DM»«\k Serliner Uolks Tribüne. Ji 48. Sonnabend, den 26. Oktober 1889. III. Jahrgang.
Arbeiter und Parteigenossen! Tretet eifrig für die Verbreitung derBerliner Volks-Tribüne", besonders aber derBerliner   Ar- beiter-Bibliothek" ein.
�Nachdruck veibolcn. Die Helden unserer Zeit. Von I. Stern in Stuttgart  . Viel wunderbare Thaten melden Die Chroniken aus alter Zeit. Von kühnen Recken, tapfren Helden, Die mit dem Schwert ihr Volk befreit. Wohl gegen Drachen und Tyrannen Auszogen sie zu Kampf und Krieg Und stritten muthig und gewannen, Bedeckt mit Wunden, Ruhm und Sieg. Nicht sind sie tobt: in unfern Tagen Noch leben solcher Helden viel, Die muthig in die Schanze schlagen Ihr Leben für ein großes Ziel. Doch nicht mit mördrischen Geschossen, Mit Bajonetten scharf gespitzt, Nicht kämpfen sie auf hohen Rossen, Kein Helm auf ihrem Haupte blitzt. Die Wack'rcn sinds, die unerschrocken Für Wahrheit kämpfen und für Recht, Vom Golde nicht sich lasten locken, Umgarnen nicht vom Truggeflecht; Die sich um's heil'ge Banner schaaren Der Freiheit, der Gerechtigkeit, Nicht Leiden scheuend, noch Gefahren: Sic sind die Helden unsrer Zeit. Nicht jene nur, die an der Spitze Als Führer stehn in Schrift und Wort, Mit ihrem Feuer, ihrem Witze Die Massen reißen mit sich fort. Sie selbst, die Männer in der Bluse Mit ihren Frauen, brav und schlicht, Sic sind's, für deren Haupt die Muse Den schönsten Hcldcnlorbeer flicht. Sie schaffen von der frühsten Frühe Bis in die tiefe Nacht hinein, Gebeugt, erschlafft von harter Mühe, In Kohle, Holz, Metall und Stein, An die Maschinen fest gekettet Wie Stiere eingeschirrt am Pflug; Und dennoch nur auf Stroh gebettet, Und doch zum Leben kaum genug! Für sie nicht blüht die Pracht der Rose Und würzt die Luft mit ihrem Hauch: Sie athmen die Tuberkulose In sich mit Staub und Dunst und Rauch. Ob Frost ob Hitze, Sturm und Wetter: Dem Dienst gehört ihr Leben ganz, Damit die frohen Erdengötter Sich sonnen in des Glückes Glanz. Und diese Sklaven hört sie sprechen, Wenn sie berathen ernst und frei, Wie friedlich wohl sie mögen brechen Das harte Joch der Sklaverei. Seht, wie sie lechzend sich erquicken An Früchten, die der Geist gereicht, Wie mit verständigem Entzücken Ihr Sinn in ferne Zukunft schweift. Die Flammen der Begeist'rung lohen Aus ihrer Augen Hellem Strahl. Die Sklaven werden zu Heroen, Beseelt vom höchsten Ideal. In ihren Seelen regt die Schwingen Der Genius herrlichster Misston: Der ganzen Menschheit Heil zu bringen, Die wahre Zivilisatton. Und fester knüpft sich, immer fester, Das Band der Solidarität; Wie für den Bruder, für die Schwester, Der eine für den andern steht! Sich selbst versagend manche Labe, Bringt willig er als Opfer dar Von seiner Armuth eine Gabe Auf der Gemeinsamkeit Altar. Fürwahr, ihr Proletarierschaaren, Die solchem Wirken ihr euch weiht, Ihr seid die Ritter, seid die wahren, Die echten Helden unsrer Zeit. Glück auf denn! Trotz der Leiden, Sorgen, Nur rüstig vorwärts, unverzagt! Bis daß ein neuer, schön'rer Morgen Euch selbst und allen Menschen tagt.
