„Ist es Ihnen unangenehm, wenn ich weiß, daß Sie allein leben und mit niemand verkehren?" Er antwortete gleichmüthig.„Garnichr Es ist mir völlig gleichgültig. Ich will Ihnen gern mehr von mir erzählen, natürlich nur, wenn es Sie interessirt." Und mehr zu sich gewendet fuhr er fort:„Es ist zu seltsam, daß die wenigsten Menschen begreifen können, wie ein anderer seine eigenen Wege geht." Dann lachte er auf. „Nun ich sehe ja, Sie machen sich keine Gewisiensbisie, auch einmal mit einem Menschen unter ihrem Stande zu verkehren, wenn auch nur aus Neugierde." Es lag ein kaum merkbarer Hohn in seinen Worten. Aber ich fühlte ihn sofort heraus und sagte ziemlich scharf: „Ich verkehre mit Menschen jeden Standes, wenn sie mich interessiren. Ich dächte, Sie hätten gemerkt, daß es für mich kein Oben und Unten giebt." Er sah überrascht auf. Dann lachte er wieder. „Nun ja, ich weiß, Sie thun, was Sie wollen." Und zum ersten Male reichte er mir mit einem seltsamen Blick über den Tisch hinüber die Hand. Noch an diesem Abend erzählte er mir die Geschichte seiner Jugend. (Fortsetzung folgt.) Die Pariser Kommune . Von Jules Guesde .') I. In allen offiziellen Depeschen, welche sich vom 18. März bis 31. Mai 1871 auf allen Mauern der 36,000 Gemeinden Frankreichs breit machten, wurden die Kom muna listen von Paris systematisch als Kom- munisten bezeichnet. Was uns anbetrifft, so hat der Ausdruck„Kommunist" an und für sich nichts, was uns erschrecken könnte. Kom- munist war Plato in seiner„Republik ", welche immerhin die heulige werth ist, kommunistisch waren die ersten christ- lichen Gemeinden, kommunistisch waren Campanella in seiner „Sonnenstadt ", Thomas Morus in seiner.„Utopia", Babocuf und seine„Mitschuldigen" im Manifest und der Verschwörung der Gleichen, Blanqui , als er heroisch die Waffen ergriff und Cabet in seinen großmüthigen und thörichten Versuchen einer sozialen Erneuerung in den Wüsten jenseits des Ozeans. Man kann keine Gesellschaft, und sei sie noch so individualistisch, anführen, die nicht eine gewisse Summe von Kommunismus enthält, wäre es gleich nur in Gestalt der Landstraßen, öffentlichen Spaziergänge, Leuchtthürme u. s. w. Thatsächlich handelte es sich jedoch 1871 nicht um den Kommunismus, sondern um die Kommune— was nicht dasselbe ist. Die befreite und freie Kommune(Gemeinde), die Herrin ihrer Schulen, ihrer Polizei, ihres Budgets, ihrer Armee und ihrer Verwaltung geworden, stempelt ihre Ver- theidiger— mögen sie sich der Kugeln oder der Stimm- zettel bedienen— nur zu Kommunalisten. Ausdrücke wie kommunale Freiheit, kommunale Vorrechte, Kommunalver- waltung, lassen keinen Zweifel über den wissentlichen und absichtlichen lapsns caiarni, den der Akademiker Thiers in der Bezeichnung der Kämpfer vom März und Mai 1871 begangen. Ebensosehr wie das Wort Kommunismus mit Fug und Recht unsere Bourgeoisie erschreckt, welche die sozialen Vortheile monopolisirt und nur in bezug auf eine Vertheilung der sozialen Lasten den Kommunismus gelten läßt, ebensosehr erweckt das Wort Kommune bei ihr nur glückliche und große Erinnerungen, oder sollte es wenigstens dieselben erwecken. Hat sie sich nicht während des ganzen Mittelalters, wo sie nichts war, zuerst in den Kommunen gegen die adligen Grundbesitzer und Raubritter zur Geltung gebracht? Die von den Feudalabgaben befreite Kommune, welche durch Empörung oder durch königliche Freibriefe gegen die Raubzüge der adligen Herren geschützt wurde, war vom zwölften bis fünfzehnten Jahrhundert gleichzeitig die Zufluchtsstätte des dritten Standes und sein mächtigstes Aklionsmittel, um feine politische Eman- zipation vorzubereiten, welche durch die letzten, auf revolutionärem Wege in eine konstituirende Nationalver- sammlung verwandelten Generalstände vollendet, gekrönt und geheiligt werden sollte. Zwar ist zwischen die Kommunen des Mittelalters und die Kommune von 1871 eine andere Kommune ge- fallen: Die Kommune von Paris der Jahre 1791, 1792 und 1793 und mit dieser Kommune pflegt man— seitdem sie ihr Werk gethan und die Revolution gerettet hat —„die schlimmsten Erinnerungen unserer Geschichte" in