19.
Beiblatt zur
Berliner Volks- Tribune".
Aus wirrem Schlummer fuhr ich jäh empor, Ein dumpf Gemurmel brauste an mein Ohr, Und Donnerruf ward aus dem Murmeln schnell, Hohl Trommelwirbel, Kampfsignale gell; Ein roth Panier, und drauf im Flammenschein: Wir fordern Recht, wir wollen Menschen sein!
Gewalt'ge Massen wogten durch die Stadt, Das war das Elend, seines Elends satt, Das war die Noth, aus ihrer Noth geweckt, Die Knechtschaft wars, im Sturm emporgeschreckt; Das war die Armuth ohne Licht und Luft, Der Pöbel wars, der arbeitslose Schuft!"
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Der du den Bruder Schuft und Lump genannt, Hab acht, du alter Stand, du dritter Stand! Die Trommel schlug, die Fahne flog im Wind Hab' acht, hab' acht und sei nicht fürder blind! Es wühlt und gährt mit blutlos fahlem Mund Gerechtigkeit verlangt der Vagabund.
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Erlöset ihn, eh' er sich selbst befreit,
Ich rufe euch, scho: ward es höchste Zeit.
Mit Liebe fühnt den Haß, den ihr gefät, Seid überschwänglich milde, eh's zu spät, Daß froh es flinge durch die trog'gen Reihn: Wir haben Recht wir können Menschen sein.
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Die Frauenfrage im Spiegel der Dichtung.
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II.
„ die Sonnabend, den 11. Mai 1889.
III. Jahrgang.
„ Eine Heuchlerin, eine Lügnerin, ja noch Schlimme zu antworten. Ich weiß es ja nicht. Ich weiß nur, daß res eine Verbrecherin! dieſe bodenlose Häßlichkeit, die ich über so etwas eine ganz andere Ansicht habe als bu. darin liegt! Pfui!... Ich hätte voraussehen müssen, daß so
etwas geschehen würde. Deines Vaters leichtsinnige Grundsäge, Ich höre ja jezt auch, daß die Geseze anders sind, als du haft fie geerbt. Keine Religion, feine Moral, fein ich glaubte; aber daß die Geseze gut sein sollten, das Pflichtgefühl... Owie bin ich dafür gestraft worden, daß will mir nicht in den Kopf. Eine Frau also sollte nicht ich mit ihm durch die Finger sah!... So jämmerlich muß ich das Recht haben, ihren Mann zu retten? So etwas sinken und zu Grunde gehen eines leichtsinnigen Weibes Helmer:„ Du sprichst wie ein Kind.
wegen!... Aber ich muß zu einem Entschlusse kommen. Die glaub' ich nicht."
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Sache muß um jeden Preis vertuscht werden. Und was dich Du verstehst die Gesellschaft nicht, in der du lebst." und mich angeht, so muß es aussehen, als sei Alles Nora: Das thu' ich auch nicht. Aber nun will ich sie zwischen uns wie bisher. Aber natürlich nur vor den
vertrauen."
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Augen der Welt. Du bleibst also auch fernerhin hier im Hause; ennen lernen. Ich muß mich überzeugen, wer Recht Helmer:„ Du das ist selbstverständlich. Aber die Kinder zu erziehen, das hat, die Gesellschaft oder ich."- erlaub' ich dir nicht; die wag' ich dir nicht anzu- liebst mich nicht mehr!"- Nora:„ Es thut mir weh, aber ich kann's nicht ändern. Ich liebe dich nicht Helmer fieht also nicht, daß Nora aus Liebe zu mehr." Helmer:„ Und kannst du mir erklären, woNora:„ Ich ihm fich vergangen hat. Die Feigheit macht ihn blind, durch ich deine Liebe verscherzt habe?" bei dem Gedanken, er könne seinen guten Namen ein- sah heute Abend, daß du nicht der Mann bist, für den büßen. Denn Feigheit ist es, was ihn bewegt, nicht etwa ich dich gehalten. Ich glaubte, du würdest vor die Welt moralische Entrüftung. Die Sache muß vor den Augen hintreten, Alles auf dich nehmen und sagen: Ich bin der der Welt vertuscht werden" ist das erste Ergebniß seiner Schuldige! Das war das Wunderbare, worauf ich Ueberlegung. gehofft hatte. Dann wollte ich meinem Leben ein Ende Helmer:„ Niemand opfert derjenigen, die Nora ist erstarrt; ihr Herz zuckt schmerzlich. So machen."