IfiMufi mr Kerliner Uolks Trwüne.
M 15.
Sonnabend, den 12. April 1890.
iv. Jahrgang.
Vier Treppen hoch, nach hinten hinaus: ein hundertfenstriges Vorstadthans. Die Kammer schmal und niedrig und kahl? ein rissiger Spiegel, zerschlissen ein Bette, ein Waschnapf noch, kein Stuhl, kein Tisch, und von den Wänden glänzte frisch der Armut schimmlichte Tapete. Kaum könnt' ich durch die Thür und kaum mich drinnen bewegen: so füllte den Raum ein plumper Sarg, schmucklos und roh, ein Armcnsarg. Und auf dem Stroh des Bettes saß ein magrer Mann, noch jung, allein mit jenen alten Zügen, mit denen Gram und Roth die Zett betrige«. Ich grüßte scheu. Er sah mich an und nickte stumpf und seichte dumpf und stierte brütend wieder hin aus hohlem Aug' zum offnen Sarg. in den ich gestern mit ihm barg die tote Kurbelstepperin, ihr totes Kind im schlaffen Ar«. Mich peinigte sein starrer Harm: drum nahm ich ihn fast grob am Kragen und habe derb ihn angesprochen, er solle erzählen, sein Leid mir sagen, nicht sitzen, als Hütt' er's selbst verbrochen. Bis er sich endlich zusammengerüttet und seine Seele mir ausgeschüttet: ..Herr Doktor, da ist nicht viel zu erzählen: es war ein einziges langes Quälen. Es mag wohl bald zwei Jahr her sein, da zogen wir hier Beide ein das heißt, noch eh wir Bekanntschaft gemacht Schlafstelle blos, in Aftermiethe, ich für den Tag, sie für die Nacht. Sie steppte damals Trauerhüte in der Fabrik bis abends Acht und kam erst gegen Neun nach Haus: Ich mußte auf den Droschkenbock für meinen Fuhrherrn Nachts hinaus. So ging es wohl zwei Monat lang: wir sahn uns kaum. Da wurde sie krank. Herbst war's. In ihrem dünnen Rock und bei dem weiten, nassen Gang fie war schon immer zart gewesen, da hat sie wohl was weggckrigt. Ja, Herr! da gab's kein Federlesen:
L» U( H(J. Aus den Papieren eines Arztes. Geld hatten wir alle beide nicht, ihr Bischen blos im Kassenbuch, fürs Krankenhaus war sie nicht krank genug, wir konnten kein ander Gelaß uns nehmen, wir mußten uns hier zusammen bequemen, bis wieder sie konnte auf Arbeit gehn. »Ja, Herr! und da, da ist es geschehn. Wir hielten's aus nicht auf die Länge, wir Beide! man ist ein Mensch doch blos! und unsre Sehnsucht war so groß: wir wohnten zu eng zusammen, zu enge! »Seitdem ist sie mit mir gegangen; hat's auch zur Heirath nicht gelangt, wir haben unserm Schöpfer gedankt, daß wir so eben durch uns zwangen. Wir thatcn unser Lohn in Eines und legten noch zurück ein kleines. So haben wir unfern Weg genommen, ganz gut, bis ihre Zeit gekommen. Da kam auch die Roth. Da half uns kein Beten. Sic konnte nicht mehr die Maschine treten: was Andres hatte sie nicht gelernt, die Eltern hatten sie früh entfernt. Nun lebten wir Beide von meinem Lohn, und's war für mich zu knapp fast schon. Was half uns da nun unser Plagen, was hals uns da nun unser Sparen: wir mußten die Sachen zum Juden tragen! Ich habe bei Tag und bei Nacht gefahren, ich Hab' mich vor keiner Mühe geschämt, ich habe mir keinen Schluck mehr bezähmt, sie wurde doch schwächer und schwächer im Nu, sie hat sich zuschanden gedarbt und gegrämt, und dann, dann kam das Kind dazu: ich sah sie weinen, ich hörte es wimmern, ich sah sie Beide verschmachten, verkümmern, da Hab' ich verloren meine Ruh', da Hab' ich zum ersten Mal betrogen, den ersten Fohrgast beim Fahrgeld belogen, und noch einmal, und noch einmal, mir schnitt zu sehr ins Herz die Qual, und Mancher thut's jahrein jahraus, um's beim Budiker zu versaufen, und ich, ich wollte Essen   kaufen, und, Herr, bei mir, bei mir kam's'raus! »Mir wurde noch von Glück gesagt, daß mich mein Herr blos fortgejagt. Ihr und dem Wurm da gab's den Rest:
�Nachdruck
