworden, und außer- dem ist sein Weib jetzt krank und liegt zu Bett. Doch der Brave verliert den Muth nicht. Er ist die Noth gewöhnt von Jugend auf; schon bei seinem Groß- ♦) Mit Erlaubniß des Verfassers aus de«.Volksfteund", Dresden , den wir schon oft empfohlen haben.
vater und Urgroßvater hat sie gehaust und seine Eltern wußten auch ein artig Liedlein davon zu singen. Da ist drüben der Nachbar Berger, der ist kränklich und hat fünf kleine Kinder zu ernähren. Da muß man immer noch Gott danken, wenn man gesund bleibt und Arbeit hat.— Aber der Herbst ging zu Ende; die Kressen waren erfroren und der Knabe spielte nicht mehr am Feldrain. Und mit dem Schwinden der schöneren Jahreszeit schwand auch der bessere Geschäftsgang. Drunten in der Großstadt hatte man'an den Maschinen theure Verbesserungen angebracht, die sich aber gut renlirten, weil sie die Maschinen bedeutend leistungsfähiger machten. Gern hätte sich der Arbeitgeber Buchholzer's auch die Verbesserungen angeschafft, aber er konnte das erforderliche Geld hierzu nicht erschwingen, und da die großen Webereien mit den verbesserten Maschinen weit billiger arbeiten konnten als er, blieb von den erwartelrn Aufträgen einer nach dem andern aus. Wenn der Buchholzer jetzt Sonnabends mit den fertigen Waaren im Quersack nach der Fabrik wanderte, wurde er unfreundlicher als sonst empfangen, und wenn er wieder heimkehrte, dann war der Quersack nur halb gefüllt mit Garn. Der Buchholzer brauchte jetzt nicht mehr früh um vier Uhr aufzustehen, um sich an den Webstuhl zu setzen, er brauchte auch nicht mehr bis gegen Mitternacht zu arbeiten. Er hätte sich jetzt gar leicht einen freien Tag machen können, um draußen im Walde herumzubummeln, aber er lhal es nicht. Nicht das schlechte, rauhe Wetter hielt ihn davon ab— nein, er halte jetzt keine Lust dazu. Den sorgenschweren Kops in die Hand gestützt, saß er am Fenster und blickte stumpfsinnig hinaus in die trübselige Landschaft, in das trübselige Schnee- und Regen- weiter. Als das Geschäft noch flott ging, hatte er sich einige Mark abgedarbt, aber die waren jetzt längst zum Teufel. Beim Krämer drunten im Dorf hatte er auch schon geborgt, aber der drängte jetzt und wollte sein Geld haben. Er sollte doch etwas ins Leihamt tragen, hatte ihm der Krämer gesagt. Ja, du lieber Gott, wenn er nur noch etwas hätte! Das hatte er ja längst gelhan, ehe er noch beim Krämer borgte! Und zu alledem noch das kranke Weib, das sich gar nicht wieder erholen wollte! Der Bezirksarzt kam nur selten, weil er wußte, daß hier nichts zu holen war. Als er das letzte Mal dagewesen war, hatte er dem Manne den guten Rath enheilt, seiner Frau eine kräftigere Nahrung zu geben— einmal eine Flasche Wein, ein Stück Braten und dergleichen, damit sie sich leichter erholen könne. Aber der Buchholzer hatte bei diesen Worten ein gellendes Gelächter aufgeschlagen und den Doktor recht mitleidig angeblickt, so daß dieser ärgerlich die Thür zu- schlug und draußen etwas von„undankbarem Proletarier- voll" murmelte. Seitdem war er nicht wieder gekommen. Als der Arzt fort war, ging die Kopfhängerei von Neuem los. Da kam dem Buchholzer ein Gedanke: Wein?! Braren?! Das konnte er seiner Frau zwar nicht ver- schaffe», aber ein Stückchen Fleisch sollte sie haben. Er ging hinaus in den Holzschuppen, wo das Kaninchen an einem alten Krautstrunk knabberte, faßte es bei den Ohren und schlug es mit der flachen Hand ins Genick, daß es alle Viere von sich streckte. Dann zog er ihm den Balg ab und weidete es aus. � In der Ecke lag ein kleiner Holzrest, auch einige Kohlen waren noch da. Er entzündete ein Feuer in der Stube, setzte einen Topf mit Wasser an, steckte das Kaninchen in den Topf und warf eine Handvoll Salz hinein. Dann hielt er einen Augenblick still. Ihm war zu Muthe, als ob er seiner Frau ein großes Opfer gebracht hätte, denn er hatte das Thier sehr lieb gehabt. Als er den blutigen Balg in die Stube brachte, erhob der Krüppel ein lautes Jammergeschrei. Er war untröstlich darüber, daß der Vater seinem einzigen Spielkameraden den Garaus gemacht, und preßte immer und immer wieder die lhränenseuchten Wangen in das weiche, blutige Fell seines Lieblings. Und als ihm die Mutter am Abend einen Bissen von dem Fleische anbot, da warf er ihn trotzig in die Ecke und weinte. Doch auch dieses Opfer war nicht im Stande, die Noth zu bannen und der Frau zu Kräften zu verhelfen, obgleich das ganze Fleisch für die kranke Mutter aufgehoben wurde und eine volle Woche langte. Eines Sonnabends kam der Mann müde und gebrochen zurück— der Quersack war leer, die Fabrik hatte den Betrieb eingestellt. Was nun? Das war eine schwere Frage. Eine andere Arbeitsgelegenheit bot sich so leicht nicht — weit und breit keine Industrie, wo er hätte Beschäftigung tnden können! Wohl wußte er, daß die Bauern jetzt im Winter auch keine Arbeit für ihn haben würden, dennoch hielt er