- also benimmt sich der Mann, den sie vergöttert! Und er liebt, seine Ehre!" Nora:„ Das haben Milfie hatte erwartet, er werde ihre große Liebe anerkennen lionen Frauen gethan!"( Sie schickt sich an, zu gehen)- Nora:„ Ich und die Schuld auf sich nehmen! Nora empfindet Helmer: Nora, warte bis morgen!" plöglich die Unwürdigkeit ihrer Lage, das Sklaventhum fann mich während der Nacht nicht in der Wohnung eines des Weibes. Eine neue Weltanschauung dämmert in fremden Mannes aufhalten... Ich entbinde dich ihr auf. aller Verpflichtungen. Du sollst dich nicht durch Während Helmer noch schmäht und jammert, wird irgend etwas gefesselt fühlen, eben so wenig wie ich es will. Auf beiden Seiten muß volle Freiheit plößlich ein Brief gebracht. Der gefürchtete Günther ist B. W. Einen werthvollen Beitrag zur Jllustration moralisch ein Anderer geworden und sendet nun den ge- herrschen. Hier hast du deinen Ring zurück; gieb mir ben meinen!" Helmer: Nora, kann ich dir niemals der Frauenfrage liefert Henrik Ibsen in seinem Drama fälschten Schein zurück. mehr als ein Fremder werden?" Nora : Ach, Robert, mehr als ein Fremder werden?" Nora". Das norwegische Stück hat den Titel„ Ein Jetzt, als die Gefahr vorüber ist, hört auf einmal dann müßte das Wunderbarste geschehen." Helmer: Puppenheim" oder auch„ Ein Vogelkäfig". Helmer's Entrüstung auf. Er stößt den Freudenschrei aus: Nenne mir dies Wunderbarste!" Nora: Dann Die Puppe in diesem Heime, der Vogel in diesem Nora! Ich bin gerettet!" Nora erwidert tonlos: und müßten wir beide, du sowohl als ich, uns so verKäfig ist Nora, die Frau eines echten Bourgeois. Ihr ich?" Der Schmerz ihres Herzens kann nicht durch ein ändern, daß- ach, Robert, ich glaube nicht mehr an Vater war ein leichtfertiger Mann, ein wenig zuverlässiger äußerliches Ereigniß beseitigt werden. Helmer deutet ihre etwas Wunderbares." Helmer:„ Aber ich glaube Beamter. Nicht durch das Beispiel tüchtiger Menschen Gebrochenheit anders:" Ah, liebe, arme Nora, ich versteh' daran. Nenne es!- Uns so verändern, daß-?" wurde Nora erzogen, sondern durch allgemeines Morali- schon; du kannst noch nicht recht glauben, daß ich dir Nora:„ Daß ein Zusammenleben zwischen uns firen. Drum liebte das Kind die Gesindestube, wo man vergeben habe. Aber ich schwöre dir's: ich habe dir Alles beiden eine Ehe werden könnte! Leb wohl!" nicht streng, sondern lustig war, und lernte daselbst lügen vergeben. Ich weiß ja, du thatest es aus Liebe zu mir... und naschen. Arbeit, tiefe Lebensfreude, Sorge und Leid Du hast mich so geliebt, wie eine Frau ihren Mann traten niemals an das Mädchen heran. Von einem Ad- lieben muß. Es waren nur die Mittel, welche du nicht vokaten, späteren Bankdirektor Helmer geheirathet, lebt zu beurtheilen verstandest. Aber glaubst du, du seist mir Die Ehrlichkeit ist längst aus der Mode. Wer darnach Wo wie ein im Käfig geborener Vogel, von ihrem weniger theuer, weil du nicht auf eigene Hand zu handeln Manne, der sie wesentlich als Genußobjett betrachtet, als vermagft? Ich müßte kein Mann sein, wenn nicht strebt, sizt sehr bald auf dem Trocknen, und praktische Mensch zweiter Klasse behandelt, freilich ohne zum Be- just diese weibliche Hilflosigkeit dich doppelt Menschen, wie unsere Zeitgenossen, gehen dem sorgsam wußtsein ihrer unwürdigen Lage zu gelangen, ja vermeint- anziehend machte.... Wie kannst du denken, ich ver- aus dem Wege. Aber das Wort„ Ehre" ist noch in Gebrauch, man lich glücklich. Wird fie doch von Helmer stets mein möchte es übers Herz zu bringen, dich zu verstoßen oder Was ist Ehre? Vögelchen", mein Eichfäßchen" genannt und, so oft fie dir auch nur einen Vorwurf zu machen! O du kennst die hört es sogar sehr oft nennen. Bei unsern klassischen Schriftstellern suchend, finden schmeichelt, mit Näschereien und Geld beschenkt. Plaudern, Natur eines wahren, echten Mannes nicht. Es liegt für naschen, fingen, tanzen, Besuche