nach Arbeit bin ich in Ost uud West seit vierzehn Tagen herumgelungert, und dabei, scheint's, sind sie verhungett." Er nickte stumpf und keuchte dumpf Und glotzte hohlen Augs mich«r mit einem Blick so müdgehetzt, so jeder andern Regung bar, daß mir's den Rücken niederrau«. Ich hatte, zu trösten, mich zu ihm gesetzt und sah, daß Trösten Hohn hier war, wo also stumm das Elend schrie. Ich drückt' ihm blos das spitze Knie, den dünnen Arm und nahm den Hut und sagte:Kommen Sie zu mir morgen, ich werde Arbeit für Sie besorgen." Er dankte:Herr Doktor, Sie meinen's gut. Ich will auch kommen, und ehrlich mich schinden, und werde auch wohl weiterfinden, blos sie, sie wird davon nicht wach! Ja, Herr! blos einen kleinen Verschlag, ja hätten wir blos gehabt ein Loch, Daß wir nicht immer uns mußten sehen: es wäre Alles nicht geschehen, sie lebten alle beide noch! Wir hätten gewartet, wir hätten gespart, wir waren ja Beide von frommer Art, wir hätten uns selbst eine Droschke geschafft, dann hatt' ich ja Verdienst die Menge, so aber ging's uns über die Kraft: wir wohnten zu eng zusammen, zu enge!" Und nach dem Sarge stierte er wieder, da fuhr ein Zucken ihm durch die Lider: O wenn ich doch wenigstens bei ihr wär', dadrinnen in dem engen Kasten! Jetzt braucht sie ja nicht mehr zu fasten, jetzt ist's ihr auch zu eng nicht mehr!" Er stieß ihn heiser heraus den Witz, er wollte lachen vor wühlendem Weh: da riß es ihn um so brach's in die Höh', da schmiß es ihn nieder von seinem Sitz, und weinend warf er sich über die Leiche und küßte das Antlitz, das abgezehrt bleiche. Da bin ich stille weggegangen, mir graute vor der schmalen Kammer, und durch die Brust schlich mir ein Bange«, als sei ich auch schuld an all dem Jammer. Richard Dehmel.
iRachdruck verboten. I
die_ s-lbst.
Cristenxen. Von John Henry Mackay  . . Wieder saßen wir schweigend einander gegenüber. och sah in sein Gesicht. Es war vollkommen unbewegt, "ur um seinen Mund schien mir ein scharfer, bitterer Zug »u wegen, derselbe, der mir vor einigen Tagen, als ich chn zuerst gesehen hatte, aufgefallen war. ,»Wie lange sind Sie schon in dieser Beschäftigung?" klagte ich dann. ,»Fast ein Jahr. Aber ich bin natürlich nicht an demselben One geblieben. Ich will viel sehen, nnd wechsele üaher zuweilen." g..»Und lockt Sie denn nichts", fragte ich weiter,dem wenn auch nur einen Theil Ihres Lebens widmen Mochten?" «Nur mein eigenes Glück." Aber wieder wußte ich nicht, ob es Wahrheit war, aus diesen Worten sprach, oder der Hohn auf sich Er sprach noch weiter. »Nein, mich lockt nichts. Nicht dies wahnsinnige Treiben zwischen äußeren Wünschen und tiefster Entsagung. ü* dem so viele zu Grunde gehen. Und nicht jene be- Zügliche Ruhe einer selbstgenügenden Zufriedenheit, welche üch übrigens keiner geben kann, sondern die man wiederum von seiner Natur mitbekommen haben muß. Dann ist sie allerdings vielleicht das Beste zum eigenen Glück." ,Und wie leben Sie jetzt?" Ich war gespannt auf leme Antwort. Gleichgültig. Ich thue, was ich will. Ich lese viel, aber nur, was mir angenehm ist. Es ist sinnlos, sich an fingen abzuquälen, welche keinen Nutzen für das eigene «lück haben." Aber vielleicht für das Anderer..." warf ich ein. Da lachte er, schneidend ungläubig. Ich habe nje nnen Menschen gekannt, der so wie er lachen konnte schneidend, so verachtend, so herzlos und dann wieder so tief, so herzlich, mit einem Lachen, in das sich noch eine letzte Erinnerung an seine frohe Kindheit ge- llüchtet zu haben schien. Für die Anderen?! Wer sind die Anderen? Oder haben Sie vielleicht schon einmal einen Menschen gesehen,
