Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne.

30.

Straße.

An düster ragenden Häuserwällen

Durch flammenbesäte steinerne Schlucht Branden die rasselnden Wagen, die Menschen Wie Wellen in flippiger Meeresbucht.. Der rothe Vollmond taucht empor.

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Die Menge wühlt und drängt und stößt; Jedweden kümmert nur seine Noth Wie auf dem Deck des lecken Schiffes, Das in den Tod zu sinken droht.. Der rothe Mond schaut düster drein.

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Auf glattem Bürgersteige kauert- Gleich wie am Felsenriff das Wrack Ein Mann mit vorgefunknem Kopfe, Zur Seite einen Lumpenſack Der Vollmond blickt mit düftrer Glut.

Die Leute auf dem Bürgersteige Treiben vorbei und blicken kalt; Die Pferdebahn beglozt im Rollen

Mit grünem Auge die Gestalt..

Der Vollmond blickt mit düstrer Glut.

Dort drüben lockt die blut'ge Flamme Dem Schnapswirth manchen Gast ins Haus; Und öffnet sich die dunst'ge Schenke, Dringt Schelten und Gejohl heraus.. Der Vollmond blickt mit düstrer Glut.

Des Handelshauses Fenſterreihe Ist noch vom Gaslicht grell erhellt; Papier und Pult und blaffe Schreiber; Der Chef durchzählt des Tages Geld Der Vollmond blickt mit düstrer Glut. Nun heult vom Hofe die Maschine Zur Vesper; da entläßt das Thor Biel arbeitsmatte Blusenmänner; Nur der Fabrikschlot stößt empor Zum rothen Monde schwarzen Rauch. Ein würd'ger Bürger kommt geschritten, Den Lump am Steige trifft sein Blick; Entrüstet mit dem Kopfe schüttelnd Geht er zu Bier und Politik. Und zornroth glüht der volle Mond.

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Bruno Wille .

[ Nachdruck verboten.]

Der Sohn der Tugend.

Von Auguft Strindberg.

Deutsch von Gustav Lichtenstein. ( Fortsetzung.)

Die Konfirmation war für ihn ein Schauspiel, wie es die Schule gewesen. Ein junger Pastorsadjunkt, der Leser) war, sollte ihn in vier Monaten Luthers Katechismus lehren, ihn, der Theologie, Exegetik, Dogmatif, das neue Testament auf Griechisch gelesen hatte, und so weiter. Aber der strenge Pietismus mit seiner Forderung der Wahrheit im Leben und Lebensmandel mußte auf ihn seinen Eindruck machen.

Sonnabend, den 27. Juli 1889.

III. Jahrgang.

waren sie es! Und er fühlte, wie er sich besonders an sie das Gnadenbrot des Sünders erhalten, wenn der ihrer Häßlichkeit stieß! Aber waren sie deshalb schlechter, Vater zum ersten Mal bestraft war. Hu! Solche Sünder! weil sie häßlich waren? Herr Theodor war tief erschüttert von all' diesen

