Berliner

Sorial-Politisches Wochenblatt.

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Ausgabe für Spediteure: Volksblatt" Zimmer-Straße 44.

M 42.

Sonmbcud, den 19. OKiodkr 1889.

IH. Jahrgang.

Die sächsischen Landtagswahlen. Zur Frauenfrage IL Der Londoner Dockarbeiter­streik. Von John Burns. IL Der Kohlen streik und der Börsenschwindel. Die Kreuz­zeitungspartei, Herr Stöcker und die National- liberalen Die Regierung und der Arbeiter- schuh. Das Urtheil eines amerikanischen Konsuls über die deutsche Bourgeoisie und die Arbeiterbewegung. Novelle von Mackay. IL Bor Sonnen­aufgang. Ein soziales Drama. Maschine und Arbeiter. Produktion und Technik. Rechtsfragen. Die Auflösung der Münchener Zahlstelle des Tischlerverbandes.

Arbeiter und Parteigenossen! Tretet eifrig für die Verbreitung derBerliner Volks-Tribüne", besonders aber derBerliner Ar- beiter-Bibliothek" ein.

We Grgiinz««gswahlen mm Landtage in Sachsen haben stattgefunden und das unaufhaltsame Wachsen der Sozialdemokratie auf's Neue gezeigt. Der Bestand der Konservativen und Freisinnigen ist ziemlich unverändert geblieben; die Zahl der sozialistischen Vertreter vermehrte sich dagegen selbst bei dieser nur theil- weisen Wahl von 1 aus 3 und das, trotzdem das Wahl- recht in Sachsen erst hei 3 Mark Einkommensteuer, also bei einem Einkommen von 600700 Mark beginnt, ob­wohl also ein großer Theil der Arbeiter überhaupt nicht wählen kann. In den 16 Kreisen, in denen die Sozialdemokratie Kandidaten aufgestellt hatte, vermehrte sich seit 1883 ihre Stimmenzahl von 10 609 auf 20 229, also auf das Doppelte! Gewählt sind Musikvireklor Stolle für Stollberg - Lugau , Liebknecht für Chemnitz II, Bäckermeister Otto für Limbach- Chemnitz . Wir akzeptiren diesen Wechsel auf die Zukunft. Bei den Reichstagswahlen werden wir ihn für Deutschland mit einer Million Stimmen einlösen.

Zur Frage der Frauenarbeit. Von Klara Zetkin . II. Was den ökonomischen Grund der Forderung einer Beschränkung der Frauenarbeit anbetrifft, so hat er den Anschein einer gewissen Berechtigung für sich. Er beruht in der nickt zu leugnenden Konkurrenz, welche die Frauenarbeit der Männerarbeit macht, in dem Sinken der Löhne, das in der Regel daraus hervorgeht. Der Arbeiter will sich der ihm gemachten Lage gegenüber zur Wehr setzen, und er fordert die Gesetzgebung zu seiner Hilfe auf. Vom Standpunkte der individuellen Selbst- erhaltung aus kann ihm das niemand verdenken:Jeder für sich" ist ja die Devise, nach welcher unsere jetzige Ge- sellschaft schaltet und waltet. Aber von demselben Standpunkte aus kann es auch niemand den Frauen verargen, wenn sie ihrerseits gegen eine derartige Forderung aus allen Kräften ankämpfen, ja der Kapitalist wird sich auf den gleichen Grund, auf die drohende Konkurrenz anderer Firmen berufen, wenn er billige Arbeitskraft nimmt, wo er sie findet, und deren Preis noch tiefer herabzudrücken sucht. Ferner, wollen die Arbeiter logisch sein, so müssen sie behufs Vermeidung der Konkurrenz nicht nur eine Be- schränkung der Frauenarbeit fordern, sondern auch z. B. Beschränkung der Konkurrenz seitens ausländischer Arbeiter, Berbot, daß sich die in einem Industriezweig durch eine Erfin- düng oder durch Geschäftsstockung überflüssig gewordenen

