Aerliner Social-Politisches Wochenblatt. Aik jütcriixlilttlri All>tittrl>i>it in Jliitis. Um möglichst ausführlich über die internationalen Arbeiter- tage zu berichten, geben wir die Annonzeu in einer besondere« Beilage. Die internationalen Arbeitertage in Paris . — Die Hausindustrie in Deutschland II.— Der Normalarbeitstag und die Arbeiter. Gedicht von Mackay.— Novelle von Strindberg.— Louis Philipp, der Spekulanten- könig IL— Die Volksschullehrer und die Sozial- demokratie.— Zur Arbeiterinnenbewegung.— Der 4. rheinische Handwerkertag. Internationaler Kongreß der soxialistischen Arbeiter z« Paris 1889. Erste Sitzung Sonntag, dcn 14. Juli. Der auf Grund der Beschlüsse der französischen Arbeiter-Kongresse zu Bordeaux und Troyes und der internationalen Konserenz im Haag einberufene internationale Kongreß der sozialistischen Arbeiter wurde am Sonntag, den 14. Juli, Bormittags 10 Uhr, von dem fran zösischen Sozialisten Bürger Lafargue namens der Ein- berufer eröffnet. Lafargue feierte dies Ereigniß in einer zündenden Ansprache, in welcher er die internationale Verbrüderung der Arbeiter pries und besonders auch der Verdienste der deutschen sozialistischen Arbeiter gedachte, die trotz Bedrückung und Verfolgung den Fortschritt der allgemeinen Verbrüderung der Proletarier zu fördern gewußt haben. Diese mit Lebendigkeit und poetischem Schwung vorgetragene Rede war eine von der Art, daß man sagen konnte:„Er redete in Zungen." Sie wurde selbst von denen, welche der französischen Sprache durchaus nicht mächtig waren, doch ganz genügend verstanden, um auch auf sie einen mächtigen und bleibenden Eindruck zu machen. Danach schritt die Versammlung zur Wahl eines vor- läufigen Bureaus, indem sie Liebknecht und Vaillant zu Vorsitzenden für die erste Sitzung ernannte, und ihnen ein Komitee (bestehend aus den Bürgern Anseele- Belgien, Nieuwenhuis- tolland, Lawroff- Rußland, Frankl- Ungarn , Costa- ipriani- Italien zur Sette setzte. Nachdem Vaillant die rechte und echte Jnter- Nationalität dieses Kongresses in schwunghaften Worten gefeiert hatte, hob Liebln eckt besonders hervor, wie Arbcilerabgeordnete der beiden Völker, die sich einst bekriegt habe», in so großer und stattlicher Zahl hier mit einander vereinigt mären, um gemeinsam die hochwichtigen An- gelegenheilen zu bcralhen, die den Sckutz der Arbeil betreffen. Er glaubt daraus folgern zu können, daß die friedliche Verbrüderung der Völker durch diesen Kongreß einen wichtigen Schritt vorwärts gemacht hat. Es wird dann beschlossen, eine internationale Kommission zur Prüfung der Mandate zu ernennen. In der nächsten Sitzung soll zur Leitung sämmtlicher Angelegenheiten des Kongresses eine Kommission eingesetzt werden. Nach Annahme dieser Anträge vertagt sich der Kongreß, damit die einzelnen Nattonalitäten die Mstglieder der Mandats- Prüfungskommission ernennen und dieser die Mandate übergeben. Von deutscher Seite werden v. Volkmar, Geyer und Geck zu diesem Amte gewählt. Als die Sitzung wieder eröffnet war, thcilte Vaillant mit, daß eine große Anzahl Anträge, Zuschriften und Telegramme eingelaufen sind, die wohl am besten in der nächsten Sitzung erledigt würden. Eines der eingelaufenen Mandate, das des Russen Lawroff, ist mst einer Begründung ver- sehen, die so wichtig ist, daß sie auch in der nächsten Sitzung zur Verlesung kommen soll. Vaillant schlägt im Namen des Vorstandes vor, täglich die Sitzung um 8'/- Uhr zu eröffnen, und sie bis 2 Uhr Mittags dauern zu lassen. Es sollen nicht zwei Sitzungen an einem Tage stattfinden, damit die fremden Delegirten auch Zeit behalten, Paris und das eigenarttge Volksleben, dessen Kenntniß besonders den deutschen Delegirten zum Verständniß der hiesigen Verhältnisse durchaus nochwendig wäre, gehörig kennen zu lernen. Hiergegen tritt aus den Reihen der französischen und besonders der Pariser