Beiblatt zur
№ 2.
Berliner Volks- Tribüne.
[ Nachdruck verboten.]
Der alte Sof.
Erzählung.
Diese Stimmung hielt nun tagelang bei mir an. Meine Lektüre war mir ganz und gar verleidet.
Ich muß Euch hier übrigens doch noch etwas näher erklären, wie ich zu dieser Lektüre kam.
Ich sagte schon, daß der alte Hof damals einen verftimmenden Eindruck auf mich machte, und das wurde nur schlimmer, als ich das Leben in den Wohnungen von meinem Zimmer aus beobachtete. Von meinem Zimmer aus: das müßt Ihr bedenken!
Ich fing an, über den Menschen nachzudenken; so aus freier Hand zunächst. Es ist nicht gerade verwunderlich, daß ich dabei in die Brüche kam. Ich suchte mir nun Hülfe, um etwas Licht in meinen Gedankengang zu bringen und so kam ich auf diese neuen Ideen von der Entwickelung der Organismen und des Menschen. Ich sah nun ein: diese Entwickelung geht zwar durch allerlei Noth und Elend, durch allerlei schlimme Umwälzungen hindurch, aber sie hat ihr gutes Endziei und das wird sie trotzdem erreichen. Dabei fing ich an, mich zu beruhigen.
Aber ich hatte ja nicht berücksichtigt, daß ich das Elend nur vom Hörensagen und von meinem Stubenfenster aus kannte; ich meine, so ganz äußerlich.
Seit jenem Abend merkte ich aber, daß es doch noch ganz anders ist, wenn man es nun wirklich kennen lernt, aus nächster Nähe.
Ich muß sagen: es verwirrte mich ganz und gar und ich kam in einen gründlichen Bessimismus hinein. Der schöne Trost, den mir meine Lektüre geboten hatte, war mir ganz und gar verdorben. Mit dem schönen, tlaren Ueberblick, den ich allmählich zu bekommen anfing, war es vorbei.
Ihr werdet später sehen, daß sich das änderte; aber vorläufig war ich wie vor den Kopf geschlagen, wie man fo sagt.
Nun hatte ich aber den verzweifelten Trieb, das alles von Grund aus zu durchkosten, und so fing ich an, auf meine Nachbarsleute genau Acht zu geben.
Zunächst aber nügte mir das nicht viel. Ein Tag verging nach dem anderen, ohne daß ich sie auch nur zu Gesicht bekam.
Aber eines Nachts wurde das anders.
Sonnabend, den 11. Januar 1890.
sehr schwer. Ich bin auch eher schwächlich als stark. Aber, wenn es darauf ankommt, bringe ich doch soviel Kraft auf, als nöthig ist.
IV. Jahrgang.
Ich war eben noch furchtbar grün hinter den Dhren... Drinnen sang fie weiter.
Ich wurde nachdenklich.
Ich brachte ihn glücklich zum Stehen. Er muschelte Dieses Stimmchen hatte auf einmal, wie ich genauer etwas vor sich hin, schwieg aber sofort wieder und schnaufte hinhorche, für mich etwas Rührendes. Nein! Nein! nur. Er taumelte hin und her. Ich hatte wirklich meine Was ich vorhin dachte, das war ja Unsinn! liebe Noth mit ihm und wunderte mich im Stillen, Aber ich wurde doch an dem Tage aus diesem wie es das schwache Mädchen möglich gemacht hatte, ihn Singen nicht klug. eine Treppe in die Höhe zu bringen
Jedenfalls wuchs meine Begier, mehr, alles zu wissen. Glücklicherweise machte er Gehversuche. Ich packte Das brachte aber wieder einiges Leben in mich... ihn kräftig um den Leib und zog ihn, mir am Geländer nachhelfend, das ordentlich unter der Last krachte, langsam, ganz langsam aus aller meiner Kraft die Treppen hinauf.
VI.
Wie gesagt: ich war damals noch recht grün hinter
Sie ging, das Geficht uns zugewandt, mit der Lampe den Ohren. leuchtend seitwärts vor uns her.