Hände" in Masse auf einen anderen Industriezweig werfen, in letzter Instanz überhaupt gesetzliche Festsetzung der Zahl von Arbeitern, welche in irgend einem Berufe beschäftigt werden dürfen. Mit kurzen Worten: sie thun das beste, sich den zünftigen Jnnungsmeistern in die Arme zu werfen. Der furchtbare Konkurrenzkampf hat auch hier und da dazu ge­führt, daß ähnliche reaktionäre und kleinbürgerliche For- derungen aufgestellt worden sind, so z. B. in Frankreich für den Ausschluß der ausländischen Arbeiter, besonders der Italiener, in Amerika gegen die Einwanderung, die Chinesen:c. Die Aufstellung derartiger Forderungen nützt jedoch den Arbeitern nichts, sie kommt nur den Kapitalisten zu gute. Der Konkurrenzkampf zwischen verschiedenen Bruchtheilen des Proletariats dient zum Blitzableiter, wel- cher die Aufmerksamkeit von der wahren Ursache der Kon- kurrenz ablenkt, von der Rolle, welche der den Mehrwerth schluckende Kapitalist im wirthschaftlichen Leben spielt. Der Kampf zwischen Arbeiter und Arbeiterin, zwischen einhei- mischen und ausländischem Prolctariem verdeckt den Klassen­kampf zwischen Kapital und Arbeit. Wenn man der Lohndrückerei dadurch ein Ende zu machen glaubp,.dafi- ein.Therl. de' P..jtetariats Zwangö- gesetze gegen einen anderen Thei! desselben fordert, so er- innert dies an das Benehmen zweier armer, die gleiche Straße ziehender Teufel, welche, beide von dem nämlichen wegelagernden Strolche bis auf's Hemd ausgeraubt, über einander herfallen, anstatt mit vereinten Kräften dem Räu- ber zuzusetzen, welcher hohnlachend mit der Beute sich aus dem Staube macht. Alle auf Verbesserung der materiellen Lage der Ar- beiler hinzielenden Mittel sind für das Proletariat als Klasse ohne Werth, wenn sie auf Kosten eines Bruch- thcils des Proletariats entfallen, anstatt ausschließlich vom Löwenantheil des Kapitalisten abgezogen zu werden. * Genosse H. bestreitet, daß sich der Kapitalist für die durch Beschränkung der Frauenarbeit entzogen,« billige Ar- beitskraft durch Einführung verbesserter Maschinerie, vervollkommnetes Produktionsverfahren schadlos halten würde. Die Thatsachen sind jedoch da, welche beweisen, daß dem so ist. Im dreizehnten Kapitel vom ersten Band des Kapital" steht zu lesen, wie die englischen Kapitalisten alle Vortheile, welche die Arbeiter durch größere Streiks jc. errungen hatten, durch Anwendung verbesserter Maschinen zu Nichte machten.Indem das Kapital die Wissenschaft in seine Dienste presst, zwingt es stets die rebellische Hand der Industrie zum Gehorsam." Genosse H. führt zwar an, daß die Verbesserung der Maschinerie ihre Grenzen habe, und dies ist im Prinzip richtig. Allein wer und was kann dafür bürgen, daß die Maschinerie der oder jener Industriezweige bereits an der Grenze ihrer Ver- besserungsfähigkeit angelangt ist? Bis jetzt hat es noch nach jeder Neuerung geschienen, daß man das Vollendete, das Unübertreffliche geleistet, und doch war in verhältniß- mäßig kurzer Zeit das Vollkommene von noch Vollkomme­nerem verdrängt. Gesetzt aber auch, daß die Produktionsverfahren eines oder mehrerer Industriezweige thatsächlich an der Grenze der Vervollkommnungsfähigkeit angelangt wären, so gicbt es doch neben ihnen noch genug andere, welche Verbesse­rungen den weitesten und ausgiebigsten Spielraum bieten, und auf welche sich dann die Kapitalisten stürzen würde». Die Rücksichten aus den etwa dringenden Konsum würden die Fabrikanten gewiß nicht bestimmen, einen Betrieb weiter fortzusetzen, sobald dieser nicht profitbringend genug erschiene, sobald ihnen Möglichkeit geboten, durch Produk- tion anderer Artikel oder durch andere Verwendung des Kapitals größeren Vortheil zu ziehen. Die englischen Baumwollenspinner schlössen während des Sezessionskriegs bekanntlich ihre Fabriken und spekulirten mit roher Baum- wolle, weil sich das als einträglicher erwies. Die Kunst- kniffe sind zahlreich, welche dem Kapitalisten zur Nieder- zwingung der Arbeiter zur Verfügung stehen, und er wird sie alle ohne jedes Bedenken anwenden, sobald ihm nur der höchstmögliche Prosit gesichert bleibt.