empfangen, Besuche machen, den Mann etwas so unbeschreiblich Süßes und wir, daß der eine fie schildert als das Gefühl persönlicher ungeschickt haushalten und mit ihren Kinderchen spielen Beruhigendes darin, zu fühlen, daß er seiner Würde und die Begierde nach Achtung von Andren." Ein das füllt ihre Tage aus. Früher war sie die kleine Puppe Frau vergeben hat... Sie ist ja dadurch gleich zweiter sagt:„ Die Ehre besteht darin, nur gute Thaten ihres Vaters, jetzt ist sie die große ihres Mannes, und sam in doppeltem Sinne sein Eigenthum ge- zu verrichten und das Böse zu vermeiden." Ein Dritter: ihre Kinder sind wiederum ihre Puppen. Als großes worden; sie ist durch ihn gleichsam neu geboren; sie ist Ehre ist die Achtung, welche man der Tugend, dem Kind, als unfertiger Charakter hat Nora einen mangel- gewissermaßen zugleich seine Gattin und sein Kind ge- Muth, dem Talent erweist." Sodann erhält man die Unterscheidung in Sorten; man spricht von Soldatenehre, haften Sinn für Wahrhaftigkeit und Rechtlichkeit; sie lügt, worden." Beamtenehre, von Ehre der„ Firma", Mädchenehre, Ehre der Ehegenossen u. s. w.
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Was ist Ehre?
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um nicht gescholten zu werden, und fälscht einen Wechsel,„ Ich danke für deine Verzeihung!" entgegnet Nora ohne sich des schweren Ernstes dieser Handlung bewußt und macht sich bereit, Helmer zu verlassen. Dann spricht Und die Ehre ist verschieden nach Zeit und Drt, so zu sein ein Exemplar jener Bourgeoisfrauen, welche fie mit faltem, starrem Gesicht:„ Höre, was ich sage.. den Weiberfeinden Schopenhauer und Hartmann bei ihren Es ist dies eine Abrechnung, Robert... Wir sind nun daß man keinen festen Maßstab dafür hat Die Ehre des Schilderungen des weiblichen Charakters einseitig vor acht Jahre verheirathet gewesen. Fällt es dir nicht auf, Mädchens im alten Babylon brachte es z. B. mit sich, schwebten, und von deren Unchrlichkeit die Besizer großer daß wir beide, Mann und Frau, heute zum ersten sich einmal des Jahres in einem Tempel zu prostituiren. Verkaufsmagazine zu erzählen wissen. Male ernst mit einander reden? Es ist mir viel Die Ehre der Mädchen in Arabien bestand darin, daß sie Obgleich Nora durch die Schuld sozialer Verhältnisse Unrecht zugefügt worden, Robert. Erst vom Vater und ihren Körper gegen Geld preisgaben, um mit dem Ertrage also verhunzt ist, steckt in ihr doch ein edler Kern, ja eine dann von dir. Ihr habt mich nie geliebt. Es machte einen Mann zu kaufen, der sich selbst wieder ehrte, indem gewiffe Charaktergröße, die sich zur Heldenhaftigkeit ent- euch nur Vergnügen, in mich verliebt zu sein. er sich verkaufte. In unseren Tagen findet man jene Handlungsweisen wickelt, wie der Verlauf des Dramas zeigt. Er nannte mich sein Püppchen und spielte mit mir, wie Um ihrem, unter den Nachwirkungen einer Krankheit ich wieder mit meinen Puppen spielte. Dann kam ich zu nicht ehrenvoll, dagegen giebt es Dinge, die für ehrenhaft leidenden Manne die Mittel zu einer Erholungsreise zu dir ins Haus. Ich ging aus Vaters Händen in die deinen gelten, über die sich die Alten geschämt haben würden. Ein junger Mensch, der des Geldes wegen eine alte verschaffen, hat Nora ohne Wissen Helmers, von einem über. Ich lebte davon, daß ich dir Kunststücke vormachte, wucherischen Bantbeamten namens Günther eine Geldsumme Robert. Du und der Vater, ihr habt eine große Sünde Frau heirathet der sich also in ähnlicher Weise prostibleibt in unserer geliehen und dafür einen Bürgschaftsschein gegeben, auf gegen mich begangen. Ihr seid schuld, daß nichts aus tuirt wie die erwähnte Araberin dem sie die Unterschrift ihres Vaters gefälscht hat. Als mir geworden ist. Nun ist die Zeit des Spielens vor Gesellschaft ein Mann von Ehre. Jemand, es sei Mann oder Frau, der