Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne.

42.

[ Nachdruck verboten.]

Nur eine Kellnerin.

Bon

John Henry Mackay  . ( Fortsetzung.)

Sonnabend, den 19. Oktober 1889.

III. Jahrgang.

heit so seltsam mit dem modernen, nordischen Leben zu ihren Füßen kontrastiren.

Hans Grüßmeyer ging geärgert nach Hause. Aber noch verdrießlicher wurde er, als Marl   sowohl am folgenden Abend, an dem es ihn wieder zu ihr ge- Sie ist ein Kind, dachte mitleidig Lenchen, und dachte trieben hatte, wie auch an jedem der folgenden Abende so dann an die Nacht, in welcher sie vor Jahren hier zum vollständig über ihn hinwegsah und sich so wenig um ersten Male mit einem Herrn gesessen hatte. ihn fümmerte, daß er, obwohl ungern, sich doch endlich Sie ist ein Kind, sagte sich etwas geringschäßig der sagen mußte, seine Methode sei bei dieser kleinen Person andere, denn er liebte unerfahrene Weiber nicht, und doch wohl nicht so angebracht, wie er zuerst angenommen flüsterte dabei seiner Nachbarin eine cynische Bemerkung hatte. Er machte sich nun freilich nicht viel aus ihr, aber ins Ohr, worauf diese lachte und ihn verliebt ansah. die verletzte Eitelkeit, welche weit öfter, als man denkt, Als sie mit ihrem Kaffee fertig waren, bestellten die Anlaß und Triebfeder zur Liebe ist, ließ es nicht zu, einen Herren einen Schlummerpunsch. Aber Marl   konnte es Vorsatz aufzugeben, dessen Ausführung bis jetzt so kläglich nicht über sich gewinnen, das heiße, starkduftende Getränk in die Brüche gegangen war. zu trinken. Sie schauderte zusammen, als ihre Lippen den Er versuchte es also mit jener gewinnenden Freund- Rand des Glases berührten, und wurde dafür von den lichkeit, welche ihm theils seine gute Erziehung, theils seine anderen ausgelacht. stete Berechnung im Verkehr mit den Menschen fast zur Hans war es, der zuerst zum Aufbruch mahnte. Er fand leicht die Straße und das Haus wieder; Gewohnheit gemacht hatte, und diese machte allerdings Denn er hatte einen Bekannten eintreten sehen, und liebta und zu ſeiner Ueberraschung bemerkte er, daß es eine auf Marl  , welche so wenig Freundlichkeit und Liebe in es nicht, in solcher Gesellschaft erkannt oder gar angeredet Restauration war, zu welcher das Fenster gehörte. Doch ihrem Leben erfahren hatte, einen ganz anderen Eindruck. zu werden.

Als Hans Grüßmeyer am folgenden Tage auf wachte und bei seinem Frühstück saß, welches er stets mit einer gewissen langsamen Sorgfalt zu sich zu nehmen pflegte, fiel ihm plößlich das Mädchengesicht wieder ein, welches er Tags vorher gesehen hatte und er nahm sich vor, doch einmal wieder in jene Straße zu gehen, um zu sehen, ob es wirklich die war, an welche er gedacht hatte. Aber er tam erst nach vier Tagen dazu, seinen Entschluß auszuführen.