Zusammenhang zu bringen. Allein wer könnte bestreiten, daß diese Erinnerungen besonders, um nicht zu sagen ausschließlich, für die privi- legirten Stände„schlimm" sind, an deren Stelle die ') Der folgende Artikel Guesde's erschien bereits 1879, in der ersten Serie der.Egalits". Er stammt also aus einer Zeit. in welcher der unermüdliche und hochbegabte Vorkämpfer des modernen Sozialismus in Frankreich erst am Anfang seiner glänzen- den EntWickelung stand. Andererseits haben auch die französischen Verhältnisse, auf welche vielfach angespielt wird, in Personen und Ereignissen sich geändert. Die Aktualität würde andere An- spielungen verlangen, manche Acndcrung und Retouchimng der Einzelheiten nöthig machen. Aber in seiner Gesammthcit, in den wesentlichen Momenten läßt der Artikel die Guesde cigenthümliche Schärfe und Klarheit der Auffassung erkennen, die sich siegreich schon zu einer Zeit geltend machte, als gerade in Bcurtheilung der Kommune in Frankreich sogar unter den Revolutionären und Sozialisten große Unklarhest herrschte. Der Artikel, welcher neuer- dings von der sozialistischen Monatsschrift„L'Idee Nouveile"(die neue Idee) abgedruckt worden, verhält sich zu Guesde's späteren Leistungen, wie die Knospe zu der entfalteten Blülhc.— Wir ge- dachten ihn ursprünglich zum 18. März zu bringen,', waren aber durch Raummangel daran verhindert. Bourgeoisie getreten ist? Die große Kommune von Paris , die Seele, die treibende Kraft, der Kessel des großen, ogar von seinen Gegnern bewunderten Konvents, ist nach Thiers' Meinung das mächtigste Werkzeug für das Heil der Revolution gewesen, die aus der Bourgeoisie die be- 'itzende und herrschende Klasse von heute gemacht hat. lud wenn man annehmen wollte, daß die Kommune des 18. März ihren Namen mehr von ihr als von den Kom- munen des zwölften, dreizehnten, vierzehnten und fünf- zehnten Jahrhunderts entlehnt hätte, so sollten gerade unsere gegenwärtig herrschenden Bourgeois die letzten sein, ihr diesen Namen als Verbrechen anzurechnen. Uebrigens ist dem durchaus nicht so. Wenn sich auch unter den Erwählten vom 28. März 1871 Neojakobiner !iesanden, die sich auf Bouchotte, Pache, Hebert und andere Kommunalisten vom Ende des vorigen Jahrhunderts be- riefen, so knüpfte doch die Mehrzahl von ihnen an die bürgerliche Kommune des alten Regime's an. Da dieselbe sich in der Geschichte als Werkzeug der politischen Be- reiung des dritten Standes darstellte, so schien es ihnen, daß sie auch das Werkzeug werden könnte und müßte für die ökonomische Befreiung des vierten Standes oder des Proletariats. Daher kam es, daß die Bataillone der Federirten am Tage nach ihrem Siege vom 18. März in regungsloser Ruhe und Unthätigkeit verharrten— was späterhin von den Besiegten als der„große Fehler des Zentralkomites" bezeichnet wurde. Dies auch der Grund der am 6. April an die Departements gerichteten Pro- klamation, in der man las:„Man täuscht euch, wenn man euch sagt, daß Paris Frankreich beherrschen und eine Diktatur ausüben will, welche eine Verneinung der nationalen Souveränetät wäre..... Paris strebt nur darnach, seine kommunalen Rechte zu erobern..... Wenn die Kommune von Paris ihre Befugnisse über- schritten hat, so ist dies zu ihrem großen Bedauern und nur geschehen, um aus den von der Versailler Regie- rung provozirten Kriegszustand zu antworten.... Das Streben von Paris ist auf Erlangung seiner Autonomie(Selbstregicrung) beschränkt, und es ist voller Achtung für die gleichen Rechte der übrigen Kom- munen Frankreichs ." Tie Pariser Arbeiter sahen, daß sie von einer Nationalversammlung getäuscht und zum besten gehalten wurden, welche nickt nur außerhalb ihrer Aktion, sondern auch durch das Verbot des imperativen Mandats und durch die konstitutionelle Erfindung, daß der einmal er- nannte Vertreter nicht mehr seinen Wählern, sondern ganz Frankreich angehöre, außerhalb ihrer Kontrole gestellt war. Sic sagten sich in der Folge, daß der Sitz ihrer Ver- tretung nur in die Kommune, nur in die besondere Mitte, in der sie selbst lebten, verlegt zu werden brauche, damit dieselbe Vertretung ebenso ernst und