Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne.

38.

Gefallen.

" So und soviel Prozent, sagt man, müssen jährlich zu Grunde gehen! Wahr­scheinlich gehen sie zum Teufel, damit die übrigen frisch und gesund bleiben fönnen. Prozent! Wirklich schöne Erklärungen hat man heutzutage, so be­ruhigende wissenschaftliche Worte! Man spricht von Prozenten und braucht sich

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nicht weiter zu alteriren."

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Umhaucht vom Silberdufte Des üppig blühenden Mondes, Erschauert leise des Parkes Glänzendes Laubgesproß Wie träumende Seelenjugend Im Kusse lichter Gedanken. Hinter den Wipfeln fernes Gewölk Flammt bisweilen von Blizen Dem Schläfer gleich

Den in dumpfer Traumesruhe Heiße Leidenschaft zuckend rührt. Aus Büschen und fühlen Halmen Athmet der süße Mai;

Fern in lauschiger Blättertiefe Dichtet träumend die Nachtigall;

Und vom stolzen bleichen Hause An des Parkes Saum,

Aus erhellten Fenstern

Klingt Musik wie perlendes Glück.

Dostojewsky.

Im Garten aber am Eisengitter Steht ein schimmernder Blüthenbusch. Traurig über die Stäbe geneigt. Die weißen Blüthen blicken

Wie bange Kinderaugen

Auf ein dunkles Menschenbild,

Das zu des Busches Füßen Draußen am Gittersockel Reglos tauert.

Durch bebende Zweige fällt

Zerrissenes Mondlicht

Und huscht mit Scheu

Ueber des fauernden Mannes

Wüsten Rock und wirres Haar;

Seufzend streift vorbei der Nachthauch; Und der weiße Blüthenbusch Sinnt in träumender Trauer:

,, Arme Menschenblüthe,

Die du gefallen liegst, Das Angesicht verwüstet, Verloren für die Sonne,

Auf Stein und Staub

Welch liebeloser Gärtner

Ließ so dich dürsten, darben,

Das du verwelft, gesunken,

Bertreten bist in Staub und Stein?"

So sinnt in träumender Trauer

Der weiße Blüthenbusch.

Am Himmel aber flammt es

Und rollt und grøllt,

Als rüsteten sich ferne Wetter

Zu heißem Zorne.

Das zarte Mondlicht flüchtet

Hinter finster ragende Wolken,

Und die Nachtigall verstummt.

Nur vom stolzen Hause

Aus erhellten Fenstern

Klingt Musik wie perlendes Glück. Aus dem Thor des Hauses tritt Ein Herr in feiner Tracht, Grüßt zurück gute Nacht"

Und kommt gegangen

Leise trällernd;

Mit frostigem Blicke

Streift er die Gestalt am Gitter

Und geht, sein Liedchen pfeifend,

Grade zur Laterne

An der Straßenmündung.

Die Flamme der Laterne slackert;

Trüber Staub

Wogt vorbei;

Des Parkes dunkle Wipfel

Schwanken schaudernd, rauschend;

Der weiße Blüthenbusch

Sträubt entsegt die Zweige,

Ringt mühesam zu fliehen,

Duckt sich ſauſend und klagt:

Nun packt der Sturm mein schwankes Holz Und schüttelt mich mit grimmer Faust; Das junge Laub, den zarten Zweig Trifft zischender Hagel, derbes Eis, Und schlägt die weißen Blüthen nieder Zur gefallenen Menschenblüthe."

Grell am Himmel zuckt ein Bliz Und flammt durch alle Wolken Und flammt hernieder blendend Durch des dumpfen Schläfers Geschlossene Augenlider In einen wüsten Traum.

