Ifiihit pt berliner Uolks Trilȟne.
Jii 17.
Sonnabend, den 26. April 1890.
IV. Jahrgang.
IN achdruck ncrdoten.) Eristenxen. Von John Henry Mackay . Er fuhr fort, und seine Stimme wurde wieder wärmer und tiefer. —„Ich habe sie gekannt, wie sie nie ein Anderer kannte. Ich bin— ich muß es immer wiederholen— auch der Einzige gewesen, der sie verstand, wohl weil nur ich mir die Mühe gab, sie zu verstehen. Für mich war es keine Mühe, nur Freude. Wenn wir uns geliebt hätten, wäre diese Freude zu einer bangen Qual geworden. So trat sie nie meinen Wünschen entgegen. So lhöricht waren wir Beide nicht, auch nur einmal daran zu denken, wir Beide könnten zurück. Wir mußten weitergehen— immer hinunter— immer tiefer-- „Einmal muß es ja doch kommen," sagte Hedi eines Abends zu mir, als sie auf meinem Zimmer war, und Zigaretten rauchend in meinem alten Lehnstuhl lag— „einmal ist es fertig mit unserer Kraft. Oder glaubst Du, daß wir alt werden, Paul?" Ich konnte ihr Nichts antworten. Da wurde sie böse. „Laß doch endlich Deine langweiligen Bücher in Ruhe", rief sie und stampfte mit ihrem kleinen Fuß auf.„Wir müssen doch gleich fort." Ich stand auf und stellte mich lächelnd vor sie hin. Sie war entzückend, wie sie so da saß. Aber ich war blind. Ich sah nur immer noch den guten Kameraden in ihr. „Nächstens gehe ich zu Direktor S., und bitte ihn, Dich Probe singen zu lassen. Dann kommst Du aus dem Loch heraus." „Und Du?" „Ich bleibe in meinem Loch." „Nein, dann mußt Du mit." „Vielleicht als Komiker?!" „Ach was, dann verdiene ich so viel, daß wir Beide davon leben können." „Du bist ein Phantast, Hedi." „Ja, ich bin ein Kind, Du alter Großpapa," lachte sie,„ein Kind— und das bin ich doch eigentlich nie ge- wesen..." Sie konnte zuweilen schwermülhig werden, und ich suchte sie dann um jeden Preis aufzuheitern. Aber heute wollte es mir nicht gelingen. „Doch Hedi, Du bist immer ein Kind gewesen!" Sie sah mich an mit ihrem seltsamen, forschenden Blick, in dem etwas von jenem Mißtrauen lag, welches sie gegen Jeden erfüllte. Sie hatte es sogar mir gegenüber noch nicht ganz verloren, und ich sah es oft, ganz unvermuthet, bei ihr hervorbrechen, und stets, wenn ihr etwas Neues in den Weg trat. Aber es schwand mir gegenüber auch sofort wieder. „Gieb mir noch eine Zigarette, Paul." Sie rauchte leidenschaftlich gern und viel. Dann lehnte sie sich wieder zurück und wieder lag der Schatten der Schwermuth über ihrem lieblichen, seinen Gesicht. Ich stand noch immer vor ihr. „Ja, wir führen ein jämmerliches Dasein, Paul. Und wir können nicht heraus. Wir kommen nur immer tiefer hinein. Ich habe mich so lange gewehrt, so lange — aber einmal, da ist es doch zu Ende. Und wenn ich einmal gefallen bin—", und ein heißes Zucken ging über ihr Gesicht,„dann aber auch ordentlich! dann muß es schnell zu Ende sein!" So hatte sie noch nie gesprochen. „Meine kleine Hedi, du übertreibst. Du wirst noch einmal einem Mann seine liebe Frau." „Paul, werde nicht albern!