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Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne.

16.

Hoch in des Abendhimmels Dunkel Stößt der Fabrikschlot grauen Dampf, Durch hundertfenstrig Lichtgefunkel Dröhnt der Maschinenwucht Gestampf. Die Niemen hin und wieder fliegen, Die Räder schwingen mit Gewalt, Und in den Räumen, auf den Stiegen Regt sich ein Schaffen tausendfalt.

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Fernher erdröhnen Glockenschläge Ein langer Pfiff der Tag ist um! Die Räder drehn sich plötzlich träge, Und die Maschinen werden stumm. Im Werke tausend Hände stocken, Erschlaffend wie auf einen Schlag, In die Gesichter steigt Frohlocken.. Hei! heut' ist ja der Löhmungstag!

Auf knarrt die Thür, die dunkle Masse Strömt in die freie Luft hinaus, Aufathmend geht man durch die Gasse,. Nun, Gott sei Lob! die Qual ist aus! ,, Der Löhnungstag ist doch das Beste!" So lacht ein Bursch den andern an Und schlägt vergnügt auf seine Weste, Daß man die Münzen hören kann.

" Da soll mich heute doch die Schänke Beleuchten bei gefülltem Glas,

Bis ich die Kehle mir verrenke!" So jauchzt der Bursch in rauhem Baß. Er kneift ein Mädel in die Backen, Und alles kichert rings und lacht, " Du hast doch auch genug vom Blacken, Kommst doch zum Tanz für heute Nacht?"

Zwei Alte sieht vorbei man schleichen, Sie schreiten ernst und keiner spricht. " Ob wohl die Lumpengroschen reichen?" So grübeln fie." Ich glaub' es nicht. Der hohe Zins, die vielen Kinder, Zum Sattfichessen langt's nicht hin, Welt, du bist ein arger Schinder, Weiß nicht, wozu ich lebend bin!

bei Menschen.

Existenzen.

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Von John Henry Mackay  .

Sonnabend, den 19. April 1890.

Löhnungstag.

Wer mag den Ausweg da gewinnen!" Gedanken sinds zum Geistverwirr'n, Den Alten wird es schwül zu Sinnen, Sie wischen seufzend sich die Stirn. " Ob wirs erleben", raunt der eine Dem andern zu, daß von der Last Der Arbeit, die uns preßt wie Steine, Nicht mehr ein andrer sorglos praẞt?"

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" Hab' nur Geduld! Wenn eine Brücke Zu stark mit Lasten du beschwerst, Dann bricht der ganze Bau in Stücke, Dann darben sie und du verzehrst. Ja, Bruder, ja! Verlier den Muth nicht! Bleib uns getreu! Es kommt die Zeit! Der Geist, der Bess'rung heischt, er ruht nicht, Und ist es Zeit, wir sind bereit.

Und wir sind stark, die Muskeln schwellen Gestärkt mit jedem Frühlichtschein. Uns strömt es zu in hohen Wellen Aus allen, aus den besten Neih'n. Wir werden türmen einen Felsen,

So groß sah ihn die Selbstsucht nie, Der Geist der Zukunft wird sich wälzen Wie eine Sturmflut über sie."

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Der Alte ließ die Hand entgleiten

Des Andern und sein Wort verklang,

Ganz nahe sah vorüberschreiten

Er einen Mann mit leisem Gang. Den kannten sie an seinen Mienen, Den Mann mit list'gem Späherblick, Sie spieen auf sein feiles Dienen, Die graden Männer der Fabrik. Heut' Löhnungstag, da giebts zu spüren Im Tanzsaal und im Schänkenhaus, Wo sie die rothen Flammen schüren, Die Winkel kennt der Spürer aus. Er schleicht sich lächelnd in die Reihen, Er setzt sich unter sie zum Bier, Ein Opfer wird ihm schon gedeihen, O, prächt'ger Weizen winkt ihm hier!

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IV. Jahrgang.

Da fißen sie an engen Tischen Im Tanzlokale, Kopf an Stopf, Und juchzen zu der Bögen Zischen, Ergrauter Mann und grüner Tropf. Conzert, hurrah! und, o wie billig! Gelärm und schwärmendes Gezech! Die schweißerkämpften Heller willig Hinrasseln auf das Tellerblech.

[ Nachdruck verboten.]

Hallo! Komm her, Fabrikendirne! Schürz' dich zum Tanz! O der Genuß, Wenn man tagüber seine Stirne,

In gift  'gen Dünsten baden muß! Ab schloß die Nacht mit dem Geschinde, Nun drücke fest dich Brust an Brust! Vergiß im Rausch die trockne Rinde, Trink' dir Vergessen aus der Luft!

Der Nickel rollt. Was' s will, laß's kosten,

Der heute nicht, geht morgen doch.

Nur hin! uns glänzte zum Verrosten

Kein Heller in der Tasche noch.