Umfrage bei Allen, aber man wies ihn ab, bald bedauernd, bald grob. Da besann er sich auf eine Sägemühle drunten im Thal. Die mußte jetzt bei dem hohen Wasserstand doch viel zu thun haben. Und er machte sich dahin auf. Als der Sägemüller den armen Weber sah und seine schüchterne Anfrage nach Arbeit hörte, da lachte er roh auf. „So einen Sperling, wie Du bist, könnte ich gerade gebrauchen; Du erfrierst ja gleich den ersten Tag!— Freilich brauche ich einen Arbeiter, aber einen, der zugreifen kann, nicht so einen Stubenhocker wie Du." Als der Buchholzer hörte, daß ein Arbeiter gebraucht wurde, bat er flehentlicher als vorher um Beschäftigung, doch der Müller kiturrte nur unwillig. Die Noth macht dreist. Der arme Weber trat auf den Sägemüller zu und wollte bittend seine Hände erfassen, der aber verstand die Sache falsch und versetzte ihm einen Stoß vor die Brust, daß er zur Thür hinaustaumelte. Das hatte gerade noch gefehlt, daß sich so ein armer Schlucker, so ein nichtsnutziger Leineweber, an ihm vergriff. So eine Frechheit war ihm, dem reichen Sägemüller, noch nicht vorgekommen. Ueberdies— das wußte er ganz genau— hätten ihn die Müller der Umgegend doch nur ausgelacht, wenn sie erfahren hätten, daß er einen Leineweber im Sägewerk beschäftigte. Und warum sollte er auch einen Arbeiter beschästigen, der den Lohn ja doch nicht verdienen konnte, weil er zu schwach war? Das hätten die andern Müller auch nicht gelhan. Es gab ja außerdem starke und kräftige Leute genug, die Arbeit suchten. Das Alles hätte sich der dumme Kerl von Leineweber selbst sagen können, und er hatte es ihm ja auch gesagt, warum hörte also der Weber nicht auf ihn und wurde unverschämt? Es geschah ihm also ganz recht, wenn er hinaus- geworfen ivurde. Mit diesen Gedanken beruhigte der Müller sein etwas erregtes Gemüth und setzte seine vorherige Be- schäftigung fort. Draußen im Hausflur raffte sich der Buchholzer auf und wankte dann über den Hof, von dem würhenden Gekläff der Kettenhunde verfolgt. Als er heimkam, erzählte er seinem Weibe nichts von diesem Vorfall, um die Kranke nicht noch mehr auf- zuregen.— Da trat endlich Frost ein, und auf den Frost folgte dichter Schneefall. Das war Hilfe in der Noth— zum Schneeschippen wählte man die Leute nicht erst aus, da wurde jeder genommen, der sich meldete. Und der Buchholzer fand Arbeit. Mit Schippe und Schaufel beladen, zog er mit einem Trupp anderer Arbeiter hinaus auf die vom Sturm gefegten Landstraßen und arbeitete redlich, so daß ihm trotz der Kälte der Schweiß in großen Tropfen von der Stirne rann. Was man mit Schneeschippen verdient, das ist bekannt- lich nicht so viel, daß eine Familie davon leben könnte, auch wenn keine Krankheit in derselben herrscht. Mit dem Schnee war die Kälte gekommen, und in der alten, halb baufälligen Hütte des Webers pfiff der Winlersturm gar eisig durch die zahlreich vorhandenen Löcher und Lücken. In der Stube stand zwar ein kleiner Hundofen, aber es fehlte an Holz und Kohlen, um ihn zu heizen. Einmal war der Buchholzer in heller Mondnacht mit einer kleinen Säge hinausgegangen in den Wald, um irgendwo vielleicht ein dürres Bäumchen oder einen Ast abzuschneiden, aber er wäre beinahe im Schnee stecken geblieben und mußte unverrichteter Sache wieder heim- kehren, wenn er nicht sein Leben auf's Spiel setzen wollte.— Am nächsten Tage wanderte die Arbeiterkolonne hinunter in das Thal, wo die Sägemühle kreischte, um einen verschneiten Postwagen auszugraben. Im Hofe der Mühle lagen Bretter und Stangen und Klötze wirr umher— eine ganze Menge Holz, mit der man gar viele Stuben hätte erwärmen können. Dem Buchholzer kam der Gedanke den ganzen Tag nicht aus dem Kopf und als die Kolonne am Abend heim- kehrte, machte er den Letzten. Ganz wie von ungefähr verlor er seine Schaufel, aber er merkte es absichtlich nicht, um dann einen Vorwand zum Zurückbleiben zu haben. Der Plan glückte. Als er seine Schaufel wieder geholt hatte, waren die Anderen ein gutes Stück voraus. An der Sägemühle angelangt, bekam er doch Gewissens- hisse, aber da lag ein ziemlich starker Klotz etwas weit außerhalb— der mußte wohl vergessen worden sein; er war ja auch schon stark überschneit. Noch ein kurzes Zögern, dann siegte die Noth und der Buchholzer wanderte mit dem Klotz nach Hause. Wie lustig prasselte am Abend das Feuer im Ofen, wie behaglich warm war es in dem engen Stübchen! Seiner Frau hatte er gesagt, er habe den Klotz gefunden, und fie hatte sich dabei beruhigt. Aber der kleine Vorralh ging bald zu Ende und die Kälte trat wieder gebieterisch auf.