Denn wie hätte ich sie denn sonst auch nur eine SeIch sah sie nur ein einziges Mal an und dann kunde lang verdammen können, weil sie sich ein Liedachtete ich nur auf den Alten, denn ich dachte, es müßte chen sang? ihr peinlich sein, wenn ich sie anfähe.
Aber ich werde ihr Gesicht nie vergessen, wie es damals war. So ein einfaches, schlichtes Gesichtchen und so bleich, so unsäglich verhärmt.
Es ging mir durch und durch
Der Alte wurde mir furchtbar schwer. Es war mir zuweilen, als wenn mir alle Gelenke auseinanderreißen wollten. Aber ich nahm mich in Acht, es nicht merken zu lassen. Ich stöhnte nicht einmal.
Endlich sind wir oben. Ich athme auf. Sie öffnet die Thür und ich trete mit dem Alten ein. ,, Legen Sie ihn auf das Sopha." Das kam zitternd, tonlos von ihren Lippen.
Ich führte ihn auf ein altes, mit Glanzleder bezoge= nes Sopha und ließ ihn vorsichtig darauf nieder. Jetzt konnte ich sein rothes, gedunsenes Gesicht sehen. Er lacht vor sich hin, wie Betrunkene lachen und dann schnauft er und schläft sofort ein.
Ich stehe nun so eine Weile da und betrachte ihn, ohne ihn eigentlich zu sehen. Ich fühle, daß sie in meiner Nähe steht.
„ Ich danke Ihnen, Herr."
Ich fahre zusammen und sehe sie an. Sie blickt vor sich nieder und ist feuerroth.
Ich murmle irgend etwas vor mich hin, wünsche Gute Nacht", mache so etwas wie eine Verbeugung und dann gehe ich hinüber.
" 1
Ich warf mich in der dunklen Stube über mein Sopha. ,, Gott ! D Gott !"
Ich konnte die ganze Nacht kein Auge zuthun..
V.
Ach, ich sage euch! Waren das Tage! Es war die allerschlimmste Zeit meines Lebens. Es nahm mich auch köperlich mit.
-
-
Ich weiß heutzutage ganz genau, wie ich dazu kam. Weil ich schablonisirte. Sie hatte ein so unendlich bitteres Schicksal zu tragen wie ich das damals nannte das durfte fie, konnte sie doch niemals aus dem Augen lassen, und wenn sie es that, wie sie es meiner Meinung nach that, als sie sang, so mußte das ein Zeichen sein, daß sie nichts werth war.
Die Menschen waren mir damals eben noch weiter nichts als meine Ideen. Ich war noch nicht reif und verständig genug, um zu wissen, wie komplizirt ein wirklicher, lebendiger Mensch ist, daß er eine Welt für sich ist, die man nicht verdammen kann, sondern die man verstehen lernen muß..
Ich war damals noch ganz und gar ein doktrinärer, bornirter Ideenmensch. Sogar die Leiden, die mich in den letzten Tagen so furchtbar gequält hatten, wurden im Grunde doch nur von Chimären, Phantasmen verursacht und hatten etwas Abstraktes, so furchtbar sie mich auch mitnahmen.
Sie hatten aber wenigstens das Gute, daß sie von einem lebendigen Antheil am Leben, einer innersten Sehnsucht herrührten es kennen und verstehen zn lernen.
Damals trat nun bei mir, meine ich, ein Wendepunkt ein, indem jenes Umhertaumeln zwischen allerlei Ideen und nebelhaften Abstraktionen dem einfachen prosaischen Wunsche wich, dieses arme Mädchen kennen und verstehen zu lernen,
Das war der Anfang zur Reife.
Ich will euch, ehe ich euch erzähle, was nun weiter geschah, noch eins bemerken.