— Du lügst ja"— schrie sie auf,„Du lügst ja! Du weißt, wie elend wir Alle sind, und Du führst solche Reden!" Jede Andere hätte geweint. Aber sie konnte nicht mehr weinen. Der Jammer ihrer Kindheit hatte alle ihre Thränen aufgesogen. Sie warf ihre Zigarette fort und sprang auf. „Laß uns gehen", sagte sie hart. Als wir aber aus der Straße waren, hatte sie all ihren Leichtsinn und ihre Unverwüstlichkeit wieder,, und „immer lustig, immer munter, denn die Hedi geht mcht unter—" sang sie vor sich hin. Den Abend spielte sie, wie ich sie nie gesehen habe. Fortwährend kleidete sie sich um und ich mußte ihr ihre Lieblingsstücke spielen. Sie hatte Erfolg. Blumen aus Blumen wurden ihr zur Bühne hinausgeworfen. Sie legte sie alle lächelnd bei Seite. Ich fürchtete schon, sie würde heute Abend eingeladen. Aber es war Sommer, und da hat selten Jemand Lust in der dumpfen Hinterstube noch stundenlang zu sitzen. So gingen wir um elf Uhr wieder die Friedrichstraße zusammen hinunter._. Sie war fieberhast aufgeregt und sprach fortwahrend. Es war ein heißer, schwüler Sommerabend, wie vor einem langen, schweren Gewitter. Die Häusermassen strömten eine dumpfe Hitze aus. Ueber ihnen lag ein dicker, zu- sammengeballter Staub, den man durch die schwere Luft niedersickern fühlte. Die Menschcnmasscn schoben sich nur langsam vorwärts. Alles war abgespannt, müde, erschlafft . Nur Hedi sprach unablässig, ohne eine Spur von Ermüdung. Sie war unverwüstlich.
Ich war bedrückt, wie von einer dumpfen Angst, die ich wir nicht erklären konnte. Immer wieder mußte ich an ihre Worte von vorhin denken—„wenn aber einmal, dann muß es auch schnell zu Ende sein." Wir kamen an einem großen Gebäude vorüber, dessen Thürpfosten mit breiten, rothen Zetteln beklebt, waren. Da— wir waren schon einige Schritte weiter gegangen — stand Hedi plötzlich still. „Das ist ein Tanzsalon. Höre, Paul, ich möchte heute Abend tanzen." „Bei dieser Hitze, Hedi?" „Ja, ich will heute Abend mit Dir tanzen. Wir wollen auch einmal fröhlich sein. Hast Du Geld bei Dir?" „Ein paar Mark—" „Die wollen wir vcrthun. Ich muß heute Abend etwas anstellen." Wir drehten um, und traten in den großen, über- füllten Saal. Es herrschte eine unglaubliche Temperatur. Hedi hatte meinen Arm genommen, trat zu einem der nächsten Tische, und warf ihre Jacke und ihren Strohhut hin. „Ein Walzer, Paul. Komm!" Damit zog sie mich in das Gedränge. Wir tanzten zum ersten Mal mit einander. Sie hatte es nie gelernt, tanzte aber wie eine Feder so leicht. Ich mußte einhalten, sonst hätte sie den ganzen langen Tanz in einer Tour durchgetanzt. Wir setzten uns an unfern Tisch. Ihre Wangen glühten vor Lust. Sie war fröhlich, wie ein Kind... Ich bestellte uns Bier; sie wollte keinen Wein. Da, als sie ihr Glas aufhob, und mir zunickte, sah ich eigentlich zum ersten Mal, wie reizend sie war. Ihr glühendes Gesichtchen, so voll Lebenslust— und ich war es, der zuerst wieder daran erinnerte, daß wir tanzen wollten. Sie sprang fröhlich auf. Als wir dann durch den Saal flogen, und ich ihre weiche, warme, wogende Brust an der meinen fühlte, ihre zarte Jugend in den Armen hielt— da fiel es mir wie ein Schleier von den Augen— und ich sah in ihr plötzlich das Weib, das liebedürstende, entzückende Weib.--- Eine heiße Rothe stieg in mein Gesicht, und ich wandte es ab, damit sie mich nicht sehen sollte. Aber als der Tanz zu Ende war, und alles sich wieder in dichtem Knäuel zu den Tischen hindrängte, und ick in ihr Gesicht sah, sah ich ihre Augen aus mich ge- heftet, heiß, brennend, voll L.ebe und Glück— und ich beugte mich nieder, und wir küßten uns zum ersten Mal unter all den Menschen, von denen Keiner auf uns achtete, lange, lange und leidenschaftlich.