Und der Mann auf hartem Stein Hebt verstört vom wüsten Traum

Sein wirres Haupt empor, Richtet seufzend schwer sich auf Und blickt mit wilden Augen Hinan zu flammenden Wolken

Und sieht statt flammender Wolken Bornglühende Gesichter, Geballte Riesenfäufte, Hört es droben krachen

Gleich gesprengtem Erze,

Und rollen dumpf

Und hört vom stolzen Hause

Wie stürzende Mauern,

Aus erhellten Fenstern

Mufit wie perlendes Glück In das tobende Wetter Höhnisch klingen.

Bruno Wille  .

Sonnabend, den 21. September 1889.

Ein troftloses Leben.

Von Holger Drachmann  .

Aus dem Dänischen  . ( Schluß.)

III. Jahrgang.

Da ging die Thür zum nächsten Zimmer auf; Herr Ludwig Bisserup trat über die Schwelle, wankte, mit dem Zwicker vor den Augen, zum Sarge   hin, erhob zuerst seine schwarz behandschuhte Rechte und hierauf seine schwarzbe­handschuhte Linke, suchte nach Worten, hielt inne und sah sich um.

Die Berwandten empfingen den Fremden ziemlich kühl; aber das würden sie auch gethan haben, wenn er Die Augen der Versammlung waren auf ihn gerichtet. nicht den Zwicker am Uhrbande und das Künstlerhaar ge- Er war elfenbeingelb im Gesichte wie die Todte vor ihm. tragen hätte. Nervosität, echte Rührung, theatralische Stellung, eine ganze Sie waren etwas im unklaren über das Verhältniß; Reihe zusammengesetter, widerstreitender Elemente waren sollten sie ihn als trauernden Wittwer betrachten oder als vereinigt in diesem armen, unglücklichen Geschöpf einer trauernden Bräutigam? Doch Ane war ja todt. Es Hauptstadt, die ihre Kinder nicht eben schonend behandelt. blieb nur übrig, sie zu begraben; und so lange konnte Man hörte ein gedämpftes Kichern von Julius. man ihn wohl als zur Familie gehörig betrachten. Hierauf begann der trauernde Liebhaber seine Rede: Ich wollte ja, ich wollte wenn ich könnte im Namen der Vorsehung- ich meine entschuldigen Sie! Er wandte sich um, ließ den Zwicker fallen und ge= brauchte das Taschentuch. Theure Mitchr..

Bisserup merkte es. Vangaa's Haltung schmerzte ihn, aber er beherrschte sich. Dieses jammervolle Ergebniß von Leihbibliotheksromanen, Melodramen und einem ehrlichen Gefühl wollte der Todten, theils aus Eitelkeit theils aus Liebe, Ehre erweisen. Und dazu brauchte er den Bei­stand der Verwandten.

Julius war gutherzig. Er wies ihn an den Bruder der Mutter, Post- Johann, einen alten Junggesellen, der Fuhrmann gewesen und mit dem Poftfelleisen und Packeten gelaufen war, bis er sich ein Häuschen und einen kleinen Sparpfennig zusammengefahren und gelaufen hatte.