Ich schäße mich sehr glücklich, daß ich das alles da= Ich trieb mich in dieser Zeit viel umher, denn wenn mals durchmachen mußte, denn dadurch lernte ich das ich allein auf meiner Stube saß, marterte ich mich so mit Leben kennen und gewann eine feste Lebensanschauung. allerlei Gedanken, daß ich Kopfschmerzen bekam und manchDas war für mich, wie ich nun einmal von Natur anmal glaubte, ich müßte verrückt werden. Ich deutete Euch gelegt bin, von der allergrößten Wichtigkeit. Hätte ich schon an, daß ich auch selber mit mancherlei AußerlichEs war mir oft, als wenn gar kein Blut mehr in sie nicht kennen lernen, wäre ich nicht in so nahe Beteiten meine liebe Noth hatte. Das spielte dabei auch meinen Adern flösse. Mein Mund war mir immer ganz ziehung zu ihr getreten, ich glaube, das Leben hätte mich eine bedeutende Rolle. Außerdem hatte ich so gut wie gar trocken. Ich aß kaum und wenn ich aß, dann war mir, eben so zerrieben, wie es Hunderte und Tausende, die mir keinen Verkehr mit Meinesgleichen und vermied eigentlich als wenn ich Papier kaute. Meine Augen waren ent- ähnlich sind, aufreibt. Denn es ist gefährlich, Gedanken auch einen solchen Verkehr zündet und brannten. Es mußte wohl daher kommen, zu haben.. daß ich all die Tage kaum etwas frische Luft hatte, denn Wie die Sachen aber gekommen sind, habe ich jetzt ich saß nur immer auf meinem Zimmer und sah keinen festen Boden unter den Füßen Menschen, keinen einzigen Menschen außer meiner Wirthin. Ich lag nur da und grübelte, grübelte, that nichts als grübeln
Na! Also eines Nachts kam ich ungefähr gegen ein Uhr nach Hause.
Es dauerte eine Weile, ehe ich die Hausthür auf geschlossen hatte, und in den Flur getreten war.
Ich wollte schon mein Zündholzschächtelchen vorlangen, als es mir auffiel, daß vom Treppengang aus ein Lichtschein über die gegenüberliegende, gelbgetünchte Flurwand fiel. Ich wunderte mich im stillen darüber und ging
auf die Treppe zu.
Ich sah in die Höhe, der Lichtschein schien von der ersten Etage zu kommen. Sehen konnte ich das Licht nicht, denn die Treppe machte eine Biegung.
Ich steige nun hinauf. Da biegt sich auf einmal ein Mädchenkopf oben über das Geländer. Die Gesichtszüge tann ich nicht erkennen; dazu ist es zu dunkel.
VII.
Eines Tages traf ich, als ich von meinem Ausgange Ihr haltet das vielleicht für übertrieben, für krank- zurückkam, mit ihr im Hausflur zusammen. Sie hatte ein haft. Ihr meint, wenn man sich alles Elend um sich her unförmliches, in ein schwarzes Tuch eingeschlagenes Packet zu Herzen gehen lassen wollte, käme man nicht weit. vor sich stehen und strich sich mit dem Taschentuch über Das ist am Ende auch alles ganz richtig; ich muß ihr erhiẞtes Gefichtchen. euch darin Recht geben.
so
Ich sagte mir Aehnliches sogar damals selber und zwar gerade in den Augenblicken, wo ich oft eine furchtbare Angst vor meinen Gedanken und Grübeleien bekam.
Aber es war doch nun einmal so... Uebrigens: eins hielt mich im Grunde aufrecht, denn Ich ziehe ganz mechanisch meinen Hut und wünsche ich weiß wahrhaftig nicht, was mit mir hätte geschehen „ Guten Abend". Der Kopf verschwindet ſchnell, ohne können. Das war so eine- nun, wie soll ich es nennen? eine gewisse Neugier, ein heimliches Erstaunen, wie Nun komme ich auf dem ersten Treppenflur an und denn fie, sie das alles aushalten könne.
daß mir geantwortet wird.
da bleibe ich unwillkürlich stehen.
-
Davon konnte ich mir nicht den geringsten Begriff
Ich grüßte sie sehr verwirrt. Das Herz schlug mir bis in die Kehle. Auch sie schien verlegen.
Ich blieb stehen, denn ich hatte mir sofort vorgenommen, sie anzureden.