Und wenn wir morgen hungern müssen,

Wir haben's hungern ja gelernt!

Schwing, Mädchen, dich und laß dich küssen, Bis müde sich die Nacht entsternt!

Und weiter wieder wie Gewitter Im Taumel raft' es wirbelnd hin, Fest krallt ich mich am Gartengitter, Ein Schwindel pacte meinen Sinn. Los riß ich mich von den Gesichtern, Hinweg aus dieser Bilder Frohn,- Schrill hinter mir bei grellen Lichtern Aufjauchzte der Verzweiflung Hohn.

In dunkler Gasse blieb ich stehen, Mir war der Sinn ins Mark vergällt, Da hört' ich zwei vorübergehen, Zwei Männer aus der feinsten Welt. Der eine sprach:" So wäre wieder, Ein nettes Sümmchen eingesteckt, O, die Fabrik hat starke Glieder, Komm her, begießen wirs mit Sett!" Franz Diederich.

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Rachbruck verboten.] mir Alles zu sagen, was er mir nicht sagen konnte, weil hatten. Ich hatte mir vorgenommen, es mit ihr zu halten, es Dinge giebt, über die überhaupt nie ein Mensch zum wie mit den übrigen. Ich wollte allein sein und allein bleiben. Anderen spricht..

was ich sagen wollte. Dann antwortete ich ihm; aber es war nicht das,

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,, Sie ist nicht schön, aber anziehend

la beauté du diable

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nicht unberührt

Da trat sie eines Abends zum zum ersten Mal in dem Kostüm eines Schusterjungen auf und sang eins der urwüchsigen Kouplets, wie sie so nur auf Berliner  Boden entstehen können. Sie hatte mit demselben eigentlich zum ersten Mal Erfolg. Ich hatte wieder meine helle Freude an ihrer genialen Urwüchsigkeit. Wie sie da stand, in der leinenen Jacke, ihrem kurzgeschnittenen Haar, die Nicht unberührt"- und ich sah den Zorn in seine Hände in den Hosentaschen vergraben, mit der drastischen, so voller Leben und Frechheit, war Schläfe steigen ,, nicht unberührt? Was verlangst brolligen Miene-

Da lachte er, schneidend und gellend. ,, La beauté du diable

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ja, das war sie!

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Ich hatte einige Wochen gespielt, viel gesehen, was mir neu war, viel gehört, was ich bisher kaum für möglich gehalten hatte. Da erschien an einem Freitag Nachmittag auf der Probe eine neue Sängerin. Diese Proben wurden Nachmittags in dem halbhellen Saal abgehalten. Da versant aller Flitter des Abends vor dem grauen Licht des Tages, vor der grenzenlosen Nüchternheit, welche in dem leeren Raum und unter uns herrschte. Die Sänge rinnen erschienen in ihren Straßenkleidern, unluſtig und Du eigentlich von einem Mädchen, das seine Jugend sie der verkörperte Berliner   Straßenjunge in all' seiner verschlafen. Aber wir waren doch unter uns, Menschen hindurch durch den Schlamm des Lebens in seinen tiefsten dummdreiſten Pfiffigkeit! Das war doch einmal etwas Anderes, als das ewig langweilige Komm' herab, o Aber keusch war sie noch Tiefen gezogen wird?! welches damals an der Tages­Die Sängerinnen wechselten alle Augenblicke, mit hörst Du, feusch war sie noch, als ich sie kennen lernte, Madonna Theresa" Ausnahme von einigen altstabilen, welche an den Abenden und das sie das noch war, ist anbetungswürdig. Denn ordnung war, und welches sogar meiner Gleichgültigkeit refignirt den etwas solideren Hintergrund abgaben. So das wären hunderte und aberhunderte von den Mädchen anfing zu viel zu werden. Als ich nach Hause gehen wollte ich hatte noch war es nichts Auffallendes, daß an jenem Nachmittag ein aus Deinen Ständen nicht mehr gewesen, wenn sie durch stand sie vor der Thür, in leer gewordener Platz von einer Anderen ausgefüllt wurde. eine solche Jugend geschleift worden wären, wie dies mit dem Wirth gesprochen Wesen!" ihrem einfachen Kleid, keck und herausfordernd, und dabei Aber schon als sie zum ersten Male sang, fesselte sie meine Das glaube ich Dir gern." Ich wurde nun ebenfalls überlegen- gleichgültig. Ich wollte mit ein paar Worten Aufmerksamkeit. Sie war noch ein Kind. Vielleicht noch nicht sechszehn Jahre- und doch schon eine gleichgültige aufgeregt. Oder glaubst Du vielleicht, ich rechne den vorbeigehen. Aber sie sagte plöglich: Was eilen Sie Sicherheit, welche mir sagte, daß sie in ihren fünfzehn Beitpunkt, bis zu dem ein Mädchen unberührt bleibt, von denn so? Wir können doch einmal zusammen gehen." dem Augenblick an, in dem sie in den Armen eines Sie sagte es, wie wir überhaupt zu einander sprachen, Jahren mehr erlebt haben müßte, wie zehn andere Frauen Mannes liegt, einerlei ob sie diesem durch die Ehe ver offen und absichtslos. Denn wenn wir unter uns find, in ihrem fünfzigsten. Sie hatte keine Spur von Stimme. bunden ist oder nicht? Ich glaube, hier entscheidet doch brauchen wir uns keine Maske vorzulegen, und sie ahnte Die hat überhaupt keine einzige von diesen Sängerinnen. ficher nicht, daß ich anders, als ein ganzes Leben, gelebt Aber eine solche geniale Natürlichkeit, eine solche packende Er sah mich an, als ob ich ihm etwas gesagt hätte, haben könnte, wie jetzt. Wir gingen also nebeneinander Ausdrucksfähigkeit in Allem, was sie sang, daß es mich her, tranken noch eine Taffe' Kaffee miteinander und unter­überraschte. Wann hatte ich mich jemals für einen fremden woran er nie bisher gedacht. hielten uns über das, was uns zunächst lag, ohne alle Menschen interesfirt? Nie. Aber dies Kind mit seiner Aber da flog über sein Gesicht die alte Verachtung. Nebenansicht, welche jedes Gespräch verzerrt, einfach und reizenden Unbefangenheit in seinem Wesen zwang mir Worte! Worte!" Er hatte ihr Bild wieder an natürlich. Dann gaben wir uns die Hand und gingen Beachtung ab. Ich suchte nach Beendigung der Probe den Befizer des Lokales auf. Sie wurde sofort engagirt. fich genommen und schien unschlüssig, ob er weiter erzählen nach Hause. sollte oder nicht. Als ich aber wieder hereinkam, war fie fort. Unberührt ist die Frau, die nie einem Manne eine größere Macht über sich eingeräumt hat, als sich selbst, glaube ich."