der etwas für die Anderen gethan hätte, ohne daß diese ihn entweder ausgelacht, oder zu Tode gesteinigt hätten? Das sind ja Redensarten und nichts weiter." Wieder hatte ich ihm gegenüber ein erkältendfremdes Gefühl, wie es mich zuweilen in der Gesellschaft überfällt, wenn ich sehe, wie mir Jemand eine meisterhafte Komödie vorspielt, ohne daß ich im Stande bin, ihm die Maske abzureißen. Ich schwieg verstimmt, und wäre am liebsten aufgestanden und hinausgegangen. Und doch mußte ich innerlich diesem schrankenlosen Muth eigener Meinung eine Bewunderung zollen, welche ich mir selbst nicht eingestehen wollte. Denn die Verachtung entsprang bei ihm nicht jener dummen Ueberhebung einsichtsloser Menschen dazu war er zu scharfdenkend und klug; und auch nicht der ebenso thörichten Einbildung, welcher so leicht bedeutende Menschen versallen dafür war er zu gleichgültig gegen sich selbst. Oder war er auch hierfür zu klug? Aber viel­leicht einem großen, überwundenen Schmerze, der nichts anderes in ihm hinterlassen hatte, als diese Gleichgültig- keit. Ich wollte nicht glauben, daß allein seine Erziehung und sein Leben so alles in ihm ertödtet hatten. Wieder und wieder aber erschien er mir wie ein Räthsel, dessen Lösung ich immer ferner kam, je mehr er selbst mich ihr näher zu bringen schien. Aber ich wollte mir Wahrheil über ihn erzwingen, und so sagte ich, nachdem einige Minuten verflossen waren: Ich kann Sie nicht verstehen; und wenn ich offen gegen Sie sein soll: ich kann auch keine Sympathie fühlen für ein Leben, wie Sie es führen." Er hatte diese Antwort auf keinen Fall erwartet. Aber kein Zug seines Gesichts veränderte sich. Mit voll­kommen gleichmüthiger Stimme sagte er:Ja. Das kann ick mir denken. Sie fühlen eben nicht groß genug, um gerecht zu sein. Uebrigens habe ich Ihre Sympathie weder erwartet noch gewünscht." So werden Sie bereuen, mir alles dies erzählt zu haben." Ich bereue nie etwas. Nur Schwächlinge bereuen." Er warf den Rest seiner Eigarre fort und stand nach- lässig auf. Wollen wir gehen? Es ist spät geworden." Wir weckten die Alte, bezahlten, und gingen, nachdem er ihr geHolsen hatte, die Lampen auszulöschen.
Wir standen auf der Straße und er reichte mir die Hand. Aber ich mußte noch eine Frage stellen. So erkennen Sie überhaupt keine Pflichten gegen Andere an?" Nein, wozu denn? Wir haben lange genug immer nur Pflichten gegen Andere gekannt, und darüber die vor- nehmsten gegen uns selbst vernachlässigt werden wir uns endlich einmal über diese klar." Ich wußte nun nichts mehr zu sagen, als:Sie haben keine Liebe." Und mit mitleidloser Härte in der Stimme hörte ich ihn antworten:Nein, ich habe keine Liebe." Und als wäre es ihm lästig, noch ein Wort zu sprechen, gab er mir noch einmal schnell die Hand und ging schnell von mir. Ich ging langsam durch die Straßen. Ueber mir lag eine undurchdringliche Nacht, und die Lichter kämpften mühsam gegen die Finsterniß an. Ein kalter Wind wehte um die Straßenecken; in der Luft lag es wie Eis und Schnee. Der Winter mußte bald be- ginnen. Mir war, als habe die Sonne nie geschienen. Ich konnte mich nicht mehr auf ihren Sckein besinnen, so trübe und dunkel war alles um mich und in mir. Ich dachte an das arme Leben, welches sich selbst doch so reich zu sein dünkte. Aber ich konnte es nicht verstehen. Als ich an dem( chantant vorbeikam, in welchem er spielte, ging die Thür auf und vier Gestalten traten lärmend und lachend heraus auf die Straße zwei Männer, und zwei von den Ehansonetten, welche bis jetzt da drinnen gezecht hatten. Sie waren ziemlich betrunken. Ich ließ sie vor mir hergehen. An den Füßen der einen saßen noch die leichten, dünnen Schuhe, welche sie auf der Bühne getragen hatte, und das Kleid flatterte in dem scharfen Wind um die hellen Trikotstrümpfe. Sie lehnte sich müde an ihren Begleiter. Als wir in die Friedrich straße einbogen, bestieg jedes der beiden Paare eine der dort haltenden Droschken. Ich hörte, was der eine dem Kutscher zurief, und sah daraus, wer es war: ein stadt- bekannter Wüstling. Ein unsägliches Erbarmen überkam mich mit ihnen allen, mit Paul Jordens, mit mir selbst. Ich sah heute Abend alles anders, wie vorher. Aller Jammer war mir näher gerückt, aller Frohsinn in die Nacht getaucht.