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trat er nicht gleich ein. Er war selten in solchen kleinen Er verstand es, sich die Maske mitleidigen Interesses so Sie traten hinaus in das Wirrwarr von Menschen, Lokalitäten gewesen, und ließ sich nicht gern herab, sie zu geschickt vorzulegen, daß die ungeübten Augen der Kellnerin Wagen, von Lärm und Leben. Sie fuhren mit der Stadt­betreten. Da er aber nun einmal hier war, wollte er sie nicht von seinem wahren Gefichte zu unterschieden ver- bahn denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. den Weg nicht umsonst gemacht haben, und so stieg er mochte. Und so kam es, daß er nach Verlauf einiger Aber dann trennten sich die beiden Paare und Hans und benn die zertretenen Steinstufen empor. Er sah, daß alle Tage, in welchen er ihr kleine liebenswürdige Artigkeiten, Marl   schritten allein der Richtung ihrer Wohnung zu. Sie Tische dicht besetzt waren- es war 10 Uhr fand welche sie nicht abweisen konnte- kleine Blumen- gingen wieder Arm in Arm. Bis dahin war Marl   un­aber schließlich noch einen Platz in einer Ecke. sträuße 2c. erwiesen hatte, mit ihr schon auf einem befangen und heiter gewesen. Aber als sie nun in eine Als Marl   den neuen Gast sah, rief sie ihm ihr ziemlich vertrauten Fuße stand, und sie sich darauf freute, der weniger belebten Straßen einbogen, verstummte sie und, gleichförmiges Helles" oder Dunkles" zu und stellte das wenn er kam, denn er hörte immer so geduldig und wie abfichtslos sich niederbeugend, um an ihrem Kleide Verlangte vor ihn hin. theilnehmend zu, wenn wenn sie ihm ihre kleinen Leiden etwas zu ordnen, ließ sie den Arm ihres Begleiters los Er hatte kaum Zeit gehabt, einen Blick in ihr, von und Freuden erzählte. Dazu kam, daß er so klug ge- und nahm ihn nicht wieder. So gingen fie neben einander der heute Abend besonders anstrengenden Bedienung gewesen war, ihr Mißtrauen in keiner Weise wachzurufen, her. Auch Hans Grüßmeyer suchte nach einem Wort, röthetes Gesicht zu werfen. Aber er sah doch, daß er sich sondern dasselbe zu beschwichtigen; er hatte sie nicht gebeten, ärgerte sich darüber, daß er das rechte nicht finden konnte, geirrt haben müsse, und ärgerlich darüber trank er schnell fie nach Hause begleiten zu dürfen; er hatte keine jener und schwieg ebenfalls.

fangenheit wieder gewonnen.

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sein Glas aus und rief nach der Kellnerin, um zu be- ordinären Redensarten gebraucht, welche sie sonst gewohnt Nach einigen Minuten fragte er sie, ob sie morgen zahlen. Als Marl   vor ihm stand und ihm eilig das war zu hören und welche sie so fürchtete; under hatte es war ein Sonntag und sie hatte den halben Tag frei, Geldstück wechselte, sah sie einen Augenblick in das Gesicht ihr nie grobe Schmeicheleien gesagt. So hatte sie ihm wie er wußte mit ihm zu Mittag essen wolle. des ihr fremden Gastes, und begegnete seinen Augen. gegenüber ein Gefühl ruhiger Sicherheit und ihre Unbe­Dieser Blick veranlaßte ihn, statt aufzustehn und fort­zugehen, sich ein zweites Glas zu bestellen, und mit In­teresse sah er ihrer schlanken, unentwickelten Gestalt nach, wie sie durch das Zimmer ging. Als sie wieder zurück­tam, sah er sie von neuem an. Aber sie blickte mit einer so vollkommenen Gleichgiltigkeit über ihn hinweg, daß er seinen leisen Merger nicht unterdrücken konnte.

Er gefiel ihr entschieden. Er mußte sicher ein guter Mensch sein Und so kam es, daß sie sich auf die Stunden zu freuen begann, in welchen sie ihn sah.

Sie besann sich, und wollte schon ablehnend antworten, aber sie hatte wieder nicht den Muth, ihm die Bitte ab­zuschlagen. Sie verabredeten nun Stunde und Drt, wo sie sich treffen wollten. Und doch sagte ihr währenddessen ihr Gefühl, es sei besser, jetzt schon zurückzuweichen, als weiter vorwärts zu gehen.

Als sie die nächste Straße einbogen, sah sie, daß sie dieselbe tannte. Und, indem sie sich schnell zu Hans. wandte und ihm die Hand hinstreckte, sagte sie: Diese Straße kenne ich. Nun finde ich mich schon aus. Vielen Dank, Herr Grüßmeyer". Und ehe sich Hans von seiner Verblüffung erholen konnte, hatte sie seine ihr mechanisch hingereichte Hand ergriffen, und er hörte noch, wie sie ihm zurief:" Und auch noch schönsten Dank für den herr­lichen Abend!"

