Eben weil ich ihr Freund, und nicht ihr Geliebter war. Gegen diesen hätte sie nie so schrankenlos offen werden können. Hier hätte sie immer jene jeder Frau an geborene Koketterie, welche erwerben, festhalten, anziehen und fortstoßen will, abgehalten, gewisse Dinge zu sagen Aber wir wußten nicht, daß wir uns gegenüber etwas zu gewinnen oder zu verlieren halten. So erzählte sie mir Alles, nicht an einem Abend, aber sie hat mich in Alles unbewußt und rückhaltlos hineinblicken lassen, wie es gerade kam und wie ich es ebenso sie bei mir ließ.. Wir ge­wöhnten uns an einander und doch ist Alles anders geworden! Aber in jenen Wochen haben wir uns Alles gesagt. Mit übermüthigem Spott erzählte sie mir jeden Abend, wenn wir entweder ermüdet gleich nach Hause gingen, oder noch zusammen hier oder dort eine Stunde verbrachten, was sie gesehen und erlebt hatte. Sie verstand meisterhaft zu charakterisiren. Wie lachte sie über die dummen Männer, welche glaubten, mit ihrem schmutzigen Held sei jedes Weib käuflich; über die Jammergestalten, welche jeden Abend in dem Tingel-Tangel herumlungerten und nachher nach Verdienst ausgebeutet wurden! Mit welcher Verachtung konnte sie von der rohen Gemeinheit sprechen, von welcher wir umgeben waren, und über welcher wir doch standen! Aber sie empfand trotzdem nie eine Sehnsucht nach etwas Anderem, weil sie es nicht kannte und ich? nun ich empfinde sie noch heute nicht, denn es ist ja doch überall dasselbe. Bei Tage sahen wir uns selten. Sie kam ab und zu aus mein Zimmer um mich zu der Vorstellung abzuholen, oder wenn sie sich allzu sehr langweilte, stöberte in meinen Büchern umher, und wir schlenderten dann zusammen durch die Straßen aber immer wie gute Freunde, die sich zufällig zusammenge- funden haben und sich für einander interessiren. Ich «üßre nicht, daß jemals die Leidenschaft mich in diesen Wochen berührt hätte, einerlei ob sie bei mir oder nicht bei mir war. Ich lebte ruhig und gleichgültig fort. Ich wußte nicht, daß ich nur in ihr noch lebte. Gelangweilt haben wir uns nie zusammen. Sie war unglaublich interessant in Allem, was sie that und sprach, einzig originell. Ihr urwüchsiger Humor, den sie sich durch eine erbarmungswürdige Jugend errettet hatte, und meine Skepsis paßten zusammen.. So gingen wir nebenein­ander her. Das kann man nicht, wenn man sich liebt. Wenigstens nicht, so lange man jung ist. Unsere Unbe- sangenheit machte uns offen und rückhaltlos gegeneinander. Keiner dachte daran, daß eines Tages Alles anders werden könnte... Du siehst, ich kann mich von diesen Wochen nicht trennen. Aber sie find so ziemlich das Einzige, in das meine Erinnerung sich flüchten kann, aus all' den letzten Jahren. An einem Abend hat mir Hedi erzählt, wie sie nach Berlin   gekommen ist. Von ihrer allerersten Jugend wußte ich noch wenig; sie hat immer nur in Andeutungen von ihr gesprochen. Warum auch? Warum reden von einer Jugend ohne Liebe, ohne Licht und ohne Alles, was sonst eine Jugend verschönt? Ein Theaterkind am Tage bleigraues Elend, am Abend lügenhafter Flitter unstät Heimathlos was sollte sie davon reden? Aus einer Hand in die andere geschleudert, behandelt, nicht wie ein Mensch, nein, wie eine Waare, so war sie endlich nach Steltin gekommen, wo sie in einem Chantant ange­fangen hatte zu singen. Ihren Verdienst mußte sie einer Alten bringen. Sie trieb sich meist zwischen den Akrobaten, den Komikern, den aus allen Ständen zusammengewürfelten «eiblichen Mitgliedern der Truppe umher. Die Geschäfte gingen schlecht. Bisher hatte sick Keiner um sie gekümmert. Da erschien eines Abends ein junger Mensch hinter der Bühne, und machte sich an die eine der beiden Chansonetten heran, mit denen sie zusammen wohnte. Sie stand unbe- achtet hinter einer Koulisse, und fing einige der halblaut geflüsterten Worte auf. Dann sah sie, wie sich das Weib etwas in die Hand drücken ließ. Sie wußte Alles mit einem Schlage! Dort war über ihr Schicksal entschieden, wenn sie sich nicht wehrte. Sie kannte das Alles seit ihren ersten Tagen hatte sie Derartiges vor Augen gehabt, täglich! Sie war meist mit den Anderen nach Hause gegangen; selten allein. Bisher war sie auf ihren Heimgängen un- belästigt geblieben. An diesem Abend gesellte sich