Er hatte ein Florett bei sich, denn er sollte des öffentlichen Beschimpfungen, die hier ausgetheilt wurden. Mittags in die Fechtstunde. Er stellte es in die Ecke, Er wollte die Augen schließen, aber er konnte es nicht. damit es keine unangenehme Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Als endlich die Reihe mit seinem Geburtsscheine an ihn Aber man hatte es schon bemerkt. Niemand wußte eigent- tam, und der Adjunkt las: Ein Sohn Theodor, geboren lich was es für ein Ding sei, aber sie begriffen, daß es an dem und dem Tage des und des Jahres von den eine Waffe vorstellte. Einige der Kühnsten machten sich Eltern: Professor und Ritter. in der Ecke etwas zu schaffen, um es zu untersuchen. Sie Sonnenschein über das Antliß des Adjunkten, und er nickte da ging ein schwacher stocherten in der Umwickelung des Gefäßes, fragten mit freundlich, als er fragte: Wie geht es dem Herrn Papa? den Nägeln an der Parirplatte, bogen die Klinge und und dann legte sich ein Schleier der Wehmuth über sein betasteten den kleinen Ball von Handschuhleder. Es war, weißgelbes Gesicht, als er sah, daß die Mutter todt war, als ob man Hasen an einer Büchse herumschnüffeln sähe, was er schon vorher wußte, und ein liebenswürdiges, die sie im Walde gefunden hatten. Sie wußten nicht, weinerliches:" Sie war ein Kind Gottes!" gleichsam zu wozu fie gebraucht würde, aber sie fühlten, daß es etwas sich selbst gesprochen, entfiel ihm wie ein Vorwurf gegen feindliches sei, das einen verborgenen Zweck hatte. Endlich den Herrn Papa," der nur Professor und Ritter war. trat ein Gärtnerlehrling, dessen Bruder ein Leibgardist Darauf durfte Herr Theodor gehen! war, an die Neugierigen heran und entschied die Frage Als er ins Freie kam, glaubte er, Zeuge von etwas sogleich: könnt ihr nicht sehen, daß das ein Säbel ist, ihr gewesen zu sein, an dessen Vorhandensein er niemals ge­Rognasen! Und damit warf er einen Blick voller Respekt glaubt hatte. Waren diese Jünglinge so tief gesunken, auf Herrn Theodor, einen Blick auch des heimlichen Ein- weil sie sich Flüche und grober Worte bedienten, wie alle verständnisses, als ob er gesagt hätte: wir verstehen das! seine Kameraden, sein Vater, sein Dheim und die ganze Aber das sah ein Seilerjunge, der einmal bei der Gesellschaft sie unter sich gebrauchten! Worin bestand die Artillerie gewesen war, um Trompeter zu werden, und da Sittenverderbniß, von der hier die Rede war? Sie waren er sich bei der Urtheilsverkündigung übergangen sah, konnte wilder, als andere verwöhnte Kinder, weil sie stärker er den Mund nicht halten, sondern erklärte, sie sollten waren. Daß ihre Geburtsscheine so mangelhaft waren, ihn in den Rücken beißen, wenn das nicht ein Degen sei! war das die Schuld der Kinder? Sein Vater hatte nie­Die Folge hiervon war eine Schlägerei, die den ganzen mals gestohlen, aber braucht man zu stehlen, wenn man Kirchensaal in einen einzigen großen Hundezwinger ver- sechstausend Kronen Gehalt hat und präzis so viel wandelte, der mit Staub und Heulen angefüllt war. braucht, wie man will. Es wäre ja eine Lächerlichkeit Da wird die Thür geöffnet und der Pastorsadjunkt oder eine Abnormität gewesen, wenn er gestohlen hätte. erscheint in derselben. Ein junger, bleicher, magerer Mann Und so ging Herr Theodor wieder zur Schule und mit Ausschlägen im Gesicht und ausgewaschenen blauen dort empfand er, was es heißen will, Erziehung genossen Augen. Er stieß zunächst einen Schrei aus. Die wilden zu haben; hier wurde niemand wegen eines kleinen Fehlers Thiere hörten auf, sich zu schlagen. Darauf gab er einen chikanirt; hier ließ man seine und die Schwächen der Eltern Erguß von Jesu theurem Blute und der Macht des Bösen ziemlich in Frieden; hier war man unter seines Gleichen über das Herz zum besten. Endlich brachte er die hundert und alle verstanden einander.

Knaben dahin, sich auf die Bänke und Stühle zu setzen. Und darauf ,, nimmt man die Parade ab" und schleicht Aber er war jetzt ganz athemlos und das Zimmer voll sich in ein Café, um einen Likör zu trinken, und dann von aufgewirbeltem Staub. Er warf einen Blick nach dem gehts in den Fechtsaal. Und wenn er hier von dem Fensterventil und sagte mit matter Stimme: öffnet die Lieutenant Herr" titulirt wird, wenn er alle diese Jüng­Klappe. Aber damit hatte er den Sturm von neuem be- linge mit geschmeidigen Gliedern, freien Bewegungen und schworen. Fünfundzwanzig Jungen sprangen auf und frohen Mienen sieht, alle in dem Bewußtsein, daß zu Hause drängten sich in einem Haufen an das Fenster, um die ein gutes Mittagsmahl ihrer wartet, da fühlt er, daß es Schnur zum Ventil zu erfassen.

zwei Welten giebt, eine Ober- und eine Unterwelt und da Seßt euch!" schrie der Priester und sprang auf nach regt es sich in ihm wie ein böses Gewissen, wenn er an

dem Stocke.