sRachdruck verboten.; Wur eine Kellnerin. Bon John Henry Mackay  . (Fortsetzung.) Am andern Morgen begrüßte sie freudig den sonnigen Tag. Sie sah hübscher aus, wie gewöhnlich, als sie mit Hans an dem verabredeten Platze zusammentraf und ihm fröhlich die Hand gab. Sie hatte ihr gutes Kleid an- gelegt, und dachte im Stillen, ob es ihm wohl gefallen würde. Aber er sah es gar nicht. Sie fuhren zusammen zur Jannowitz-Brücke und aßen in dem großen Garten des an der Spree gelegenen Nestau- rants zu Mittag. Auch Hans war gut aufgelegt. Er erzählte Maxl eine Menge Anekdoten, und lachte über ihre Freude. Plötzlich erhob er mitten im Gespräch sein Glas und sagte in seiner liebenswürdig-zutraulichen Weise;Wollen wir Schmollis zusammen trinken, Maxl?" Sie hatte mit ihm angestoßen, noch ehe sie wußte, was er hatte sagen wollen. Nun überflog eine leichte Verlegenheit ihr Gesicht. Aber Hans lachte:Nun mußt duHans" undDu" zu mir sagen, Maxl." Da lachte sie auch. Ihre Verlegen­heit kam ihr selbst recht albern vor, und sie stieß nochmals mit ihm an;Prosit, Hans". Aber schon nach ein paar Minuten sagte sie wieder Sie" zu ihm und wurde von ihm scherzend darauf auf­merksam gemacht. Ihnen gegenüber an der Landungsbrücke kamen und gingen die kleinen Spreedampfer. Ucbcrall, wohin Maxl sah, sonniges, heiteres Sonntagsleben. Und sie sah alles, mit ihrem scharfen Blick, und hatte in ihrer naiven Art eine Menge Fragen an Hans zu stellen, welche dieser oft gar nicht beantwortete. Denn er sprach gern selbst, und sie ließ ihn nur selten dazu kommen. Wollen wir nach Treptow   fahren, Maxl?" Ach, ja! Wenn Sie wollen!" Wenn Du willst!" Sie lachte wieder.Ja, wenn Du willst?" Als sie auf dem Dampfer langsam spreeaufwärts glitten sie hatten nur noch mit Mühe einen Platz de- kommen können sagte sie:Das ist das erste Mal, daß ich aus dem Wasier fahre." Er aber meinte, die Spree sei ja nur ein Bach. Er hatte sich auf dem Ver- deck umgesehen und mit Befriedigung bemerkt, daß keiner seiner Bekannten unter den Pasiagieren war. Als sie vor Treptow   waren, meinte er, sie sollten noch einige Stationen weiter fahren. Das Gewühl sei hier zu groß und ungemüthlich. Sie war es gern bereit. Die frische, kühle Lust des Wassers that ihr wohl. So fuhren sie nach Tabbert's Waldschlößchen. Laß uns hier bleiben, Hans", hatte Maxl gebeten. Es war die erste Bitte gewesen, welche sie an ihn ge- richtet hatte. Sie verbrachten einige Stunden unter den Bäumen. Sie sprang ausgelassen in dem Garten umher und mußte alles sehen. Er hätte sie gern geküßt, denn sie war fast schön in ihrer frischen Lebendigkeit. Aber sie waren nicht allein. Auch hier Ströme von Ausflüglern, welche sich überall hin vertheilt halten. Als sie hörte, wie spät es sei, bekam sie einen Schreck. Aber ich muß ja um 6 Uhr wieder zurück sein!" Er versuchte es ihr auszureden, aber sie blieb fest.Bitte laß uns mit dem nächsten Dampfbool zurückfahren! Wenn ick heute Abend nicht aus meinem Platze bin, verliere ich meine Stelle. Und dann wartet Lenchen aus mich, welche heute Abend in's Theater will!" Sie bat ihn so lange, bis er nachgeben mußte. Aber er biß sich auf die Lippen vor Acrger. Auch