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in bezug bahingegangene

liebe Freunde und Verwandte Er rückte damit dem Julius gegenüber heraus: das der Todten! Wir stehen an dieser Bahre, um dieses Wirthsgeschäft sei nur flau gegangen und die Krankheit Vergängliche zu übergeben mit - zu vertauschen hätte viele Ausgaben verursacht. Bei wem könnte er sich furz gesagt, ich habe gemeint, weil viele der hier An­die Begräbnißkosten ausborgen? Denn er wollte das Be- wesenden- einen garftigen Zweifel gehegt gräbniß selbst bestreiten; die Hochzeit geben, das hatte er auf diese meine auf diese meine sehr vieltheure nicht wollen, nicht können oder es war ihm gar nicht ein- Braut, daß es meine Pflicht sei, hier vor dem Angesichte gefallen. des Todes dieses wohlgeachtete Mädchen für rein und unbefleckt zu erklären. Ja, ich rufe die Vorsehung als Zeugin an, daß sie hier liegt im Brautbette des Todes als eine Jungfrau eine Jungfrau sage ich, eine Myrthenblume, ein Zweig, ein ach, Gott   helfe mir, wie unglücklich ich bin. Amen, Amen.... Wasser!" Post- Johann erinnerte an Münchhausen's Dachshund, Er wankte, taumelte; Julius sprang hinzu, erfaßte der ursprünglich ein Windspiel war. Von den Beinen ihn und setzte ihn auf einen Stuhl. Wasser war nicht war nicht mehr viel übrig und von Fleisch an den Knochen bei der Hand, aber ein Glas Bier; und er machte einen fast gar nichts mehr. Seine kleinen, rothgeränderten Augen großen Schluck und weinte laut ein herzzerreißendes verschwanden vor Schrecken, als er hörte, um was es sich Klagen, worein sich das Schluchzen aller Frauenzimmer handelte. Eine solche Summe, um Ane zu begraben! mischte, worauf die Männer auf ein Zeichen von Julius Das war ja, als wäre sie eine Fürstin. den Sargdeckel ergriffen und ihn mit den hastigen, be­Ane sei auch eine Fürstenkrone werth! deklamirte stimmten Schlägen der Gewerbsmänner zunagelten. Das ist, bei Gott, ein sonderbarer Fisch!" murmelte Julius drehte sich um und steckte die Hand in den Jakob. Steht man nicht hier und fühlt sich ganz schauer­

Bifferup.

Mund.

Poſt- Johann wand sich, schraubte seine abgelaufenen lich zu Muthe? Kommt, Leute!"

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Beine wie einen Korkzieher in den Kies; aber er mußte Und sie trugen Ane hinaus und luden sie mit allen sich ergeben. Bisserup's Beredtsamkeit war echt oder Kränzen auf den Lastwagen, und hierauf bliesen die unecht von einer Art, welche den kleinen Mann über- Musikanten und das fahrende und das gehende Gefolge wand. Post- Johann konnte selbst nicht zwei Säße anein- ordnete sich. Und Herr Bisserup saß, ohne Ueberrock, ander fügen. Der Fremde war in seinen Augen ein De- beim Kutscher   auf dem Leichenwagen, beständig die Augen mosthenes. Und dann fiel ja doch der Glanz des vielen trocknend, so daß die schwarzen Handschuhe Spuren in Geldes auf die Familie. dem bleichen Gesicht hinterließen, während falte Schauer den schlanken Kellnerleib durchzuckten.

Ane's Leiche kam an einem feuchten Herbstabend auf einem Lastwagen nach Vangaa hinausgefahren. Das war der erste Schritt.

In einer leeren Villa, die rückwärts an das Haus der Brüder stieß, wurde sie eingestellt. Bisserup schloß sich die ganze Nacht mit dem Sarge ein. Man sah Licht, man hörte ihn klopfen und man sah ihn längs der Wände auf einer Treppenleiter herumkriechen.

Es war ein trauriger Leichenzug bei einem traurigen Wetter. Und als man auf den Friedhof kam, der ein einziger großer Lehmhügel war, von dem Kreuze und Gitter wie Nadeln von einem Nähkissen emporragten, glitten Ane's Träger in dem schmierigen Moraste beständig aus, während der Himmel seine schweren Herbstthränen auf die Regenschirme, Filzhüte und Kopftücher nieder­Des Morgens war das leere ebenerdige Gassenzimmer schüttete, gleichsam wie auf eine Schaar Vermummter. mit Hilfe von Tannenreisig, Fahnen und Georginen zu Am Grabe oben stand bereits der Priester. Er hatte einer feierlichen Kapelle umgewandelt. Der Sarg stand gewartet und war ungeduldig. Selbst ein Priester kann offen mitten im Zimmer und im Sarge   lag Ane, gelb wie es werden. Es war eine lange Rede bestellt, und das Elfenbein und in einem Leichenanzuge, der in's Blauweiße Honorar, das im voraus bezahlt worden war, stand dazu spielte und dessen ausgezackte Franzen und Zungen an im Verhältniß. Gleichwohl dachte der Pastor, es sei zum Glanzpapier erinnerten. besten seiner Pfarrkinder, schuldige Rücksicht auf das Wetter