der junge Mann zu ihr. den sie vorhin auf der Bühne gesehen hatte. Sie hatte es vorher gewußt, und ihren Plan zurecht gelegt. Sie ließ ihn ruhig neben sich hergehen, und sich seine Redcnsarien ruhig gefallen. Als sie aber an ihrer Hausthür waren und er sich mit hineindrängen wollie, fließ sie ihn plötzlich zurück, schlug die Thüre zu und schob den Riegel vor. Dann lehnte sie sich an die Wand, um nicht umzufallen... Sie hörte noch sein Bitten, sein Fluchen, sein Drohen ... dann ging er. Sie stieg die Treppe hinauf, und trat in die Zimmer, welche sie mit den Anderen und der Alten bewohnte. In dem zweiten lag diese und schlief, wie unaufweckbar. Sie fetzte sich hin und wartete zwei lange Stunden auf die Anderen. Sie kamen nicht. Natürlich; sie hatte auch das gewußt. Sie war verkauft. Alles war abgekartetes Spiel. Und war es heute nicht gelungen, so würde es das zweite oder dritte Mal unabweislich gelingen müssen. Sie wußte Alles. Man wächst nicht umsonst unter Schande und Elend auf. Aber ihre Natur wollte um das Letzte wenigstens kämpfen. Als sie länger als zwei Stunden in der Dunkelheit gewartet hatte, stand sie auf und nahm sich von dem Oelde   aus der Schublade der Kommode so viel, als sie
wußte, daß ihr Verdienst betrug. Tann ging sie ohne sonst das Geringste mitzunehmen durch die leeren dunklen Straßen, und blieb im Wartesaal des Bahnhofs bis der Frühzug nach Berlin   abging. Am Nachmittag desselben Tages war sie in Berlin   am Stettiner Bahnhof Sie hatte in der großen Stadt nur eine Bekannt� mit der sie früher zusammen gespielt hatte, und von der sie wußte, daß sie in einem Spezialitäten-Theater im Osten Berlins   sang. Sie ließ sich durch eine Droschke hinfahren Keine Spur von Ausregung war an ihr bemerkbar. Ruhig wartete sie auch hier, bis die Vorstellung begann, in dem kleinen, gänzlich leeren Garten. Zum ersten Mal vielleicht in ihrem Leben war ihr der Zufall günstig. Sie fand die Gesuchte, und einen Platz für die ersten Wochen auf derselben Bühne. Dann kam sie zu uns, in der ersten Entwickelung ihres großen Talentes, welches nur ick kannte..." Er schwieg. Wir füllten uns unsere Gläser. Alles war um uns still. Ich hörte das leise Knistern der Lampen. Das RistKo der Arbeit. (Aus dem Leben der Eiscnbahnarbeit er.) Dem jüngst erschienenen Jahresbericht des New Jersey  ' er Arbeits statistischen Bureaus entnehmen wir einige recht lehrreiche Thatsachen über die Unfälle au' Eisenbahnen. Während nämlich Dank dem Spektakel der Bourgeoispresse für die Passagiere auf Eisenbahnen die Rate der Unfälle in den letzten Jahrzehnten fort- während abgenommen hat und nachgerade auf ein kaum noch bcachtenswerthes Minimum gesunken ist, hat für die Angestellten der Eisenbahn-Kompagnien die Häufigkeit der Unfälle sich bis zu schauerlichen Dimensionen vergrößert. Allein innerhalb des Staates New Jersey   find während der 36 Jahre 1852 bis 1887 folgende Zahlen diesbe­züglich von den Eisenbahn-Kompagnien selbst an die Staats- behörden berichtet worden: Total der Unfälle, welche Angestellten zugestoßen sind: 4922. Davon mit tödllicher Wirkung: 1208; Verletzungen: 3714. Durchschnitt per Jahr. In den Jahren Total Mit tödtlichem Nicht tödtlich Ausgang 185257 20 10.5 9.5 1857-67 2b 15.4 9.6 186777 102 40.4 61.4 1877-87 358 58.7 294.5 Jahr 1887(allein) 863 102.0 762.0 Freilich ist hier die in diesem Zeitraum stattgesundene Ausdehnung des Eisenbahnverkehrs mit in Betracht zu ziehen. Hierzu findet sich im Bericht des genannten Statistik-Bureau's leider blos folgender Anhaltspunkt: Im I. 1887 verunglückten per Eisenbahn  -Meile 19 An­gestellte tödtlich und 3 nicht tödtlich, während in den vorhergehenden 10 Jahren das Verhältniß gleich 1 zu 33 und 1 zu 7 war.') Von den Ursachen, welche Fälle von Tödtung oder Verletzung nach sich ziehen, sind als die folgenreichsten nachstehende zu nennen: 1. Das Gehen oder die Anwesenheit auf dem Geleise; 2. das Herunterfalle» von Zügen, Lokomotiven und Wagen und 3. das Koppeln oder Loskoppeln von Wagen. Von diesen drei Hauptursachen wird nur die erstcre heute noch seitens derSachverständigen" als eine solche betrachtet, in bezug auf die nicht durch Verbesserung der Betriebseinrichtungen eine Abnahme der Unglücksfälle bewirkt