dieser Tag wieder verloren. Sie sah, wie verstimmt er war, und wußte es sich nicht zu erklären. Der Tag war so schön gewesen. Was wollte er denn noch mehr? Sie war aber doppelt freund- lich gegen ihn. Mit dem nächsten Boot fuhren sie zurück. Maxl saß in der Nähe des Steuers. Die erste Dämmerung sank nieder, und sie wurve plötzlich ernst. Sie sah, wie die kleinen Blätter der über den Strom geneigten Zweige in der leichten Kühle zitterten, wie ein feiner, weißer Nebel über den Wiesen wie ein Schleier ausstieg, wie der Friede des Abends kam mit seinem sanften, versöhnenden Flügel- schlag, wie alles stiller, tiefer, schöner wurde. Der Dampfer glitt sacht und langsam über den Spiegel. Sie hörte das plätschernde Anschlagen der kleinen Wellen am Ufer, das leise Gespräch der Passagiere, und wie Hans ihr etwas erzählte. Aber sie verstand ihn gar nicht, und dachte an etwas ganz anderes. Sie dachte daran, wie schön es doch sein müsse, immer in dieser stillen, fteien Natur zu leben und nicht wieder hinein zu müssen in jene schwarze, rauchende Masse, welche sich dort in der Ferne zeigte; nicht mehr hinein in das Schreien und Lärmen, den Schmutz und die Trübheit. Sie dachte an ihre Jugend, welche alles, was sie eben an köstlichem gesehen hatte, nicht gekannt. Wie eine unabwendbare Schwere legten sich diese Ge- danken aus ihre Brust. Sie starrte vor sich hin und sah
nicht, wie über den verlassenen Bäumen jetzt am Himmel die rothen Schimmer der sinkenden Sonne lagen, an welchen die Augen der andcrenMitfahrenden hingen. Da fühlte sie, wie Hans Grützmeyers spöttische Stimme sie aus ihren Träumen riß. Sie hatte unwill- kürlich seine Hand ergriffen, und die ihre in der seinen ruhen lassen. Aber nun erschien seine Hand ihr plötzlich kalt und sie stand auf. Sie wäre am liebsten allein ge- wesen. So aber mußte sie seine Phrasen über sich er- gehen lassen und sich dazu zwingen, ihm zu antworten. Es war nach sieben, als sie wieder an der Jannowitz- Brücke waren. Maxl bereute, unfreundlich gewesen zu sein. Aber es war ihr nicht möglich, den früheren Ton wiederzufinden Sie blieb schweigsam. In der Kneipe erwartete sie Lenchen, welche höchst ungnädig war. Sie hatte sehr viel zu thun und konnte an nichts anderes denken. Kaum, daß sie alle halbe Stunden einmal zu Hans treten konnte, der mürrisch dasaß, sich schauderhaft langweilte und ein Glas Bier nach dem andern trank. Er hatte sich vorgenommen, heute Abend zu warten, bis Maxl frei sein würde, um sie dann nack Hause zu be- gleiten. Aber als er zwei Stunden gewartet hatte, hielt er es nicht mehr aus und ging mit kurzem Nicken gegen Marl   fort. Diese hatte sich gewundert, daß er so lange dagesessen hatte und nicht gewußt, was er wollte. Sonst hatte sie weiter keine Zeit gehabt, viel an ihn zu denken. Um 11 Uhr wurde es leerer. Sie setzte sich ermattet an einen Tisch und versuchte ihre Gedanken zu sammeln. Doch ihre Stirn war dumps und schwer. Sie schlief schon halb. Sie wurde durch eine Stimme aufgeschreckt:Schlafen Sie nur nicht ganz ein, Fräulein Maxl, denn ich möchte vorher noch ein Glas Bier haben." Es war ein Herr, der sehr oft kam und sich besonders für sie