Wiederum Ruhe für einen Augenblick. Der Priester öffnen zu lassen. erfann eine praktischere Art, um das Ventil ohne Kampf

Jungen, gehe und öffne die Klappe!" ,, Du," sagte er und zeigte auf einen kleinen erschreckten

"

den düsteren Kirchsaal und die traurigen Menschenkinder denkt, deren Wunden und heimliche Fehler so unbarmherzig unter dem Vergrößerungsglas untersucht werden, damit sie der wahren Unterwürfigkeit theilhaftig werden, ohne welche die Oberklasse ihre frohen Schwächen nicht in Frieden erhalten würde. Und damit war etwas Unharmonisches in sein Leben gekommen.

Der Kleine ging an das Fenster und suchte die ver­wickelte Schnur aufzuknüpfen. Unter athemlosem Schweigen wartete die Versammlung das Resultat ab, als ein großer Wie auch Herr Theodor zwischen seiner natürlichen Jüngling in Seemanskleidern, der erst neulich mit der Sehnsucht nach den halbgekannten Lockungen des Lebens An einem Novembermorgen wurden sie in den Kirch Brigg Carl Johann" aus Spanien in die Heimath ge- und seiner neuerworbenen Neigung, dem ganzen Leben saal gerufen, um aufgeschrieben zu werden. Herr Theodor kommen war, die Geduld verlor: den Rücken zu wenden und seinen Sinn auf den Himmel befand sich ganz unerwartet als Mitglied eines ganz ein Keri wie ich fann," sagte er, und im Nu war er in die Mutter wurde er niemals untreu. " Jezt sollt ihr verdammten Teufel mal sehen, was zu richten, umhergeworfen wurde, seinem Versprechen gegen anderen Kreises, als der, den er in der Schule täglich um Die wiederholten sich hatte. Als er in das Versammlungszimmer trat, be Hemdärmeln, hatte das Fensterbrett erstiegen, sein Messer Zusammenfünfte in der Kirche mit den Unterrichtskameraden und dem Priester verfehlten nicht, ihren Eindruck auf ihn gegneten ihm die Blicke von wohl hundert Paar Augen, gezogen und die Schnur abgeschnitten. die ihn sämmtlich wie einen Feind betrachteten. Es waren Nur kapern!" vermochte er noch zu sagen, ehe der zu machen. Er war bisweilen düster und grüblerisch und Tabaksbinder von von Ljunglöf**), Schornsteinfegerjungen, Priester Zeit fand einen neuen Angstschrei auszustoßen, fühlte, daß das Leben nicht war, wie es sein müßte. Ihm Lehrburschen aus allen Handwerken. Sie schienen sogar wie ein hysterisches Weib, und der den Seemann dadurch war, als ob einst ein unerhörtes Verbrechen begangen auch unter einander Feinde zu sein, denn sie überhäuften buchstäblich auf die Erde scheuchte, wobei er immer noch worden wäre, das jest in einer Unmasse von Betrügereien fich mit Spottnamen, aber diese Feindschaft zwischen den betheuerte, daß das Fallreep nicht klar", und nichts an- enthüllt werden sollte; er fühlte fich wie die Fliege in das Professionen war mehr zufällig; und wie sie sich auch deres zu thun sei, als zu kapern." Nez der Spinne eingerollt; jeder Versuch, ein Loch hinein­zaukten, sie hingen doch miteinander zusammen. Der Pastor war ganz außer sich. Er, der vom fried- zureißen, wurde von einem neuen Einrollen mit neuen Er fühlte eine sonderbar erstickende Luft sich entgegen­lichen Lande kam, hatte nicht glauben mögen, daß eine Erstickungsanfällen begleitet. schlagen, und in dem Haß, mit dem er sich begrüßt fühlte, Jugend so tief verderbt, so in Unfittlichkeit und Sünde Eines Abends, denn der Priester bediente sich aller lag auch eine Verachtung, die Rückseite eines gewissen gesunken, so weit auf dem Wege der Verdammniß vor- Effekte, um den jungen, harten Gemüthern zu imponiren, Respektes oder Neides. Er sah sich vergebens nach einem geschritten sein könne, wie diese. Und darauf eine lange hatten fie Unterricht in dem Chor der Kirche gehabt. Zwei