wirksam werde, wie sie bisher lächerlich gewesen. Paris war ferner eine wesent- lich industrielle, in politischer und philosophischer Beziehung emanzipirte Stadt. Es hatte andere Bedürfnisse, andere Interessen, eine andere Auffassungsweise über viele Fragen als eine Anzahl von noch ländlichen Departements, in welchen Unwissenheit und Aberglauben übermächtig herrschten. Was die Kommunalisten wollen, was sie von ihrer selbstherrlichen Kommune erwarteten, war die Befriedigung dieser besonderen Interessen und Bedürfnisse. Daher der Name„Kommune", welcher sich einen Augenblick auf allen Lippen befand. Niemandem fiel die Mühe oder das Verdienst zu, diesen Namen zu erfinden, denn er war der unwillkürliche Ausdruck für die Forde- rungen jenes„Herrn Jedermann", welcher nach Voltaire's Ansicht mehr Geist besitzt als Voltaire selbst. Die„Aktionsmittel", welche man der Kommune als Verbrechen anrechnet, waren zweierlei Art. Als Aktionsmittel bediente sie sich zuerst der Wahlen, des Stimmzettels, der den Parisern von ihren offiziell er- nannten und anerkannten Maire's, denen sich die Vertreter von Paris in der Nationalversammlung angeschlossen hatten, in die Hand gedrückt ward. Weiterhin ließ sie die G e w a l l, die Kanone, die Bataillone der federirten Nationalgarde sprechen, mit einem Worte, sie wendete militärische Mittel an. Aber sie that dies erst, als die Nationalversammlung von Versailles , anstatt die vollendete Thatsache anzunehmen, anstatt sich vor dem Ausdruck der Souveränetät von Paris zu beugen, nicht sich mit dem abfinden wollte, was sie einen Ausstand nannte, das aber nichts anderes als eine Revolution war, und als sie an die Gewalt, an die Kanone, an„die schönste Armee, welche Frankreich je besessen hat", appellirte. Das zweite, von der Kommune als Antwort ge- brauchte Mittel,„das verbrecherische" Mittel haben die nämlichen Leute zu verschiedenen Malen angewendet, die dasselbe heute so formell verurtheilen. Sie haben es 1830 angewendet, und zwar Herr Grevy zu allererst, wenn man all seinen Biographen Glauben schenken darf. Weit davon entfernt, es damals für„verbrecherisch" zu halten, bezeichnete man es, weil man sich seiner mit Erfolg bedient hatte, als„glorreich". Sie haben es 1848 angewendet, und aus dem nämlichen Grunde wie 1830, weil es von Erfolg gekrönt war, wurde es nickt für„verbrecherisch", sondern für einen Aus- druck der rächenden und befreienden Gerechtigkeit erklärt Sie haben es wiederum 1851 angewendet oder wenigstens anzuwenden versucht und obgleich es diesma erfolglos blieb, ward es doch außerhalb Frankreichs und in dem Theil Frankreichs , welcher nicht vor dem siegreichen Staatsstreich die Waffen streckte, als heldenhaft gerühmt. Sie haben es 1870 angewendet, und da wiederum das im Auge gehabte Ziel erreicht worden, so ward es ein„Rächer der öffentlichen Moral und Wiederhersteller der französischen Freiheit" getauft. In den Augen der Orleanisten und Bonapartisten, gegen welche es mir Erfolg angewendet worden, ist dieses Mittel ein Verbrechen und ileibt ein Verbrechen. Aber jedenfalls sind die Revolutionäre des 18. März nicht die einzigen gewesen, welche sich dieses Verbrechens schuldig machten. Es sei denn, daß die Revolutionäre vom Juli 1830 wie Grevy, die Revolutionäre des 24. Februar wie Louis Blanc und die Revolutionäre des 4. September wie Jules Ferry aus diesem Mittel ein Monopol zu ihrem eigenen Nutzen, ein Vorrecht zu ihren Gunsten machen wollen, so dürfen sie es ihren Nachfolgern und Nach- ahmern nicht vorwerfen, denn diese haben nur die Flinte ergriffen, welche erstere früher selbst geschultert, sie haben nur die Barrikaden wieder aufgebaut, welche erstere früher mit eigenen Händen aufgethürmr haben. Gewiß, die Kommune hat das Feuer gegen die fran- zösische Armee wenn auch nicht eröffnet, so doch unter- halten. Aber wir erinnern aufs neue.daran, daß nicht die„glorreichen" Juliinsurgenien auf das französische Heer gezielt haben, daß es gleicherweise eine französische Armee war, welcke am 23. und 24. Februar von den Kugeln der Nationalgardc und des Volks der Faubourgs gelichtet wurde. Auch das