Nach etwa einer Woche erschien Hans Grüzmeyer, welcher bis dahin immer allein gekommen war, eines Er wußte nun mit Bestimmtheit, daß es jene nicht Abends in der Begleitung eines Freundes in der Kneipe. war, an welche er gedacht hatte. Und merkwürdiger Dieser Freund schien ein ganz besonderes Interesse an der Weise konnte er auch heute abend jenen Zug in ihrem anderen Kellnerin, dem blonden Lenchen, zu nehmen, denn Gesichte nicht wiederfinden, welcher ihn an die andere er- während Hans und Marl   zusammen sprachen, ging er des innert hatte. Dagegen interessirte ihn ihr Gesicht, troß- öfteren zu den Tischen hinüber, an welchen sie bediente, dem er sich selbst sagen mußte, daß es nichts weniger als und Marl   sah, wie sie zusammen lachten und sprachen. schön war. Denn sein Gefühl sagte ihm, daß dieses Als es nach elf Uhr geworden war, die leßten Gäfte ge­Mädchen noch unschuldig sein müsse. gangen waren und der müde Wirth sein Lokal schließen Dann war sie in dem Menschenstrom verschwunden. Aber dann wandte er sich Er sah sich in der Kneipe um. An der Decke lagerten wollte, sagte der andere zu Hans, wie ganz von selbst: Er wollte ihr zuerst nacheilen. dichte Rauchwolken. Es war etwas leerer geworden. Auch Ich trinke noch mit Fräulein Lenchen eine Tasse Kaffee kurz um und schlenderte geärgert nach Hause. die beiden Studenten, welche an seinem Tische gesessen im Bauer- Ihr geht doch natürlich auch mit?"- Hans Marl kam mit rothen Wangen an ihrer Hausthür hatten, waren gegangen. Rufen, Gläserklappern, lautes sah auf Marl  , welche energisch ihren Kopf schüttelte. Gespräch und Lachen klang wirr durcheinander. Hans" Nein", sagte sie ,,, ich gehe niemals aus." Grüßmeyer kam sich in dieser stark gemischten Gesellschaft Aber warum denn nicht?" machte höchst erstaunt sehr erhaben vor. der Freund. Sie glauben wohl, wir würden Ihnen etwas thun?" Und alle drei lachten.

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an.

Sie war gelaufen, wie gejagt. Nun kam es ihr vor, als sei ihr plößliches Davonlaufen doch eigentlich recht unhöflich gewesen. Aber als sie an ihr beiderseitiges, ängstliches Schweigen während ihres Alleinseins dachte, schien es ihr doch wieder, als sei es das Rechte gewesen, was sie gethan.

Als er wieder nach Marl   sah, interessirte ihn wieder die Art und Weise, in welcher sie mit einem anderen Nun redete Lenchen, welche schon fertig dastand, zu. Gaste, augenscheinlich einem ihr gut bekannten, sprach. Nun, heute Abend kannst du schon mitgehen, Marl  , In ihre Träume hinein spielten lockend die luftigen, In diesem Augenblick beschloß er, in diesen letzten Wochen wenn ich dabei bin. Wir trinken nur eine Tasse Kaffee blendenden Bilder des verflossenen Abends, und sie sah seines Berliner   Aufenthaltes als kleines Abenteuer den und gehen dann nach Hause." ihr täuschendes Licht doppelt verheißend, während die Versuch zu unternehmen, dies Mädchen zu gewinnen. Hans hatte Klugerweise geschwiegen. Als Marl   seinen tiefen Schatten, welche ihr Auge in der Wirklichkeit nicht Er hatte eine Methode", solchen Frauen gegenüber freundlichen, wartenden Blick sah, konnte sie es nicht hatte erkennen können, sich ihr auch da nicht zeigten. und er hatte diese Methode einmal einem seiner Freunde übers Herz bringen, unfreundlich zu erscheinen, und meinte so auseinander gelegt:" Siehst du, mit solchen Frauen- zögernd:

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zimmern mußt du es auf eine ganz eigene Art und Weise" Ja, wenn Lenchen auch mitgeht, dann" anfangen, damit sie in dich verliebt werden. Das Einzige Und lachend gingen die beiden Paare durch die vollen ist, sie müssen auf dich aufmerksam werden. Das werden Straßen zum nächsten Stadtbahnhof, von wo sie nach der fie aber nie, wenn du den halben Tag in der Kneipe Friedrichstraße fuhren.

( Fortsetzung folgt.)

Vor Sonnenaufgang.