Delegirten eine mit großer Lebhastigkest geführte Oppositton auf, zu deren Verständniß wir erwähnen müssen, daß in Paris eine sehr große Anzahl verschiedener sozialistischer„Gruppen" besteht, die oft nicht mehr als sieben Mitglieder zählen. Alle diese Gruppen haben aber Delegirte ernannt. Diese kleinen Gemeinschaften können nun den Delegirten ihre Versäumnißkosten nicht entschädigen. Es wird daher verlangt, daß mit Rücksicht auf diese Delegirten die Arbeiten des Kongresses hauptsächlich auf den Abend verlegt werden sollen. In Anbetracht, daß den Delegirten, die oft weit, sehr weit hergekommen sind, sehr erhebliche Kosten erwachsen, welche die betreffenden Arbeiterschaften zu tragen haben, wird dieses Ansinnen von vielen Seiten als unbillig zurückgewiesen. Es wird auch auf das Unprakttsche solcher Abendsitzungen hingewiesen, zu welchen die Delegirten abgespannt durch die Anstrengungen und Aufregungen des mächtigen Lebens, das durch Paris pulsitt, nicht besonders arbeitsfähig erscheinen würden. Sie würden in dem Sitzungssaale eine durch das Gaslicht verdorbene Luft antreffen und dadurch in dem Arbeiten noch mehr behindert werden. Schließlich hätten dann die in der Stadt sehr wenig bekannten fremden Delegirten weit nach Mitternacht , ohne die Hilfe der Omnibuslinien, die sehr beschwerliche und sehr lange Rückreise in ihre Quartiere anzutreten. Man einigt sich dahin, daß die nächste Sitzung am Montag um 8'/- Uhr eröffnet werden soll, und daß man in dieser Sitzung weiter über die Angelegenheit debattiren und beschließen solle. Buchdrucker Werner-Bcrlin schlägt vor, eine Kom- misfUm ju'v-ihl-n die ein-'N e»'-'guna dieses Konareffes mir dem possibilisüsche» Kongreß�) anstreben soll. Der Antrag wird vorläufig als verfrüht abgelehnt, da der Kongreß noch nicht konstituirt ist, also solche Beschlüsse noch nicht fassen kann. Die italienischen Delegirten erklären, daß sie Mandate für beide Kongresse haben, aber mit aller Kraft für die Vereinigung eintreten werden. Der Schluß der Sitzung tritt um 12 Uhr ein. Zweite Sitzung am Montag, den 15. Juli. Um'/-9 Uhr waren die Delegirten in dem ganz ungeeigneten und viel zu engen Saale in der Rue Petrelle versammelt. Um 10 Uhr kam die sehr erfreuliche Nachricht, daß es dem Komitee gelungen ist, einen besseren Saal in der Rue de Rochechouart aufzufinden und wurde sofort der kurze Marsch nach dem neuen Saale angetreten. Als die Versammlung hier um 10'/- Uhr eröffnet war, wurden die Namen der Delegirten nach Ländern geordnet verlesen. Es waren vertreten: E rankreich mit 360 Gruppen aus III Orten durch elegitte.— Deutschland 32 Delegirte. Die Wahlen haben hier in 125 öffentlichen Versammlungen stattgesunden. In vielen Fällen hat die Wahl durch Zirkuliren von Listen geschehen müssen, die oftmals viele Tausendc von Unterschriften erhalten haben.— Ungarn 3.— Holland 4.— Ruß- land 6.— Schweden 2.— Norwegen 1.— Däne mark *) 3.— Schweiz 6.— Polen 5.— Elsaß - Lothrlngen 2.— Belgien 14.— England 21.— Oesterreich 8.— Italien 11.— Portugal 1.— Griechenland 1. Es sind überhaupt vertreten 22 Länder durch 358 Abgeordnete. Die Pariser haben aus 62 Gruppen 78 Delegirte entsendet. Noch nie hat die Welt ein solches Arbeitcrparlament gesehen. Alle früheren sogenannten internationalen Kongresse sinken gegen diese Versammlung zu lokaler Bedeutung herab, sowohl was die Zahl der vertretenen Nationalitäten, als was die Menge der Delegirten betrifft. Dieses Arbeiter-Parlament stellt die wahre internationale Arbeiter- Verbrüderung dar, die einer weiteren Erklärung und Ver- bindung nicht bedarf. Nach Verlesen der Listen nimmt die Versammlung ein ihr von den leitenden Persönlichkeiten zusammengestelltes Geschäfts f) Die Ausdrücke Marxisten und Possibilisten gebrauchen wir natürlich nur der Kürze wegen. Die Red. der Berl. Voltstr. *) Die Dänen hatten ans