Heer war ein französisches, gegen welches Baudin die seil Juni entwaffneten und mit Ekel erfüllten„Blousen" zu den Waffen rief. Die„Aklionsmittel" der Kommune, die gewaltsamen Mittel sind also die nämlichen gewesen, die in all unseren Revolutionen zur Anwendung gelangt sind. Nicht des- wegen, weil das Pulver zwei Monat lang das Wort führte, weil die Schlacht anstatt nach drei Tagen zu enden, sich durch acht ganze Wochen gezogen hat, kann die Revolution des 18. März mit bezug auf ihre Aktions- mittel für verbrecherischer erklärt werden, als die ihr vor- hergegangenen Revolutionen. Will man wissen, was die Kommune in betreff ihrer Aktionsmittel charakterisirt? Daß dem Schultern der Flinten die Zählung der Stimmzettel voranging, daß das Wort zuerst den Massen und später erst den Kanonen gegeben ward, daß die Schlackt anstatt die Vorrede nur die Fortsetzung von Wahlen war. Arbeitsloftgkeit oder kürzere Arbeitszeit. Eine Mittheilung aus New England (Vereinigte Staaten ) besagt, die dortigen Fabrikanten von Ingram- Carpet— einer Art Teppiche— hätten ein Komitee ein» gesetzt, um Vorschläge über die Abstellung des schlechten Standes ihrer Industrie zu machen. Dieses Komitee sei zu dem Beschluß gekommen, der Assoziation zu em- pfehlen, den vierten Theil aller Webstühle vom 1. April an auf neun Monate außer Betrieb zu setzen und eS sei sehr wahrscheinlich, daß der Antrag durchgeführt werde. Es wird dann weiter gemeldet, daß auch die Philadelphier Fabrikanten sich mit der Sacke beschäftigt und ebenfalls ein Komitee eingesetzt haben; daß dieses gleichfalls sich für eine Verminderung der Produktion entschieden; aber noch nicht ganz schlüssig darüber sei, ob es eine allgemeine Verminderung der Arbeitszeit dem von New England vorgeschlagenen Versahren vorziehen soll. Daraus geht hervor— schreibt das„Philadelphia Tageblatt"— daß mehr Teppiche sabrizirt werden, als Bedarf ist. Bedarf— an dieses Wort wäre gleich an- zuknüpfen. Giebt es wirklich keine Leute, welche Jngraia Carpet brauchen könnten? Wer möchte das bestreiten wollen? Da find die. Farmer im Westen; die erhalten 15 Cents für den Bushel Korn und 50 Cents für den Bushel Weizen. Bei den Einkünften, die ihnen diese Preist bieten, sind sie kaum im Stande, Steuern und Zinsen z» bezahlen, sich Stiefel und Kleider zu kaufen. Von der Anschaffung von Teppichen ist da keine Rede. So geht eine Kundschaft von Millionen Menschen verloren. Und dabei muß der Teppichweber den Weizen und das Korn der Farmer(in Form von Mehl und Fleisch) theuer be- zahlen. Da sind die Kohlengräber, die nagen zn lausenden am Hungertuche. Es sind ihrer ohnehin„zn viel" und nun ist noch ein milder Winter hinzugekommen, der den Bedarf an Kohlen verminderte. Ihre Hütten sind düster und öde; an Teppiche ist kein Gedanke— und doch wären die Teppichweber mit Vergnügen bereit, für sie zu arbeiten. Aber die Arbeiter der verschiedenen JndustriebranckeN „können zusammen nicht kommen", wie es im Liebe heißt, können ihre Erzeugnisse nicht wechselseitig gegen einander austauschen, weil einer zwischen ihnen steht: der Kapitalist, der es verhindert. Die„Ueberproduktion " von Teppichen, Weizen und sonstigen Erzeugnissen ist ein elender Schwindel- solange es noch Leute giebt, die alle diese Sachen wohl brauchen können und geradezu Mangel an ihnen leiden- Sie sind konsumfähig, aber nicht zahlungsfähig. T* liegt der Hund begraben. Und sie sind nicht zahlungsfähig, weil ihnen der Kapitalist den größten Theil ihres Arbeitsertrages vo� enthält. Sie können daher nicht das zurückkaufen, sie erzeugt haben; der Kapitalist kann das Produkt nich° absetzen, der Gütemmlauf ist durch seine Aneignung geM und das heißt man dann„Ueberproduktion." Die Arbeiter werden nun zum Theil auf die Srra� geworfen, dem Elend überantwortet, bis man nach# leerung der Magazine sich ihrer wieder zu bedienen geruhl' Den anderen aber wird der Lohn beschnitten und' müssen es ftch gefallen lassen, weil die draußen vo� Hunger getrieben werden, sich zu noch niedrigeren Löhn� anzubieten. 1
Ausgabe
4 (29.3.1890) 13
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