— An diesem Abend ließ ich ihre Hand nicht mehr aus der meinen, wenn wir an unserm Tische saßen— ich fühlte ihren Druck, und gab ihn zurück— und zum erstem Mal in meinem Leben war ich in diesen Stunden wahrhaft glücklich! Aber wir sagten Nichts zu einander... Es war uns Beiden zu plötzlich, zu unerwartet gekommen! Jedoch wir tanzten jeden Tanz zusammen, und preßten uns aneinander, als wollten wir uns versichern, daß wir wirklich zusammen waren. Und wir küßten uns, und lachten, und die Stunden flogen uns hin wie der Wind — im Rausch der Liebe und des Glückes!——— Erst als der letzte Tanz beendet war, gingen wir. Eine mildkühle Luft wehte uns entgegen nach den heißen Stunden. Wir gingen schweigend durch die morgenstillen Straßen nach ihrer Wohnung. Aber ihr Arm ruhte fest in meinem. Wir wurden uns Beide klar über das Ver- gangcne, und schwiegen. Sie sah zu Boden. So schritten wir schnell und stelig hin. Als ich vor ihrem Hause stand, nahm ich sie in meine Arme und küßte sie ohne Aufhören. Sic duldete es, aber ich fühlte, wie sie die Küsse nicht erwiderte. Dann flüsterte ich ihr Worte des Verlangens und der Liebe in's Ohr. Aber sie sagte, und ich fühlte, wie sie mit sich kämpfte: „Nein, Paul, nein— das nicht! Ich will nicht. Ich kann nicht!— Heute nicht— heute nicht—" bat sie fast flehend. Da glitt ihre Hand aus der meinen und ich ließ sie allein hineingehen. Aber ich sah noch, wie sie mich anblickte voll Liebe und voll Schmerz. Dann war ich allein. Ich ging langsam und im Gefühl eines unendlichen Glücks nach Hause. Tausend Gedanken über unsere Zu- kunft flogen mir durch die Stirn. Ich war in wenigen Stunden ein Anderer geworden. Es war das höchste Glück, was einem Menschen werden konnte: ich wußte, sie liebte mich! Sie würde mein werden— so ober so— ich wußte es. Ihr Sträuben heute Abend war ihr letzter Kampf gewesen... Und ich fühlte die Kraft in mir, zu bewirken, daß sie mein bleiben würde! So stand die Zukunft vor mir, lachend und rosig, wie der Morgen, welcher blendend und rein über den Dächern Berlins emporstieg. Ich habe selbst in den Stunden des neuen Tages an kein neues Leben gedacht— ich glaubte nur an ein neues, nie gefühltes Glück. Ich wußte, daß wir Beide nicht
mehr zurück konnten, und auch in diesen Stunden sagte mein Verstand mir unerbittlich und klar: nur für eine Spanne ist dies Glück. Ihr seid Beide nicht darnach ge- schaffen, ein Leben lang in Liebe und Frieden zusammen- zuleben. Aber glücklich wirst du, und sie— dann ist es eines Tages zu Ende-- das Spiel ist aus! Aber glücklich wollte ich werden, glücklich sollte sie werden! Wir wollten unsere Liebe genießen bis auf den letzten Zug! Und war ich nicht der Letzte, so wollte ich doch der Erste sein, der sie besaß, und der Einzige bleiben, den sie liebte! Aber leise stahl sich an jenem Tage in meine Ent- schlüsse die leise Scham jeder ersten Liebe, und legte sich über sie wie ein leiser Staub, und als wir uns am Abend sahen, drückten wir uns zwar innig und verstehend die Hand, konnten aber Beide kein Wort der Erklärung finden. Ich glaube, wir sind beide zum ersten Mal in unserem Leben befangen gewesen. Sie sah den Abend nie zu mir hin, wenn sie wußte, daß ich vom Klavier aufblickte— aber doch fühlte ich zuweilen ihren Blick auf mir ruhen, und erhaschte ihn, wenn ich plötzlich zu ihr aufsah. Ihre Wangen waren von einer leisen Röthe bedeckt, und