sich durch eine Helmer nun der Vorgesezte des Günther geworden ist, über, es kommt die der Erziehung. Du, Robert, bist will er den übel beleumundeten Menschen entlassen. Um nicht geeignet, mich zu einer richtigen Gattin zu erziehen. Heirath verkauft, kann doch eine ehrenhafte Person sein. bin nicht vorbereitet, die Kinder zu erziehen. Eine geachtete, anständige Familie, die auf gefeßlichem nicht entlassen zu werden, gebraucht Günther den ge- Und ich fälschten Schein als Waffe. Zunächst droht er Nora mit Zuvor muß eine andere Aufgabe gelöst werden. Ich Wege eine Tochter an einen nichtswürdigen, aber reichen Offenbarung ihres Verbrechens, damit sie ihren Mann zu muß mich selbst zu erziehen suchen. Dabei vermagst Kerl verschachert, bleibt geachtet in allen Kreisen und verseinen Gunsten umstimme. Helmer aber läßt sich von du mir nicht zu helfen. Ich muß mich allein damit liert nichts an ihrer Wohlanständigkeit. Ein Mann, der seiner Frau gegenüber den brutalsten Noras Bitten nicht beeinflussen, um nicht den Anschein befassen. Und darum verlasse ich dich jeẞt. Ich zu gewinnen, als stehe er unter dem Pantoffel. Da muß lediglich auf mich selbst angewiesen sein, will ich mir Tyrannen spielt, während er selbst das Recht zu haben glaubt, zu thun, was er will, kann in unserer Gesellschaft wird er durch Günther brieflich über die That Noras von mir und meiner Umgebung Rechenschaft geben."- belehrt. Die Wirkung in seinem Gemüth ist eine ganz Helmer versteht Nora's Tiefe nicht.„ Welche Verrücktheit allgemein geachtet sein und seine Ehre darein seßen. Die Ehre eines Spielers besteht darin, daß er durch andere, als Nora erwartete. Das liebende Weib hoffte ist das!" meint er. D, es ist empörend! So kannst zuversichtlich, ihr Mann werde die Fälschung entschuldigen, du dich über deine heiligsten Pflichten hinwegseßen? Vor Nichtbezahlung seiner Schulden einen Geschäftsmann zum Nora:„ Das Bankerott treiben kann, um seine Spielschuld bezahlen zu weil dieselbe aus Liebe zu ihm verübt sei, ja er werde Allem bist du Gattin und Mutter." Noras Schuld vor der Welt auf sich nehmen. Freilich glaub' ich nicht mehr. Ich glaube, vor Allem bin ich können; wenn auch dabei eine ganze Familie ruinirt wird, wollte Nora dies Opfer nicht annehmen, sondern als die ein menschlich Wesen- eben so wie duoder so wird seine Ehre dadurch durchaus nicht alterirt. Es giebt Herrchen genug, die ihre arme alte Mutter Schuldige gelten und ins Wasser gehen; aber der Gedanke, ich will es wenigstens zu werden versuchen. Ich Helmer werde ihre Schuld auf sich nehmen, hatte für ihr weiß wohl, daß die meisten Menschen dir Recht geben, Mangel leiden lassen, während sie den Nobeln spielen; sie schwärmerisches Herz etwas Entzückendes. Doch in diesem Robert. Aber ich muß selbst über die Dinge nachdenken."- find das ihrer Ehre schuldig. Der Offizier meint, daß seine Ehre Genugthuung erPunkte kannte Nora ihren Mann schlecht. Der bürger- Helmer: Hast du bei solchen Fragen nicht einen untrügNora: hält, wenn er wegen eines beleidigenden Wortes einen liche Ehrenmann ist keineswegs geneigt, einem Weibe", lichen Führer? Hast du nicht die Religion?"- auch wenn es für ihn sich opfert, seine Ehre zum Opfer Ach, Robert, ich weiß ja gar nicht, was Religion ist."- andern Menschen, vielleicht Vater einer zahlreichen Familie, zu bringen; er sicht nur die Schande, welche die„ Ver- Helmer:„ Aber moralisches Gefühl hast du doch, oder... um die Ecke bringt, oder wenigstens sein ,, Blut sieht." Die Ehre eines Wohlfituirten verlangt, daß er sich brecherin" über ihn bringen wird, und stößt aus seinem antworte mir... hast du das vielleicht auch nicht?" harten Herzen Schmähungen gegen das Weib: Nora:„ Ja, Robert, es ist wohl das Beste, darauf nicht nicht durch den Umgang mit dem gewöhnlichen Plebs er.
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