interessirte, wie sie bemerkt hatte, obwohl er selten mit ihr mehr als das Nöthige sprach und immer eben so still ging wie er kam. Maxl schämte und ärgerte sich zugleich und sprang auf. Aber als sie zu seinem Tisch kam und das Glas vor ihn hinstellte, sagte er mit demselben ruhigen und durchaus nicht spöttischen Ton, indem er sie fest mit scharfen Augen ansah, als möchte er auf dem Grund ihres Herzens lesen, was er wissen wollte:Nun, Sie lassen sich ja doch nach Hause begleiten, Fräulein Maxl?" Maxl wurde wieder roth, und es fiel ihr ein, daß sie diesem Herrn vor einigen Wochen seine Bitte, sie nach Hause bringen zu dürfen, weil es nicht gerathen für junge, anständige Mädchen sei, des Abends spät allein durch die Straßen zu gehen, kurz und bestimmt abgeschlagen hatte; sie ginge immer allein, und ihr sei noch nie etwas passirt." Das alles ging ihr wieder durch den Kopf, als sie jetzt, verlegen vor ihm stehend und die Fingerspitzen ihrer Hände aneinanderdrückend, schnell antwortete:Wissen Sie, das dürfen Sie mir nicht übel nehmen, mein Herr. Das war nur das eine Mal, und es kam ganz per Zufall." Sie sah nieder, aber sie fühlte doch, wie er sie wieder ansah, als er sagte:So." Aber da kam ihr Trotz über sie und sie hob ihr ge- röthetes Gesicht empor und gab ihm seinen Blick gleich fest und stark zurück: Und übrigens, mein Herr, ich denke, ich kann thun, was ich will, und wenn ich mit einem Herr gehen will, so geht das niemanden etwas an." Sie hatte es eifrig hervorgestoßen. Nun aber sah sie, wie eine leichte Trauer über sein Gesicht flog, eine Ent- täuschung, oder was es war. Er wollte etwas sagen, ein freundliches Wort. Sie sah es. Aber er trank langsam sein Glas aus, sah sie dann noch einmal, aber anders wie vorhin an, und ging hinaus, nachdem er ihr ein freund- lichesGuten Abend" gesagt halte. Sie fühlte, wie ihr etwas weh that. Aber sie ärgerte sich immer noch zu sehr über die Art seines Fragens: was ging es diesen Menschen an, mit wem sie ging? Konnte sie nicht thun und lassen, was sie wollte? Und hatte sie sich von jedem Gast vorschreiben zu lassen, wie sie sich ver- halten sollte? Dann fiel es ihr ein, daß sie doch eigentlich recht unfreundlich gegen den Herrn gewesen war. So schnell wechselten ihre Gefühle und Gedanken. Aber er würde schon wiederkommen, und dann wollte sie ihm freund- lich erzählen, wie es gekommen sei, daß sie mit Hans Grütz- meyer zusammen gegangen sei. Aber sie sah diesen Herrn nicht wieder, denn er kam von diesem Abend an nie mehr in die Kneipe, wo sie war. Woher er es nur wußte? Sie dachte den ganzen Abend darüber nach.
Auch den nächsten Tag konnte sie den Gedanken nicht los werden, daß sie dem, was sie sich vorgenommen hatte, untreu geworden war und sie legte sich unaufhörlich die Worte zurecht, welche sie am Abend Hans sagen wollte. Sie wußte, daß er kommen würde, und sie hatte Angst, wenn sie daran dachte, wie er es aufnehmen würde, was sie zu ihm sagen wollte. Der Wirth war ärgerlich über ihre Zerstreutheit, und Lenchen war ungehalten, da ihr noch der letzte Abend in den Gliedern lag, und ließ daher ihren Aerger an Maxl aus, da sie es an keinem andern konnte