sie war aufgeregt, wie ich selbst. Wir sehnten uns Beide nach unserm Glück, und fürchteten es Beide. Ich sah wie ihre kleinen Hände mit dem Tuche spielten, wie sie unsicher in ihrem Auftreten war. Ihre Stimme bebte leise, wenn sie sang. Sie war heute Abend schöner wie jemals. Mir war, als sähe ich sie zum ersten Mal als hätte ich vorher immer nur eine Andere gesehen, und nicht die, welche ich liebte... Der qualvolle Abend war zu Ende. Ich saß noch auf meinem Platz und schlug einige Töne an, wartend, wartend... Da kam sie endlich— aber nicht fertig zum Gehen — schnell aus dem Weinzimmer. „Ich kann nicht fort, Paul. Es ist große Gesell- schaft da. Wir sollen Alle hier bleiben. Sie sind eben von hinten hereingekommen—" „Grade heute Abend, Hedi?—" „Paul, es geht nicht anders. Wir sind ja Sklaven." „Nein, wir sind keine Sklaven!" Da kam der Wirth herein und auf uns zu. „Weshalb kommen Sie denn nicht, Fräulein Hedwig? Die Herren warten. AUons!" Mit mir sprach der Mensch nie, außer das Aller- nothwendigst:. „Fräulein Hedwig möchte heute Abend gleich nach Hause gehen", warf ich ein. „Nein, das geht nicht. Kommen' Sie!" Dann ging er. „Was soll ich thun, Paul? Wenn ich nicht hingehe, liegen wir morgen Beide auf der Straße." „Du kannst thun, was Du willst, Hedi. Wir sind Beide frei." Da beugte sie sich zu mir nieder und küßte mich in dem dunkel und leer gewordenen großen Saal. Es lag wie ein Bangen auf ihr und mir. Es machte uns Beide unsicher. So thaten wir, was wir sonst nicht gethan hätten: wir gaben nach. Sie ging. Aber sie sagte noch zu mir:„Ich komme morgen zn Dir, Paul." Ich sah, wie sie in dem Hinteren Zimmer verschwand. Dann stand ich auf und ging auch nach Hause. Ich war müde und stumpf, und wollte schlafen. Die ungewohnte Angst war mir schrecklich. Sophismen trösteten mich einige Zeit über den Weg nach Hause hinweg. Sie war so oft in der Gesellschaft gewesen; so bekannt waren ihr diese Orgien— sie trank niemals viel— konnte da irgend etwas vorkommen? Und dazu noch heute Abend? Sie würde sich so schnell wie möglich befreien und nach Hause gehen. Ich war zu Hause. Eine feige, faule Sehnsucht nach Schlaf lag auf mir. Ich ging zu Bett. Aber ich konnte nicht schlafen. Plötzlich sprang ich auf, warf mich in meine Kleider und eilte die Straßen hinab. Ich stand vor der Thür unseres Lokals. Sie war geschlossen. Ich wollte rütteln, aber ich zog im letzten Augenblick die Hand zurück. Wozu?— War ich denn wahnsinnig geworden? Was sollte ich sagen? Ich lauschte. Gedämpft drang durch den langen Gang des Hauses aus dem hinteren Zimmer das wüste Lärmen zu mir. Ich wurde ruhiger. Langsam ging ich von der Thür fort und in das nächste Restaurant. Es war zwei Uhr. Eine Stunde etwa saß ich ruhig. Dann aber packte mich plötzlich wieder die unerklärliche, schreckliche Angst. Ich sprang auf und eilte wieder zu der Thür. Aber so viel ich lauschen mochte, diesmal drang Nichts zu mir.... Ich hielt den Athem an vor Angst. Aber Alles blieb still. Da ging ich langsam nach Hause. Aus den Straßen war es stiller geworden. Eine wunderbar-wciche Sommer- nacht, mondhell und mild... Gefühle, von denen ich bisher Nichts geahnt, die ich bisher verlacht hatte, be- drängten mich: Angst, schmerzliche Sehnsuch, ungestüme Liebe. — So kam ich nach Hause in'mein Zimmer. Ja jenen Stunden zum ersten Mal habe ich ahnen gelernt,