,, Sie haben da sehr schwer zu tragen gehabt?" Ich sagte das, ohne sie anzusehen.
,, Ach, schwer ist es nicht!.. Es trägt sich nur etwas unbequem!" Es fiel mir gleich auf, daß sie eine sanfte, gleichmäßige Stimme und ein sehr bescheidenes, wie mir schien, etwas schüchternes Benehmen hatte. Das letztere mochte wie ich in diesem Augenblicke an das denken mußte, was
Auf der Treppe steht eine kleine Küchenlampe und machen. Ich war eben damals noch sehr verwöhnt aber wohl daher kommen, daß sie wahrscheinlich ebenso in ihrem Lichte sehe ich ein Mädchen an der Wand lehnen.
Ja! Wie sie das alles ertragen könnte: das war es,
mich mit der Zeit immer mehr beschäftigte, je schwärzer
Sie streckt die Hände gefaltet vor sich hin und hat was den Kopf gesenkt, und dann liegt da auf dem staubigen, ich ihre Lage beurtheilte. schmußigen Flur so eine dunkle Masse dicht an der Treppe zur zweiten Etage. Sie giebt allerlei dumpfe, unverständliche Laute von sich. Wie ich genauer hinsehe, sehe ich an ben grauen Haaren, daß es ein alter Mann ist. Ich wende mich um. Hinter mir hör ich ein stilles
Weinen.
Er... er kommt nicht allein die Treppe hinauf?" Stammle ich. Ich werde Ihnen helfen!"
Ich wurde feuerroth und war furchtbar verlegen. Ich wußte ja, wie ihr in diesem Augenblicke zu Muthe war. Es mußte ihr schrecklich sein, daß ich dazu gekommen war. Ich lebte in diesem Augenblicke ganz in ihren Empfin
dungen...
Wenn ich jetzt an ihrem Zimmer vorüberging, dann blieb ich zuweilen stehen und lauschte. Ich wußte, daß fie allein war. Frühmorgens ging ihr Vater fort, tam zu Mittag und blieb dann wieder bis zum Abend weg.
Wie ich nun auch so einmal bei ihrer Thür stehe, und mich bemühe, einen Laut von ihr zu hören, da singt auf einmal. Nicht laut, nein: leiſe, ganz leise, mit einem etwas schwachen, aber reinen, hübschen Stimmchen. Zunächst beschlich mich eine häßliche, widerliche Em
fie
·
in
jener Nacht vorgefallen war.
„ Ich werde Ihnen das Packet hinauftragen!" Ich hatte mich sofort gebückt und das Packet in die Höhe genommen. Ich konnte es kaum mit beiden Armen umspannen und mußte es vor mich hinhalten.
,, D, mein Herr!" Sie sah mich ganz erstaunt an. " Ach, Sie gestatten mir's?" Ich muß sie geradezu bittend angesehen haben.
Sie sagte nun nichts mehr und ging, immer noch zögernd, vor mir die Treppe hinauf.
Manchmal sah sie sich um und warf einen flüchtigen
pfindung. Ich lachte ironisch vor mich hin. Ein paar Blick auf das Packet. Ich merkte ihr dann an, daß sie Augenblicke schämte ich mich vor mir selber, vor meiner noch gar nicht recht wußte, was sie dazu sagen sollte. Dummheit, daß ich mir über das alles so viel Kopf
Ich muß gestehen, daß ich eine Weile darüber verzerbrechen gemacht hatte. Ich empfand sogar einen Etel legen war, so aus dem Stegreif heraus mit ihr angebunvor ihr. Herrgott! Sie ist ein vollständig leichtsinniges, den zu haben. Aber alle Verlegenheit war nicht so stark, Ich zuckte die Achseln. Mir als die Neugier... nein, nicht Neugier.. die. Meine Hände zitterten zuerst, als ich den Alten unter ſtumpfes Geschöpf!... Ich zuckte die Achseln. nun, die innere Erwartung, die ich hatte. Und dann die Schultern packte und ihn aufrichtete. Er war dick und wurde unsäglich bitter zu Muthe.
Das waren also die Beiden.