werden könnte. In der zweiten Kategorie der Ursachen handelt es sich meistens um das Herunterfallen derjenigen Angestellten, welche auf den Dächern der Cars(Wagen) die Funktion des Brcmsens zu besorgen haben. Bei frostigem Wetter 'ind die Laufbretter sehr schlüpfrig, und auch sonst, wenn die Züge sich in Kurven mit einem heftigen Stoß herum- drehen, kann der Bremser sehr leicht den Halt verlieren und herunterstürzen. Um diese Gefahr zu vermindern, ist von feiten der Eisenbahn-Kommissäre des Staates New Dork chon vor zwei Jahren an die Kompagnien eine Empfehlung gerichtet worden, nämlich dahingehend, die Dächer des Cars mit niedrigen Einsassungsgittern zu umgeben. Aber, die Kompagnien haben diese Empfehlung einfach unberücksichtigt gelassen. Natürlich, die Einfassungsgitter kosten Geld; am Ende sogar so viel, daß die allmonatlich fortschreitende Steigerung im Wachsthum des Nettoertrages für die Eisenbahn-Millionäre sich für den Augenblick um eine Kleinigkeit verlangsamt hätte. Derfreie Arbeiter" selbst östet gar nichts; nur seine Arbeitskraft hat einen Markt- werth, und diese allein wird vom Kapital gekauft. Die Einführung von permanenten Luftbremsen auch auf Fracht- zügen würde die Wirksamkeit dieser Ursache bedeutend ver- mindern. Aber, die Arbeitskraft ist in folge der zu langen Dauer des Arbeitstages so wohlfnl, daß die Kompagnien 'ich einstweilen nicht veranlaßt sehen, irgend welche Ber- zesserungcn in Anwendung zu bringen, zu denen sie nicht durch die Konkurrenz unter sich gezwungen sind. Furchtbar groß ist endlich für sich allein schon die Zahl jener Unglücksfälle, welche den Eisenbahn-Angestelllen >ei Ausübung der Funktion des Knppelns und Los- "uppelns der Cars zustoßen. Und diese Gefahr önnte, wie der vorliegende amtliche Bericht an- leutet, durch allgemeine Einführung des Systems derautomatischen Kuppelapparate(Janney
') Theilweise, sagt der Bericht, erklärt sich diese Ver- chlimmerung im Aussehen der Sachlage aus der Zunahme in Genauigkeit der Verzeichnung und Meldung solcher Fälle. Doch hat daZ wohl kaum viel zu besagen.
Type") gänzlich beseitigt oder doch auf ein geringes Maß reduzirt worden. Aber die Kompagnien wollen halt davon nichts wissen. Warum? Antwort wie oben: Menschen- leben, wenn es sich blos umArbeitsmcnschen" handelt, kosten nichts. Das gehört nun einmal zu den Schönheiten der kapitalistischen   Ausbeuterwirthschaft. Nur dieser, wie gesagt, mit einer verhältnißmäßig geringen Ausgabe seitens der Kompagnien vermeidbaren Gefahr(beim Kuppeln und Losmachen) fallen Tag für Tag soviele Menschenleben oder die gesunden Glieder von Menschen zum Opfer, daß die Resultate dieser industriellen Massenschlächterei von feiten des New Jersey  'er Statistik- Bureau auf nicht weniger als 459 To die, 4080 Schwer- v erwü ndete und 13 770 Leichtverwundete d. i. auf 18309 Todte und Verwundete zusammenge- nommen berechnet wurden. Das meint: 18 309 all­jährlich nur auf dem Gebiete der Vereinigten Staaten von Amerika   allein!(Unter Zugrundelegung der für das System derBaltimore& Ohio R. R." festgestellten Unfalls-Statistik.) 18 309 alljährlich! Das ist eine Zahl, die um die Hälfte größer ist, als die Zahl der Personen, die in der großen Schlacht an der Wilderneß getödtet oder verwundet wurden.Nur daß die Zahl der Todten nicht so groß ist."(Diese letztere Bemerkung ist dem New Jersey  'er Statistik- Bericht gutzuschreiben.) Nicht so viele Todte wie in jener politischen Schlächterei, allerdings! Aber, wäre es nicht für manchen Proletarier weit besser, gleich kurzweg getödtet, anstatt im Götzendienst des Kapitals blos ver- stümmelt zu werden?! Nur noch eine Frage für heute: Wer von unseren Lesern kann uns auch nur eine kleine Anzahl, nur ein Viertel-Dutzcnd von Zeitungen nennen, außer denen der Arbeiter- Presse welche es als ihre Pflicht aner- kennen, solche Thatsachen dem Volke vor Augen zu halten? Was haben jene Zeitungen, die von den Eisenbahn  - angestellten vielfach noch gehalten werden, aus dem In- halt derartiger amtlicher Berichte veröffentlicht? Ihr Grundsatz ist Schweigen. Todtschweigen der Wahrheit! Und warum sollte die kapitalistische Presse sich nicht diesen billigen Spaß erlauben?Die Dummen werden ja noch lange nicht alle!"