Kameraden, einem Gleichgesinnten, Gleichgekleideten um. Geschichte von Jesu theurem Blute. Gasflammen beleuchteten matt das Chor und zeigten die Es gab keinen. Die Gemeinde war arm, und die Reichen Keiner verstand, was er sagte, denn sie hatten keinen Marmorfiguren des Altares in entfeßlich verrenkten Pro­sandten ihre Kinder in die deutsche Kirche, die damals an Begriff vom Sinken", da sie eigentlich niemals oben ge- portionen. Die weite Kirche mit ihren zwei einander der Mode war. Hier waren die Kinder des Volkes; es wesen waren. Die Versammlung zeigte deshalb eine treuzenden Tonnengewölben lag im Halbdunkel. Im Fond war die Unterklasse, mit der er vor dem Altare des Herrn große, gleichgiltige Kälte. Der Priester fuhr fort, von sah man die blanken Zinnpfeifen der Orgel schwache Reflere als ihres gleichen zusammentreffen sollte. Er fragte sich Jesu theuren Wunden zu sprechen, aber niemand bezog es von den Gasflammen aus dem Chor werfen; und die selbst, welcher Abgrund ihn eigentlich von jenen trennte. auf sich, denn niemand war sich bewußt, Jesus verwundet Engel darüber bliesen zum Gerichte in ihre Posaunen, er­Waren sie nicht törperlich ebenso begabt wie er? Ja beffer 34 haben. Er versuchte es nun mit dem Teufel, aber der schienen aber jetzt nur als dunkele, drohende übernatürlich vielleicht, denn sie verdienten sämmtlich schon ihr Brot, war so in ihre Umgangssprache als eine Redensart ein große Menschenfiguren. Die Kreuzgänge endigten in voll­und ein Theil konnte fogar alten Eltern helfen! Waren gedrungen, daß auch er feinen Eindruck machte. Endlich ständigem Dunkel, fie von Verstandeswegen schlechter ausgerüstet? Das verfiel er auf das Richtige! Er sprach von der im Früh- Der Priester hatte eine Auslegung des sechsten Ge­konnte er nicht behaupten, denn er hörte sie, in Form von jahr bevorstehenden Konfirmation. Er erinnerte fie an botes gegeben. Er sprach von der Hurerei in und außer Stichelworten, mit den schärfsten Beobachtungen um sich die Eltern, die darauf warteten, ihre Kinder in's Leben der Ehe. Wie zwischen Ehegatten Hurerei betrieben wird, werfen, sie hatten die wißigsten Einfälle, die mit einem hinauszuführen; aber als die Rede auf die Lehrherren konnte er nicht erklären, troßdem er selbst verheirathet war, Lachen zu belohnen ihn nur sein Hochmuth hinderte. Und tam, die keine Anstellung geben wollen, wenn die Lehr- aber außer der Ehe, damit war er bekannt. Dann kam wenn er an all die Dummriane dachte, die in der Schule linge nicht konfirmirt wären, da war er unwiderstehlich, er zu dem Kapitel der Selbstbefleckung. Als er dies seine Kameraden waren, so vermochte er zwischen sich und und es gab nicht einen, der nicht die tiefe Bedeutung der Wort aussprach, ging es wie ein Sausen durch die Jüng­jenen keine bestimmte Grenze zu entdecken. Aber sie war Konfirmation verstand. Jest war er wahr und jetzt be- lingsschaar, und mit weißen Wangen und hohläugig doch vorhanden! Waren es die häßlichen Kleider, die griffen ihn auch die jungen Gemüther. Selbst die Wilde- starrten sie ihn an, als hätten sie ein Gespenst gesehen. häßlichen Gesichter, die groben Hände? Ja, theilweise sten wurden zahm. So lange er von der Strafe der Hölle sprach, waren sie

*) Anhänger einer religiösen Sette in Schweden . **) Gigarrenfabrik in Stockholm .

Und nun begann die Aufzeichnung! Hu! wie viele ziemlich ruhig, aber als er aus einem Buche Erzählungen mangelhafte Geburtsscheine. Wie sollten sie zu Jesus vorzulesen begann, wie fünfundzwanzigjährige Jünglinge kommen, wenn ihre Eltern nicht getraut waren; wie sollten mit zerrüttetem Rückenmark als Gottesfinder gestorben