Die Hände lagen über der Brust gefaltet. Ihr Kon- zu nehmen. Er begann: firmationspsalmenbuch hatte unter dem Kinn Platz gefunden." Theure Mitchriften! Wenn wir an dieser Bahre Zwischen die todten Finger war ein ewig grünender Myr- stehen. thenzweig gesteckt.

Hier trommelte der Regen auf des Pastors Parapluie  . Im Laufe des Vormittags kam ein Wagen mit sechs Es war ein neuer, schöner, straff gespannter Seidenschirm. Musikanten aus der Hauptstadt. Unterwegs waren einige und der Schirm sank immer tiefer über dem Priester Regenschauer niedergegangen und es gingen noch immer nieder, und die Worte vermochten nur schwer hervor und Schauer nieder. Als sie in Vangaa einfuhren, zogen die weiter zu bringen, und auch all' die übrigen Schirme, von Herren Musizi die schwarzen, baumwollenen Ueberzüge von denen lange Wasserläufe rieselten, senkten sich immer den Klapphörnern; die Piccoloflöte wurde aus der Brust- tiefer nieder über das Gefolge, über den Friedhof, über tasche hervorgezogen und die Stücke zur Posaune wurden das Grab, über Ane, über des ehemaligen Kellners Liebe, aus dem Wagenkasten   genommen und zusammengesteckt. seines Lebens einzig echtes oder doch halbechtes Gefühl, Der rothnafige, blaugefrorene Dirigent auf dem Vordersize das nun ein standesgemäßes" Begräbniß erhielt. nickte und ein erkälteter Trauermarsch lockte das ganze alte Julius tauchte einen Augenblick unter seinem Parapluie und junge Vangaa vor die Thüren und gleich darauf in hervor. Er sah sich um und steckte den Hornschaft das Trauerhaus.

des Regenschirms in den Mund. Er fühlte, daß er den Armen hätte zehn Kronen geben können, wenn es ihm erlaubt gewesen wäre, nur eine Sekunde mit seinem un­vermeidlichen Lachen loszubrechen.

Den Sarg umftand nun die ganze Verwandtschaft, ganz Vangaa. Es roch nach Burbaum, nach Bayerisch Bier, nach nassen Kleidern. Man hatte gegessen und ge­trunken und man stand hier, in einer etwas fremden, halb Aber dann dachte er an Ane, an den Kellner, an gemüthlichen, halb verzagten Stimmung, nicht recht im ihren lezten Gruß. Es gab ihm einen Stich... Ane klaren, was da kommen würde. Herr Bisserup hielt vor- war todt und nun wurde sie begraben. läufig das ganze in seiner Hand. Er hatte es so ge= Und Post- Johann? Er beobachtete Herrn Ludwig wünscht, und er war ja der Wirth. Man stand zu Diensten: Bisserup. Er sah, wie dieser immer mehr erbleichte, als Die Muhmen und Basen der Verwandtschaft, die ob er selbst ein Sterbender wäre. Und Post- Johann be­Nachbarfrauen und Nachbarmädchen hatten bereits eine gann endlich unmerklich zu weinen. Er mischte seine fleine Viertelstunde hindurch sanft und still geweint, mit Thränen in die Thränen des Himmels. fleinen Unterbrechungen von stärkeren Klagen. Julius und Der Himmel vergoß seine Thränen vielleicht nicht Jakob wechselten ungeduldige Blicke; der letztere begann über Ane; aber gewiß ist es, daß Post- Johann über seine ganz brummig: Hört sollen wir fie jeßt verlorenen dreihundert Kronen weinte. nicht nehmen?"

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