,, Vor Sonnenaufgang  ." So betitelt sich ein neues Drama, welches sein Verfasser, Gerhart Haupt­liegst und sie mit angenehmen Redensarten langweilst. Es war ein dunstig- schwüler Abend. Ein Gewitter mann, dessen Name den Lesern der, B. V.-T." wahrschein­Denn die hören sie den ganzen Tag über auch von andern, hatte schon den ganzen Tag die dunklen Hände über dem lich noch gänzlich unbekannt sein wird, ein soziales nennt. und während sie dir mit dem stereotyp- freundlichen Lächeln brütenden Häusermeer gehalten. Aber es hatte nicht mit diesem Wörtchen ist in letter Zeit, namentlich seit zuhören, denken sie an das Trinkgeld, das du ihnen wohl fühlend niedergegriffen in diese verpestete Gluth von Rauch, dem Vorgehen Zola's, auf Titelblättern viel Unfug ge­geben wirst. Wenn du aber einige Male in der Kneipe Staub, Dunst und Moder, welche die Gesichter so fahl trieben worden. Doch sagen wir es gleich heraus, daß gewesen bist und haft über sie hinweggesehen, als wären und grau, und die Herzen der Menschen so fieberhaft- das vorliegende diese Bezeichnung mit Ehren trägt! Wäre fie Luft, so kannst du sicher sein, daß sie das ärgert, und aufgeregt, oder so kränklich- müde machte. das Werk nur ein Roman, so würde das freilich nicht sie denken an dich. Und damit hast du schon das meiste Mit großen Augen und stumm hatte Marl   während viel sagen. Moderne soziale Romane, und zwar vorzüg­erreicht-." der kurzen Fahrt und auf dem Weg die Friedrichstraße liche, zählen wir bereits nach Dutzenden. Als ihr eigent­Der Freund hatte diese Lehre von dem großen hinunter in das Treiben geschaut, welches ihr so neu und lichster Typus gilt, wie Jedermann weiß, Zola's Ger­Frauentenner mit einem bewundernden Staunen entgegen- fremd war, und unwillkürlich den Arm ihres Begleiters minal". Aber wo und von wem ist bisher ein soziales genommen. ängstlich fester gefaßt, während sie im Stillen Lenchen be- Drama geschrieben morden? In Deutschland   jedenfalls Diese Methode" nun beschloß Hans Grüßmeyer neidete, welche so sicher und munter mit dem andern sicher noch nicht! Gerhart Hauptmann   ist der Erste; und schon an diesem ersten Abend, an welchem er Marl   sah, Herrn vor ihr her schritt. es wäre nur zu wünschen, daß er nicht der Letzte bliebe.. anzuwenden, und so hütete er sich wohl mit ihr zu sprechen, Aber als sie nun im Café Bauer saßen, sicher und Die eigentliche Handlung des Stückes ist ziemlich wenn sie in seine Nähe kam, und schaute über seine gemüthlich vor dem wogenden Treiben, welches unablässig nebensächlich und läßt sich in wenigen Zeilen geben. Beitung hinweg nur dann nach ihr, wenn er bestimmt herein- und hinausströmte, da gewann sie ihre Lebhaftig- Alfred Loth, ein Mensch, dessen Umgang kompro­wußte, daß sie ihn nicht sehen konnte. Aber als er nach keit und Luftigkeit wieder, und war unerschöpflich an guten mittirt," der mit Ansichten in der Welt umherläuft, die Hause ging und bezahlte, fragte er sie halb spöttisch: Einfällen, an wißigen Bemerkungen über die Beobacht- heutzutage weit schlimmer und vor allem weit gefährlicher Nun, wie haben Sie denn Montag Nachmittag geschlafen?" ungen, welche ihr von allen Seiten zuflogen. find als Stehlen", der jener einzigen Partei im Reichs­

Er glaubte, fie würde in Verwirrung gerathen, aber Marl  , Sie ist ein Kind, sagte sich Hans, als er fie sah, tage angehört, die noch Ideale befigt", hat eine Reise in welche gar nicht verstand, was er meinte, hielt ihn für wie sie mit glänzenden Augen in das Gewühl starrte, bald die schlesischen Kohlendistrikte unternommen, um hier Ma­nicht recht bei Sinnen, lachte dann, und sagte, indem sie laut auflachend vor Freude über das bunte Leben in die terial für ein nationalökonomisches Werk zu sammeln. fich kurz zu einem anderen Gast wandte: Danke. Wahr- Hände flatschte, bald wieder mit andächtigem Erstaunen Der geeignetste Drt hierfür scheint ihm Wißdorf zu sein, scheinlich recht gut, denn ich schlafe immer gut." an den Fresken hing, die in ihrer südlich- sonnigen Schön- deffen Bauern durch die schwarzen Diamanten", die

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