Mißverständniß der hiesigen Sach- läge anfangs bekanntlich beschloffen, dem Kongreß fern zu bleiben, haben zuletzt aber diesen Beschluß umgestoßen und sind nun hier vertreten. komitee ohne weitere Wahl an. Es wird darauf eine Anzahl Depeschen verlesen. Von belgischer Seite wird der schon in der vorige« Sitzung eingebrachte Antrag, jetzt in die Besprechung der Mittel und Wege einzutreten, wie ein gleichzeitiges Tage« beider Kongresse zu vermeiden ist, wiederholt, aber ohne weitere Debatte von der Versammlung fallen gelassen. Ebenso geht es einem von Seitzt-Berlin eingebrachte« Antrag, jetzt die Tagesordnung der kommenden Sitzung festzustellen, damit man in dem engeren Kreise der Lands- Mannschaften zu derselben Stellung nehmen kann, auch er verschwindet unter dem Tische des Hauses. Die Pariser Delegirten nehmen das Verlangen nach Abend- sitz un gen wieder auf und erreichen, daß auf Mittwoch Abend eine Sitzung anberaumt wird. Schluß der zweiten Sitzung 1 Uhr Mittags. Dritte Sitzung. Montag Abends. Die Versammlung wird um 9 Uhr eröffnet. Den Vorsitz führt Brandt-Schweiz . Er leitet die Verhandlungen durch eine Ansprache ein, in welcher er für die Ehre dankt, die der Schweiz seiner Ansicht nach dadurch erwiesen ist: nicht nur, daß man ihn für heute vom Komstec Es wird darauf eine styr groge Anzahl Telegramme und Zuschriften verlesen, unter diesen ein etwas langer Brief de» Präsidenten der amerikanischen Federatton of Labor, in welchem z» Frieden und Einstacht gemahnt wird. Unter den Depeschen befindet sich ein Gruß der Berliner Maurer und der Metallarbeiter daselbst. Es werden dann einige unwesentliche Berichtigungen in beste? der verlesenen Mandate mitgetheilt und zugleich die Thatsache, da« durch Hinzusteten neuer Delegirter die Zahl derselben auf 38Ä gestiegen ist. Eine Zuschrift der belgischen Arbeiter-Organisation empfiehlt eine Einigung mit dem possibilistischen Kongreß„um jeden Preis". Hier erfolgen lebhaste Protestationen der französischen Delegirten. Es wird vom Komitee der Versammlung eine Reche vo« Personen vorgeschlagen, die als Uebersetzer, Sekretäre, Kommissare, Ordner und dergleichen thätig sein sollen. Der Kongreß nimmt diese Vorschläge ohne weitere Prüfung und Besprechung an. Ein Antrag, der verlangt, daß zur Konstolle einer richtige« Uebcrsetzung einem jeden Delegirten die Möglichkeit gewahrt werde« soll, die eingehenden Anträge im Original einzusehen, wird vor- läufig bis zur Erledigung der Geschäftsordnungs-Vorlage zurückgestellt. Die Geschäftsordnuugs-Vorlage kommt nun zur Verlesung. Die Bestimmungen derselben, die von allgemeinerem Interesse sind, sind in folgenden zwei Punkten enthalten: 1. Die Abstimmungen sollen nach Köpfen vor- genommen werden. Im Falle es eine Nationalität aber verlangt, nach Nationalitäten. 2. Die Sitzungen sollen täglich stattfinden von 9 bis 2 Uhr. Am Mittwoch soll eine Abendsitzung, am Sonnabend Abend eine öffentliche Versammlung und am Sonntag ein Schluß-Banquett stattfinden. Besonders gegen den letzteren Antrag eifern die Pariser Delegirten, die hiermit ihre Wünsche durchaus nicht befriedigt finden, sie verlangen allabendlich Ver- sammlungen. Die Geschäftsordnung wird bei einer Abstimmung mit zweifelhafter, sonst mit entschiedener Mehrheit an- genommen. Es zeigt sich dabei, wie schwer es ist, in einer solchen vielsprachigen Versammlung das Abstimmungsobjekt alle» Mitstimmenden klar begreiflich zu machen. Schluß der Sitzung um 1 Uhr Nachts. Vierte Sitzung. Dienstag Morgens. Den Vorsitz'stihrt De-ville. Die Redezeit wird'durch Beschluß auf 5 Minuten festgesetzt (Berichterstatter ausgenommen), und es wird beschloffen, jeden Redner nur einmal zu jedem Puntte sprechen zu lassen. Costa(Italien ) theiw darauf mit, daß der Zenstal-Ausschuß
Ausgabe
3 (20.7.1889) 29
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