Am Abend sang sie zum ersten Mal. Ich war gespannt auf ihre Kostüme. Bei einer Frau sagen diese beinahe Alles. Sie hatte keinen Erfolg. Ich hatte es vorher gewußt, und freute mich fast darüber.

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Er hielt inne und warf eine Photographie vor mich hin. ,, Das ist sie."

nur die Natur?"

" 1

Oder die Liebe!" fügte ich hinzu.

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So lernten wir uns kennen. Sie hatte kein Ver­hältniß, an das sie gebunden gewesen wäre, wohnte bet einer Kollegin, und so tam es ganz von selbst, daß wir allmählich Abend für Abend zusammen nach Hause gingen, wenn sie nicht ein oder das andere Mal in dem Chantant

Er schwieg. " Dann war sie immer keusch, so lange ich fie kannte," bleiben mußte, weil sie von einem der Gäste eingeladen sagte er dann. Es war wie ein Aufathmen; und doch worden war. Wir sprachen immer nur zusammen, wie flang es aus seinen Worten heraus wie furchtbare Qual. an jenem ersten Abend: wie Menschen, die in dieselben Ich wußte jeßt, daß er sie liebte. Darum bat ich Lebensgleise geschleudert sind, ohne die Absicht einander zu Ich sah ein kleines, reizendes Gesicht mit unregel­mäßigen Zügen, einem feinen Mund, und Augen voll ihn freundlich, mir weiter zu erzählen. Zum ersten Male gefallen. So war unser Beiſammensein immer zwanglos Klugheit und Tiefe einem Gesicht voll Leben, voll dauerte er mich. Dadurch gewann ich zum ersten Mal und unbefangen. Unser Gespräch stockte nie, kurz- wir waren gute, liebe Kameraden, die sich prächtig verstanden. Ausdruck, und über ihm lag jener eigenthümliche Duft, eine Macht über ihn. Klar und ruhig, wie er begonnen hatte, fuhr er fort. So hatte ich keine Gelegenheit, mir darüber klar zu werden, welcher manchen Zügen etwas unerklärbar Anziehendes wie unentbehrlich sie mir allmählich wurde. verleiht. Aber einem schärferen Auge sprach dieses jugend- Er verstand es meisterlich, sich zu beherrschen. Sie war etwa vierzehn Tage schon in dem Café Mit der Zeit lernten wir natürlich auch unser gegen­liche Gesicht auch von einer langen, langsamen Jugend boll Elend und Bitterkeit. Das Bild lebte und sprach. chantant, ohne daß wir mehr als einige kurze Worte, seitiges Leben kennen. Ich bin vielleicht der Einzige ge Es dauerte lange, ehe ich es ihm zurückgab.

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Es schien welche sich auf die Vorträge bezogen, miteinander gewechselt wesen, dem fte alles erzählt hat, was sie erlebte.