Di-
Lage der Münchener Schreiner(Tischler). Der von uns unterLiterarisches" erwähnte Bericht kommt zu folgendem Schlußergebniß: Die wirthschastliche Lage der im Schreinereibe ttiebe Beschäftigten ist als keine besonders günstige zu be- zeichnen. Sollte deßhalb von einzelnen, welche das Resultat mit anderen Augen ansehen als wir, der Einwand erhoben werden, daß nicht alle Gehilfen, welche hierorts he- schäftigt sind an der Statistik mitgewirkt haben, so ist dies wohl richtig, daß einige hundert der hier am Orte weilenden Schreinergehilfen sich nicht an den Erhebungen betheiligt haben. Dieselben würden aber, so wäre wohl mit Be- stimmtheit zu behaupten, keinen Ausschlag gegeben haben zu Gunsten des Resultates. Denn erstens war ein ziemlicher Theil davon jedenfalls außer Arbeit, ein anderer Theil, welcher aus Lethargie sich nicht betheiligt, rekrutirt sich der Mehrzahl nach fast immer aus solchen Elementen, deren wirthschastliche Ber- Hältnisse auf ein solches Niveau heruntergedrückt sind, daß sie alle Selbstständigkeit, eine Besserung ihrer Lage anzu- streben, verloren haben. Unter dem etwa noch aus- 'tehenden Rest befinden sich vielleicht eine kleine Zahl solcher, welche wähnen, daß sie vermöge ihrer besseren Verhältnisse naserümpsend über derartigen Enqueten stehen dürften. Tie Mehrzahl des noch übrig gebliebenen Restes besteht aber aus sogenanntenLiebedienern", deren Verdienst- Verhältnisse oft sehr wechselnde find. Daß die große Mehrzahl der Gehilfen, welche für 'ich das PrädikatMann" in Anspruch nehmen, that- sächlich mitgewirkt haben, geht wohl aus den Zahlen selbst jervor. Jeder hierauf bezügliche Einwurf würde durch das Material widerlegt. Doch kehren wir zu unserem Resume zurück. Dasselbe ergiebt, daß nicht nur die Konkurrenz für die Arbeits- !raft des einzelnen wirklich besteht, sondern sich durch die bedeutende Vermehrung der Maschinen in immer- währender Steigerung befindet. Auch daß die vorhandenen Arbeitskräfte oft sehr eigemhümlich, fast sprungweise zur Anwendung ge- angen. Es werden und dieses trifft in vielen größeren Werkstätten mit maschinellem Verriebe zu wenn Arbeits­aufträge vorhanden sind, Sonn- und Feiertage und Feier- abendstunden bei oft größerer Anzahl von Arbeitern dazu verwendet, die Aufträge fertig zu stellen. Ist dieses ge- chehen, so werden Entlassungen in oft größerer Anzahl, die vielfach sogar auf die schlechtere Jahreszeit entfallen. vorgenommen. Wenn wir dann weiter betrachten, daß die Verdienst- Verhältnisse seit beinahe 20 Jah-ren im Grunde ge- nommen keine od�r verhältnißmäßig nur minimale Steigerung erfahren haben denn es wurde im Jahre 1872 nach den Vereinbarungen mit den Meistern als niedrigster Lohnsatz M. 3. per Tag bezahlt so finden wir heute, daß derselbe in vielen Fällen niedriger bemessen ist. Vergleichen wir die Steigerungen der Lebens- mittelpreise und der Wohnungsmiethen und ziehen wir in Betracht, daß doch die zwei verflossenen Dezennien auch in kultureller Hinsicht größere Ansprüche an die Menschen geltend gemacht haben was in Zukunft in jedenfalls