Genosse H. meint weiter, derOptimismus", daß eine Verbesserung des Produktionsverfahrens gegenüber der Männerarbeit die gleiche lohndrückende Konkurrenz wie die Frauenarbeit ausüben würde; daß somit eine Forde- rung der Beschränkung letzterer ökonomisch gegenstands- los sei, liefe auf die Ansicht der Anarchisten über die Wirkungslosigkeit einer Arbeitsschutzgesetzgebung hinaus. Die Behauptung umschließt einen doppelten Jrrthum. Die Forderung einer Beschränkung der Frauenarbeit und einer Arbeitsschutzgesetzgebung sind zwei wesentlich verschie- dene, andererseits braucht man nicht im geringsten anar- chistisch angehaucht zu sein, um die Ueberzeugung zu haben, daß auch die Wirkung einer Arbeitsschutzgesetzgebung durch die Uebermacht des Kapitals, durch die von diesem aufzu- bietenden Hilfsmittel, beschränkt und innerhalb einer gewissen Zeit aufgehoben wird. Die Bekanntschaft mit dem ökono- mischen Mechanismus der bestehenden Gesellschaft läßt keinenOptimismus" über die ewig währende, alleinseligmachende Kraft der Arbeitsschutzgesetz- gebung zu. Die kapitalistische Uebermacht, gestützt auf ihr Monopol über die Protmluon»Mlttel, wird innerhalb einer gewissen Periode stets die Schranken niedergerissen haben, welche eine Regelung der Arbeit ihrem Profitstreben zieht. Gezwungen, in einem engeren Kreise auszubeuten, beutet der Kapitalist um so intensiver aus, so daß er nach wie vor Sieger bleibt. Allein die Vernichtung der von der Arbeit errungenen Vortheile vollzieht sich nicht mit brüskem Schlage, sondern Schritt für Schritt. Das bewußte und organisirte Proletariat benutzt die Zeit einer relativ besseren, freieren Lage, um sich zu kräfttgen, fester an einanderzuschließen, besser auszurüsten und dem Kapital neue, weitergehende Schutzmaßregeln zu entreißen, wenn sich die alten infolge der weiter gediehenen ökonomischen Entwickelung als wirkungslos erweisen. Die Bewegung für eine Verkürzung der Arbeitszeit beweist dies recht deutlich. Dieselbe hat nirgends als eine Achtstundenbewegung" debütirt. Die Arbeiter ver- schiedener Länder und Industriezweige haben nacheinander den elf-, zehn- und neunstündigen Arbeitstag erkämpft. Ter achtstündige Normalarbeitstag, wenn erreicht, wird das Proletariat auch nur für eine bestimmte Zeit gegen die schlimmste Ausnutzung der Kapitalisten schützen. Das kämpfende Proletariat wird dann den sieben- oder sechs- stündigen Normalarbeitstag fordern, und das Ringen zwischen Kapital und Arbeit wird sich weiter durch die Geschichte ziehen, bis die gründliche Umformung der be- stehenden Gesellschaft und eine Aenderung der Besitzverhält- nisse erfolgt. Von Arbeiterschutzgesetzen hoffen wir eine periodische Besserung der Lage des Proletariats, aber nicht seine end- gilt ige Bcfteiung. Weil die ökonomische Entwickelung nach längerer oder kürzerer Zeit die Arbeit stets wieder dem Kapital schonungslos ausliefert, halten wir trotz der Forderung und der Annahme reformatorischer Kon­zessionen an dem Endziel, der Vergesellschaftung aller Pro- duktionsmittel fest und müssen gerade kraft der ökonomischen Entwickelung daran festhalten. Unsere Erwartungen von der Wirksamkeit einer Ar- beitsschutzgesetzgebung sind also auch beschränkte, dies be- deutet jedoch nicht, daß wir das Kind mit dem Bade aus- schütten und aus solche Reformen verzichten, welche inner- halb unserer heutigen Gesellschaft, auf eine bestimmte Zeit Besserung bringen und Mittel zum Zweck sind. Nun könnte man zwar das Gesagte auch auf den Erfolg anwenden, welchen eine Beschränkung der Frauen- arbeit für Aufbesserung der Männerlöhne haben würde. Allein die Analogie in der Wirksamkeit einer Beschränkung der Frauenarbeit und einer Arbeitsschutzgesetzgebung hinkt nach der Seite hin, daß die Arbeitsschutzgesetzgebung eine Besserung der Lage des gesammten Proletariats auf Kosten des Kapitals bedeutet, während eine Beschränkung der Frauenarbeit nur eine sehr zweifelhafte Besserung der Lage eines Theils der Arbeiterschaft auf Kosten eines anderen Theiles derselben bedeuten würde.